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Montag, 14. Oktober 2019

Fischertwiete 1 und 2: Chilehaus A und B

Montags gegen Nazis.
Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesen. Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst.

Das Chilehaus, seit 2005 Unesco-Weltkulturerbe, ist fester Bestandteil von Stadtrundfahrten und vieler Stadtführungen, eines der weltweit am meistens fotografierten Architekturmotive und eines der Hamburger Wahrzeichen. Erbaut wird das Kontorhaus zwischen 1922 und 1924 für den Unternehmer Henry B. Sloman nach Plänen des Architekten Fritz Höger. Es ist eines der prägnantesten Beispiele für den Backstein-Expressionismus der 1920er Jahre.

Das Chilehaus (Detail).
Schon die schieren Daten sind beeindruckend: 4,8 Millionen Bockhorner Klinker und 750 Güterwagen Zement werden für den Bau, der auf über 1.000, bis zu 16 Meter langen Eisenbetonpfeilern mit einer Gesamtlänge von 18.000 Metern ruht, benötigt. Das Gebäude hat eine Grundfläche von fast 6.000 qm², ist 10 Etagen hoch und hat 2.800 Fenster.

Erbaut wird das Chilehaus auf zwei Grundstücken links und rechts der Fischertwiete, übrigens die älteste noch erhaltene Straße Hamburgs, die bogenförmig überbaut wird. Bis 1922 befindet sich hier eines der Gängeviertel der Stadt, wo Menschen unter prekären Bedingungen auf engstem Raum leben. Sie werden umgesiedelt.

Das Chilehaus verfügt über drei Eingänge, die das Gebäude in die Komplexe A, B, und C gliedern. In allen drei Eingängen, die zu regulären Bürozeiten geöffnet sind, finden sich noch die alten Hinweistafeln auf die ursprünglichen Mieter.

Blick auf den Eingang in den Komplex Chilehaus B, Fischertwiete 1.
Im siebten Stock des Chilehaus B (Fischertwiete 1) befindet sich 1933 das Architekturbüro Dyrssen & Averhoff. Friedrich Dyrssen ist Vorsitzender des Hamburger Landesgruppe des Bundes Deutscher Architekten und setzt ab 1933 die sogenannte Gleichschaltung des Landesverbandes um, d. h. das Berufsverbot für jüdische Architekten. 1934 schied Dyrssen aus dem Amt, bleibt aber als Architekt tätig und orientiert sich gemäß NS-Vorgabe an Stil der Heimatschutzarchitektur.

Historische Übersicht der Mieter mit den Buchstaben A bis K im Chilehaus B.
Das Büro Dyrssen & Averhoff ist maßgeblich an Planungen für das "neue Hamburg", das nach dem "Endsieg" der Nationalsozialisten entstehen soll, beteiligt sowie mit Instandsetzungen und Bau von Hochbunkern beschäftigt. Dyrssen & Averhoff werden zu "Vertrauensarchitekten" der Deutschen Arbeitsfront ernannt und dem Wohnungsbauunternehmen SAGA als Berater in städtebaulichen und technischen Fragen zur Seite gestellt. Nach der Befreiung erhält das Büro von der SAGA Aufträge für Wiederaufbau und Neubau.

Historische Übersicht der Mieter mit den Buchstaben L - Z im Chilehaus B.
Im November 1944 befindet sich gemäß unterlagen der Behörde für Ernährung und Landwirtschaft ein Zwangsarbeitslager der Firma Völker / Walter Rohrleitungsbau im Chilehaus B. Verzeichnet sind 22 Essensteilnehmer. Das Lager ist eines von über 1.100 Lagern, verstreut über das gesamte Hamburger Stadtgebiet, in denen zwischen 1939 und 1945 bis zu 500.000 Männer, Frauen und Kinder Zwangsarbeit in der Hamburger Kriegswirtschaft leisten müssen.

