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Im Zieleinlauf des Hamburger Triathlons letzten Sonntag - nein, ich lief nicht mit, musste nur vorbei. |
"Machen wir das Richtige?" frug der Gatte am Sonntag, nachdem wir seiner Mutter mitteilten, dass wir umziehen werden. Sie reagierte not amused, gelinde gesagt. Es zeigte sich, was ich schon länger ahnte: Sie wählte die Seniorenwohnanlage, in die sie vor zwei Jahren zog, weil sie in unserer Nähe ist, und geht seitdem hartnäckig davon aus, dass sie Zeit bei uns verbringen wird, sich bei uns um Haushalt und Garten kümmern wird. Der Gatte übersah dieses Ansinnen bislang beharrlich, überhörte die Zwischentöne.
Im letzten Sommerurlaub gestaltete Schwiegermutter ja ungefragt schon den Garten um, und auch jetzt will sie ständig zum Heckeschneiden, Rasenmähen usw. kommen. Sie versteht auch nicht, warum der Gatte nicht jeden freien Moment mit ihr verbringt. Es war wohl ganz gut, dass wir sie jetzt schon von unseren Plänen unterrichteten, denn so hat sie noch gut anderthalb Jahre Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie 80 km von ihrem Sohn getrennt ist. Der sieht die Entfernung sehr gelassen, dachten wir im Ruhestand doch schon an einen Umzug nach NRW oder Hessen. Ich bin gespannt, welche Steine uns Schwiegermutter vor die Füße werfen wird.
"Machen wir das Richtige?" fragten wir uns auch Dienstag, als wir in einer Arbeitspause auf Mudderns Terrasse, die jetzt irgendwie unsere ist, saßen und in den Garten blickten. Am Vormittag konnte ich kurz mit Mudderns schnacken, als sie mit ihrer Gesellschafterin auf dem Weg in die Stadt war, und war gerührt, als sie mir ihren Haustürschlüssel in die Hand drücken wollte. Den soll sie aber erstmal behalten.
Als ich Freitag bei Mudderns war, endlich mal in Ruhe mit ihr sprechen und sie dazu animieren konnte, mit mir zusammen das Heim anzusehen, war klar, dass wir das Richtige machen. Mudderns erklärte einer Mitbewohnerin: "Ich wohne jetzt hier. Früher habe ich in der Siedlung gegenüber gewohnt. Da wohnt jetzt meine Tochter." Mudderns hat sich in einem klaren Moment dazu entschieden, nach der Kurzzeitpflege im Pflegeheim zu bleiben. Da ich schon ahnte, dass sie nicht mehr alleine leben kann, steht sie auch schon seit zehn Tagen auf der Warteliste für ein Einzelzimmer. Die Wartezeit ist blöd, denn im Doppelzimmer fühlt sie sich nicht richtig heimisch, kann nicht wirklich ankommen. Ich kann das verstehen, aber nicht ändern. Wir haben darüber gesprochen, wie wir das Haus für sie sturzsicher umbauen könnten, aber dann wäre sie den ganzen Tag alleine, und genau das möchte sie nicht. Also bleibt erstmal nur der Schwebezustand. Alles muss sich erstmal einspielen. Der Platz im Doppelzimmer war übrigens wirklich ein Lottogewinn, denn am Tag nach Mudderns Einzug wurde ein Aufnahmestopp verhängt! Das Heim leidet unter Personalknappheit, verstärkt durch Urlaub und Corona.
Mudderns spielt auch im Pflegeheim gerne ihre Spielchen, genießt es, im Bett zu liegen und sich bedienen zu lassen, was auch den Pflegekräften schon auffiel, ist neidisch auf die Bettnachbarin, die sich nicht mehr selbst waschen oder anziehen kann, dementsprechend behandelt wird - das hätte Mudderns auch gerne, also beschwert sie sich, dass die Bettnachbarin angeblich alle Aufmerksamkeit bekomme, sich niemand um sie kümmere. Das stimmt so natürlich nicht. Mudderns redet sich auch ein, das Bett nicht verlassen zu dürfen. Sie könnte sich auch darüber freuen, dass sie noch so selbstständig ist, aber das entspricht nicht ihrem Naturell.
