Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.
Wurde es aber.
In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.
Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesen. Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst. Infos zu den Demonstrationen der demokratischen Mehrheit findest Du u.a. beim Hamburger Bündnis gegen Rechts.
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Relief des Hamburger Ehrenmals: Trauernde mit Kind. |
Gestern vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Dass ihm bald ein zweiter folgen würde, ahnte man damals nicht. Ich hoffe, ihm folgt kein dritter, aber ich bin bei allem Optimismus nicht nur Pazifistin, sondern auch Realistin.
Das offizielle Gefallenendenkmal der Stadt steht an prominenter Stelle auf dem Rathausmarkt, an der Treppe zur Kleinen Alster. Der Platz ist bewusst gewählt, bricht er doch den Postkartenblick zur Alster. Die schlichte, 21 Meter hohe Muschelkalk-Stele wird am 2. August 1931 eingeweiht. Schon seit der Planungsphase war es bei Kriegerverbänden, Deutschnationalen, Rechtskonservativen und Nationalsozialisten umstritten, stellt es doch die Trauer der Hinterbliebenen in den Mittelpunkt.
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Blick auf das Ehrenmal und das Rathaus. |
So zeigt das Denkmal keinen Soldaten, der vermeintlich heroisch für Volk und Vaterland fällt, sondern eine trauernde Schwangere, die ein Kind tröstet: "Trauernde Mutter mit Kind" heißt das von
Ernst Barlach geschaffene Relief.
"Vierzig Tausend Söhne der Stadt ließen ihr Leben für Euch" lautet die schlichte Inschrift, die von den kriegstreiberischen Rechten als Kampfansage verstanden wurde - zu recht. Den Zusatz "für Euch" wollte die SPD verhindern, sah sie in ihm doch ein Zugeständnis an die Rechten. Mit einer Konsequenz, die die SPD heute oft vermissen lässt, wird parallel zur Errichtung der Stele das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. vorm Rathausmarkt entfernt (es steht heute am Sievekingplatz).
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Blick auf das Ehrenmal und die Alsterarkaden. |
Barlach, der 1914 erst kriegsbegeistert ist, dann 1915 selbst zum Kriegsdienst einberufen und ab 1916 zum Pazifisten wird, thematisiert oft seine Kriegserlebnisse in seinen Werken. Dabei stehen neben dem Leiden der Hinterbliebenen auch die Situation der Soldaten im Felde im Mittelpunkt. Heroische Beschönigung ist nicht Barlachs Sache. Er zeigt den Krieg mit all seinem Leid, seiner Grausamkeit.
Barlachs Entwurf für das Hamburger Ehrenmal wird zuerst abgelehnt. Auf Intervention von Oberbaudirektor Schumacher kommt des zu einer Zusammenarbeit zwischen Barlach und dem Architekten Klaus Hoffmann, der die Stele entwarf.
In den frühen Morgenstunden des 3. August 1931 wird das Ehrenmal klammheimlich enthüllt, ohne großes Tamtam oder Publikum - der sozialliberale Senat fürchtet rechtskonservative, nationale Proteste (Konsequenz, Mut und SPD gehen nun mal nur selten zusammen).
Barlach gerät spätestens seit 1932 immer öfter in das Visier nationalsozialistischer Kunstkritiker. Seine Werke passen nicht in ihr Kunst- und Weltbild. Außerdem wendet er sich öffentlich und mit deutlichen Worten gegen Einengung und ideologische Beschränkung der künstlerischen und geistigen Freiheit, protestiert gegen den Ausschluss von Käthe Kollwitz, mit der er eng befreundet ist, und Heinrich Mann aus der Akademie der Künste, lehnt die Einladung, Vorstandsmitglied im nationalsozialistischen Künstlerbund zu werden, ab.
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Bewusst zerstörter Postkartenblick. |
Der Künstler ist kein Bequemer, auch, wenn er in einem Akt der Verzweiflung 1934 den "
Aufruf der Kulturschaffenden", ein Goebbels-Manifest, unterschreibt. Mit der Entfernung seiner Werke aus Museen, Galerien und dem öffentlichen Raum wird bereits im März 1933 begonnen. Seine Theaterstücke dürfen nicht mehr aufgeführt werden oder werden abgesetzt, seine Bücher werden beschlagnahmt, sein Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste erzwungen.
Barlach gilt als "entarteter Künstler", wird diffamiert, bekommt keine öffentlichen Aufträge mehr, erhält ein Ausstellungsverbot. Da er die Mitgliedschaft im NS-Künstlerbund ablehnt und als entartet gilt, ist es ihm zunehmend unmöglich, Arbeitsmaterialien zu beschaffen.
Im Spätsommer 1938 lassen die Nazis das Relief vom Hamburger Ehrenmal entfernen. Der 68jährige Künstler erfährt noch davon, ist aber schon schwer krank. Ernst Barlach stirbt am 24. Oktober 1938 in einer Rostocker Privatklinik.
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Inschrift des Hamburger Ehrenmals. |
Das Barlach-Relief "Trauernde Mutter mit Kind" ersetzen die Nazis durch ein von
Hans Martin Ruwoldt geschaffenes Relief, das einen aufsteigenden Phönix darstellen soll, viele Betrachter aber eher an eine Friedenstaube erinnert,
wie dieses Bild zeigt. Die umgestaltete Stele wird am 10. November 1939 enthüllt.
Vier Jahre nach der Befreiung, 1949, rekonstruiert der Steinmetz Friedrich Bursch das Barlach-Relief. Wieder wird es in aller Stille enthüllt, diesmal an Totensonntag. Das Denkmal erinnert nun an die Toten beider Weltkriege. Gleichzeitig verfügt Max Brauer, der damalige Erste Bürgermeister, dass fortan jedes Jahr zu Totensonntag offiziell den Toten der Weltkriege mit stillen Kranzniederlegungen gedacht wird.
Inzwischen werden an diesem Tag Kränze außer dem Ehrenmal auch an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, dem Bergedorfer und Ohlsdorfer Friedhof niedergelegt.