Gegenüber, in der Fischertwiete 2, befindet sich das Büro des 1885 geborenen und 1993 verstorbenen Ricardo Sloman, eines der vier Kinder des Bauherren des Chilehauses, und seiner Frau Renata Hilliger. Der Kaufmann ist ein Antisemit, der mit seinen Schriften dazu beiträgt, den Geist des Nationalsozialismus zu verbreiten und sein Gedankengut mit Titeln wie "Selbstmord der weißen Kulturvölker" bis in die späten 1950er Jahre verbreitet. Seine Thesen finden sich bis heute in den Schriften der neu-alten Nazis wieder.

Montag, 29. Juli 2019

Otto Gröllmann und das Archiv der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe

Montags gegen Nazis
Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm. 

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesenAlle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst. 

Theater sind nicht unpolitisch, was immer wieder dazu führt, dass alte und neue Faschisten versuchen, Einfluss auf sie zu nehmen. Nicht nur mit der "Hamburger Erklärung der Vielen" setzen sich Künstler und Kulturschaffende gegen die aktuellen Nazis zur Wehr.


Das Thalia Theater in Hamburg.
Am Thalia Theater arbeitet 1933 Otto "Otje" Gröllmann als Atelier- bzw. Ausstattungsleiter und Bühnenbildner. Der 31jährige Hamburger hat eine bewegte Biographie: Als 20jähriger wird er Mitglied der KPD, steht in engem Kontakt zu Willi Bredel und Ernst Thälmann. Ein Jahr, 1923, später nimmt Gröllmann am Hamburger Aufstand teil. Ziel ist ein Umsturz nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution. Der Aufstand wird sofort niedergeschlagen.

Konsequenterweise engagiert sich Gröllmann früh gegen die Nationalsozialisten, ahnt, was es bedeutet, sollten sie an die Macht kommen. Als sie an der Macht sind, darf Gröllmann seinen Beruf als Ausstattungsleiter nicht mehr ausüben, bleibt aber weiter als Bühnenbildner am Thalia. Ende 1933 wird Gröllmann aufgrund seines Widerstands verhaftet und zu 17 Monaten Gefängnis verurteilt.

Nach der Entlassung hält er sich mit Arbeiten am Theater und auf dem Bau über Wasser und schließt sich wieder seinen Genossen an, darunter auch Robert Abshagen. Gröllmann setzt seine Widerstandstätigkeit als Teil der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe fort. Mit etwa 300 Mitgliedern in etwa 30 Betrieben und Werften, die über die ganze Stadt verteilt sind, ist es die größte Widerstandsgruppe in Hamburg. Die Männer und Frauen kannten sich untereinander nicht alle, sondern waren über Kontaktleute miteinander verbunden. So soll verhindert werden, dass die ganze Gruppe aufflog, wenn ein Mitglied verhaftet wurde. 

1938 wird Gröllmann Atelierleiter und Bühnenbilder am Thalia Theater und bringt dort das Archiv der Widerstandsgruppe unter. Bis Oktober 1942 bleibt es im Theaterversteck. Kurze Zeit später wird Gröllmann erneut verhaftet, bei Verhören schwer gefoltert und im März 1943 ins Untersuchungsgefängnis eingeliefert. Hier erlebt er den Hamburger Feuersturm im Juli 1943. Im darauffolgenden Chaos, das auch vor den Behörden nicht Halt macht, wird der 41jährige vorübergehend entlassen, wollte nach Schweden oder in die Schweiz fliehen, was beides misslingt. 

Gröllmann bleibt weiterhin im Widerstand aktiv: Er schließt sich einer Gruppe an, die bis zur Befreiung im Mai 1945 Flugblätter gegen das NS-Regime herausgibt. In der ganzen Zeit ist er ohne festen Wohnsitz, lebt im Wald, gelegentlich in einer Jugendherberge, kommt manchmal bei Genossen unter. So kann er sich einer erneuten Verhaftung entziehen.

Die Gedenktafel am Thalia-Theater für Otto Gröllmann und die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe.
Nach der Befreiung arbeitet Gröllmann wieder am Thalia-Theater, heiratet die Theaterfotografin Gertrud, von der nur wenig Informationen vorliegen. Am 5. Februar 1947 bringt Gertrud Gröllmann Tochter Jenny zur Welt. Sie wird später Schauspielerin. 1949 übersiedelt die Familie in die SBZ, die spätere DDR. Otto Gröllmann arbeitet weiterhin an Theatern in Schwerin und Dresden. 

