Mittwoch, 26. August 2015

Blogger für Flüchtlinge oder: Menschsein statt Deutschsein

Danke an tollabea für das Logo!
Im September 1991 war ich, wie so oft in den 1990er Jahren, mit einigen anderen jungen Deutschen für einige Wochen in Israel, als abends in den israelischen Nachrichten Bilder von rassistischen Übergriffen in Hoyerswerda über den Schirm liefen.

Wir waren entsetzt, sprachlos. Später diskutierten wir mit den Israelis, bei denen wir zu Gast waren, wie es zu den Pogromen kommen konnte. Einhellige Meinung bei uns jungen Deutschen: "Das sind Einzelfälle! Das kriegen wir in den Griff!"

Mitreisende aus Berlin, Brandenburg und Dresden berichteten zwar von Nazi-Übergriffen auf Jugendcamps oder darüber, dass sie sich besser nicht als Juden zu erkennen geben, aber dennoch war die einhellige Grundstimmung: "Wir schaffen es, mit den Nazis fertig zu werden! Das sind nur ein paar wenige Unverbesserliche!"

Kaum wieder zurück, fand ich mich als Nachtwache in der Schalom-Gemeinde in Norderstedt wieder. In dieses Kirchenasyl flüchteten Menschen nach gewalttätigen Übergriffen auf ihre Unterkunft in Greifswald, aber auch hier war die Sicherheit nur vermeintlich: Es gab immer wieder Ankündigungen von Nazi-Übergriffen auf die Kirche, und deswegen die Nachtwache. Es blieb nicht bei der einen.

Ein knappes Jahr später, im August 1992, war ich wieder für einige Wochen in Haifa und sah im gleichen Wohnheim auf dem gleichen Fernseher fast die gleichen Bilder, diesmal von den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen.

Wieder diskutierten wir, wieder waren wir der Meinung, das Nazi-Problem bekommen wir in den Griff. Die im Osten haben nur Angst vor dem Fremden, die hatten ja keine Chance, andere Nationalitäten kennenzulernen, rauszukommen. Das wird sich geben, wenn die die Welt  und ihre Menschen erst kennenlernen.

Dann kamen Mölln und Solingen, später Lübeck. Und unzählige andere Städte - seit 1990 gibt es fast 200 Tote durch rechtsextreme Gewalt in Deutschland, auch wenn Pogrome Gott sei Dank die Ausnahme sind. Hinzu kommen die steigenden Übergriffe auf Flüchtlingsheime: Bis gestern Abend brannten in diesem Jahr 20 Unterkünfte, und ich fürchte, heute früh, wenn dieser Beitrag online geht, wird es wieder eine mehr sein.

Übrigens: Unter den Toten, die die aktuellen Nazis zu verantworten haben, sind auch Obdachlose - gerade die Gruppe, auf die die aktuellen Nazis verweisen, wenn es darum geht, zu begründen, warum in Deutschland kein Platz für Flüchtlinge ist.

Das zeigt, wie perfide die Nazis sind: Wenn es ihnen in den Kram passt, wollen sie, dass der Staat Verantwortung für Obdachlose übernimmt (nie kämen sie auf die Idee, einen Obdachlosen aufzunehmen, während sie umgekehrt verlangen, die, die sich schützend vor die Flüchtlinge stellen, sollten auch privat welche aufnehmen), ansonsten treten sie obdachlose Menschen tot.

Ganz ehrlich, ich habe keinen Bock mehr, die 1990er Jahre noch mal zu erleben! Ich habe seit Monaten die Schnauze gestrichen voll von dem brauen Pack, das sich beispielsweise in und um Dresden trifft, angeführt von einem Kriminellen und einer durchgeknallten Schrei-Else, und meint, es sei das Volk. Nein, Ihr seid nicht das Volk! Ihr seid braunes, empathieloses, oft verblödetes, bildungsresistentes Pack, der personifizierte Kälbermarsch!