Ich hoffe, es hilft, dass wir uns gestern die Sitzecken anguckten (in einer gibt es sogar einen Bücherschrank, aus dem sich Mudderns gleich bediente) und den Garten. Da sich Mudderns beklagte, ohne "Stadtplan" fände sie sich unmöglich zurecht, habe ich von jedem Stockwerk, in dem wir waren, den Fluchtplan fotografiert und eingezeichnet, wo ihr Zimmer ist, wo sie isst (aktuell wegen kaputter Füße noch im Gemeinschaftsraum in ihrem Wohnbereich, später im schönen Speisesaal mit Dachgarten), wo die Sitzecke mit Bücherschrank ist und wo der Garten. Ich hoffe, sie verlässt dann auch öfter mal ihr Bett. Heute ist im Heim Erdbeerfest, und ich hoffe, die Pflegekräfte schaffen es, Mudderns zur Teilnahme zu motivieren. Ich bin gespannt, was sie erzählt, wenn wir uns morgen sehen. Eine Überraschung wäre es, wenn sie wie abgesprochen tatsächlich auf der Bank vor dem Haus auf mich wartet. Aber damit rechne ich nicht, denn ich vermute, das hat sie sich nicht gemerkt.
Seit Freitag spätestens sind wir überzeugt, dass wir das Richtige machen. Während ich bei Mudderns war, verbrachte der Gatte viel Zeit mit Arbeiten im Haus und auf der Terrasse, und als ich zurückkam, war er begeistert von der Stille - anders als bei uns fehlen Verkehrslärm, Sirenen, Bolz- und Brüll-Blagen. Stattdessen freute er sich über die Kirchenglocken zu Mittag, wenngleich die nicht jeden Tag läuten, nur freitags bei Hochzeiten, aber das wird er merken. Und es fühlt sich einfach gut an, in das Haus zu kommen, schon ein bisschen wie Nachhausekommen, auch wenn im Haus natürlich noch immer alles an Mudderns erinnert. Das wird auch noch länger so bleiben, denn solange wir nicht sicher wissen, welche Kleinmöbel und Erinnerungsstücke sie mit in ihr Einzelzimmer nehmen wird, können wir nicht richtig entrümpeln. Gleichzeitig leert sich das Haus peu à peu, denn alles, was sie sicher nicht mitnimmt, wir nicht behalten wollen, wird verkauft, verschenkt oder geht in den Müll. Und wenn dann das Haus leer ist, müssen die bisherige Wohnung und das Lager leer werden ...
Der Müll macht uns aktuell irre, denn Mudderns hat zum einen nur eine 40-Liter-Restmülltonne, die nur alle vier Wochen geleert wird, zum anderen gelten in dem Landkreis ganz andere Müllregeln als bei uns. So werden bei uns in der gelben Tonne Wertstoffe generell gesammelt, bei Mudderns hingegen nur Leichtverpackungen, und ob wir auf dem Wertstoffhof auch Sperrmüll anliefern dürfen, konnten wir partout nicht herausfinden. Der Gatte schlug pragmatisch vor, den Müll einfach in Hamburg zu entsorgen, denn da wissen wir, wie's geht ... Parallel haben wir einige Beistellsäcke gekauft, aber ich mag es den Nachbarn, die aktuell Mudderns Tonne zur Straße schieben, nicht zumuten, auch noch die Säcke zu schleppen. Die Abfuhrtage sind unregelmäßig, so dass wir es nur selten schaffen, am Vortag da zu sein, um die Tonnen und Säcke selbst zu schleppen.
