Seiten

Montag, 1. Juli 2019

Ehemaliges Zwangsarbeitslager im Areal Norderstraße / Grotjahnstraße / Feldstraße

Montags gegen Nazis
Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesen.Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst. 


Blick auf die Gedenktafel und die davor liegenden Stolpersteine in der Jessenstraße 1.
Am Technischen Rathaus in der Jessenstraße 1, unweit der Bushaltstelle, hängt gut sichtbar eine Erinnerungstafel für ein DAF-Zwangsarbeitslager. Der Gebäudekomplex war einst eine Kasernenanlage des dänischen Militärs, errichtet Anfang des 19. Jahrhunderts, als Altona zu Dänemark gehörte. Er stand einst im Areal Norderstraße / Grotjahnstraße / Feldstraße. Heute ist dort das Gewerbegebiet im Geviert Eschelsweg / Grotjahnstraße / Virchowstraße / Mörkenstraße. 

Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Räumung Mitte 1941 befinden sich in dem Gebäudekomplex ein Altenheim sowie eine Heil- und Pflegeanstalt. Die Bewohnerinnen und Bewohner werden in verschiedene private oder staatliche Einrichtungen verteilt. Mindestens 22 werden im Rahmen der sogenannten Euthanasie ermordet. 


Blick auf die Gedenktafel (der Text lässt sich hier nachlesen).
Ab April 1942 werden Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich und Belgien in dem Gebäudekomplex untergebracht - bis zur Zerstörung im Feuersturm 1943 durchliefen etwa 3.000 überwiegend junge Männer das Lager. Die meisten bleiben nur kurz hier, werden auf andere Lager im Raume Altona oder auf Lager im von Deutschland besetzten Osteuropa gebracht. Die ersten Zwangsarbeiter sind 450 Männer aus der Ukraine. 

Am Abend des 1. Juli 1943 treffen 13 junge Männer, alle um die 20 Jahre alt, aus dem französischen Departement Vendée im Lager ein. Sie sind eigentlich Landwirt, Grundschullehrer, Bäcker, Forstwirt, Fischer oder Maurer. Nun leisten sie Zwangsarbeit im Hamburger Hafen oder bei Binnenschiffern.

Das Lager hat keinen Bunker, und schon in der ersten Nacht des Feuersturms  vom 24. auf den 25. Juli trifft es besonders den Kern Altonas, darunter auch das Gebiet um die Norderstraße. Zwölf der jungen Männer kommen in dieser Nacht ums Leben. Ein weiterer stirbt später an Typhus. 

Ebenfalls in der Norderstraße zur Zwangsarbeit eingesetzt ist der 21jährige Franzose Louis Deslandes. Mit einem Kameraden überlebt er knapp das Bombardement und kann fliehen. Die beiden schlagen sich in die Elbvororte durch, nach Othmarschen. In der Baron-Voght-Straße treffen sie zufällig auf den Unternehmen Hans L. Reineke, der in der nahegelegenen Parkstraße wohnt und auf dem Heimweg ist.

Reineke profitiert als Unternehmen zwar auch von der Zwangsarbeit, ist aber Mensch: Er nimmt die erschöpften und verwundeten Männer mit nach Hause. Im Einverständnis mit seiner Frau versteckt Reineke die beiden Männer, denn sie gelten als Deserteure, päppelt sie auf, kleidet sie ein und stattet sie schlussendlich mit falschen Papieren aus.

In einer Odyssee, bei der die beiden Franzosen auf weitere Menschen treffen, die ihnen helfen, gelangen Deslandes und sein Kamerad zurück nach Frankreich. Die Befreiung erleben sie im französischen Widerstand. Deslandes veröffentlicht 2004 ein Buch über sein Schicksal. Es ist leider noch nicht auf Deutsch erschienen. Deslandes, mittlerweile fast 90 Jahre alt, wendet sich 2011 an Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und bittet, die im Feuersturm verstorbenen Kameraden nicht zu vergessen.

Blick auf die 13 Stolpersteine (und einen Erklärstein).
So wird ihr Schicksal erforscht, werden 2012 die 13 Stolpersteine verlegt, kommt es zur Begegnung zwischen Deslandes und Reinekes Sohn, der erst als 73jähriger von der Heldentat seines Vaters erfährt, weil seine Eltern nie darüber sprachen, er als kleines Kind nichts davon mitbekam.

Die Rettung der beiden jungen Franzosen ist übrigens nicht die einzige Heldentat Reinekes: Er hilft Juden bei der Flucht und versteckt eine jüdische Familie auf seinem Dachboden, bis er im Herbst 1944 denunziert und bis zur Befreiung im Frühjahr 1945 inhaftiert wird.

Mehr über Deslandes und seine Geschichte gibt es auf dieser französischen Seite zu lesen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.