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Samstag, 1. Oktober 2022

Samstagsplausch KW 39/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXXXIII

Zurück aus dem Urlaub, geht's im gewohnten Chaos weiter.

Sonntag waren wir mit Schwiegermutter essen. Sie war zwei Wochen bei Tante, beide wellnessurlaubten in Bad Füssing. Schwiegermutter fällt es schwer zu akzeptieren, dass nicht nur Tante, sondern auch sie körperlich nicht mehr so fit ist wie vor ein paar Jahren. Sie hadert damit, dass sie langsam, aber sicher erblindet und nicht mehr richtig hört, mit den Hörgeräten nicht zurecht kommt. Es ist schwer. Die beiden machten sich gegenseitig das Leben schwer und überlegen wieder einmal, ob sie sich überhaupt noch gegenseitig besuchen. Führe die Bahn problemlos zwischen Hamburg und München, wäre es eine Erleichterung. Diesmal strandete Schwiegermutter am Hauptbahnhof, das letzte Mal musste sie über eine Behelfsbrücke auf offener Strecke den Zug wechseln. Tante wäre körperlich dazu gar nicht in der Lage.

Montag waren wir nach drei Wochen Pause wieder in der lindgrünen Hölle und sehr angespannt, denn der Notartermin mit Übertragung des Hauses, Generalvollmacht und Patientenverfügung stand an. Was, wenn Mudderns in schlechter Tagesform ist und einen Rückzieher macht? Aber sie war gut in Form, sagte schon beim Telefonat am Sonntag, sie habe alle Unterlagen herausgesucht und einen Besprechungsraum reserviert. Der Notar war total goldig und geduldig, und dennoch brauchten wir für alles kaum eine Stunde. Der Termin war für Mudderns und mich schwer. Mudderns sagte aber zum Schluss, wir hätten das schon viel früher machen sollen und scheint gerade mit allem einigermaßen im Reinen zu sein - außer, dass sie weiterhin ins Betreute Wohnen umziehen möchte und mich bei jedem Telefonat darum bittet, ich solle ihr eine Wohnung besorgen. Gott sei Dank ist in der einzigen Anlage, die für sie in Frage kommt, nichts frei, denn Mudderns ist schlichtweg nicht mehr in der Lage, alleine zu leben, auch, wenn sie das nicht wahrhaben will, weil sie in ihrer eigenen Welt lebt.  

Jetzt bin ich Hausbesitzerin.

Montag erwartete uns auch eine Überraschung im alt-neuen Haus: Das Badezimmer ist weg! Die Handwerker haben einfach schon mal losgelegt, vier Wochen früher als abgesprochen ... Ich muss am Wochenende mal sehen, wie ich halbwegs Ordnung ins Chaos bekomme, denn ich habe überhaupt keinen Plan mehr, was zum Entrümpler soll und was nicht. Und anders als der Gatte komme ich aktuell noch nicht mal zu meinem Schlafplatz.

Dienstag war mein erster Bürotag, und ich habe es genossen, einen Arbeitsplatz zu haben, an dem ich sicher sein kann, dass mich keine Katastrophen erwarten. Das war lange nicht so. Geärgert hat mich nur die IT, denn mein PC bekam während meines Urlaubs ein elendiges Update des Betriebssystems. Heißt, alle Startseiten, gespeicherten Passwörter und Programme auf der Taskleiste sind weg. Normalerweise wäre das kein Drama, würde ich alles neu einrichten, aber dazu hat jetzt nur noch die IT die Berechtigung, und die untersagt so was. In das Zeiterfassungssystem gelange ich nur über eine alte eMail, denn das Programm ist auf dem PC nicht mehr zu finden. Also suche ich jeden Tag erstmal die eMail mit Link zum Zeiterfassungssystem, gebe alle drei URLs, die ich zum Arbeiten brauche, händisch ein, und bin froh, dass ich alle Passwörter aufgeschrieben habe. Eine Taschenrechner-Funktion gibt es auch nicht mehr, so dass ich die gute alte Rechenmaschine aus dem Lager holte. Einmal mit Profis ... 