Gleichzeitig bin ich mir aber auch ziemlich sicher, dass wir die 1990er Jahre hinter uns ließen, dass sich Hoyerswerda, Lichtenhagen, Mölln, Lübeck und Solingen nicht wiederholen werden, und zwar nicht nur, weil sich die Pogrome heute in Freital oder Heidenau abspielen, sondern weil nicht nur die Kinder des braunen Packs erwachsen wurden und zu oft das Verhalten ihrer Eltern fortführen, sondern weil auch die Kinder derer, die sich schon damals diesem Pack entgegenstellten, heute Position beziehen.

Ich bin froh und dankbar für das Durchhaltevermögen derer, die sich in Leipzig, Dresden, Freital, Meißen, Heidenau und anderen Orten Woche für Woche, Tag für Tag, schützend vor Flüchtlinge stellen, unermüdlich und kreativ. Ich bin froh über Bürgermeister, die Tacheles reden und "Jetzt erst recht!" zur Unterbringung von Flüchtlingen sagen, wenn eine geplante Unterkunft in Brand gesetzt wird.

Und ich bin stolz auf Hamburg, meine Stadt, deren Menschen sich der Herausforderung stellen, unzählige Menschen aufzunehmen. Sicher, vieles ist nicht perfekt. Sicher, die Unterbringung könnte sehr viel besser sein. Sicher, es gibt auch hier Hassbürger, nicht nur in Harvestehude, sondern auch in meinem Wohnblock, in dem eigentlich ohnehin immer mindestens vier jährlich wechselnde ausländische Soldatenfamilien leben. Aber, so erklärte mir letztens eine Nachbarin, das sei ja etwas anderes. Warum das etwas anderes ist, konnte sie mir nicht erklären. Sie spricht jetzt nicht mehr mit mir. Meine Worte zu ihrer Haltung waren wohl zu deutlich ... Davon ab: Die generelle Hilfsbereitschaft der Bevölkerung finde ich immer wieder überwältigend.

Als eine, die fast zwanzig Jahre in der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung arbeitete, vertraue ich auf die Kraft der Bildung. Dass bei vielen Hassbürgern anscheinend Bildung nicht nur kostenlos, sondern umsonst gewesen ist, macht mich immer wieder sprachlos. Dass so viele Menschen ohne Herz und Hirn existieren können, ist unvorstellbar. Dass ihnen niemand Moral und Werte vermittelte, ebenso.

Andererseits: Wo sollen Moral und Werte, Herz und Hirn herkommen, wenn wie in Freital Mutter und Tochter gemeinsam gegen Flüchtlinge hetzen?! Und dann fühlen sie sich auch noch so deutsch, dass sie meinen, kein Deutsch können zu müssen, weder in Wort noch in Schrift. Fast bin ich versucht zu sagen, viele Hassbürger befinden sich auf dem Sprachniveau eines Primaten, nur: Die Primaten können sich verständlicher artikulieren.

Dennoch: Ich glaube an die Kraft der Bildung. Ich kann nicht anders. Und weil ich an die Bildung glaube, bin ich verdammt stolz, dass in Hamburg die Flüchtlingskinder vom ersten Moment an, also noch in der Zentralen Erstaufnahme, beschult werden. Das ist bundesweit einmalig. Die Lehrerinnen und Lehrer machen einen guten Job, mit viel Herzblut und Engagement. Und der Lerneifer der kleinen Neuankömmlinge ist bemerkenswert. Nach kurzer Zeit können sie besser Deutsch als mancher seit Jahrzehnten hier lebender Hassbürger.

Danke an Ralph Ruthe!
Seit diesem Wochenende gibt es die Initiative "Blogger für Flüchtlinge", ins Leben gerufen von Paul Huizing, Stevan Paul, Karla Paul und Nico Lumma.

Die Idee ist einfach: Trete für die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, ein, indem Du die Medien nutzt, die Dir zur Verfügung stehen. Schreibe im Blog, bei Facebook oder Twitter mit dem Hashtag #bloggerfuerfluechtlinge und verweise gerne auf die Spendenseite für viele Projekte bei betterplace.org. Wenn Du kannst, spende.

