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Mittwoch, 5. Dezember 2018

#WMDEDGT 12/18: Es gibt keinen Plan B

Heute ist wieder der fünfte Tag des Monats, und Frau Brüllen fragt "Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?", kurz WMDEDGT? Vielen Dank für's Sammeln!

Eigentlich wollte ich heute Vormittag für eine Woche nach Rom fliegen, um eine virtuelle Freundin aus der Blogosphäre mal real zu treffen, aber durch den anstehenden Aufgabenwechsel im Job habe ich die Reise abgesagt. Chef und die Kollegin, deren Aufgaben ich übernehme, meinten zwar, ich könne trotzdem verreisen, aber mein Bauchgefühl sagte etwas anderes. Mein Bauchgefühl hatte recht.

Zurzeit überhöre ich gerne drei Wecker, auch heute. Zum Glück hört der Gatte seine Wecker. Ich trinke mit ihm Kaffee, wir tauschen kurz aus, wer heute was wann wo erledigen muss, dann macht er sich auf den Weg, ungewiss, wie er abends nach Hause kommt.

Bei uns sind seit Oktober Straßenbauarbeiten, was dazu führt, dass er jeden Tag einen Umweg von fünf Kilometern fahren muss. Ab heute Abend soll die Straße dann für drei Tage komplett gesperrt werden, und niemand hat daran gedacht, welche Konsequenzen das für die Anwohner hat: Drei Straßen sind nämlich ausschließlich von dieser Durchgangsstraße aus erreichbar. Das heißt, drei Tage keine Müllabfuhr, keine Post oder Pakete, kein ÖPNV, kein Pflegedienst, kein Behinderten-Fahrdienst, keine Schulbusse, kein Essen auf Rädern, keine Polizei, keine Feuerwehr, keine Krankenwagen, keine Autofahrten ...

Ziemlich viele Nachbarn sind sehr verärgert, aber das interessiert die verantwortlichen Planer am Grünen Tisch nicht. Aber: Hendrik Sternberg, ein SPD-Abgeordneter, kümmert sich, informiert, organisiert einen Shuttle zur nächsten Bushaltestelle außerhalb der Sperrzone, nur mehr kann er jetzt auch nicht mehr ändern.

Der Gatte ist beruflich auf das Auto angewiesen. Mal eben für drei Tage das Auto woanders abstellen und zu Fuß nach Hause laufen, geht nicht, da es keine öffentlichen Parkplätze gibt, und in die Tiefgarage kann der Gatte nicht wegen der Straßensperrung. Ich dachte, es wäre für ihn am Entspanntesten, er zieht einfach drei Tage zu seiner Mutter, aber das will er nicht.

Angeblich soll die Straßensperrung aufgrund der winterlichen Witterung auf nächste Woche verschoben worden sein, aber davon weiß vor Ort niemand etwas. Es bleibt also spannend. Nächste Woche soll es übrigens schneien. Wir vermuten, Umleitung und Bauarbeiten bleiben uns die nächsten Monate erhalten. Wenn im nächsten Jahr die Straße für die Busbeschleunigung verbreitert wird, geht das Spiel ohnehin von vorne los. Vielleicht sollten wir uns ein Flugtaxi zulegen.

Frühstücken, dabei eMails sichten, durch's Netz lesen, eine verbaselte Rechnung suchen, finden und bezahlen, dann die Küche aufräumen, die Spülmaschine anwerfen, Lächeln ins Gesicht malen, nicht ganz so leger anziehen, da dienstliche Abendtermine anstehen, Tasche packen, und schon stehe ich an der provisorischen Bushaltestelle und bin gespannt, ob ein Bus kommt oder ob ich zehn Minuten bis zur nächsten Haltestelle laufe. Der Bus kommt. Hinter mir unterhalten sich zwei Frauen über sozialschmarotzende Asylanten, die angeschoben gehören, und Wölfe, die Menschen anfallen. Oder war's umgekehrt? Mit der Kombi Bus-Bus-Bahn-Bus bin ich in kaum einer Stunde und einigermaßen entspannt im Büro.

Heute ist der erste Mittwoch im Monat, also ist Teamsitzung. Der neue Chef will eine strukturierte Kommunikationskultur etablieren, wogegen sich das Team noch sträubt. Bislang sahen Besprechungen hier so aus: Person 1 hat eine Idee und geht damit zu Person 2. Man bespricht sich und geht zu Person 3, bespricht sich und geht samt Person 2 und 3 weiter zu Person 4 - bis man alle Kollegen durch hat. Ich nenne es die Lindwurm-Kommunikation, finde es sehr anstrengend und bin froh über einen neuen Kommunikationsstil.

Vor der Teamsitzung hält mich ein Kollege auf: Die bestellten Handtücher sind endlich da - tschakka! Ich ziehe ja zurzeit vieles systematisch glatt, und dazu gehört neben Altpapierentsorgungsmanagement und Entrümpelung auch die Versorgung mit frischen Handtüchern. Die werden seit Jahren von einer Kollegin privat gewaschen, wozu sie aber eigentlich keine Lust hat, was aber nie ernst genommen wurde ... Nun gibt es einen Grund weniger zu jammern, aber ich ahne, es werden neue Gründe gefunden werden.

Anderthalb Stunden Teamsitzung, dann eMails lesen und schreiben, mit einer Kollegin den Sachstand zu einem Projekt abgleichen und ab in die Mittagspause, ein paar Besorgungen erledigen - Bank, Budni, neue Muskatmühle*. Anruf beim Gatten, dass ich alles bekam, er nach Feierabend nicht noch mal los muss, und Anruf bei Mudderns, ob alles okay ist. Ja, Gott sei Dank. Und ihr Nikolaus-Geschenk von mir kam auch schon an, sie freut sich sehr. Fein.

Dann bestelle ich endlich den großen Jahresplaner von Katz & Tinte für's Büro. Ich könnte zwar einen über unseren Bürobedarf bekommen, aber der ist nicht so schön bunt, und einen neuen Taschenkalender brauche ich eh. Eine Tasse und ein paar Postkarten wollen auch noch mit.

Absprache mit einer Kundin zwecks Übergabe von Unterlagen, Eintüten der Rückmeldung auf die Bestellung als Schöffin, ein bisschen am Konzept für's neue Projekt rumwerkeln, dann den Chef schnappen und unzählige Kisten vom Büro ins Lager schleppen, damit die Kollegin, die stets verneint, das nicht wieder alleine macht, weil sie nicht nach Hilfe fragt, weil: Wenn man Hilfe bekommt, kann man schlecht jammern. Doof, das. Allerdings: Sie ist nicht erfreut, das wir ihr das Schleppen abnahmen. Ich hätte mir denken können, dass das mit den Kisten falsch war, weil man jetzt nicht mehr jammern kann. Irgendwas ist ja immer.

Mit dem Chef austauschen über die aktuelle Auseinandersetzung über das ehemalige KZ Sasel (siehe hier), schnell einen Kaffee Botz trinken, damit ich den Abend überstehe, das Lächeln nachziehen und - vom Chef gestoppt werden, weil er kurz über ein Projekt zur Europa-Wahl reden will. Zum Glück baue ich immer Zeitpuffer ein. Ich verabschiede mich mit "Ich muss jetzt erst in die Oper, dann zum Antisemitismus", und der Chef ruft mir hinterher: "Na, hoffentlich gibt's dann in der Oper keinen Wagner!"

Ab in die Staatsoper, zum Adventskalender. Das Foyer ist schon voll, es empfiehlt sich, schon lange vor 17 Uhr da zu sein. Ich bekomme noch einen Hörplatz auf der Fensterbank, suche mir dann aber doch einen Stehplatz, als ich höre, das heute getanzt wird. Ballett ist so gar nicht meins, aber ich bewundere, wie Töne in Bewegung umgesetzt werden.

