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Freitag, 28. Dezember 2018

Treppenhausfreitag: Gedenkstätte am Bullenhuser Damm 92

Montags gegen Nazis.
Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm. 

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesenAlle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst. Aktuell pausiert das blau-braune Pack. Meinswegen kann es das auch für die nächsten 73 Jahre - mindestens.


Jürgen Wallers Bild trägt den Titeö "21. April 1945, 5 Uhr morgens" und zeigt den Tatort so, wie in sich der Künstler nach Aussagen der Täter vorstellt.
Das Treppenhaus der Gedenkstätte Bullenhuser Damm wird geprägt von einem raumfüllenden Wandbild. Es trägt den Titel "21. April 1945, 5 Uhr morgens" und wurde vom Bremer Künstler Jürgen Waller geschaffen. Das Bild zeigt den Heizungskeller der ehemaligen Schule Bullenhuser Damm, wo in der Nacht vom 20. auf den 21. April 1945 20 Kinder zwischen 5 und 12 Jahren von SS-Männern erhängt werden. Weitere 28 Erwachsene werden hier in der Nacht von SS-Männern erhängt oder erschossen.

Waller greift bei der Gestaltung auf die Aussagen der Täter zurück, die zum Teil 1946 von einem britischen Militärgericht im sogenannten Curio-Haus-Prozess zum Tode verurteilt werden. In der Bundesrepublik wird keiner der Täter mehr verurteilt.

In einem Keller liegen Kleidung und Spielzeug. Beides bringen die Kinder aus dem KZ Neuengamme mit. Das Spielzeug haben ihnen KZ-Häftlinge zu Weihnachten gebastelt. Im zweiten Keller ist ein von einem Heizungsrohr hängender Strick zu sehen. Hier werden die Kinder erhängt. Sie sind zum Teil so leicht, dass sich die SS-Männer mit ihrem Körpergewicht an sie hängen müssen, damit sich der Strick zuzieht. Im Raum daneben werden die Leichname der Kinder bis zum Abtransport ins Krematorium des KZ Neuengamme oder bis zum Verscharren in einem der Bombentrichter in der Umgebung aufbewahrt. 

Vor den Kellern ist Geschirr zu sehen. Erhängen macht hungrig: Nach getaner Arbeit frühstückten die Mörder. Sie erhalten außerdem Sonderrationen an Alkohol und Zigaretten.

Wie auf einer Filmrolle läuft ein Band mit gemalten Fotografien der Kinder von der Decke bis zum Boden. Da ist der zwölfjährige Georges-André Kohn am Tage seiner Kommunion zu sehen - seine Mutter konvertiert mit den Kindern zum Katholizismus, auch in der Hoffnung, die Familie so schützen zu können. Kurz bevor die Alliierten Paris erreichten, wird die siebenköpfige Familie nach Auschwitz deportiert. Die beiden älteren Geschwister können aus dem Deportationszug fliehen und überleben versteckt. Der Vater überlebt das KZ Buchenwald. Die anderen kehren nicht wieder.

Da sind die zwölf und acht Jahre alten Brüder Eduard und Alexander Hornemann zu sehen, wie sie fröhlich mit ihrem Vater am Strand spielen. Als die Nazis die Niederlande besetzen, kommt ihr Vater seinen jüdischen Kollegen in ein Sonderlager. Seine Mutter versteckt sich und die beiden Jungen, folgt dann aber ihrem Mann in das KZ Vught in der Hoffnung, zusammen sei die Familie am sichersten. Im Juni 1944 werden die vier nach Auschwitz deportiert. Keiner wird zurückkehren.

Ein zerknittertes Bild zeigt die kleine Ruchla Zylberberg, wie sie Fahrradfahren lernt. Als die Nazis in Polen einmarschieren, fliehen Vater, Onkel und Tante nach Russland. Sie wollen ihre Familien nachholen. Bevor das gelingt, überfallen die Deutschen die Sowjetunion. Ruchla, ihre kleine Schwester und ihre Mutter werden nach Auschwitz deportiert. Während Ruchla weiter ins KZ Neuengamme deportiert wird, werden die kleine Schwester und die Mutter in Auschwitz ermordet. Ruchla ist acht Jahre alt, als sie am Bullenhuser Damm erhängt wird. 

Ruchlas Vater überlebt und emigriert in die USA. Die ganzen Jahre über trägt er Fotos seiner Frau und seiner beiden Töchter bei sich. Den Bruder, der mit ihm floh, verschlägt es schließlich nach Hamburg, wo er 34 Jahre nach der Befreiung vom Schicksal seiner Nichte erfährt.

Von einigen Kindern gibt es keine Bilder aus der Zeit vor der Shoah, sind ihre vollständigen Namen bis heute nicht bekannt, kann man keine Angehörigen finden. Von ihnen gibt es nur Aufnahmen, die während der medizinischen Experimente im KZ Neuengamme angefertigt wurden und spärliche Notizen des Arztes, der die Experimente durchführt. Eines dieser Bilder zeigt ein polnisches Mädchen, dessen Vorname mit dem Buchstaben H beginnt und dessen Nachname Wassermann lautet. Sie ist acht Jahre alt, als sie am Bullenhuser Damm erhängt wird.

Am rechten Bildrand sind Bilder der Täter zu sehen: Die Ärzte, die die medizinischen Experimente an den Kindern durchführten, und die SS-Männer, die die Kinder ermordeten. Mich erinnert dieser Bildteil an meine Pinwand, an die ich Fotos und Notizen hefte, an die ich mich aus unterschiedlichen Gründen erinnern möchte. Die Kinder vom Bullenhuser Damm und mit ihnen die, die sie quälten und ermordeten, gehören seit 38 Jahren zu meinem Leben.

Wallers Bild ist nicht abgeschlossen. Als das Bild 1987 nach vielen Irrwegen endlich im Treppenhaus der Gedenkstätte angebracht wurde, lebte noch einer der Täter: Arnold Strippel. Er muss sich nie für die Morde am Bullenhuser Damm vor Gericht verantworten und stirbt als freier Mann. 

Mehr zur Geschichte der Ermordeten und zur Gedenkstätte erfährst Du, wenn Du hier klickst. Weitere Impression gibt es hier und hier.

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