Dienstag hatten der Gatte und ich auch Arzttermine. Während meiner beim Zahnarzt unerfreulich, aber undramatisch war, kam der Gatte mit der Hiobsbotschaft zurück, dass er wieder regelmäßig in die Augenklinik muss. Seit den letzten Behandlungen wechselte er ja den Augenarzt, und der sucht auf Bitten des Gatten netterweise nach einer Alternative zur Augenklinik am anderen Ende der Stadt, damit ich mir nicht jedes Mal einen Urlaubstag nehmen muss. Theoretisch kann die Behandlung auch in einer Praxis hier in der Nähe erfolgen. Der Augenarzt klärt jetzt ab, ob die Kollegen übernehmen können. Jetzt warten wir auf einen Anruf, in dem uns die Termine mitgeteilt werden.

Beim Zahnarzt ist übrigens nur noch Maskenpflicht. Auf die antivirale Mundspülung vor jeder Behandlung wird inzwischen verzichtet.

Den Blick auf die Weide mit Rehen, Pferden oder Kühen werde ich in der lindgrünen Hölle vermissen. Früher kam ich dort auf dem Weg zum Bahnhof an einer Weide mit Heidschnucken vorbei, freute mich jeden Tag darüber, aber die Heidschnucken fielen Tierschändern zum Opfer, und die Weide ist inzwischen bebaut.

Mittwoch fuhr der Gatte ganz tapfer alleine ins alt-neue Haus und traf den Schornsteinfeger, der einen Energieausweis erstellt. Gott sei Dank gab's keine wirklichen Hiobsbotschaften, aber es wurde mal wieder deutlich, dass Mudderns seit Jahrenden in einer anderen Welt lebt. Im angeblich regelmäßig gewarteten Schornstein nisten Vögel, aber ansonsten ist er intakt, nur ist er nicht so ausgebaut, dass wir problemlos einen Kamin anschließen könnten. Das ist zwar generell möglich, aber das dafür erforderliche Rohr, dass es laut Mudderns schon geben soll, existiert nicht. Es wird also etwas aufwändiger. Der ominöse Ofen, den Mudderns zum Verbrennen von Papier nutzte, darf seit 40 Jahren nicht mehr betrieben werden, ist stillgelegt - von wegen, sie hätte eine Ausnahmegenehmigung vom Schornsteinfeger, der den Ofen regelmäßig gewartet habe. Dieser Ofen ist auch der Grund, warum es im Keller mit dem Öltank so extrem war ist: Er wird nämlich durch das Wasser der Heizungsanlage erhitzt, keine Ahnung, wir das technisch möglich ist. Und wir wunderten uns schon, woher die extreme Wärme in diesem Kellerraum kommt. Da muss beizeiten ein Heizungsbauer her. 

Mit vereinten Kräften schafften Schornsteinfeger und Gatte es auch, die Heizung in Gang zu bringen, so dass das Haus hoffentlich durchgewärmt ist, wenn wir am Wochenende dort sind. Und durch die Heizung haben wir auch heißes Wasser, allerdings soll die Heißwasserversorgung perspektivisch über einen Durchlauferhitzer laufen. Den Zweck des Durchlauferhitzers, den wir im Keller fanden, konnte sich der Schornsteinfeger nicht erklären, denn er ist nirgendwo angeschlossen. Darauf hätte eigentlich auch der Installateur kommen können, der vor sechs Wochen da war, aber der war ja eher desinteressiert, weil ihm unser Auftragsvolumen zu gering ist. 

Donnerstag und Freitag arbeitete ich zu Hause, was wir nach wie vor gut tut und etwas Ruhe in den Alltag bringt. Noch ist nicht entschieden, ob wir aufgrund steigender Energiepreise wieder mehr zu Hause arbeiten sollen. Chef I hält das für unsinnig, denn die Büro müssen ja weiterhin zumindest etwas geheizt werden, damit die Räume nicht schimmeln. Einstweilen sind wir angehalten, die Temperatur auf 19°C zu halten, nicht mehr, und Energie zu sparen, wo es nur geht. Das treibt jetzt schon merkwürdige Blüten. Ich muss spaßeshalber mal ein Thermometer mit ins Büro nehmen, denn gefühlt war es in keinem Herbst oder Winter wärmer als 19°C, weil es zieht wie Hechtsuppe. Strickjacke und Wolldecke nutze ich schon seit Jahren. 

