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Donnerstag, 8. Juni 2023

#WMDEDGT 06/23: Teamwork

Heute ist wieder der fünfte Tag des Monats, und Frau Brüllen fragt "Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?", kurz WMDEDGT? Vielen Dank für's Sammeln!

Der Tag beginnt früh. Ich kann nicht schlafen und drehe mich seit Mitternacht im Bett. Okay, so kann ich Radio hören, aber darauf könnte ich auch verzichten.

Neben Unterleibsschmerzen warf mich ein Schreiben des Finanzamts, das ich gestern bei der Rückkehr von der Baustelle aus dem Briefkasten fischte, aus der Bahn. Ich soll Nachweise dafür vorlegen, dass meine Mutter tatsächlich aus ihrem Haus auszog. Ob die Sterbeurkunde reicht? Ich soll erläutern, wie wir eine sanierte Dachgeschoss-Wohnung nutzen. Ich wusste bislang nicht mal, dass wir eine sanierte Dachgeschoss-Wohnung haben. Als Nachweis für das häusliche Arbeitszimmer soll ich unseren Mietvertrag inkl. Grundriss, Belege für die Zahlung von Miete und Nebenkosten vorlegen (alles das hat das Finanzamt schon seit der Steuererklärung für 2020) sowie Fotos der Wohnung ("Bitte die Räume aus allen vier Ecken fotografieren!") einreichen und die Beziehung zu meinem Mitbewohner erläutern. Mein Mitbewohner ist der Gatte, mit dem zusammen ich die Steuererklärung vorlege. Frist ist quasi vorgestern. Das regt mich auf, denn ich weiß nicht, wie ich die Unterlagen beibringen soll, die dem Finanzamt ohnehin schon vorliegen. Ich habe keine Zeit für diesen Schiet. Ich könnte versuchen, den alten Steuerberater heranzuziehen, aber selbst das schaffe ich in der kurzen Frist nicht. Nun, irgendeine Lösung wird sich finden.

Während des Frühstücks erledige ich Rechnungen für Mudderns und Schriftwechsel wegen ihres Ablebens und mit Handwerkern. 

Duschen, anziehen, Tasche packen und daran denken, dass der Autoschlüssel mit muss, denn aufgrund eines Fußballspiels fahre ich mit dem Auto zur S-Bahn. Sonst muss ich auf dem Rückweg durch grölende Germanen-Gangs. Ich schaffe es auch, zur S-Bahn zu fahren und nicht im Tran auf die Autobahn wie sonst, wenn ich im Auto sitze.

Im Büro gucke ich erstmal, was über's Wochenende auflief. Meine Kollegin, die mich zwei Mal in der Woche entlastet, ist am Start. Ich kann mich also wie geplant um Verwaltungskram kümmern - und um die Baustelle.

Ich mache einen Termin mit Heizungsbauer IV. Die freundliche Mitarbeiterin am Telefon meint, ein Heizkörpertausch wäre nicht erforderlich, denn wenn wir uns irgendwann für eine Wärmepumpe entscheiden, bräuchten wir wieder die Heizkörper, die jetzt zu groß wären. Okay, das muss ich nicht verstehen. Außerdem sei der Kaminbauer für die Entfernung des alten  Kohleofens zuständig. Der Heizungsbauer baue nur die Absperrventile ein. Das sah der Kaminbauer bislang anders, aber Heizungsbauer IV arbeitet mit einem Kaminbauer zusammen. Vielleicht wird das was. Ich werde als Kundin angelegt, und neben einem Termin vereinbaren wir auch gleich die Wartung der Heizungsanlage. Ich weiß inzwischen, dass es nicht nur schwer ist, einen Heizungsbauer zu finden, sondern dass es noch schwerer ist, einen Heizungsbauer zu finden, der bereit ist, Wartung und Notdienst zu übernehmen. Ich soll vor dem Termin noch ein Foto des Typenschilds schicken, damit der Monteur beim Termin alles dabei hat. Das hört sich alles nach einem Plan an. Ich bin gespannt, ob wir diesmal über einen Ortstermin hinaus kommen. 

Die Chefin klopft, und ich lotse sie in den Park. In der letzten Teamsitzung eskalierte es, und ich bot ihr ein Gespräch an, wenn wir beide wieder im Büro sind, also heute. Mit einer der beiden anderen eskalierenden Kolleginnen sprach ich schon letzte Woche  . Irgendwie kommt man gerne zu Aussprachen in mein Büro ... Wir reden über eine Stunde im Park. Ich hoffe, ich konnte der Chefin einige Denkanstöße geben zu dem, was ihm Team falsch läuft - dass wir zu viele Häuptlinge und zu viele Indianer sind, zum Beispiel, und dass die Chefs Controlling mit Kontrolle gleichsetzen. Mittlerweile müssen wir mehrmals monatlich sehr detailliert darlegen, wie wir unsere Arbeitszeit ausfüllen. Der neue Führungsstil passt nicht zum Team. Er ist ein Rückschritt. Die Stimmung ist wieder so schlecht wie vor vier Jahren, bevor Chef und Chefin kamen. Mal schauen, ob ich Denkprozesse anregen konnte. Momentan ist die Situation ziemlich verfahren. 