Auch in der DDR ist er kein Bequemer, übt wiederholt Kritik am Honecker-Regime, erhält aber dennoch den Vaterländischen Verdienstorden und kann im April 1988 zur Enthüllung der Gedenktafel am Thalia-Theater nach Hamburg reisen. 

Zwei Wochen vor zwei 98. Geburtstag stirbt Otto Gröllmann am 12. Juli 2000 in Berlin.

Montag, 12. November 2018

100 Jahre Ende des Ersten Weltkriegs: Das Hamburger Ehrenmal auf dem Rathausmarkt

Montags gegen Nazis.
Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesenAlle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst. Infos zu den Demonstrationen der demokratischen Mehrheit findest Du u.a. beim Hamburger Bündnis gegen Rechts.

Relief des Hamburger Ehrenmals: Trauernde mit Kind.
Gestern vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Dass ihm bald ein zweiter folgen würde, ahnte man damals nicht. Ich hoffe, ihm folgt kein dritter, aber ich bin bei allem Optimismus nicht nur Pazifistin, sondern auch Realistin.

Das offizielle Gefallenendenkmal der Stadt steht an prominenter Stelle auf dem Rathausmarkt, an der Treppe zur Kleinen Alster. Der Platz ist bewusst gewählt, bricht er doch den Postkartenblick zur Alster. Die schlichte, 21 Meter hohe Muschelkalk-Stele wird am 2. August 1931 eingeweiht. Schon seit der Planungsphase war es bei Kriegerverbänden, Deutschnationalen, Rechtskonservativen und Nationalsozialisten umstritten, stellt es doch die Trauer der Hinterbliebenen in den Mittelpunkt.

Blick auf das Ehrenmal und das Rathaus.
So zeigt das Denkmal keinen Soldaten, der vermeintlich heroisch für Volk und Vaterland fällt, sondern eine trauernde Schwangere, die ein Kind tröstet: "Trauernde Mutter mit Kind" heißt das von Ernst Barlach geschaffene Relief.

"Vierzig Tausend Söhne der Stadt ließen ihr Leben für Euch" lautet die schlichte Inschrift, die von den kriegstreiberischen Rechten als Kampfansage verstanden wurde - zu recht. Den Zusatz "für Euch" wollte die SPD verhindern, sah sie in ihm doch ein Zugeständnis an die Rechten. Mit einer Konsequenz, die die SPD heute oft vermissen lässt, wird parallel zur Errichtung der Stele das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. vorm Rathausmarkt entfernt (es steht heute am Sievekingplatz).

Blick auf das Ehrenmal und die Alsterarkaden.
Barlach, der 1914 erst kriegsbegeistert ist, dann 1915 selbst zum Kriegsdienst einberufen und ab 1916 zum Pazifisten wird, thematisiert oft seine Kriegserlebnisse in seinen Werken. Dabei stehen neben dem Leiden der Hinterbliebenen auch die Situation der Soldaten im Felde im Mittelpunkt. Heroische Beschönigung ist nicht Barlachs Sache. Er zeigt den Krieg mit all seinem Leid, seiner Grausamkeit.

Barlachs Entwurf für das Hamburger Ehrenmal wird zuerst abgelehnt. Auf Intervention von Oberbaudirektor Schumacher kommt des zu einer Zusammenarbeit zwischen Barlach und dem Architekten Klaus Hoffmann, der die Stele entwarf.

In den frühen Morgenstunden des 3. August 1931 wird das Ehrenmal klammheimlich enthüllt, ohne großes Tamtam oder Publikum - der sozialliberale Senat fürchtet rechtskonservative, nationale Proteste (Konsequenz, Mut und SPD gehen nun mal nur selten zusammen).

Barlach gerät spätestens seit 1932 immer öfter in das Visier nationalsozialistischer Kunstkritiker. Seine Werke passen nicht in ihr Kunst- und Weltbild. Außerdem wendet er sich öffentlich und mit deutlichen Worten gegen Einengung und ideologische Beschränkung der künstlerischen und geistigen Freiheit, protestiert gegen den Ausschluss von Käthe Kollwitz, mit der er eng befreundet ist, und Heinrich Mann aus der Akademie der Künste, lehnt die Einladung, Vorstandsmitglied im nationalsozialistischen Künstlerbund zu werden, ab.

