"Ich versuche jeden Tag, alle in mich gesetzten Ansprüchen und Erwartungen zu erfüllen und scheitere jeden Tag auf der ganzen Linie", antwortete ich im Laufe der Woche auf die Frage, wie es mir geht. Schlecht geht's mir. Ich bin so erschöpft, dass ich selbst nach zehn Stunden Schlaf tagsüber kaum die Augen offen halten kann. Mittlerweile sprechen mich auch schon meine Kollegen darauf an, wie schlecht, wie grau ich aussehe. Ich kann es nicht ändern, es gibt privat einfach keine Entlastung. Ich zeige deutliche Burn Out-Symptome, aber es nützt nichts, ich muss weitermachen. Einzig für mein Gewicht ist es gut, dass ich vor Erschöpfung kaum noch etwas essen mag. Aber solange zumindest noch Schokolade geht, habe ich keine Probleme, auf 1.000 Kalorien pro Tag zu kommen, die ich für meinen Medikamentencocktail brauche.
Sonnabend fuhr ich dem Gatten in die lindgrüne Hölle hinterher. Plan war, dass ich im Dachgeschoss und im ersten Stock schon mit dem Streichen anfange, aber nachdem ich mich im ersten Stock umsah, weigerte ich mich. Durch die Sanierung des Bads ist es überall so staubig, dass es keinen Sinn macht, zu streichen. Der Staub aus dem Bad zieht wirklich in jedes Zimmer auf jeder Etage. Die frisch gestrichenen Wände wären also gleich gepudert, sobald am Bad weitergebaut wird. Im Dachgeschoss hätte ich streichen können, aber dazu hätte ich vorher die Fensternischen tapezieren müssen, und die neuen Fenster scheinen noch nicht dicht zu sein. Alternativ hätte ich im ersten Stock anfangen können, die Türen abzuschleifen, aber dazu fehlen Böcke, und niemand hatte Lust, in den Baumarkt zu fahren. Ich hätte auch die Fliesen im Windfang schon mal abschleifen und lackieren können, aber solange die Baubrigade noch ein- und ausgeht, finde ich das einigermaßen sinnlos.
Ich entschloss mich stattdessen, im Garten zu arbeiten. Der ist so verwildert, dass ich mich von der Terrasse aus zum Gartenende vorarbeiten werde. Sonnabend legte ich den Schuppen und eine Regentonne frei und begann dann mit dem Beet an der Terrasse. Das ist völlig mit Bodendeckern überwuchert (wie alles, was früher ein Beet war), und darunter wachsen ekelhafte schwarze schleimige Tintlinge. Bis Montag hatte ich dann zumindest schon mal das eine Beet freigelegt und fuhr mit vier Säcken voller Gartenabfälle (plus ein Sack voller Grünzeug mit Tintlingen für den Hausmüll) nach Hause. In dem Wildwuchs gab's einige Überraschungen: Was ich für eine zum Baum verwilderte Kriechspindel hielt, war ein von verwilderter Kriechspindel umwuchertes Kantholz mit Futterhäuschen und Vogelnest - keine Ahnung, aus welchem Jahrzehnt. Ich grub alles aus und bereitete ein Loch für unseren kleinen Apfelbaum vor, den umzieht, sobald er alle Blätter verlor. Dann fand ich Blumentöpfe in dem Wildwuchs - Zimmerpflanzen, die Mudderns nicht mehr haben wollte, warf sie anscheinend einfach in den Garten ... Wenn ich am Ende des Gartens angelangt bin, habe ich vermutlich den Heiligen Gral und die Bundeslade gefunden.
Plötzlich stieß ich im Gestrüpp auf ein altes Vogelnest in einem Futterhäuschen. |
Der Gatte blieb Montag in alt-neuen Haus, und da ich nicht wusste, ob zu Halloween Kinder unterwegs sein würden, brachte ich einen Blumentopf zum Aufhängen mit, den ich mit Schnobkram gefüllt an der Bank vor der Haustür aufhing. Die Idee war, dass die Kinder nicht klingeln, sondern sich einfach etwas herausnehmen, damit der Gatte nicht jedes mal, wenn es klingelt, durch's Haus toben muss. Das klappt bei uns in der Wohnung. Die Sorge war, dass das erste Kind gleich alles nimmt - von den Bolz- und Brüll-Blagen hier in der Nachbarschaft bin ich das gewohnt. Die Kinder in der lindgrünen Hölle waren aber in Begleitung der Eltern unterwegs, klingelten brav, und jedes nahm nur eine Süßigkeit, so sehr der Gatte sie auch aufforderte, mehr zu nehmen, so dass noch reichlich übrig ist. Der Gatte hatte viel Spaß, besonders mit einem Jungen, der zu schüchtern war, um sein Sprüchlein aufzusagen. Er ist schon gespannt, ob der Junge nächstes Jahr wiederkommt und will sich dann selbst verkleiden. Ähnliches hatte er in der Wohnung auch schon angedacht, aber die Bolz- und Brüll-Blagen verleideten es ihm schnell. Sie sind unverkleidet unterwegs und fordern vehement Süßes, noch lieber aber Bares.
