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Sonntag, 5. Juni 2022

Samstagsplausch KW 22/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXVI

"Heute Morgen konnte ich noch Auto fahren. Heute Abend kann ich gar nichts mehr!", verzweifelte der Gatte zu Wochenbeginn, und das brach mir das Herz. 

Diese Feststellung zeigt, wie der Zustand des Gatten von einem Moment auf den anderen kippen kann. Plötzlich geht dann gar nichts mehr, kippt der Gatte um und kommt buchstäblich nicht mehr auf die Beine. Polyneuropathien sind großes Kino, vor allem, wenn noch andere Erkrankungen dazu kommen. Eine Verbesserung oder gar ein Gesundwerden sind illusorisch. Einzig Symptome können gelindert werden - manchmal. 

Für den Rest der Woche stabilisierte sich der Zustand des Gatten etwas, und gestern bei der Herzsportgruppe konnte er sogar mit den anderen Fußball spielen, ohne umzukippen. Noch nachmittags redete er davon, wieviel Spaß ihm das machte! Seit Wochen redet der Gatte zudem davon, nicht nur meins, sondern beide Fahrräder wieder flott zu machen, weil er gerne wieder Radfahren möchte. Da er mit Gleichgewichtsstörungen kämpft, werden wohl zumindest für die Anfangszeit Stützräder fällig, auch, wenn der Gatte die lächerlich findet. Nur: Ohne stürzt er, denn er kann sich nicht abfangen. Ein eBike wäre sinnvoll, aber das möchte er nicht. Stattdessen überlegt er, in die "Indoor-Cycling"-Seniorensportgruppe unseres Vereins zu gehen, um etwas sicherer zu werden, bevor es auf die Straße geht. Mal sehen. 

Hier gilt seit mittlerweile 116 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam.

Diese Woche war die Kollegin, die vier Wochen wegen Corona ausfiel, wieder im Büro. Sie ist froh, dass sie wieder fit ist, und überraschte uns alle mit einer Runde Franzbrötchen. Die beiden Kinder des Kollegen sind auch wieder fit, und die Eltern schafften es tatsächlich, sich nicht anzustecken. 

Im Büro war's anstrengender als gedacht, vor allem Freitag, denn unser Ukraine-Projekt nimmt Fahrt auf, und bei einem erst Donnerstag von der Stadt beschlossenen Projekt spielt mein Mammutprojekt eine tragende Rolle. Da ich kommende Woche Urlaub habe, musste ich Freitag meine Vertretung briefen, damit sie weiß, was auf sie zukommt. Sie war trotz freien Tags zufällig online und rief an, als sie die ersten Mails, in denen sie cc gesetzt war, sah. Es tut mir leid, dass sie keinen ruhigen Vertretungsdienst haben wird, aber ich brauche ein paar Tage zu Hause, so dass ich nicht meinen Urlaub absagen möchte. Und ich weiß, sie wird von Chefs und Kolleginnen unterstützt. Für mich ist es ungewohnt zu sagen, dass das Büro ohne mich zurecht kommen muss. 

Diese Woche durfte ich mit einer Kollegin durch die Stadt laufen - das sind die Momente, in denen ich meinen Job noch mehr mag als sonst. Die Kollegin hat für den Sommer wieder eine Themen-Rallye entwickeln lassen, und die musste nun auf Plausibilität geprüft werden. Das machte viel Spaß! Ich hatte erst Angst, dass ich zu viel meckere, weil die Konzeption von Stadtrundgängen früher mein Job war, aber die Kollegin konnte gut damit umgehen, und die, die Rallyes konzipierten, meinten, ich solle zukünftig immer die Überprüfung mitmachen. Och nö, ich bin ganz froh, dass das nicht mehr mein täglich Brot ist. Es tat aber gut zu merken, dass ich es noch kann.  

"Sachma, täuscht das oder wirst du immer weniger?" frug Chef I diese Woche. Momentan täuscht das, denn nach 30 Kilo Abnahme halte ich mein Gewicht, aber da ich mich diese Woche mal wieder im Fernsehen und in einigen Insta-Stories sah, registrierte auch ich, wie viel ich abnahm. Es dürfte gerne mehr werden, aber momentan ist nicht die Zeit dafür. 

Dass ich nicht nur letzten Freitag auf dem Swutsch war, sondern auch noch zwei lange Tage im echten Büro, bekam dem Gatten gar nicht. Für den Rest der Woche organisierte ich mich so, dass ich viel Zeit für ihn hatte, und die gemeinsame Zeit war sehr schön. Wir konnten ohne die Brüll- und Bolz-Blagen auf der Terrasse sitzen und bummelten durchs große Einkaufszentrum. Wir ließen die vergangenen zwei Jahre Revue passieren und überlegten, wie schön es gewesen wäre, an diesem langen Wochenende in London zu sein. 

Nach meinem Urlaub müssen wir mal gucken, wie wir uns so organisieren, dass der Gatte besser damit zurecht kommt, dass ich zwei, drei Tage jeweils zehn bis zwölf Stunden weg bin, denn dass ich nur noch zu Hause bin, ist keine Lösung, wollen wir beide nicht, so gut wir es auch miteinander aushalten. Zu den schönen Momenten diese Woche gehörte auch, dass der Gatte mal vor mir wach war, Kaffee kochte und mir welchen ans Bett brachte. Früher war das an Wochenenden die Regel, aber seit der Erkrankung kommt das nur noch sehr selten vor. 

Tante rief letzten Sonntag an, um sich für die Fotos aus dem Kurzurlaub mit Schwiegermutter zu bedanken, und wir sprachen lange miteinander. Es ist immer wieder schön, mit ihr zu reden. Es wäre schön, sie in der Nähe zu haben.

Mudderns geht's gut, aber sie neigt wieder dazu, mir ihre Entscheidungen und Handlungen aufzuhalsen, wird unselbständiger. Paradoxerweise wird das schlimmer, seitdem ihre Gesellschafterin zwei Mal in der Woche kommt. Das muss sich ändern. Es war okay für mich, dafür zu sorgen, dass sie Hilfsmittel und Nachzahlungen der Krankenkasse bekommt, weil das ziemlich komplex war, aber sie ist durchaus noch in der Lage, ihre Alltagsgeschäfte zu erledigen. Natürlich ist es bequemer, wenn ich das mache, aber das Leben ist kein Ponyhof. 

Mittwoch wartete der Gatte gespannt auf meine Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket, aber hier war der Auftakt unspektakulär. Morgens war der Bus sogar leerer als sonst, fehlten die Kinderwagen, Hackenporsche und Gehwagen, die sonst am Markttag für einen vollen Bus sorgen. Ich bin jetzt tatsächlich öfter als früher mit dem ÖPNV unterwegs, aber das liegt nicht am 9-Euro-Ticket, sondern daran, dass ich seit März 2020 zum ersten Mal wieder eine Monatskarte habe. Da ich maximal drei Tage im echten Büro bin, sind zwölf Tageskarten nämlich preiswerter. 

Der Tankrabatt, auf den der Gatte hoffte, weil er aufgrund seiner Behinderung oft aufs Auto angewiesen ist, entpuppte sich als schlechter Witz. Den Rabatt müssen die Mineralölkonzerne ja noch nicht mal an die Verbraucher weitergeben! In manchen Interviews war zu merken, dass die Konzernsprecher sich kaum das Lachen verkneifen konnten. 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

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