Bis Donnerstag früh dachte ich, die Woche wäre für unsere Verhältnisse entspannt. Am Vortag trabte der Gatte mit den vierteljährlichen Labor-Ergebnissen der Nephrologin zum Hausarzt, um sie durchzusprechen und neue Medikation festzulegen. Der Hausarzt war wieder sehr, sehr gründlich, telefonierte wegen unklarer Werte mit der Nephrologin und machte mit ihr aus, dass der Gatte am kommenden Tag nach Hamburg solle zur Blutgas-Analyse. Diese Info kam nur beim Gatten nicht an, warum auch immer. Bei ihm kam an, er solle demnächst mal deswegen einen Termin machen. So war dann Donnerstag Alarm, weil der Gatte nicht in der Praxis war. Gleichzeitig stellte sich heraus, dass der Gatte seit Monaten falsche Medikamente nimmt.
Als im Juni klar war, dass der Gatte mit der Zusammenstellung seiner Tabletten schon länger überfordert war, die Einnahme überwacht werden muss, ich das übernahm, hatte ich einen Medikamentenplan aus März 2023. Der aktuelle Plan aus April 2024 war verschwunden. Zum Glück hatte ich ihn fotografiert und trug die Änderungen auf dem anderen ein, notierte auch die Änderungen aus Juni, an die sich der Gatte erinnerte. Allerdings erinnerte sich der Gatte nicht mehr daran, dass viele Medikamente reduziert, zwei abgesetzt wurden ... Donnerstag trabte er also zum Hausarzt und holte sich einen aktuellen Medikamentenplan ab, den ich gleich sicherte. In der nächsten Stunde hatte ich viel Spaß, die Tablettenboxen für drei Wochen zu aktualisieren.
Freitag fuhren wir dann vor Tau und Tag zur Nephrologin, denn sie war so nett, den Gatten zwischenzuschieben, und nun warten wir auf Montag, wenn das Ergebnis der Blutgas-Analyse vorliegt. Der Gatte wird vorerst keinen Arzttermin alleine wahrnehmen, um solche Missverständnisse zukünftig zu vermeiden. Heißt für mich einmal mehr, meine Planungen vom Gatten abhängig zu machen, aber es nützt ja nichts.
Kurz war ich so fertig, dass ich überlegte, aufzuhören zu arbeiten, weil ich nicht mehr weiß, wie ich alles unter einen Hut bekommen soll (und dass ich auf der Strecke bleibe, ist eh klar). Davon ab, dass mir die Arbeit gut tut und Spaß macht, wüsste ich ohne nicht, wovon ich leben sollte. Drei Jahre würde ich gerne noch arbeiten, ehe ich ans Aufhören denke (was ohnehin nur geht, wenn ich weiß, wovon ich lebe). Sollte der Gatte tatsächlich eine Pflegestufe bekommen, könnte ich mich unter bestimmten Umständen von der Arbeit freistellen lassen. Das könnte Erleichterung bringen. Bislang nehme ich mir für die Termine Urlaub, der aber quasi aufgebraucht ist, oder bummle Überstunden ab.
Ich machte aufgrund der Labor-Ergebnisse für den Gatten einen Termin beim Diabetologen, und auch hier stellte sich heraus, dass man ihn vermisste, denn die Info, dass er sich dort vierteljährlich vorstellen sollte, kam nicht bei ihm an. Er verstand, er müsse gar nicht mehr kommen, außer, er brauche Rezepte. Auch beim Diabetologen war ich über die Sorgfalt sehr überrascht: Erste Frage war, ob er Probleme mit den Füßen bzw. Wunden habe, denn dann könne er sofort kommen! Den bisherigen Diabetologen kümmerte so etwas nicht.
Dass der Gatte seit zwei Tagen weniger Medikamente nimmt, scheint sich prompt auf die Gastroparese, unter der er seit Jahren leidet, auszuwirken. Der Hausarzt bat zudem den Diabetologen zu prüfen, ob noch ein weiteres Medikament, das ebenfalls Gastroparese auslösen kann, abgesetzt werden kann. So viel Sorgfalt legten die früheren Ärzte des Gatten nicht an den Tag!
Hier gilt seit mittlerweile 228 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. Es geht uns dennoch vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich die Erkrankungen und der Schlaganfall des Gatten zu Wesensveränderungen führten, die ein Zusammenleben manchmal sehr schwer machen.
Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona bislang Gatten, Schwiegermutter und Tante verschonte und hoffe sehr, das bleibt so.
Im Büro ist es einigermaßen ruhig, so dass ich dazu komme, einige Sachen aufzuarbeiten. In den kommenden beiden Wochen ist meine Vertretung im Urlaub, und ich hoffe, es bleibt ruhig.
Das Pendeln wird zukünftig erschwert: Es fährt nur noch ein Zug pro Stunde, weil Lokführer fehlen. Als wir uns vor zwei Jahren zum Umzug entschlossen, waren es noch drei pro Stunde! Ich vermute, die Anzahl der Züge entspricht der vor 63 Jahren, als meine Eltern in die lindgrüne Hölle zogen. Ich muss direkt mal schauen, ob ich noch ein altes Kursbuch finde. Damals versprach man ihnen den baldigen S-Bahn-Anschluss. Der fehlt bis heute. Das, was fährt, ist überfüllt und verspätet. Nach den Sommerferien wird es noch schlimmer werden. Wie der Bahnsteig in Hamburg üblicherweise aussieht, kannst du auf diesem Foto sehen. Weil das der Normalzustand ist, habe ich Angst um den Gatten, denn geh- und sehbehindert kann er leicht ins Gleis stürzen. Außerdem kann er nicht lange stehen. Sitzgelegenheiten gibt es auf dem Bahnsteig kaum, und im Zug macht auch kaum jemand Platz.
Ich überlege, ob ich zumindest an dem Tag, an dem ich abends nicht zur Therapiegruppe muss, meine Arbeitszeit so lege, dass ich einigermaßen staufrei mit dem Auto fahren kann. Dann müsste ich nochmal eine Stunde früher los als jetzt, müsste mich aber nicht mit überfüllten und verspäteten Zügen herumplagen. Staus sind zudem berechenbarer als Zugausfälle und Verspätungen. Eigentlich ein Unding!
Die Krankenkasse des Gatten rief an wegen des Antrags auf Pflegestufe, und erst, als der Brief kam, in dem angekündigt wurde, dass der Medizinische Dienst sich melden wird, begriffen wir, dass dieses Telefonat die großartig beworbene Pflegeberatung war! Im Antrag wies die Krankenkasse extra darauf hin, dass sie dazu verpflichtet wäre, so eine Pflegeberatung anzubieten, die sehr detailliert wäre usw. Nun, das Telefonat dauerte keine fünf Minuten, und der Gatte befand, das hätte er sich auch schenken können. Mal schauen, wann sich der Medizinische Dienst meldet und ob es dieselbe Mitarbeiterin ist wie bei meiner Mutter.
Gestern erfuhr ich, dass Kinky Friedman vor einem Monat starb (hier ein Nachruf). Ich hatte das Glück, ihn live in der "Fabrik" erleben zu dürfen. Es war eines der ersten Konzerte, das ich zusammen mit dem Gatten besuchte, und auch ihm gefiel der Kinkster. Hier eines meiner Lieblingslieder von ihm: