Dienstag wurde eine neue Wunde entdeckt, die binnen zweier Tage nekrotisch wurde. Also fuhren wir gestern ins Krankenhaus. Ergebnis: In vier Wochen steht eine weitere OP an, die vierte in diesem Jahr. Uns ist Angst. Angst, weil jede Narkose Hirn, Herz und Nieren des Gatten weiter schädigt, Spuren hinterlässt, von denen er sich nicht erholt. Angst, weil es jedes Mal sein kann, dass der Gatte nicht mehr aus der Narkose erwacht. Angst, weil es seit fünf Jahren gesundheitlich beim Gatten nur in eine Richtung geht: Bergab.
So müssen wir also zum zweiten Mal in diesem Jahr unseren Urlaub stornieren. Wir haben wieder bei Esmark gebucht, wo automatisch eine Reiserücktrittsversicherung enthalten ist, die sehr unkompliziert abgewickelt wird. Das Team von Esmark Bjerregård ist einfach großartig und hilfsbereit. Bevor klar war, dass wir wegen der OP absagen müssen, war eine Option medizinische Betreuung am Urlaubsort. Das organisierte uns das Team im Handumdrehen! Wir haben zwei Nächte darüber geschlafen, ob wir einfach kürzer fahren, nicht die vollen zwei Wochen, uns dann aber doch entschlossen, den Urlaub trotz ärztlicher Betreuung abzusagen. Der Gatte ist so schlecht beieinander, dass er nur im Ferienhaus sitzen könnte, gar nicht an den Strand kommt. Das hieße, wir pendeln zwischen Ferienhaus und Ärztehaus. Und so schnell, wie sich seine Wunden verschlechtern, ist es uns lieber, wir bleiben in der Nähe des hiesigen Krankenhauses.
Eigentlich wollten wir am Wochenende das Ferienhaus für unseren September-Urlaub auf Fanø bei Esmark buchen, aber das hat sich jetzt erledigt. Ebenfalls erledigt hat sich meine RV fit-Maßnahme, denn sie fällt in die Zeit, in der der Gatte im Krankenhaus ist. Der Gatte meinte zwar tapfer, ich solle trotzdem fahren, aber ich weiß aus der Vergangenheit, wie sehr er sich auf meine Besuche im Krankenhaus freut, und ich hätte kein gutes Gefühl, wenn er nach der Entlassung alleine zu Hause ist. Natürlich wäre eine Verhinderungspflege möglich, aber der Gatte lehnt andere Betreuungspersonen ab. Es ist ja schon ein Wunder, dass er sich auf die Wundversorgung durch den Pflegedienst einlässt. Und mit Kurzzeitpflege muss man ihm gar nicht erst kommen - bei allen Einschränkungen ist der Gatte Gott sei Dank noch zu fit für ein Pflegeheim.
Wir sind beide am Ende unserer Kräfte, mobilisieren irgendwie die letzten Kraftreserven, um uns gegenseitig Glauben zu machen, dass alles gut wird.
Hier gilt seit mittlerweile 272 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. Es geht uns dennoch vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich die Erkrankungen und der Schlaganfall des Gatten zu Wesensveränderungen führten, die ein Zusammenleben manchmal sehr schwer machen.
Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona bislang Gatten, Schwiegermutter und Tante verschonte, und hoffe sehr, das bleibt so.
In dieser Woche gab's wieder jeden Tag einen Arzttermine, und das wird sich in den kommenden beiden Wochen nicht ändern. In diesen Phasen überlege ich immer wieder, ob es nicht vernünftiger wäre, meinen Beruf aufzugeben, so sehr ich meine Arbeit auch mag. Meine Chefs kommen mir sehr entgegen, aber selbst, wenn ich mir frei nehme, muss ich die Stunden ja vor- oder nacharbeiten. Es gibt Tage wie kommenden Montag, da komme ich dann einfach an meine Grenzen. Ich werde drei Stunden arbeiten, dann sechs Stunden mit dem Gatten unterwegs sein für die Behandlung in der Augenklinik, dann wieder zu Hause den Gatten mit Abendessen versorgen und nochmal drei Stunden arbeiten. Ich kann nichts auf den kommenden Tag verschieben, weil einfach jeder Tag durchgeplant ist. Zwar darf ich inzwischen zwischen 20 Uhr und 6 Uhr arbeiten, aber da fehlt mir immer öfter die Konzentration. Von Zeit für Regeneration rede ich gar nicht erst. Zum Glück war's diese Woche im Büro ruhig, gab's den Feiertag, so dass ich etwas Luft holen konnte.
In dieser Woche hatten wir zum ersten Mal eine Pflegebegutachtung. Die ist ab Pflegegrad zwei halbjährlich vorgeschrieben. Uns wurde vorgeschlagen, eine Haushaltshilfe ein Anspruch zu nehmen, um mich zu entlasten (irgendwie mache ich auf Fremde anscheinend einen überlasteten Eindruck, warum auch immer). Ich finde ja schon die Beschäftigung unserer Putzfrau dekadent, aber umso öfter ich nachdenke, umso mehr finde ich, was eine Haushaltshilfe uns abnehmen könnte. Wenn wir eine finden, reicht das Geld der Pflegekasse für drei Stunden im Monat. Die Putzfrau zahlen wir ohnehin selbst. Die war schon bei uns, bevor der Gatte einen Pflegegrad bekam, und wir wollen uns an niemand anderen gewöhnen, was wir müssten, wenn wir jemanden über den Pflegedienst beschäftigen. Uns wurde außerdem eine Alltagsbetreuung für den Gatten vorgeschlagen, was hilfreich wäre an den Tagen, an denen ich in Hamburg bin. Ich schrieb die empfohlene Organisation auch schon an, aber mit der Beantwortung von eMails scheint man es dort nicht so zu haben. Mal schauen, wann ich Zeit finde, denen hinterher zu telefonieren. Die empfohlene Tagespflege lehnt der Gatte ab, was ich verstehen kann. Er möchte endlich wieder seinen Hobbies nachgehen können, keine Beschäftigung vorgeschrieben bekommen.
Schwiegermutter und Tante geht's gut. Sie freuten sich über die Post. Die Ostsee-Tante meldete sich nicht telefonisch. Ich vermute, in den nächsten Tagen wird ein Brief kommen.
Heute kam ich tatsächlich mal dazu, eine Stunde im Garten zu arbeiten, während sich der Gatte ausruhte. Ich habe den Kampf gegen den Giersch noch nicht aufgegeben. Es tat gut, sich mal wieder körperlich zu verausgaben, und ich sah tatsächlich ein Ergebnis. Aber es ist noch zu viel zu tun, und mir fehlen Zeit und Kraft. Aktuell bin ich froh, wenn ich abends eine Reihe in Ruhe stricken kann, denn der Gatte hat viel Betreuungsbedarf, da komme ich kaum dazu, in Ruhe zu sitzen. Ich würde gerne mal wieder etwas Aufwändigeres stricken als Socken, aber das ist nicht drin.
Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.