Bewusst zerstörter Postkartenblick.
Der Künstler ist kein Bequemer, auch, wenn er in einem Akt der Verzweiflung 1934 den "Aufruf der Kulturschaffenden", ein Goebbels-Manifest, unterschreibt. Mit der Entfernung seiner Werke aus Museen, Galerien und dem öffentlichen Raum wird bereits im März 1933 begonnen. Seine Theaterstücke dürfen nicht mehr aufgeführt werden oder werden abgesetzt, seine Bücher werden beschlagnahmt, sein Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste erzwungen.

Barlach gilt als "entarteter Künstler", wird diffamiert, bekommt keine öffentlichen Aufträge mehr, erhält ein Ausstellungsverbot. Da er die Mitgliedschaft im NS-Künstlerbund ablehnt und als entartet gilt, ist es ihm zunehmend unmöglich, Arbeitsmaterialien zu beschaffen.

Im Spätsommer 1938 lassen die Nazis das Relief vom Hamburger Ehrenmal entfernen. Der 68jährige Künstler erfährt noch davon, ist aber schon schwer krank. Ernst Barlach stirbt am 24. Oktober 1938 in einer Rostocker Privatklinik.

Inschrift des Hamburger Ehrenmals.
Das Barlach-Relief "Trauernde Mutter mit Kind" ersetzen die Nazis durch ein von Hans Martin Ruwoldt geschaffenes Relief, das einen aufsteigenden Phönix darstellen soll, viele Betrachter aber eher an eine Friedenstaube erinnert, wie dieses Bild zeigt. Die umgestaltete Stele wird am 10. November 1939 enthüllt.

Vier Jahre nach der Befreiung, 1949, rekonstruiert der Steinmetz Friedrich Bursch das Barlach-Relief. Wieder wird es in aller Stille enthüllt, diesmal an Totensonntag. Das Denkmal erinnert nun an die Toten beider Weltkriege. Gleichzeitig verfügt Max Brauer, der damalige Erste Bürgermeister, dass fortan jedes Jahr zu Totensonntag offiziell den Toten der Weltkriege mit stillen Kranzniederlegungen gedacht wird.

Inzwischen werden an diesem Tag Kränze außer dem Ehrenmal auch an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, dem Bergedorfer und Ohlsdorfer Friedhof niedergelegt.

Freitag, 4. Mai 2018

Treppenhausfreitag: Rappolt-Haus I, Mönckebergstraße 11

Das Treppenhaus des Rappolt-Haus I in der Mönckebergstraße 11.

Blick vom fünften Stock ins Erdgeschoss.
Das Kontorhaus, einst Sitz des Textilunternehmens Rappolt & Söhne, wurde zwischen 1911 und 1912 von Fitz Höger erbaut. Es steht in Teilen unter Denkmalschutz.

Im Treppenhaus.
An den Wänden hängen historische Hamburg-Aufnahmen.

Im Treppenhaus.
Mehr zu dem Haus und der Geschichte seines Bauherren Franz Rappolt habe ich am Montag geschrieben.

Montag, 30. April 2018

Das Rappolt-Haus in der Mönckebergstraße 11 - 13

Montags gegen Nazis
Update 13.04.2018: Aktuell scheint sich das braune Pack zweiwöchentlich zu treffen. Heute müsste also demofrei sein. Ich bleibe beim wöchentlichen Beitrag, denn zu erzählen gibt es genug. Würde ich jeden Montag nur über Hamburger Orte schreiben, hätte ich genug Beiträge für 25 Jahre. Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst.

Wir haben uns da was eingetreten. Es ist braun. Es riecht nach Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus. Es trifft sich montags am Dammtor, hinterm Bahnhof, eingepfercht in Gattern, umringt von Polizei und der Gott sei Dank immer noch demokratischen Mehrheit dieser Stadt. Es ist eine krude, gefährliche Mischung aus Türstehern, Hooligans, Faschisten, Reichsbürgern und AfDlern, garniert mit ein paar spießbürgerlichen Sahnehäubchen aus dem Hamburger Umland.

Wir hatten schon mal Faschismus in Deutschland. Mein Bedarf daran ist hinreichend gedeckt. Ich muss keinen faschistischen Staat erleben. Mir reichen die Erinnerungen an den, den es zwischen 1933 und 1945 gab.

Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.


Der Eingang zum Rappolt-Haus I in der Mönckebergstraße 11.
In der Mönckebergstraße gibt es viele Kontorhäuser mit Geschichte. Eines davon ist das Rappolt-Haus in der Mönckebergstraße 11 -13. Es wird zwischen 1911 und 1912 als Sitz des Textilunternehmens Rappolt & Söhne gebaut. Architekt ist Fritz Höger, einer der führenden Vertreter des norddeutschen Backsteinexpressionismus, der vor dem Zweiten Weltkrieg Hamburgs Stadtbild maßgeblich prägte. 


Bauplastik über dem Eingangsportal, erschaffen von Georg Wrba.
Erbaut wurde das Kontorhaus als Firmensitz und Produktionsstandort der Firma Rappolt & Söhne. Das Unternehmen wird 1861 von aus dem hessischen Friedberg eingewanderten Joseph Rappolt unter dem Namen Oppenheim & Rappolt gegründet. Als Oppenheim aussteigt, steigen die Söhne Rappolts ein. Das Unternehmen produziert Herrenbekleidung, war besonders bekannt für Gummiröcke, sprich Regenmäntel.

Auf der anderen Seite des Portals blickt eine vermutlich ebenfalls von Wrba erschaffene Dame auf die Mönckebergstraße herab. Über ihr wirbt ein Plakat für Mammographie-Screenings - ihre Armhaltung passt irgendwie dazu ... 
Franz Max Rappolt, für den vor dem Gebäude ein Stolperstein liegt, kommt nach verschiedenen Stationen im In-und Ausland als 33jähriger zurück nach Hamburg an den Hauptsitz der Firma. Gemeinsam mit seiner Frau Charlotte hat er drei Söhne. Spätestens 1906 konvertiert die ganze Familie vom Judentum zum Christentum, denn für dieses Jahr ist die Taufe der drei kleinen Söhne in der Hauptkirche St. Katharinen belegt. Etwa 20 Jahre später allerdings tritt zumindest Franz Rappolt wieder in die jüdische Gemeinde ein.

Eine der wenigen Figuren am Rappolt-Haus, dem ehemaligen Firmensitz eines Bekleidungsherstellers, die zumindest ansatzweise bekleidet ist. Die Keramik wird Richard Kuöhl zugeschrieben.
Das Rappolt-Haus zeugt von der Expansion des Unternehmens. Außen eher zurückhaltend, ist das Gebäude im Inneren hochmodern und zeugt vom sozialen Verantwortungsbewusstsein des Bauherrn. Es gab Hausrohrpost, Haustelefon mit farbigen Licht- und Rufsignalen, elektronische Pausensignale, fünf Treppenhäuser, fünf Warenaufzüge plus Lastenaufzug, drei Paternoster plus Direktionsfahrstuhl, Ventilations-Einrichtungen mit Luftabsaugschächten für die Produktion, mehrere hundert elektrische Nähmaschinen und Mülltrennung, Mitarbeiterkantine und diverse Trinkwasserstellen, gespeist aus der hauseigenen. Auf den rund 3.500 m², die die Firma nutzt, arbeiten etwa 600 Menschen. Dazu kommen noch etwa 200 Heimarbeiter.

Der Brunnen im Eingang des Rappolt-Hauses wird Richard Kuöhl zugeschrieben.
Mit Machtantritt der Nationalsozialisten werden Leben und Arbeit für die Rappolts zunehmend unmöglich. Ihr Lebenswerk und ihre Familie zerbrechen Stück für Stück. Wer kann, versucht zu emigrieren, was in den kommenden Jahren zunehmend schwerer und schließlich unmöglich wird.