Hier gilt seit mittlerweile 133 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird. Er ist inzwischen schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. 

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter und inzwischen Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist sie aber unvermeidbar, und ich kann nur hoffen, dass es uns dann nicht zu hart trifft. 

Mittwoch fiel die nächste Kollegin mit Corona aus, und so bin ich jetzt die letzte im Team, die noch kein Corona hatte. Glücklicherweise fand ich eine Praxis, die mir die fünfte Impfung geben würde, und die dann auch noch im großen Einkaufszentrum ist, und ich überlege, sie mir im Oktober vorm Krankenhausaufenthalt abzuholen. Der Gatte zögert, verständlicherweise, denn jede Impfung setzt ihn eine Woche außer Gefecht - Corona ist neurotroph, und das zeigt sich auch beim Impfstoff. Aber gerade, weil er schon auf den Impfstoff so reagiert, ist Corona noch weniger ratsam. Ich kann sein Zögern verstehen und bin selbst impfmüde. Nur anders werden wir diese Moppelkotze ja nicht los, weswegen ich mich impfen lassen werde, damit Gatte und Mütter besser geschützt sind. 

Mir fehlen einfach die Wochenenden, denn die verbringen wir ja seit Ende August im alt-neuen Haus - heißt, ein Leben aus der Reisetasche, und das, was ich brauche, ist immer gerade woanders. Da wir beide krank und auf Hilfsmittel angewiesen sind, heißt es auch, genau zu überlegen, was mitgenommen werden muss und bloß nichts vergessen, denn das bedeutet im günstigsten Fall nur 80 km Fahrt, im ungünstigsten (und leider normalen) Fall etwa vier Stunden Stau. ÖPNV ist keine Alternative, da ist die normale Fahrzeit ohnehin vier Stunden.

Uns beiden macht es weiterhin zu schaffen, dass wir eine Baustelle und Schulden haben. Wir haben Angst, das alles nicht zu schaffen, auch, wenn das irrational ist. Auch wenn wir beide das Gefühl haben, nach Hause zu kommen, wenn wir im alt-neuen Haus sind, verschwindet bei mir das Gefühl, sobald ich das Haus betrete. Dann fühle ich mich nur noch von den Massen an Möbeln und Gerümpel erdrückt. Es ist weder wohnlich noch gemütlich, sondern einfach nur rumpelig und dreckig. Leute, die das alles schon hinter sich haben, machen mir Mut, dass es besser wird, spätestens, wenn der Entrümpler da war. Ich hoffe. 

Der Entrümpler kommt kommendes Wochenende zur Vorbesichtigung, und dann ist das Haus hoffentlich bald leer. Vorher werden wir noch ein paar Müllsäcke rausschaffen, denn alles, was wir entsorgen, müssen wir nicht zahlen. Wenn das Haus leer ist, müssen wir auch mal darüber reden, ob der Gatte Malerarbeiten und Fußbodenverlegen tatsächlich selber machen will, denn momentan habe ich das Gefühl, das übersteigt seine Kräfte. Zumindest konnte ich ihn schon davon überzeugen, dass wir das Laminat liefern lassen. Außerdem werde ich die Entrümpler bitten, die Kisten, die bleiben sollen, gleich in die Waschküche zu schaffen. Dann ist uns das Geschleppe schon mal abgenommen. Mir machen aktuell die Wechseljahre nämlich wieder sehr zu schaffen: Ohne Novalgin kann ich nicht gerade stehen, bin quasi unbeweglich. Da bin ich froh über alles, was mir abgenommen wird.

Und wenn das Haus leer ist, kann ich nur hoffen, dass Mudderns nicht wirklich in eine Seniorenwohnung ziehen kann und ihre Möbel zurück haben will. Da ich mich aber weigere, eine Wohnung für sie zu mieten oder gar kaufen, wird das wohl nicht geschehen. Mudderns wiederum kann das nicht mehr selbst machen, obwohl sie doch ihrer Meinung nach so selbstständig ist, und weigert sich, es sich in ihrem Zimmer schön zu machen, will es partout "wie im Krankenhaus" haben, weil sie ja nur vorübergehend im Pflegeheim ist. Es ist ein Elend. 