Der Gatte hat sich entschieden, so viel wie möglich im Haus selbst zu machen, einerseits, um Geld zu sparen, andererseits, weil er Spaß daran hat. Ich hatte die Befürchtung, dass ihm das viel zu viel wird, aber er blüht von Tag zu Tag mehr auf, bekommt leuchtende Augen, wenn er von seinen Plänen redet. Er ist die personifizierte Baumarkt-Werbung. Ich hoffe sehr, dass er sich nicht übernimmt. Kommende Woche stehen Terminvereinbarungen mit Elektriker, Netzwerktechniker und Klempner an, und ich bin froh, dass mir der Gatte das abnimmt. Sein Gesundheitszustand ist weiterhin wackelig, aber ich höre auf besorgte Nachfragen immer öfter öfter: "Doch, das schaffe ich!" Sobald wir Internet haben, ich von dort aus arbeiten kann, kann auch der Gatte richtig loslegen, werden wir immer ein paar Tage am Stück im Haus sein, können uns dann auch selbst um die Mülltonnen kümmern.
Hier gilt seit mittlerweile 122 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.
Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist sie aber unvermeidbar, und ich kann nur hoffen, dass es uns dann nicht zu hart trifft.
Die hohen Coronazahlen sind überall spürbar. Zwar nutze ich nicht mehr die Teststationen, seitdem sie für mich kostenpflichtig sind, sondern die Testmöglichkeit im Pflegeheim, sehe also nicht mehr, wie viele Menschen für einen PCR-Test anstehen (den ja ohnehin nur wenige bekommen oder machen lassen), aber die vielen Ausfälle durch Erkrankungen sind unübersehbar, ob im Büro, in Mudderns Pflegeheim, beim Augenarzt, bei der Bäckereikette, deren Filialen aktuell fünf Stunden früher schließen, beim ÖPNV, bei der Lebensversicherung des Gatten ...
Diese Woche stand nach zwei Jahren Pause wieder ein Augenarzttermin an, und ich hatte große Arzt, weil ich wieder Lasern befürchtete. Da mein bisheriger Augenarzt am alten Büro ist, also umständlich zu erreichen, vermittelte mir Schwiegermutter einen Termin bei ihrem, bei dem auch der Gatte inzwischen in Behandlung ist. Dahin können wir fast zu Fuß gehen. Der Gatte findet den Arzt nett und kompetent und kam zur seelischen Unterstützung mit.
Ich fand den Arzt auch sofort sympathisch, war aber skeptisch, weil ich nicht wusste, wie er auf meine Panik vorm Lasern reagieren würde. 22 Jahre hörte ich allen Ärzten, ich solle mich nicht so anstellen, ich könne nichts spüren, das sei ein Routineeingriff. Der letzte Augenarzt war zumindest geduldig und einfühlsam, was viel Wert war. Und dann sagt dieser Augenarzt einfach: "Selbstverständlich merken Sie, wenn das Auge gelasert wird! Das Auge ist ja nicht betäubt! Das ist wie viele Nadelstiche!" Nach 22 Jahren weiß ich also, dass ich mitnichten hysterisch bin. Der Arzt erklärte, er wurde bei Gerhard Meyer-Schwickerath ausgebildet und sei der Meinung, in Hamburg werde viel zu viel gelasert, weil man damit Geld machen könne. Er befand, mein Auge müsse nicht gelasert werden, nannte mir die Warnzeichen, bei deren Auftreten ich unverzüglich in die Praxis kommen müsse, will mich im Frühjahr wiedersehen und erklärte mir, es gäbe die Möglichkeit, das Auge mittels Spritze zu betäuben. Da sei zwar die Spritze unangenehm, ich hätte aber keine Schmerzen. Ich war unwahrscheinlich erleichtert!
Im Büro ist der aktuelle Papiermangel angekommen, wurden wir zum Papiersparen aufgefordert. Zuhause nutze ich ohnehin meistens Makulatur, das werde ich dann jetzt auch im Büro machen, wenn ich nichts Offizielles drucken muss. Ansonsten klappte ich Montag auf dem Heimweg zusammen, zog mich meine Hausärztin erstmal aus dem Verkehr, damit ich zur Ruhe kommen kann. Das klappt so semi. Ich bin von der privaten Situation einfach total überfordert und finde keine Ruhe. Bei der Hausärztin lagen übrigens wieder Zeitschriften im Wartezimmer aus - vor einem Dreivierteljahr war das noch nicht so.
Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.