Dienstag übernahm der Gatte die Koordination der Telefon-, TV- und Internetinstallation - und schaffte es sogar, dass alles am gleichen Tag erfolgte. Ursprünglich war nämlich nur die Installation der CPU vorgesehen, weil unsere Bestellung der Fritz-Box übersehen wurde. Nach Intervention des Gatten kam die dann tatsächlich am gleichen Tag, so dass er an diesem Wochenende mit der Verkabelung beginnen kann. Ansonsten hätte sich alles noch Wochen hingezogen - mit der Digitalisierung sind wir jetzt seit Anfang August beschäftigt, und übernähme nicht der Gatte die Verkabelung, wären wir dieses Jahr gar nicht fertig. Ich bin gespannt, ob die Umstellung von Telekom auf lokalen Anbieter klappt.
Dienstag bummelte der Gatte auch durch die Stadt, um unsere Theaterkarten für den nächsten Monat abzuholen. Er war wieder mal begeistert von den kleinen Läden und entdeckte Cafés. Der Internetinstallateur war entgeistert, als er hörte, dass wir freiwillig aus Hamburg in die lindgrüne Hölle ziehen, wo's doch so ruhig, wo nichts los ist, aber das ist genau das, was wir brauchen, vor allem nach den letzten drei Jahren. Wir saßen diese Woche beisammen und überlegten, was alleine dieses Jahr bislang passierte - es ist einfach viel zu viel.
Ansonsten brachte die Woche das normale Chaos. Wir warten weiterhin auf die Bewilligung des Baukredits, und ich überlege, die Bank zu wechseln, denn die Hausbank, die erst alles durchwinkte, stellt sich jetzt quer, verzögert Bearbeitung und Auszahlung mit immer neuen Ausreden. Die Bauzinsen steigen täglich. Da ist für die Bank natürlich jede Verzögerung attraktiv, bringt sie ihr doch mehr Geld. Unsere Nerven sind angespannt, müssen wir doch die Baubrigade bezahlen und wissen ohne Baukredit nicht, wie.
Zum ersten Mal las ich die Zählerstände im alt-neuen Haus ab und stellte dabei fest, dass Mudderns das offensichtlich seit drei, vier Jahren nicht mehr machte, ihr Verbrauch stattdessen geschätzt wurde. Sie erzählte zwar regelmäßig davon, die Zählerstände abgelesen zu haben, aber die Zahlen, die sie auf einem Block neben den Zählern notierte, sagen etwas anderes. Mal schauen, was wir nachzahlen müssen.
In Mudderns Pflegeheim gibt es weiterhin Corona-Fälle, aber seit vorgestern dürfen die negativ getesteten Bewohner wieder raus oder Besuch in den Gemeinschaftsräumen empfangen. Der Besuch muss angemeldet und negativ getestet sein, außerdem FFP2-Maske tragen, aber das versteht sich ja von selbst. So konnte sich Mudderns vorgestern mit ihrer Gesellschafterin treffen, was ihr sehr gut tat. Wir können hoffentlich morgen zusammen bummeln - es ist verkaufsoffener Sonntag, den wir normalerweise meiden würden, aber für Mudderns ist es eine Abwechslung. Die 500 Meter in die Innenstadt fahren wir mit dem Auto - Mudderns schafft sie nicht mehr, und ich versuchte bislang vergeblich, sie von der Kombi Rollator-Rollstuhl* zu überzeugen. So könnte Mudderns ins Begleitung in die Stadt gehen und lässt sich schieben, wenn sie nicht mehr kann. Momentan ist es für sie sehr schwer, immer öfter zu realisieren, wie schlecht sie zu Fuß ist. Sie will laufen und trainieren, was ja auch gut ist, aber der Körper will nicht mehr mitmachen. Ansonsten ist Mudderns weiterhin überzeugt, dass das Heim ihr Telefon blockiert, damit sie niemanden anrufen kann. Allerdings ist sie mit dem blockierten Telefon in der Lage, mich rund um die Uhr auf dem Taschentelefon anzurufen, wenn sie etwas will ...
Der Gatte erhielt gestern die jährliche Grippeschutz-Impfung, und es ist seit Jahren das erste Mal, dass er nicht flachliegt. Das ist sehr schön.
Im Büro bin ich froh, dass ich in meinem Projekt weitgehend alleine schalten und walten kann, mich mit meiner Vertretung gut verstehe, denn inzwischen verstehe ich, warum sich eine Kollegin bei mir über eine andere beklagte, es die Befürchtung gibt, zwischen dieser Kollegin und der Chefin könne es mächtig knallen, wenn die Chefin aus dem Mutterschutz zurück kommt. Besagte Dame ist 'ne arrogante Elblette, und das kommt im Team nicht gut an. Aus solchen Querelen kann ich mich zum Glück heraushalten, zumindest, solange niemand auf die Idee kommt, mein Projekt ihr zu unterstellen. Eigentlich sollte diese Woche eine neue Kollegin anfangen, aber die steckte sich bei ihrem Sohn mit Corona an. Wobei: Corona gibt es in den Schulen nicht mehr. Die Erkrankung ist nicht mehr meldepflichtig und wird als Erkältung eingestuft. Es gibt weder Tests noch Masken. Da ich beim Gatten jeden Tag sehe, was eine Erkältung anrichten kann, halte ich Corona weiterhin nicht für erstrebenswert.
Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.
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