Brunnendetail: Der Wasserspeier, der ebenfalls Richard Kuöhl zugeschrieben wird.
Im Juni 1933 wird Franz Rappolt als Mitglied der Handelskammer entfernt. Drei Jahre später beginnen die Nazis Schritt für Schritt damit, Firmen mit jüdischen Inhabern de facto enteignen zu können. Die Rappolts können nicht mehr selbst über ihr Eigentum und ihr Vermögen bestimmen.

Hohe Zwangsabgaben, also staatliche Beraubung, führen dazu, dass Immobilien und Wertsachen weit unter Wert verkauft werden müssen. Zwischen 1937 und 1939 wird das Unternehmen "Rappolt & Söhne" schrittweise verkauft, zwangsenteignet, "arisiert". Am 31. März 1940 räumt Franz Rappolt seinen Schreibtisch. In den kommenden Jahren werden alle jüdischen Mitarbeiter entlassen. Deportation und Ermordung sind für die meisten unausweichlich.

1941 gibt es eine Ausreisezusage für Franz Rappolt, sein Frau Charlotte, ihren Sohn Paul sowie für zwei seiner Brüder. Die USA, Kuba, Uruguay, Kolumbien - egal, Hauptsache weg, eine Chance zum Leben haben. Die HAPAG zieht die Ausreisezusage wieder zurück. Die Deutschen überfallen die Sowjetunion. Juden wird die Ausreise nun gänzlich untersagt - für die Dauer des Krieges, wie es zynisch heißt. Die Rappolts sitzen fest.

Am 15. Juli 1942 wird Franz Rappolt nach Theresienstadt deportiert. Am 25. November 1943 stirbt er dort.

Stolperstein für Franz Rappolt in der Mönckebergstraße 11.
1965 wird in Lohbrügge eine Straße nach Franz Rappolt benannt. Im April 2007 wird vor seinem ehemaligen Firmensitz ein Stolperstein verlegt.

Die wunderbare Baukeramik am Rappolt-Haus stammt übrigens von Georg Wrba und Richard Kuöhl. Letzterer schuf auch das 76er Denkmal am Dammtor. In eben diesem Infanterie-Regiment diente 1892 auch Franz Rappolt. Als es 1936 aufgestellt wurde, waren die Ermordung Franz Rappolts, die aller europäischen Juden schon lange beschlossen.

Eine ausführliche Biographie von Franz Rappolt gibt es auf der Hamburger Stolperstein-Seite.

Montag, 30. Oktober 2017

Wie man im Barock tinderte: Zu Besuch bei den Ausgrabungen auf der Cremon-Insel

Das Archäologische Museum Hamburg veranstaltet ganz wunderbare Social-Media-Events. Im September hatte ich das Glück, bei einer Begehung der Ausgrabungen auf der Cremon-Insel dabei zu sein. Cremon ist der Name einer Marscheninsel in der Hamburger Altstadt.

Die Scherbe einer Ofenkachel fest im Fokus.
Der einstige Oberbaurat Wilhelm Melhop weiß: "Über die Entstehung dieses noch nicht geklärten Namens gibt es viele Ansichten"*. Namensgeber könnte der Grundeigentümer „Fredhericum de Crimun“ sein, vermuten die Archäologen heute.

Bis 1946 verlief hier das Katharinenfleet.
Mir gefällt immer noch die Deutung des Schriftstellers Jonas Ludwig von Heß am Besten, wonach sich der Name von der Mondsichel ableitet. Der Verlauf der Straße Cremon ist bis heute sichelförmig.

Fachsimpeln vor historischen Karten.
Bis November werden auf dem Areal Bei den Mühren 2 - 5 Spuren gesichert, bevor das Areal neu bebaut wird. Die Wissenschaftler erhoffen sich Erkenntnisse über Siedlungsgeschichte, aber auch über den Kolonialismus zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit.

Blick auf das Grabungsgelände.
Die Zeit für die Grabung ist kurz, insgesamt ein halbes Jahr, und der verregnet Sommer sorgte dafür, dass die Arbeiten immer wieder unterbrochen werden mussten, denn die Ausgrabungsstätte konnte aus statischen Gründen nicht mit einem Zelt überbaut werden.

Scherbenhaufen.
Überhaupt sorgt das Wasser für Probleme, wie Ausgrabungsleiter Kay-Peter Suchowa weiß: Die mittelalterlichen Abwasserleitungen funktionieren nach wie vor. Früher das Wasser in das Katharinenfleet abgeleitet, aber das wurde 1946 mit Trümmern des Hamburger Feuersturms zugeschüttet.

Wenn Archäologen spielen ...
Oft beginnt der Arbeitstag also erstmal mit dem Auspumpen der Grabungsstätte. Die Baugrube liegt fünf Meter unter Straßenniveau. Noch etwa anderthalb Meter tiefer wollen die Archäologen in den nächsten zwei Wochen graben, in der Hoffnung.dort Spuren aus der Zeit vor der Besiedlung zu finden.

Pfeifenstiele.
Bisher wird angenommen, dass die Besiedlung der Cremon-Insel mit einem Ringdeich geschützt wurde. Dies gilt es, mittels der Ausgrabungen zu überprüfen. Ein Ergebnis ist bislang, dass die Hinterhöfe nicht besiedelt waren, sondern u.a. als Viehweiden genutzt wurden. Die Höfe waren zudem offen, mit einem Zugang zum Fleet.

Blick in einen Zuckerhut.
Spannend ist natürlich auch, wer hier siedelte. Wenig überraschend ist, dass es einst Kaufleute und Schiffszimmerer waren - nicht ganz reich, aber auch nicht ganz arm, wie die Überreste der bemalten Fliesen von Kachelöfen belegen.

Ein kleiner Fayence-Schuh war im Barock ein Zeichen erotischen Interesses. 
Im 18. und 19. Jahrhundert kamen die Zuckersieder, auch das wenig überraschend, denn Hamburg war zu dieser Zeit des Zentrum der europäischen Zuckerraffination. Praktisch, wie der Hamburger nun mal ist, siedelten sich Destillen in der Nachbarschaft an: Zur Branntweinherstellung wird Zucker benötigt.

Eine der mittelalterlichen Wasserleitungen, die ins Katharinenfleet führten.
Ende des 19. Jahrhunderts verfiel die Bebauung zusehends: Immer wieder gibt es Beschwerden über Schutt, der aus den Fassaden in das Fleet fiel und die Schifffahrt gefährdete. Vergnügung wurde sich trotzdem: Ein direkt an der Straße gelegenes Lokal ersuchte 1894 für seinen Keller um Baugenehmigung für zwei Kegelbahnen und einen Ofen.

Was vom Hamburger Feuersturm übrig blieb.
Wie so oft, verbergen Müllgruben die erstaunlichsten Funde. In diesem Falle waren es eine Bernsteinperle, einst vielleicht ein Liebesbeweis, ein Spielzeughahn und ein Fayence-Damenschuh. Mit letzterem zeigten die Männer der Barockzeit ihre amourösen Interessen - Tinder lag noch in weiter Ferne.       

Ein kleiner Hahn.
Herzlichen Dank an Kay-Peter Suchowa und das Team des Archäologischen Museums Hamburg für den spannenden, einzigartigen Abend!

Glasscherbe.
* Wilhelm Melhop, Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1895-1920, Mit Nachträgen bis 1923. Unter Benutzung amtlicher Quellen. I. Band. Verlag Otto Meißer, Hamburg 1923, S. 35

Sonntag, 20. Dezember 2015

Morgens vor neun im Hamburger Rathaus: Die Diele ist leer, der Wichernsche Adventskranz versteckt, der Tannenbaum fehlt

Berufsbedingt bin ich gelegentlich im Hamburger Rathaus, im Gegensatz zu meinen Chefs und Blaumännern allerdings selten früh am Tag. So überraschte es mich denn, dass die Rathausdiele morgens vor neun Uhr vollkommen leer vor mir lag.

Das ist selten, denn normalerweise stehen in der Diele Ausstellungen oder um dieses Jahreszeit ein großer geschmückter Tannenbaum. Später am Tag sind dann auch viele Besucher im Rathaus.