Es fällt mir schwer, so hart zu sein, aber ich weiß, dass Mudderns nach ihrem Umzug wieder keinen geregelten Tagesablauf haben wird, dass ich diejenige sein werde, die dafür sorgen muss, dass sie aufsteht und isst, weil sie ansonsten komplett verwahrlost. Dazu habe ich keine Kraft. Ich weiß, dass sie mitnichten die knapp 20 Meter mittags zum Essen ins Pflegeheim gehen wird, sondern Gründe finden wird - Regen, Schmerzen, doofe Leute, zu weit. In dem Wohnblock wird sie sich nicht zurechtfinden, und dann fängt sie an zu schreien oder den Rollator zu werfen (!) - im Pflegeheim wird so was aufgefangen, im Betreuten Wohnen nicht. Sie kann nicht mehr für sich selbst einkaufen, säße den ganzen Tag in der Wohnung, bis auf die beiden Tage, in denen die Gesellschafterin da ist. Mudderns will noch nicht mal mehr sonntags mit mir ins Café, auch nicht mit dem Auto, weil ihr der Weg zu weit ist - aber sie kann alleine leben, klar. 

Der Gatte zimmert Mudderns am Wochenende ein Tischchen, das in die Fensternische über die Heizung passt. Darauf sollen Blumenvase, Kruzifix, Puppe und ein paar Fotos - ich hoffe, sie akzeptiert das. Wenn sie dann auch noch den riesigen Tisch und zwei Stühle, alles drei braucht sie nur zum Wäscheablegen, gegen einen Sessel und ein Tischchen eintauschte, wäre das Zimmer wirklich nett, aber Mudderns will es einfach nicht nett haben. Sie lebt nach der Devise, dass das Leben so schön beschissen sein kann, wenn man sich nur Mühe gibt - und sie gibt sich Mühe. Für mich ist das alles sehr belastend, aber ich bin seit über 50 Jahren die böse Tochter, die sich nicht um ihre Eltern kümmert, also sollte ich damit umgehen können.

Wir hätten diese Woche gerne schon Laminat und Fliesen eingekauft, denn da gab's gerade günstige Angebote, aber wir haben keinen Platz, das zu lagern, weil das Haus eben noch voll ist. Da können wir also nur abwarten und den steigenden Preisen zusehen. Was mich der Baukredit kostet, weiß ich immer noch nicht, denn für die endgültige Bewilligung muss der Grundbucheintrag durch sein. Ich hoffe, Notar und Grundbuchamt beeilen sich, denn die Zinsen steigen stetig wie die Inflation. Immerhin können wir die Grundsteuererklärung abhaken. Der Steuerberater ist damit fertig. Bei den Stadtwerken konnten wir Mudderns Tarif und Vertrag übernehmen. Ab heute läuft er auf uns. Leider wurden die Abschläge nicht unserem Verbrauch angepasst, aber wir müssen ohnehin Rücklagen bilden, wovon auch immer.  

Ich habe momentan so gar keine Lust, zu funktionieren und meine Aufgaben zu erfüllen, den Erwartungen anderer gerecht zu werden. Viel lieber kuschelte ich mich zu Hause ein, wäre diese Woche auf den Hamburger Garn Gang gegangen oder übermorgen in ein Kirchenkonzert, aber das geht nicht. Obwohl: Das mit dem Kirchenkonzert kann ich spontan entscheiden, wenn ich nach dem sonntäglichen Muddernsbesuch noch Kraft dazu habe. Sitze ich halt in Arbeitsklamotten in der Kirche. Aber generell gilt: Ich muss funktionieren. Mir macht auch der Herbst zu schaffen, der Temperatursturz nach den tropenheißen Mallorcawochen, das späte Hell- und frühe Dunkelwerden ... Nützt ja nichts. 

Diese Woche haben wir beim Sportverein gekündigt. Es ist absehbar, dass wir vorm Umzug nicht mehr dort hin kommen werden, und nach dem Umzug sind wir ja zu weit weg, gehen in einen anderen Sportverein. Der Gatte ist seit der Kindheit Vereinsmitglied, ich seit über 20 Jahren - da geht ein Lebensabschnitt zu Ende.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

1 Kommentar:

  1. Oh man, da habt ihr eine Menge vor euch! Und doch wird es am Ende ganz wunderbar sein.
    Liebe Grüße
    Andrea

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.