Nimm nicht hin, dass Nazis und Rassisten ungehindert ihren Müll in den sozialen und digitalen Medien verbereiten und sich zusammenrotten können. Zugegeben, es hat wenig Sinn, mit Nazis zu diskutieren, aber dennoch finde ich es wichtig, es immer wieder zu versuchen - und wenn nur einer zum Denken bewegt wird, ist schon was erreicht. Eine Übersicht mit Gegenargumenten zu den häufigsten Vorurteilen findest Du unter anderem hier.

Wenn Du nicht diskutieren magst, dann zeige die, die rassistischen Müll verbreiten, wegen Volksverhetzung an - das geht auch anonym und online, zum Beispiel beim LKA Baden-Württemberg oder bei der Onlinewache Deines Bundeslandes.

Oder engagiere Dich vor Ort in einer der vielen Initiativen für Flüchtlinge. Bei Mama notes gibt es eine Übersicht verschiedener Initiativen, in Hamburg sind ehrenamtliche Projekte hübsch übersichtlich aufgedröselt auf der BASFI-Seite.

Klasse finde ich auch die Initiative von Budni: In vielen der Drogerie-Märkte stehen Sammelboxen für Hygieneartikel für Flüchtlinge (entweder direkt im Markt oder woanders gekauft - wichtig ist nur, dass die Artikel neu und unbenutzt sind). Bei Facebook aktualisiert Budni die Standorte ständig. Edeka Niemerszein hat eine ähnliche Initiative.

Oder lade Menschen zum Essen ein, mache ein Welcome Dinner. Du hast ein Zimmer frei? Prima, darin könnte ein Flüchtling willkommen sein! Das Wichtigste aber ist: Sei laut, wenn jemand meint, rassistischen, nazistischen Müll verbreiten zu müssen. Bezieh Stellung! Klare Kante gegen rechts! Wir haben keine andere Wahl.

Kurz und bündig: Tu, was Du kannst, um den Nazis zu zeigen, dass sie nicht das Volk sind! Sei Mensch!

Übrigens: Falls Du keinen eigenen Blog hast, aber trotzdem im Sinne von "Blogger für Flüchtlinge" Stellung nehmen möchtest, melde Dich gerne für einen Gastbeitrag hier im Blog.

Freitag, 14. August 2015

Rezension: "Die Geschichte meiner Familie in Äxten und Sägen" von Levi Henriksen

Mikael Hildonen ist Anfang 30, lebt mit seinen Eltern und seiner Nichte auf einem Waldgrundstück in einem kleinen norwegischen Ort an der schwedischen Grenze und arbeitet für einen Hauspflegedienst. Im Großen und Ganzen verläuft sein Leben ruhig.

Dann aber wird seine 13jährige Nichte vom Jugendamt abgeholt und in eine Pflegefamilie gebracht, weil man glaubt, sie sei bei Großeltern und Onkel nicht gut aufgehoben, nachdem ihre Mutter starb. Der leibliche Vater, Mikaels Bruder, interessiert sich nicht für das Kind, das einem One Night Stand entsprang.

Mikael setzt mit seinen Eltern alles daran, seine Nichte zurück in die Familie zu holen. Im Laufe des Romans erkennt er auch, dass es sich nicht nur lohnt, um seine Nichte zu kämpfen, sondern auch um seine Kollegin Kristine - und um sich selbst. Zu allem Überfluss stehen auch noch vier rabiate Schuldeneintreiber vor seiner Tür.

Plötzlich lastet ganz schön viel auf Mikaels Schultern. Er erkennt, dass es besser ist, sich der Vergangenheit zu stellen, so schmerzhaft sie auch sein mag, um eine Zukunft zu haben.

Bei der Auswahl dieses Buches ging ich nach dem Titel, der so wunderbar skurril ist und sich wie folgt erklärt: "Die anderen Leute im Dorf blätterten gern in morschen Familienbibeln, wenn sie über ihre Herkunft sprachen. Bei Familie Hildonen gab es keine solchen Bücher, dafür hingen an der Scheunenwand die Sägen und Äxte seiner Vorfahren, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichten."