Das Foyer der Staatsoper ist wie üblich schon vor Beginn der Adventskalender-Aufführung gut gefüllt.
Während der Aufführung fällt mir ein, dass ich unsere Flyer, die ich für den kommenden Termin auslegen möchte, vergessen habe, also flitze ich noch mal über die Straße in den Laden und erschrecke die Kollegin, die eigentlich schon auf dem Heimweg sein sollte, aber noch bei der Abrechnung sitzt.

Eine halbe Stunde früher als notwendig bin ich bei der Türkischen Gemeinde, wo eine Diskussionsveranstaltung mit Juna Grossmann, die unter "Irgendwie jüdisch" bloggt und mit "Schonzeit vorbei*" ein Buch zum Thema vorlegte, und Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung zum Thema Antisemitismus stattfindet. Ich freue mich, Juna persönlich kennenlernen zu können. Nach der Veranstaltung laufen wir zusammen zum Bahnhof und trinken Tee, bis Junas Zug abfährt.

Dann warte ich auf meinen Bus nach Hause, versuche den Gatten zu erreichen, weil ich später komme, aber der geht nicht ans Telefon, was mich besorgt, und steige in den Bus ein. Im Bus unterhalten sich zwei Jungs hinter mir darüber, dass sie gerade zum ersten Mal realisierten, wie getroffen ein Mädchen über herablassende Bemerkungen über das Aussehen von Frauen war. "Alder, die war voll traurig. Die hat so voll traurig geguckt. Ich hätte nie gedacht, dass das ein Mädchen so verletzen kann. Das war voll krass!" Es gibt noch Hoffnung.


Als ich 45 Minuten später an der heimischen Haltestelle aussteige, klingelt mich der Gatte an und fragt seinerseits besorgt, wo ich bin, weil: "Du hast doch gesagt, du bis um halb zehn zu Hause, und jetzt ist es schon fast halb elf."

In meinem Kopf war die Chanukka-Adventskranz-Kombi eine gute Idee - bis ich merkte, dass ich für die Kerzengröße einen wagenradgroßen Kranz und einen neuen Couchtisch bräuchte ... Sonntag, am neunten Tag Chanukka, habe ich hoffentlich keinen veritablen Zimmerbrand.
Zu Hause den Gatten begrüßen, das Lächeln abschminken, die Chanukka-Kerzen entzünden, ein Stück Lasagne essen, mit dem Gatten über den Tag reden, etwas stricken und im Nachklang über die abendliche Veranstaltung darüber nachdenken, dass ich keinen Plan B habe, wenn das hier mit der Demokratie den Bach runter geht.

Zwar habe ich mir im April einen Reisepass geholt und zum ersten Mal in meinem Leben einen Neuwagen gekauft, um notfalls weg zu können, denn mehr als sonst gilt, dass sich ein Jude in Deutschland ein Auto kauft und kein Haus, aber ich bin inzwischen zu alt, um Mütter, Tante, Hunde im Stich zu lassen, den Gatten zu schnappen und irgendwo neu anzufangen. Ich wüsste auch gar nicht, wohin ich sollte.

Israel war für mich nie eine Alternative, mein Hebräisch ist ziemlich eingerostet. Dänemark wäre schon eher eine Alternative, aber die drehen gerade selbst durch. Über Großbritannien müssen wir gar nicht erst reden.

Dennoch: Ich bin dabei, zu entrümpeln, mich auf das Nötigste zu beschränken, damit im Zweifelsfall weniger Zeugs da ist, und es ist mir wieder wichtig zu wissen, wo meine Papiere sind, damit ich im Notfall nur schnell einen Ordner greifen und ins Auto springen kann.

Um Mitternachts geht's ins Bett. Vor dem Einschlafen lese ich noch etwas, aber mit Nessers Van-Veteren-Kosmos* werde ich nicht richtig warm.

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