Samstag, 11. November 2023

Samstagsplausch KW 45/23: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXCI

Sonnabend kam eine Kollegin, um mir fünf Stunden beim Ausmisten zu helfen. Sie kam schnell zu dem Ergebnis, dass Marie Kondō an mir verzweifelt und schreiend herausgerannt wäre. Ich wäre versucht, das auszuprobieren. Wir kamen gut voran und schafften genau die Dinge, an denen ich alleine seit Jahrenden verzweifelte. Nachmittags ging die erste Fuhre zum Recyclinghof.

Abends rief der Gatte an und beschwerte sich, dass ich ihm nicht sagte, dass die linken Nachbarn die Dachrinne auf der Gartenseite reinigen würden. Das konnte ich ihm nicht sagen, weil ich es selbst nicht wusste und deswegen am Mittwoch den Auftrag an den Gärtner vergab. Das sagte ich dem Gatten auch, aber er vergaß es prompt. 

In diesen Momenten könnte ich leise verzweifeln. Es nützt auch nicht, wenn ich dem Gatten solche Infos aufschreibe - seit dem Schlaganfall kann er sie einfach nicht mehr aufnehmen. Ich bin ratlos, wie ich damit umgehen soll. Momentan ist die einzige Lösung, alles selbst zu erledigen, aber das hieße, den Gatten quasi zu entmündigen, und das ist ja nun auch Blödsinn (und hilft nichts, wenn ich tatsächlich in die Reha gehen sollte). Für den kommenden Termin mit dem Elektriker habe ich dem Gatten Wenn-dann-Szenarios aufgeschrieben in der Hoffnung, dass ich an dem Tag ins Büro kann, der Gatte den Termin wahrnehmen kann. Der Gatte merkt natürlich, dass der Kopf nicht mehr so will wie früher, ist dann verzweifelt und deprimiert. Es ist ein Elend. 

Sonntag räumte ich weiter. 

Montag fuhr ich vor der Arbeit zum Recyclinghof. Nach der Arbeit holte ich die reparierte Puppe meiner Mutter ab. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt mit ihr mache, denn ich habe zu der Puppe keinen Bezug. Erstmal lagere ich sie im Keller ein. Wieder zu Hause, räumte ich weiter.

Dienstag arbeitete ich und nach der Arbeit räumte ich weiter. Mittwoch desgleichen. Küche, Schlafzimmer und Esszimmer sind jetzt so weit, dass die Möbelpacker kommen können, und ein Teil meiner Schränke im Arbeitszimmer sind auch leer. Beim abendlichen Telefonat war der Gatte sehr verzweifelt, weil er nichts schafft und daraus schlussfolgert, dass er keinen Wert mehr hat. Er fühlt sich sehr unter Druck und gestresst, ist seit Tagen erkältet (hoffentlich nur das) und deprimiert. Wieder bot ich an, den Umzug abzusagen oder aufzuschieben. Wieder war seine Antwort eindeutig: Er will nicht in der Wohnung bleiben - zu klein, zu dunkel, zu laut im Vergleich zum Haus. Er will nicht mehr pendeln, sondern endlich ankommen. Ich versuche, den Berg, den er vor sich sieht, in kleine Hügelchen zu teilen, aber das kommt nicht bei ihm an. Er fühlt sich in jeder Hinsicht als Versager. Ich habe den Eindruck, es tut ihm nicht gut, alleine zu sein.  

In diesen Tagen denke ich oft daran, wie wir vor genau zwanzig Jahren in diese Wohnung zogen, mit wieviel Hoffnungen, Träumen, voller Zuversicht und Erwartungen. Wie jung waren wir damals doch! Ein Jahr später wurde unser Leben zum ersten Mal auf den Kopf gestellt, und seitdem hatten wir nur wenige ruhige Phasen. Aber irgendwie ging es immer weiter, schafften wir es. Das wird hoffentlich auch diesmal so sein. 

Donnerstag wollte ich vor der Arbeit drei Ikea-Taschen mit Comics, Büchern, Handtaschen und Geschirr zum Recyclinghof bringen. Von dort geht's zu einem Secondhand-Kaufhaus - theoretisch. Diesmal hatte ich einen Mitarbeiter, der mich alle drei Ikea-Taschen auspacken ließ und befand, das sei alles kostenpflichtiger Hausmüll. Die Aussage ist kompletter Blödsinn, die Entscheidung Willkür. Also spare ich mir zukünftig den Weg zum Recyclinghof und verklappe alles im Hausmüll. Natürlich hätte ich direkt zur Annahme des Secondhand-Kaufhauses fahren können, aber dazu habe ich gerade weder die Zeit noch die Kraft. Es dauert mich, Dinge, mit denen andere Menschen noch etwas anfangen können, in den Müll zu werfen, aber da ich auch weder Zeit noch Kraft habe, die Zu-verschenken-Stationen in Hamburg anzufahren, die üblichen Zu-verschenken-Portale oder eBay-Kleinanzeigen zu nutzen, geht's nicht anders. 

Immerhin war ich schnell auf der Baustelle, beim Gatten. Dem geht's tatsächlich nicht gut. Er ist wackelig, schwach ... Das erinnert alles an die Anfänge seiner Herzerkrankung im November 2020. Ich habe keine Ahnung, wie er in diesem Zustand den Umzug schaffen soll. Ich schwanke zwischen Absage oder Verschieben meiner Reha und Verschieben des Umzugs auf April. Ich bezweifle allerdings, dass es die Situation für den Gatten besser macht. Ich fürchte, wir müssen da jetzt einfach irgendwie durch. Die Wohnung ist noch nicht gekündigt. Das mache ich erst, wenn der Umzug erledigt ist. Das ist mir lieber, falls irgendwas passiert, das den Umzug aufschiebt. Natürlich belasten die doppelten Kosten, aber wenn der Umzug nicht klappt und ich das Geraffel einlagern müsste, belasten die Kosten auch (zusätzlich käme dann noch der Stress, alles einlagern zu müssen). 

Freitag forderte der Stress auch dann bei mir seinen Tribut. Ich schleppte mich übermüdet und mit Kopfschmerzen durch den Arbeitstag - zum Glück im Heimbüro, und es waren nur Datensätze freizugeben, nichts, wobei ich großartig nachdenken muss. Nach Feierabend plumpste ich ins Bett und schlief zwei Stunden. Das bringt jetzt meinen straffen Zeitplan durcheinander, aber ich konnte einfach nicht mehr. Mir geht's gesundheitlich zunehmen schlechter. Vor allem Herzschmerzen machen mir sehr zu schaffen. Ich weiß, sie sind psychosomatisch, aber Angst habe ich dennoch. Mir ist zudem schwindelig und schwankig, was ich nur zu gut vom herzkranken Gatten kenne.

Hier gilt seit mittlerweile 191 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. 

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte und hoffe sehr, das bleibt so. Weiterhin gibt es im Umfeld reichlich Infektionen. In den Schulen wird zunehmend auf hybriden Unterricht umgestellt, da so viele Schülerinnen und Schüler fehlen. Ich habe derweil die sechste Corona-Impfung gut verkraftet. Einzig der Impfarm machte mir ein paar Tage zu schaffen (und bei den anderen Symptomen bin ich unsicher, ob's nicht der bei mir übliche Stress war). 

Schwiegermutter und Tante geht's gut. Tante ist mit der Reha fertig und kommt Weihnachten tatsächlich zu uns - große Freude! Die Reise wird sehr anstrengend für sie werden, und ich hoffe, die Streiks treffen sie nicht. 

Auf der Baustelle geht's gerade nicht so wirklich vorwärts. Der Gärtner kam die ganze Woche über nicht, so dass das Gartenhaus von innen nicht gestrichen ist. Ich weiß, er hat einen hohen Krankenstand, allerdings müsste das Häuschen so langsam mal fertig werden, weil da Sachen hinein sollen, die in der Küche zwischengelagert sind. Klar kann ich die Sachen auch in den Keller schleppen, um die Küche leer zu bekommen, aber das würde ich mir gerne sparen. Zudem sollen die Hochbeete mit umziehen, und da, wo sie stehen sollen, müssten noch Platten verlegt werden - idealerweise vor dem Einzug der Hochbeete.

Der Gatte arbeitet immer noch an der Elektrifizierung des Badezimmers und der Kellertreppe sowie dem Soundsystem im Wohnzimmer und der Verlegung der LAN- und TV-Kabel im ersten Stock - letzteres seit einem Jahr .... Das wird auch noch ein paar Monate dauern, denn der Gatte will diese Arbeiten partout nicht abgeben. Ich habe noch keine Ahnung, wie ich meinen Desktop-Rechner ans Internet anschließen werde.

Ich hänge hinterher mit dem Lackieren der Holzpaneele und habe mich damit angefunden, dass ich das nach dem Einzug machen werde. Da muss ich eh noch die Macken an Türen und Türrahmen beseitigen, die inzwischen entstanden (und beim Einzug noch entstehen werden). Immerhin schaffte ich es, die Küchenzeile, die mit umziehen soll, auszumessen. Erfreulicherweise passt sie. Eigentlich müsste ich vor dem Einzug der Küchenzeile Lamperien setzen, aber da ist das Geraffel, das ins Gartenhaus soll ... Jetzt muss ich noch zwei Rollladenschränke und ein Regal ausmessen, ob sie dahin passen, wohin sie sollen. 

Natürlich nahmen wir diese Woche auch das Gedenken zum 85. Jahrestag des Novemberpogroms wahr. Der Gatte verfolgte die Bundestagsdebatte und war voller Empörung über den AfD-Beitrag. Gemeinsam sahen wir dann die Gedenkveranstaltung in der Beth Zion-Synagoge. Der letzte Pogrom ist gerade mal fünf Wochen her. 

Noch vier Wochen bis Umzug. Hoffentlich.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

3 Kommentare:

  1. Moin aus HB, alles in mir schreit danach, einen Kommentar zu schreiben, den ich mir aber verkneife, weil er sehr wahrscheinlich übergriffig wird. Man kennt ja immer nur den Teil des Lebens, der hier beschrieben wird und das ist bekanntlich eben nicht alles.
    Da bleibt mir nur, dir/ euch weiterhin die Daumen zu drücken, dass REHA/Umzug wie geplant stattfinden können und die Gesundheit nicht die Grätsche macht.
    Alles Gute, lG
    Mary

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  2. Hmm? - das mit der Regenrinne verstehe ich nicht ganz - Du hattest doch schon vor einer Woche geschrieben "Am späten Nachmittag klingelte es. Die beiden linken Nachbarn waren gerade dabei, die Regenrinne zu säubern und fragten, ob sie bei uns weitermachen sollten. Wie toll! " (Suse)

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    1. Das Haus hat an zwei Seiten Regenrinnen, im Vorgarten und auf der Gartenseite. Die im Vorgarten wurden erst gereinigt, und ein paar Tage später dann die auf der Gartenseite.

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.