"Die Geschichte meiner Familie in Äxten und Sägen" von Levi Henriksen ist ein schräger Familienroman mit sympathischen Protagonisten. Henriksen schreibt flüssig, die Geschichte ist mitreißend, kurz: Es macht Spaß, dieses Buch zu lesen!

Fazit: "Die Geschichte meiner Familie in Äxten und Sägen" ist eine wunderbare Lektüre für faule Urlaubstage oder lange Herbst- und Winterabende. Unbedingt lesen!

Verlagsangaben zum Buch: Levi Henriksen / Die Geschichte meiner Familie in Äxten und Sägen / Roman / Originaltitel: Dagen skal komme med blå vind / Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs / Taschenbuch / 384 Seiten / ISBN: 978-3-442-74470-1 / € 9,99 / Verlag: btb

Hier geht's zur Leseprobe.

Vielen Dank an btb für das Rezensionsexemplar!

Affiliate link zu diesem Buch und zu anderen Büchern von Levi Henriksen:

Freitag, 7. August 2015

H54F - High 5 for Friday #32/2015

Vor vier Wochen teilte uns unser Vermieter mit, dass auch in diesem Jahr ein Gerüst in unserem Garten stehen wird - das dritte Jahr in Folge, in dem wir den Garten im Sommer nicht nutzen können, und ausgerechnet jetzt wollten wir unseren Sommerurlaub zu Hause verbringen.

Mehr noch: Unser Garten muss komplett zurückgebaut werden, weil nicht nur an den Balkonen über unserer Wohnung gearbeitet werden soll, sondern an der kompletten Fassade - für mindestens 12 Wochen. Angesichts dieser Nachricht nahm ich mir erstmal einen Nervenzusammenbruch.

Wir wohnen in dieser Wohnung seit 12 Jahren. Es gab kein Jahr, in dem wir seitens des Eigentümers nicht von irgendwelchen Sanierungen betroffen waren. Selbst, wenn bei uns in der Wohnung nichts gemacht wurde, wurden die Soldatenwohnungen nach dem jährlichen Bettenwechsel saniert, wurde die Heizungsanlage erneuert ... Hatten wir mal unter der Woche frei, war selten an Ausschlafen zu denken.

Als ich noch von Zuhause aus arbeitete, flüchtete ich mich manches Mal in eine Bibliothek, um in Ruhe arbeiten zu können.  Wäre die Wohnung nicht so gut geschnitten und verhältnismäßig günstig, hätten wir uns schon lange eine andere gesucht, aber das, was wir haben möchten, kostet an Kaltmiete inzwischen locker das anderthalbfache unserer Warmmiete.

So haben wir uns damit abgefunden, dass die jährliche Mietminderung die Kosten für einen Urlaub deckt. Aber wie eine Nachbarin mal so treffend sagte: "Man würde ja gerne die volle Miete zahlen, wenn dafür endlich mal alles in Ordnung wäre und man in Ruhe wohnen könnte." Sie ist von dem ganzen Theater nämlich noch mehr betroffen als wir, da sie ihre Wohnung aus Altersgründen kaum noch verlassen kann. Insofern jammern wir auf hohem Niveau, ich weiß.

Den Garten verlieren wir nun schon zum zweiten Mal. 2004 hatten wir ihn angelegt, 2006 wurde er zurückgebaut, weil die Fassade gedämmt werden sollte. Glück im Unglück war, dass ich in diesem Jahr durch des Gatten Reha nicht so viel pflanzte.