Blick in die Diele des Hamburger Rathauses von der Senatsseite aufs Bürgerschaftsgehege.
Das Rathaus wurde zwischen 1884 und 1897 erbaut - insgesamt vergingen zwischen den ersten Planungen des Neubaus und seiner Einweihung sogar 43 Jahre (da jammere noch mal einer über die Bauzeit des Elbviehs der Elbphilharmonie).

Zentraler Raum des Erdgeschosses ist, wie bei einem Althamburger Bürgerhaus, die Diele. Sie ist quasi die Fortsetzung der Straße, also fast noch öffentlicher Raum. Im Althamburger Bürgerhaus erstreckte sich die Diele zwischen Straße und Fleet, war also lang und schmal.

Hier wurden Besucher empfangen und Waren angenommen oder ausgeliefert. Die Waren kamen mit Flaschenzügen gleich weiter unters Dach auf den Speicher (oder vom Speicher in die Diele und auf Kutschen). Die Besucher kamen ins Kontor oder in die gute Stube im ersten Stock.

Die Rathausdiele. Das Stehpult dient der Zugangskontrolle für das Senatsgehege. 
In der Rathausdiele sitzen Ratsdiener und Pförtner, gibt es eine Information, starten Führungen, sind einige Büros sowie die Garderobe und der Zugang zum Ratsweinkeller und die Zugänge zu den Räumlichkeiten von Senat und Bürgerschaft. Hamburg ist ja gleichzeitig Stadt und Staat. Die Bürgerschaft ist das Landesparlament, der Senat ist die Landesregierung.

Die Mehrheit der Büros findet sich aber im Obergeschoss, ebenso wie repräsentative Veranstaltungsräume - den einen oder anderen zeige ich Dir bei Gelegenheit mal.

Kleine Besprechungsnische im Senatstreppenhaus.
Die Diele symbolisiert auch das Regiment der Hamburger Bürger: Andres als in Herrschaftshäusern üblich, soll der Bürger hier nicht zu den Herrschenden hinaufsteigen müssen. De facto aber steigt der Bürger hinauf, egal, ob er zum Senat oder in die Bürgerschaft will.

Auf den Säulen der Diele befinden sich übrigens Portraits verdienter Hanseaten (und tatsächlich auch von vier Hanseatinnen). Die zeige ich Dir sicher später mal.

Der Wichernsche Adventskranz steht versteckt im Aufgang zum Senat.
Etwas versteckt, rechts im Treppenhaus, das zum Senat führt, steht in diesem Jahr ein Wichernscher Adventskranz. Hamburg nimmt ja gerne für sich in Anspruch, dass der Adventskranz hier erfinden wurde. Das stimmt bedingt.

1839 stellte der evangelisch-lutherische Theologe, Erzieher und Mitbegründer der Inneren Mission, Johann Hinrich Wichern, in einem alten Bauernhaus, dem Rauhen Haus, einen Kranz (damals noch ein Wagenrad) mit vier großen weißen Kerzen und 18 bis 24 kleinen roten Kerzen auf, weil die Kinder, die Wichern in seiner Obhut hatte, immer wieder fragten, wann Weihnachten sei.

Jeden Tag durfte nun ein Kind eine weitere Kerze anzünden, und an den Adventssonntagen wurden die großen Kerzen angezündet, so dass die Kinder die Tage bis Weihnachten abzählen konnten.

Der Wichernsche Adventskranz
Bis heute findet sich der Wichernsche Adventskranz im Michel und im Rauhen Haus (und in diesem Jahr eben auch im Rathaus).

Vom protestantischen Norddeutschland aus verbreitete sich der Wichernsche Adventskranz in die katholischen Gefilde. Dort war man pragmatischer, ließ die kleinen Kerzen weg, nahm nur vier große für die Adventssonntage und befand, Tannengrün sei doch netter als ein Wagenrad.

Knapp 100 Jahre, nachdem Wichern den ersten Adventskranz aufstellte, findet sich zum ersten Mal ein Kranz in einer katholischen Kirche, 1925 in Köln. Von dort breitete sich dann der Kranz mit den vier Kerzen aus, und der Wichernsche Kranz geriet weitgehend in Vergessenheit.