Freitag, 5. Mai 2023

#WMDEDGT 05/23: Zwischen Bestatter und Bäcker

Heute ist wieder der fünfte Tag des Monats, und Frau Brüllen fragt "Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?", kurz WMDEDGT? Vielen Dank für's Sammeln!

Ich schlafe tatsächlich mal fast fünf Stunden am Stück und wache gegen halb vier auf, nicht, weil ich Schmerzen habe, sondern weil ich einigermaßen wach bin. Während ich versuche, wieder einzuschlafen, stellen sich zuverlässig die Unterleibsschmerzen ein, die mich seit Langem wecken und die irgendwie gegen Schmerztabletten resistent sind. Mir geht auf, dass ich mich nun, da meine Mutter gestoben ist, in aller Ruhe operieren lassen könnte. Dass meine Mutter nicht damit zurecht kommen würde, dass ich sechs bis acht Wochen bei ihrer Betreuung ausfiele, war mit ein Grund, dass ich mich gegen eine OP entschied. Deswegen tat ich vor zwei Jahren auch alles, um über ein halbes Jahr einen Krebsverdacht vor ihr zu verbergen. Sie wäre nicht damit zurechtgekommen, dass ich nicht ständig abrufbar wäre, und mir fehlte die Kraft, mich dagegen zu wehren, weil ich möglichst viel Kraft für mich und den Gatten brauche. 

Gegen halb sieben stehe ich auf und koche Kaffee. Den Gatten lasse ich schlafen. Er hatte gestern einen anstrengenden ersten Arzttermin wegen einer anstehenden Nierenbiopsie und muss heute ungeplant zu seiner Hausärztin, weswegen ich alleine in die lindgrüne Hölle fahre. Aber erstmal lasse ich den Tag ruhig angehen, tippsle den Wochenplan zu Ende und verlinke den aktuellen PMDD-Beitrag. Außerdem müssen Rechnungen von Metallbauer und Elektriker bezahlt werden, bringe ich die Ausgaben beim Baukredit auf den aktuellen Stand. 

Gegen halb neun steht der Gatte auf. Er hatte eine schlechte Nacht und ist froh, dass er heute nicht mit in die lindgrüne Hölle fahren muss, sondern nur zu Hausärztin und Apotheke. Während er versucht, wachzuwerden, frühstücke ich und gucke nach dem Lieferstatus der Geschenke für Tante. Die werden sich allesamt verspäten, so dass wir zu ihrem Geburtstag nur mit einem Gutschein für eine Gesichtsbehandlung dastehen werden - sofern ich einen bastle. Ich schlage dem Gatten vor, morgen in der Parfümerie eine Kleinigkeit aus der Serie, mit der Tante die Gesichtsbehandlung bekommt, zu kaufen. Dann allerdings ist der pekuniäre Wert von Tantes Geschenk höher als der von Schwiegermutters Geschenk, was Stress gibt. Irgendwas ist ja immer.   

Sachen zusammensuchen, den Laufzettel finden, aktualisieren und vor allem einpacken, das Taschentelefon nicht vergessen, anziehen und los. In der Tür den Gatten daran erinnern, dass er zu seiner Hausärztin fahren muss wegen Rezepten und einer Überweisung. Dabei stellt sich heraus, dass er das am Nachmittag machen möchte, weil auf der Homepage steht, Rezepte können ab 15 Uhr abgeholt werden. Da Freitag ist, die Praxis nachmittags geschlossen, bitte ich ihn, doch schon am Vormittag zur Praxis zu fahren, denn bis Montag kann er nicht warten.

Auf die Autobahn, wo es sich wie üblich vorm Elbtunnel staut, dann die lange Umleitung in die lindgrüne Hölle fahren - ich finde auf Anhieb den Schleichweg durchs Gewerbegebiet, was bei meiner Grundverpeiltheit etwas heißt.

Es ist immer wieder ungewohnt, alleine im alt-neuen Haus zu sein. Ich gucke durch die Post, fülle sechs Müllsäcke mit Mudderns restlicher Kleidung und lade sie ins Auto, damit Textiltiger sie in Hamburg abholen kann. Die örtliche Kleiderkammer scheidet wieder mal aus, weil deren Zeitfenster für die Anlieferung mit meinem Leben inkompatibel sind. Ich bin erschrocken, wie viel Kleidung meine Mutter in einem dreiviertel Jahr im Pflegeheim wieder hortete. Von dem restlichen Gedöns reden wir gar nicht erst. Das steht in einer Tasche verpackt im Esszimmer und wartet auf Durchsicht.

