Sonntag wurde Schwiegermutter zum zweiten Mal geimpft, was wir mit einem üppigen Afternoon Tea feierten. Der Gatte und ich wurde diese Woche auch geimpft - ein Glücksfall, denn die Hamburger Impfpolitik sieht aktuell nur Über-Achtzig-Jährige und bestimmt Berufsgruppen zur Impfung vor, obgleich Risikogruppe 2, zu der wir gehören, schon zur Impfung aufgerufen ist. Man kann auch einen Termin vereinbaren, wird dann aber im Impfzentrum gerne abgewiesen, weil man auf die Einladung durch Fach- oder Hausarzt warten soll - von der ja noch völlig unklar ist, wann und ob sie erfolgt. Bestehende Impftermine sollen zudem trotz Impfmöglichkeit bei Fach- und Hausärzten weiterhin gültig bleiben, aber das sehen einige Sachbearbeiter anders.
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Der Tisch für Schwiegermutters Impf-Feier. Die Rezepte gibt's in den nächsten Tagen in der Kombüse. |
Der Gatte wurde problemlos zur Impfung vorgelassen, ebenso der schwer lungenkranke Mann einer Kollegin, bei mir klappte es nach Diskussion. Richtig absurd wurde es bei einer Freundin, die zum medizinischen Personal gehört, die entsprechende Arbeitgeberbescheinigung vorlegte, aber abgewiesen wurde, weil dem Sachbearbeiter ihre Qualifikation nicht reichte.
Der volle Zynismus der Impfpolitik zeigt sich nicht nur im Umgang mit chronisch Kranken, sondern auch im Umgang mit den Alten. Hamburg rühmt sich, alle Alten- und Pflegeheime durchgeimpft zu haben, allerdings betrifft das nur die Bewohner, die über 80 Jahre alt sind. Jüngere können bislang sehen, wo sie bleiben, zum Beispiel Schwiegermutters 77jähriger Nachbar, der trotz COPD und Sauerstoffgerät keine Impfung bekommt. Er soll wie alle aus Risikogruppe 2 warten, bis die Berufsgruppen durchgeimpft sind, er von der Stadt angeschrieben wird, Fach- und Hausärzte Impfstoff haben und einladen. Fach- und Hausärzte bekommen im übrigen nur den Impfstoff, der übrig bleibt, nicht an Impfzentren geht.
Auf den Zynismus der Impfpolitik folgt die Idiotie des Einladungsprocederes: Impflinge werden per eMail eingeladen, bekommen QR-Code, müssen den scannen, um einen Termin zu vereinbaren. Okay, der Facharzt, bei dem Schwiegermutters Nachbar ist, ist auch meiner, daher weiß ich, die arbeiten tatsächlich mit eMail, nur: Der Nachbar hat weder eMail noch Smartphone zum Einscannen des QR-Codes. Und beispielsweise unsere Hausärzte haben keine eMail.
Unabhängig von der Einzelfallentscheidung der Sachbearbeiter ist die Betreuung im Impfzentrum ausgesprochen liebevoll und fürsorglich: Ich sah eine alte Frau mit einem "Männchen" aus einem Gummihandschuh auf ein Taxi warten. Eine andere hatte einen Pudel aus einem Gummihandschuh dabei. Während im Ü80-Bereich überall Stühle stehen, ist es im U80-Bereich nicht so, aber als einer der Securities sah, dass der Gatte am Stock geht, brachte er sofort einen Stuhl.
Im Vergleich zum ersten Besuch im Impfzentrum sind die Sicherheitsvorkehrungen deutlich verstärkt worden, was angesichts der Drohungen der Impfgegner und Coronazis auch sinnvoll ist. Die Polizisten im Impfzentrum entpuppten sich dann allerdings als Impflinge, nicht als Polizeischutz.
Wer die Atmosphäre im Impfzentrum vergiftet, sind die Lehrer-Kollegen ohne Benehmen, die sich über verlegte Termine beschweren, weil sie deswegen nicht in den Pfingstferien verreisen können. Die Termine für die Zweitimpfung werden nämlich um drei Wochen nach hinten verlegt. Den neuen Termin bekommt man bei der Abmeldung, und die Mitarbeiter dort waren total irritiert, als weder der Gatte noch ich über den Termin diskutierten. So 'ne Pandemie ist doch kein Ponyhof!
Zu den Zeiten, in denen wir im Impfzentrum waren, war es immer proppenvoll. DRK und andere Organisationen hatte alle Hände voll zu tun, um die Senioren zu betreuen, zur Impfung oder zum Taxi zu begleiten. Taxen und Kleinbusse standen Schlange. An meinem Impftag bekam ich trotz früher Uhrzeit keinen kostenlosen Parkplatz mehr vorm Impfzentrum, musste auf einen privat betriebenen nebenan ausweichen. Für die Parkkosten bekam ich viel geboten: Es gibt Parkwächter, die mit einem Klapprad vorweg fahrend zum Parkplatz geleiten. Gerade richtig für so grundverpeilte Frettchen wie mich.
Die Erleichterung über Impfungen war so groß bei mir, dass ich nach meiner Impfung in der Ruhezone vor Erleichterung fast vom Stuhl kippte - zum Glück merkte niemand mein Schwanken, konnte ich mich gut ausruhen, da ich ohnehin wegen diverser Allergien 30 Minuten Ruhezeit bekam.
Der Gatte und ich wurden ja mit AstraZeneca geimpft, hatten uns zur Überraschung der Impfärzte vorab mit der Thematik beschäftigt. Dialog zwischen Gatte und Impfarzt: "Sie bekommen ja AstraZeneca. Brauchen Sie dazu weitere Information?" - "Nein, ich habe mich informiert." - "Wo haben Sie sich denn informiert?" - "Im Internet." - "Na ja, da steht ja auch viel falsches." - "Wir sind #drostenultras." - "Ach so, äh, okay, alles klaa."
Wir waren gespannt auf die Impfreaktionen, von denen wir aus dem Umfeld ganz Unterschiedliches hörten. Beim Gatten fiel sie so heftig aus, dass er sich nicht vorstellen möchte, was Corona anrichten würde. Er liegt quasi seit vier Tagen flach. Bei mir lässt sich bis auf einem Impfarm und leichtem Fieber nicht sagen, was von der gerade erhöhten Dosis meiner Hormontabletten kommt, was normale Erschöpfung und was Impfreaktion ist. Der Impfarm ist aber nicht ohne: Eine hühnereigroße, heiße, schmerzhafte Beule bei uns beiden, die seit vier bzw. drei Tagen anhält. Mir würden ein, zwei Tage Ruhe gut tun, aber is' nich'. Egal, alles ist besser als Corona.
Ansonsten war es eine ruhige Woche. Es wurde beschlossen, dass der Laden wieder öffnet, was bedeutet, dass wir im Büro wieder mehr Präsenz brauchen, einige Kollegen zwei statt einem Tag da sind. Für mich ändert sich wenig: Mein Bürotag ist jetzt Ladentag, heißt, kurz zum Postsichten, Blumengießen und Teekochen ins Büro, dann fünf Stunden mit FFP2-Maske im Laden sitzen. Angesichts der Kontakte dort ist die Impfung eine Beruhigung. Angesichts der Entwicklung des Inzidenzwertes rechne ich aber nicht damit, dass der Laden lange geöffnet bleibt.
Der PR will versuchen, dass wir mit Lehrkräften gleichgestellt und geimpft werden, dass wir Selbsttests bekommen. Ich bin gespannt. Für die Kollegen wäre das eine große Erleichterung, wenngleich wir ohnehin weiterhin dafür sorgen, dass die sehr gefährdeten Kollegen aus Risikogruppe 2 und 3 keinen Ladendienst haben. Und vielleicht kommen sie so endlich zu einer Impfung.
Hier gilt seit mittlerweile 52 Wochen: Der Gatte und ich sind seit Mitte März 2020 weitgehend zu Hause. Unsere Kontakte sind auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter.
Der Gatte ist seit April 2020 in Kurzarbeit, arbeitet aktuell einmal in der Woche. Die Sorge um seinen Job macht ihm zu schaffen, ebenso wie seine Gesundheit. Durch die Kurzarbeit müssen wir uns finanziell wenig einschränken. Belastender ist die Perspektivlosigkeit.
Wir geraten oft aneinander, was mich mehr Kraft kostet, als ich habe. Ich bräuchte dringend Erholung. Der letzte Urlaub, in dem ich mich nicht noch nebenbei um den chronisch kranken Gatten kümmern musste, sondern mich selbst erholen konnte, war im Februar 2017. Alle Reha-Anträge zwecks Burn-Out- bzw. Depressionsprohylaxe werden abgelehnt. Ich werde es nach der Zweitimpfung mal mit einem wegen Adipositas versuchen, habe aber keine Hoffnung.
Ich arbeite seit nunmehr einem Jahr überwiegend zu Hause. Um meinen Job muss ich mir Gott sei Dank keine Sorgen machen. Einzig im Sommer gab's kurzfristig eine Präsenzpflicht, aber da ich ohnehin einen Telearbeitsplatz habe, konnte ich schnell wieder an drei Tagen zu Hause arbeiten. Mit der Heimarbeit komme ich gut zurecht, allerdings verschwinden momentan die Tage, gibt es keinen Unterschied zwischen Arbeitstag und Wochenende. Und ich kann mich schlecht konzentrieren.
Ansonsten ist nach einem Jahr Corona sehr viel Dankbarkeit da, dass wir bislang weitgehend unbeschadet und vor allem ohne Corona-Infektion durch diese Pandemie kamen. Natürlich vermissen wir Menschen und Aktivitäten. Schwiegermutter und Tante haben seit einem Jahr ihre Freundinnen nicht gesehen. Es gab Todesfälle; sie durften wegen der Kontaktbeschränkungen nicht zu den Beerdigungen gehen. Tante vermisst den Sport, baut körperlich ab. Schwiegermutter fehlen Bridge und Englisch, sie baut geistig ab.
Nächste Woche wird eine Freundin von Schwiegermutter beerdigt, und wir können sie nicht begleiten, weil maximal fünf Personen aus zwei Haushalten vorgesehen sind. Genau genommen dürfte noch nicht mal Schwiegermutter zur Beerdigung, denn selbst mit ihr, Freund und Patensohn der Verstorbenen sind es drei Haushalte. Mal schauen, wie sich das löst.
Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.