Abends rief der Gatte an und beschwerte sich, dass ich ihm nicht sagte, dass die linken Nachbarn die Dachrinne auf der Gartenseite reinigen würden. Das konnte ich ihm nicht sagen, weil ich es selbst nicht wusste und deswegen am Mittwoch den Auftrag an den Gärtner vergab. Das sagte ich dem Gatten auch, aber er vergaß es prompt.
In diesen Momenten könnte ich leise verzweifeln. Es nützt auch nicht, wenn ich dem Gatten solche Infos aufschreibe - seit dem Schlaganfall kann er sie einfach nicht mehr aufnehmen. Ich bin ratlos, wie ich damit umgehen soll. Momentan ist die einzige Lösung, alles selbst zu erledigen, aber das hieße, den Gatten quasi zu entmündigen, und das ist ja nun auch Blödsinn (und hilft nichts, wenn ich tatsächlich in die Reha gehen sollte). Für den kommenden Termin mit dem Elektriker habe ich dem Gatten Wenn-dann-Szenarios aufgeschrieben in der Hoffnung, dass ich an dem Tag ins Büro kann, der Gatte den Termin wahrnehmen kann. Der Gatte merkt natürlich, dass der Kopf nicht mehr so will wie früher, ist dann verzweifelt und deprimiert. Es ist ein Elend.
Sonntag räumte ich weiter.
Montag fuhr ich vor der Arbeit zum Recyclinghof. Nach der Arbeit holte ich die reparierte Puppe meiner Mutter ab. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt mit ihr mache, denn ich habe zu der Puppe keinen Bezug. Erstmal lagere ich sie im Keller ein. Wieder zu Hause, räumte ich weiter.
Dienstag arbeitete ich und nach der Arbeit räumte ich weiter. Mittwoch desgleichen. Küche, Schlafzimmer und Esszimmer sind jetzt so weit, dass die Möbelpacker kommen können, und ein Teil meiner Schränke im Arbeitszimmer sind auch leer. Beim abendlichen Telefonat war der Gatte sehr verzweifelt, weil er nichts schafft und daraus schlussfolgert, dass er keinen Wert mehr hat. Er fühlt sich sehr unter Druck und gestresst, ist seit Tagen erkältet (hoffentlich nur das) und deprimiert. Wieder bot ich an, den Umzug abzusagen oder aufzuschieben. Wieder war seine Antwort eindeutig: Er will nicht in der Wohnung bleiben - zu klein, zu dunkel, zu laut im Vergleich zum Haus. Er will nicht mehr pendeln, sondern endlich ankommen. Ich versuche, den Berg, den er vor sich sieht, in kleine Hügelchen zu teilen, aber das kommt nicht bei ihm an. Er fühlt sich in jeder Hinsicht als Versager. Ich habe den Eindruck, es tut ihm nicht gut, alleine zu sein.
In diesen Tagen denke ich oft daran, wie wir vor genau zwanzig Jahren in diese Wohnung zogen, mit wieviel Hoffnungen, Träumen, voller Zuversicht und Erwartungen. Wie jung waren wir damals doch! Ein Jahr später wurde unser Leben zum ersten Mal auf den Kopf gestellt, und seitdem hatten wir nur wenige ruhige Phasen. Aber irgendwie ging es immer weiter, schafften wir es. Das wird hoffentlich auch diesmal so sein.
Donnerstag wollte ich vor der Arbeit drei Ikea-Taschen mit Comics, Büchern, Handtaschen und Geschirr zum Recyclinghof bringen. Von dort geht's zu einem Secondhand-Kaufhaus - theoretisch. Diesmal hatte ich einen Mitarbeiter, der mich alle drei Ikea-Taschen auspacken ließ und befand, das sei alles kostenpflichtiger Hausmüll. Die Aussage ist kompletter Blödsinn, die Entscheidung Willkür. Also spare ich mir zukünftig den Weg zum Recyclinghof und verklappe alles im Hausmüll. Natürlich hätte ich direkt zur Annahme des Secondhand-Kaufhauses fahren können, aber dazu habe ich gerade weder die Zeit noch die Kraft. Es dauert mich, Dinge, mit denen andere Menschen noch etwas anfangen können, in den Müll zu werfen, aber da ich auch weder Zeit noch Kraft habe, die Zu-verschenken-Stationen in Hamburg anzufahren, die üblichen Zu-verschenken-Portale oder eBay-Kleinanzeigen zu nutzen, geht's nicht anders.
Immerhin war ich schnell auf der Baustelle, beim Gatten. Dem geht's tatsächlich nicht gut. Er ist wackelig, schwach ... Das erinnert alles an die Anfänge seiner Herzerkrankung im November 2020. Ich habe keine Ahnung, wie er in diesem Zustand den Umzug schaffen soll. Ich schwanke zwischen Absage oder Verschieben meiner Reha und Verschieben des Umzugs auf April. Ich bezweifle allerdings, dass es die Situation für den Gatten besser macht. Ich fürchte, wir müssen da jetzt einfach irgendwie durch. Die Wohnung ist noch nicht gekündigt. Das mache ich erst, wenn der Umzug erledigt ist. Das ist mir lieber, falls irgendwas passiert, das den Umzug aufschiebt. Natürlich belasten die doppelten Kosten, aber wenn der Umzug nicht klappt und ich das Geraffel einlagern müsste, belasten die Kosten auch (zusätzlich käme dann noch der Stress, alles einlagern zu müssen).
Freitag forderte der Stress auch dann bei mir seinen Tribut. Ich schleppte mich übermüdet und mit Kopfschmerzen durch den Arbeitstag - zum Glück im Heimbüro, und es waren nur Datensätze freizugeben, nichts, wobei ich großartig nachdenken muss. Nach Feierabend plumpste ich ins Bett und schlief zwei Stunden. Das bringt jetzt meinen straffen Zeitplan durcheinander, aber ich konnte einfach nicht mehr. Mir geht's gesundheitlich zunehmen schlechter. Vor allem Herzschmerzen machen mir sehr zu schaffen. Ich weiß, sie sind psychosomatisch, aber Angst habe ich dennoch. Mir ist zudem schwindelig und schwankig, was ich nur zu gut vom herzkranken Gatten kenne.
Moin aus HB, alles in mir schreit danach, einen Kommentar zu schreiben, den ich mir aber verkneife, weil er sehr wahrscheinlich übergriffig wird. Man kennt ja immer nur den Teil des Lebens, der hier beschrieben wird und das ist bekanntlich eben nicht alles.
AntwortenLöschenDa bleibt mir nur, dir/ euch weiterhin die Daumen zu drücken, dass REHA/Umzug wie geplant stattfinden können und die Gesundheit nicht die Grätsche macht.
Alles Gute, lG
Mary
Hmm? - das mit der Regenrinne verstehe ich nicht ganz - Du hattest doch schon vor einer Woche geschrieben "Am späten Nachmittag klingelte es. Die beiden linken Nachbarn waren gerade dabei, die Regenrinne zu säubern und fragten, ob sie bei uns weitermachen sollten. Wie toll! " (Suse)
AntwortenLöschenDas Haus hat an zwei Seiten Regenrinnen, im Vorgarten und auf der Gartenseite. Die im Vorgarten wurden erst gereinigt, und ein paar Tage später dann die auf der Gartenseite.
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