Die Zerstörung unseres Gartens ist natürlich kein Highlight, aber der Anlass für das erste Glücksgefühl in dieser Woche:

1. Als meine Freundinnen merkten, wie schlimm es für mich ist, den Garten aufzugeben, erklärten sich A. und G. sofort bereit, uns zu helfen. Mehr noch: Sie arbeiteten einen Nachmittag lang wie die Tiere, um etwa 600 Liter Erde aus den Hochbeeten zu entfernen, stapelten das Altholz gleich in mein Auto, bekämpften Efeu-Wurzeln, topften Himbeeren, Rosen, Farne, Sauerampfer uvm. um, bewegten tonnenschwere Töpfe, ließen sich auch durch unverhofft auftauchende Pflastersteine nicht aus dem Konzept bringen ... Sie waren ein Segen! Ohne die beiden hätten wir den Rückbau nie so schnell geschafft.

2. Meine Freundinnen kommen nicht nur zum Arbeiten, sie bringen auch noch Geschenke mit - selbstgemachten Gravad Lax beispielsweise. Den gab's Sonntag Abend zum Tatort mit Silvaner und Edamame-Salat.

3. Ich habe zwei Wochen Vertretungsdienst mit Kollegin II ohne größere Blessuren überstanden. Dadurch, dass Blaumann I, für den ich während der Vertretung verantwortlich bin, selbst im Urlaub war, konnte ich die meiste Zeit in meinem eigenen kleinen Büro sitzen, so dass es kaum Berührungspunkte gab. Wie beim Coaching besprochen, benahm ich mich ganz normal, ging nicht mehr auf ihre Marotten ein.

Dass auch das letzte Team-Gespräch mit Kollegin II nicht fruchtete, zeigte sich vorgestern, als sie ohne Übergabe und ohne Urlaubsantrag in den Urlaub verschwand. Zwar vertrete nicht ich sie, sondern Kollegin I, aber die rief mich gestern gleich zu Hilfe, weil überhaupt nicht klar war, ob die Dienstreise für Blaumann II in der nächsten Woche gebucht ist oder nicht, und falls nicht, wie man sie bucht.

Hätte es eine Übergabe gegeben, wäre das geklärt, hätte sie gewusst, wie das Buchungssystem funktioniert (sie muss Dienstreisen anders buchen, ich vertrete beide Kolleginnen, kann also zwangsläufig beide Buchungssysteme).

Nicht zum ersten Mal hatte ich übelst Lust, nicht die Kohlen für Kollegin II aus dem Feuer zu holen, aber dann kann ihr Blaumann halt nicht arbeiten. So vertuschen wir ein ums andere Mal ihre Unfähigkeit, damit die Arbeit läuft. Irgendwie unbefriedigend, aber solange die Chefs nicht reagieren, nicht zu ändern.

4. Während des Mittagspausenbummels sah ich einen kleinen Jungen mit Kippa. Kippot fehlen wir im Straßenbild - während meiner Zeit in Israel waren sie normal - und ich freue mich immer, wenn ich Jungen oder Männer sehe, die eine tragen.

5. Chef II schenkte mir zum Abschied eine Lego-Brotdose. Er wusste, dass ich schon eine Vierer-Brotdose habe und fand, die achter wäre eine schöne Ergänzung. Ich bin traurig, dass Chef II die Abteilung verlässt. Auch, wenn er nur ein Stockwerk tiefer zieht, werden wir nicht mehr so viel miteinander zu tun haben, und seine Nachfolgerin empfand ich bislang nicht sehr sympathisch. Vielleicht kommt das noch.

Und wie war Deine Woche? Magst Du sie bei der Wöchentlichen Linkparty von Pünktchen und Viktoria mit der Welt teilen? Hast Du Pläne für das Wochenende?

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Sonntag, 2. August 2015

Rezension: "Troll" von Stefan Spjut

Um "Troll" von Stefan Spjut machte ich lange einen Bogen, denn die Handlung erschien mir doch zu gruselig. Auf keinen Fall wollte ich das Buch lesen, wenn der Gatte in der Reha ist. Nicht, dass ich dem Großen Dicken Fetten Müffelhasen, einem einen Meter langen wie breiten Plüschhasen, mit dem ich in des Gatten Abwesenheit das Bett teile, nicht zutraue, mich vor eventuellen Nachtmahren zu schützen, aber sicher ist sicher.