Kurz durchatmen, mich freuen, dass noch Kaffeebrot da ist und eine Scheibe knabbern, dabei die Mails checken und überrascht feststellen, dass ich durch die Registrierung bei "HVV plus" eine Mepal Lunchbox* bekam - wie schön! Es gibt sie sogar beim Budni in der lindgrünen Hölle, so dass ich gleich nachmittags meinen Gutschein einlösen kann.

Der Maler kommt überpünktlich, um für den Kostenvoranschlag die Aufmaße von Treppenhäusern, Treppen und Küche zu nehmen. Ein Treppenhaus strich schon der Gatte, und so gibt des Maler zu bedenken: "Wenn ich die anderen beiden Treppenhäuser streiche, sehen die aber anders aus als das, das Sie gestrichen haben." Meine knappe Antwort "Das will ich doch sehr hoffen!" bringt ihn kurz aus dem Konzept. 

Wir unterhalten uns darüber, dass weder der Gatte noch ich zwei linke Hände haben und der Gatte das Haus früher in einem Handstreich hätte renovieren können, jetzt dazu aber körperlich nicht mehr in der Lage ist. Das ist schwer zu akzeptieren, und deswegen bin ich froh, dass der Gatte in die Abgabe der Arbeiten einwilligte. Ich meine ja ohnehin, dass ich nicht alles tun muss, was ich tun kann, und habe deswegen keine Probleme damit, Arbeiten abzugeben. Der Gatte sagt gerne, dass ich mit der Hochzeit verlernte, mit Werkzeug umzugehen, er fortan alles machen musste, und damit hat er durchaus recht. Durch seine Erkrankung muss ich jetzt wieder öfter mit Werkzeug umgehen, aber wie gesagt: Ich kann gut Arbeit abgeben. Alles, was mich entlastet, ist willkommen.

Die Tasche mit der Kleidung schnappen, in der Mudderns beigesetzt werden soll, und los zu den Bestattern. Die jungen Männer sind einfach zauberhaft - und sie kennen meine Mutter, haben sich oft mit ihr unterhalten, wenn sie auf den Bänken in der kleinen Kehre, an der das Bestattungshaus liegt, ausruhte. "Schade, jetzt werde ich mich nicht mehr mit Frau H. unterhalten können!", rief dann auch einer der Bestatter aus, als ich ihm mitteilte, dass meine Mutter verstarb. Normalerweise hätte ich das alteingesessene Unternehmen beauftragt, dass schon Großeltern und Vater beisetzte, aber da Mudderns in unseren täglichen Telefonaten immer von den Gesprächen mit den beiden jungen Männern berichtete, sich jedes Mal darüber freute, war klar, dass sie die Beerdigung ausrichten, als Mudderns sich vor einem Vierteljahr anschickte, gehen zu wollen. 

Bei der Kleidung, die ich für Mudderns abgebe, sind auch Brille, Brosche und Uhr - es schien mir unpassend, sie ohne gehen zu lassen, wenngleich ich weiß, dass diese Beigaben weggeworfen werden. 

Gegenüber des Bestattungshauses ist das Standesamt, und draußen wird fröhlich eine Hochzeit gefeiert. 

Nächster Halt ist das Lokal, in dem wir nach der Trauerfeier zusammensitzen werden. Ursprünglich was das nicht geplant, aber Mudderns Schwester kommt, und die kann ich nicht einfach über 300 km fahren lassen, ohne sie zu bewirten. Unprätentiös, wie meine Mutter sein konnte, findet das Beisammensein in dem Lokal statt, in dem wir Ostern, Weihnachten, mit vielen Besuchern und zu allen Geburtstagen zum Brunchen waren. Dort fühlte sie sich wohl. Als der Kellner hört, dass wir nach einer Trauerfeier kommen, bekommen wir den kleinen Extra-Raum des Lokals. Bleibt nur die Frage, wer zur Trauerfeier kommt, ob wir den kleinen Extra-Raum überhaupt füllen können .. Mudderns war in der lindgrünen Hölle zwar sehr bekannt, schaffte es in den letzten Monaten aber auch, sich mit jedem zu überwerfen.