Zurück im Büro, gibt's den Rhabarber-Auflauf von gestern zu Mittag, bevor ich mir die Unterlagen angucke, die zur Eskalation führten. Ich kann die eskalierten Kolleginnen verstehen. Wir sollen diesmal detailliert für jeden von 365 Tagen aufschreiben, was wir wann machen. Ja, nee, is klaa. Kein Wunder, dass die Kollegin, die ein gutes Dutzend Projekte verantwortet, nicht vor Freude jubelte, zumal wir die Formulare jedes Jahr auf's Neue ausfüllen dürfen. Aber es wird nicht kontrolliert, ob wir am angegebenen Tag die angegebene Arbeit ausführten. Ja, nee, is klaa. Auch wenn ich meine Chefs gut kenne, hier endet mein Vertrauen. Einmal mehr entscheide ich mich dafür, die Aufgabe nicht ernst zu nehmen. 

Der Gatte ruft an, völlig fertig: Er stand im Stau, brauchte für die 40 km zwischen Wohnung und Baustelle drei Stunden! Das Pendeln kostet uns aktuell sehr viel Kraft. Da immer noch allerlei Geraffel transportiert werden muss, ist der ÖPNV leider noch keine Alternative zum Auto.

Pünktlicher Feierabend. Ich bin froh über die Entscheidung, mit dem Auto zur S-Bahn gefahren zu sein. Dadurch entgehe ich nicht nur den meisten Fußball-Fans, sondern auch mal wieder dem Ausfall meiner regulären S-Bahn-Linie.

Zuhause treffe ich auf einen immer noch völlig erschöpften Gatten, der sich mit Mühe aufraffen kann, mit mir einen Eiskaffee auf dem Balkon zu trinken. "Heute wollte ich zum ersten Mal auch nicht nach Hamburg zurückfahren, so wie du jeden Sonntag", sagt der Gatte. Wir fühlen uns im alt-neuen Haus einfach wohl. Das hätte ich nicht gedacht, als ich es vor 39 Jahren quasi fluchtartig verließ. 

Wir unterhalten uns über den Tag - oder versuchen es zumindest, denn angesichts der Bolz- und Brüll-Blagen können wir kaum unser eigenes Wort verstehen. Die werden wir nach dem Umzug nicht vermissen. 

Den Gatten daran erinnern, dass er zwei Arzttermine verlegen muss wegen des Krankenhausaufenthaltes in der kommenden Woche - und das Telefonat selbst führen, weil die Hände des Gatten so krampfen, dass er nicht wählen kann. Die Details zum Krankenhausaufenthalt besprechen. Der Gatte gibt sich gelassen, mehr genervt als besorgt, weil Kranksein so gar nicht in sein Konzept passt.

Erschrocken auf die Uhr gucken, weil ich denke, ich habe die Zeit für das tägliche Telefonat mit Mudderns verpasst. Feststellen, dass Mudderns nicht mehr telefonieren kann. 

Zeit für's Abendessen, das der Gatte zubereiten wollte, aber die Hände des Gatten wollen noch nicht wieder so richtig. Spülmaschien ausräumen geht aber und während der Gatte das erledigt, beginne ich damit, Wurzeln und Kartoffeln zu schälen für's Kartoffel-Wurzel-Stampf. Dazu gibt es Hähnchenbrustfilets mit Kräutersauce. 

Spätes Abendessen, dann ab auf's Sofa. Ich habe keine Lust zum Fernsehen und wechsle an den Rechner. Ich komme zu spät ins Bett, was den Vorteil hat, dass ich dem Bestatter noch die Danksagen freigeben kann. 

Vor dem Einschlafen noch etwas lesen* und auf eine bessere, weil schmerzfreie, Nacht hoffen - vergeblich.

Der Blick zurück in die ersten drei Corona-Jahre: Am 5. Juni 2020 war der Gatte noch gesund, kämpfte ich im Heimbüro mit den Tücken der Ad hoc-Digitalisierung und später mit den neuen coronabedingten Verhaltensweisen. Am 5. Juni 2021 kämpft sich der Gatte ganz langsam wieder ins Leben zurück, freuten wir uns, dass er mit Mühe die knapp 500 m von seinem Krankenhauszimmer zum Ententeich und zurück schaffte. Am 5. Juni 2022 freuten wir uns, dass der Gatte bei uns ist. 

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