Schließlich wird Stefan Spjut mit Stephen King verglichen, und den lese ich nicht - zu gruselig für eine, für die "Bambi" ein Horrorfilm ist. Aber die Geschichte um Susso, die davon ist überzeugt, dass es übernatürliche Wesen gibt, hörte sich dann doch so spannend an, dass ich mir dachte, da komme ich schon irgendwie durch.

"Troll" spielt in den einsamen winterlichen Wäldern Schwedens, wo man kilometerweit vom nächsten Nachbarn entfernt lebt. Ich konnte diese weite Landschaft als Kind öfter erleben und war nachhaltig davon beeindruckt.

Zur Handlung: An einem Sommertag läuft der kleine Magnus in Nordschweden in den Wald und kehrt nicht mehr zurück. Seine Mutter behauptet, ein Riese habe ihn entführt. Jahre später verschwindet wieder ein Junge, und wieder soll ein Troll ihn geholt haben. Alles nur Aberglaube, wie die Polizei meint? Susso nimmt die Fährte auf. Ihre Suche führt sie in eine geheimnisvolle, archaisch anmutende Welt, deren Bewohner sich mit roher Gewalt gegen Eindringlinge wehren.

Dass Susso überzeugt von der Existenz übernatürlicher Wesen ist, liegt an einem Foto, das ihr Großvater, ein berühmter Naturfotograf, auf einem seiner Flüge aufnahm. Es zeigt einen kleinen Jungen, der nackt auf dem Rücken eines Bären reitet. Susso richtet eine Website über Kryptozoologie ein, über die sie schließlich von Edit kontaktiert wird. Edit sah ihren Enkel im Gespräch mit einem aus dem Stallovolk, wie diese mystischen Wesen in Schweden heißen, und macht sich Sorgen - zurecht.

Susso wird mehrfach eindringlich davor gewarnt, ihre Nachforschungen fortzusetzen. Ihre Hartnäckigkeit bringt sie und ihre Familie in Gefahr und die uralte Symbiose zwischen Stallovolk und Menschen ins Wanken. Dabei wird schnell klar, dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, dass es mehr gibt als Gut und Böse und dass ein Eichhörnchen nicht unbedingt harmlos ist.

Wenn sich die geneigte Leserin auf die sich langsam entwickelnde Handlung einlässt, wird sie immer mehr in den Bann des Stallovolkes gezogen. Spjut arbeitet in "Troll" mit zwei Handlungssträngen und drei Perspektiven, was für grundverpeilte Frettchen wie mich gelegentlich etwas verwirrend war, da ich bei einem Perspektivwechsel immer wieder kurz brauchte, bis ich in die Handlung fand. Gelegentlich hätte ich mir auch Erklärungen für die gewünscht, die in der skandinavischen Mythologie, aber auch im skandinavischen Christentum nicht so ganz zu Hause sind - Laestadianer beispielsweise sagten mir auf Anhieb gar nichts.

Spjuts Sprache ist atmosphärisch dicht und eindringlich. Das düstere Horrorszenario, das er heraufbeschwört, kommt langsam in Fahrt - zu Anfang hat "Troll" Längen, aber das Durchhalten wird belohnt. Mich hat's nicht gewundert, dass die Filmrechte des Buches schnell verkauft waren, und ich freue mich auf die Verfilmung (zumal sie vermutlich auch temporeicher ist als das Buch).

Fazit: "Troll" beginnt langsam, aber die Handlung entwickelt sich immer rasanter. Wer sich von gelegentlichen Längen nicht schrecken lässt, wird an diesem ungewöhnlichen skandinavischen Roman seine Freude haben.

Verlagsangaben zum Buch: Stefan Spjut / Troll / Roman / Originaltitel: Stallo / Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt / Gebundenes Buch mit Schutzumschlag / 480 Seiten / ISBN: 978-3-8135-0535-1 / € 22,99 / Verlag: Knaus

Hier geht's zur Leseprobe.

 Vielen Dank an Knaus für das Rezensionsexemplar.

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