Meine Verabredung teilt mit, dass sie eine Stunde später. Ich könnte jetzt zurück ins Haus, beschließe aber, dass ich mich mit den Traueranzeigen ins Café setze und schon mal die ersten Briefe schreibe - nachdem ich Briefpapier auftrieb.

 Bei Mudderns Lieblingsbäcker sitzen, nachdem die Traueranzeigen von den abgeholt wurden, und schon mal die ersten Briefe schreiben.

Meine Verabredung ist Mudderns Gesellschafterin, die feststellt, dass wir bei zwei unterschiedlichen Bäckern warten. Nun ja, die Straße, an der beide Bäcker liegen, ist lang ... Wir verbringen anderthalb Stunden miteinander und versuchen zu verstehen, was passierte. Vor allem die Frage, warum Mudderns so schnell operiert werden sollte, warum man sie nicht erst stabilisierte, beschäftigt uns. Letztlich ist aber uns beiden klar, dass sie schon seit Wochen gehen wollte, dass der Tod eine Erlösung für sie ist. 

Auf dem Heimweg ins alt-neue Haus verteile ich die ersten Traueranzeigen, und als ich schließlich im Auto sitze, fällt mir auf, dass ich meine Jacke im Haus vergaß. Auf dem Laufzettel, den ich heute akribisch abarbeitete, stand eben nicht "Jacke mitnehmen". Ich entscheide mich gegen das Umkehren und trage in den kommenden Tagen einfach Pulli oder Trench. Bis ich wieder ins echte Büro fahre, habe ich meine Jacke wieder, denn in ihr ist mein Büroschlüssel.

In der alt-neuen Heimat werden die meisten Wege zu Fuß erledigt. Das freut den Schrittzähler.

Die Rückfahrt zieht sich wie die Hinfahrt - vorm Elbtunnel ist gefühlt immer Stau. Gegen halb acht ruft der Gatte an. Er macht sich Sorgen, weil ich eine halbe Stunde überfällig bin. Zu Hause erwartet mich ein übervoller Briefkasten. Meine Kolleginnen haben eine Kondolenzkarte geschickt, was ich sehr nett und anrührend finde. Tantes Geburtstagsgeschenk habe ich in meiner Grundverpeiltheit nach Hamburg bestellt, was sich jetzt als gut erweist, denn sonst stünden wir kommende Woche ohne da, weil wir anders als geplant dieses Wochenende nicht auf der Baustelle sind. Außerdem kamen die Briefmarken für die Traueranzeigen an. Ich habe zwar immer Briefmarken zu Hause, aber weder Benjamin Blümchens "Törööö" noch der Aufruf zur Organspende erscheinen mir passend. Passend wären hingegen die Disney-Marken, weil sich meine Eltern in dem Verlag kennenlernten, der Disney nach Deutschland brachte, aber auch die Disney-Marken wären erklärungsbedürftig. Also gibt es 0815 Marken.

Der Gatte ist so nett, den Salat für das Abendessen zu schnibbeln. Abendessen, dann Füße hoch und stricken. Ich würde es gern ebis zur "heute show" aushalten, schaffe das aber nicht und folge dem Gatten rasch ins Bett. Ich schlafe nach dem abendlichen Lesen* zwar schnell ein, wache aber noch vor Mitternacht wieder auf - Unterleibsschmerzen ...   

Der Blick zurück in die ersten drei Corona-Jahre: Im Mai 2020 war der Gatte noch gesund und in Kurzarbeit, während ich durch die Spontan-Digitalisierung meines Mammutprojekts jede Menge Überstunden ansammelte. Im Mai 2021 war der Gatte schon über ein halbes Jahr krank, stand der zweite Krankenhausaufenthalt unmittelbar bevor. Am 5. Mai 2022 konnte ich den Gatten aus dem Krankenhaus abholen, wo er nach einem Sturz im Urlaub zur Beobachtung war. Im Nachhinein fragt er sich immer wieder, ob dieser Sturz nicht schon ein erster Schlaganfall war, aber das Krankenhaus machte ein CT, wonach der eigentlich ausgeschlossen ist.    

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