Samstag, 14. Oktober 2023

Samstagsplausch KW 41/23: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CLXXXVII

Im Garten blühen noch Herbst-Astern.
Sonntag machten wir einen Spaziergang zum Bahnhof, damit der Gatte auch mal weiß, wo der ist. Wir nahmen uns Zeit, guckten den Wildgänsen beim Sammeln zu und gingen durch die Stadt über das Eiscafé zurück - eine Stunde Pause von den Nachrichten des Simchat-Tora-Pogroms, der in den Simchat-Tora-Krieg übergehen sollte.

Montag fuhr ich zum Arbeiten nach Hamburg. Ich tauschte kurzfristig meine Heimbüro-Tage, weil der Gatte gerade nicht in der Lage ist, Handwerkertermine wahrzunehmen, auch, wenn das nur bedeutet, dem Heizungsbauer morgens um 7 Uhr die Tür aufzumachen. Am Vormittag rief der Gatte aufgelöst an: Er hatte einen Auto-Unfall, Gott sei Dank nur Sachschaden, aber er wusste nicht, was er jetzt tun soll. Der Gatte war fast 20 Jahre lang mein Fels in der Brandung. Ihn jetzt so zu erleben, macht mich unendlich traurig. Er berappelte sich etwas, rief den ADAC, der den Wagen in eine Werkstatt schleppte, wo er noch immer ist. Der Gatte lief die fast zwei Kilometer von der Werkstatt zu Fuß nach Hause - ohne Stock, denn den hatte er in der Aufregung zu Hause vergessen, und auf die Idee, sich ein Taxi zu rufen, kam er auch nicht.

Seit Montag Abend denke ich darüber nach, die Reha abzusagen, denn ich weiß nicht, wie es werden soll, wenn der Gatte fünf Wochen alleine zurecht kommen muss.   

Dienstag kamen die Heizungsbauer. Donnerstag waren sie immer noch da. Sie sollten eigentlich nur Ventile und Thermostate tauschen. Stand heute haben wir einen Wasserschaden in der Waschküche. Als ich Donnerstag Nachmittag nach Hause kam, wollte der Heizungsbauer gerade gehen. "Es gibt einen Wasserschaden. Ich habe einen Eimer drunter gestellt und brauche die Daten Ihrer Versicherung, damit die den Schaden übernimmt." Ähm, ja, nee, is klaa oder anders: "Junger Mann, so geht das nicht!" Das Leck war eine halbe Stunde später einigermaßen geflickt, Heizungsbauer und Versicherung müssen nun das weitere Vorgehen besprechen. Mir und unserer Versicherung ist unklar, wieso unsere Versicherung für einen Schaden des Heizungsbauers aufkommen soll, aber es gibt Dinge, die hinterfrage ich nicht mehr, weil keine Kraft mehr. Das sollen jetzt Versicherung und Heizungsbauer klären. Theoretisch ist die Waschküche gefliest und hat einen Abfluss. Praktisch lagert dort die ominöse angeblich wertvolle Briefmarkensammlung meines Vaters. Egal, ich habe einfach keine Kraft mehr. Statt des veranschlagten dreistellige Betrags wird es jetzt ein kräftiger vierstelliger für Ventile und Thermostate. Ganz großartig.

Dienstag Abend kam ein Mitarbeiter vom Umzugsunternehmen für Planung und Kostenkalkulation. Wir haben bummelig 300 Umzugskartons, und normalerweise plant das Unternehmen dafür fünf Wochen. Die habe ich aber nicht. Also quetschen wir fünf Wochen in zwei. An Tag 1 wird gepackt, an Tag 2 fährt die erste Tour. Tag 3 packe ich aus, fahre mit den leeren Kartons abends nach Hamburg, damit an Tag 4 wieder gepackt werden und an Tag 5 die nächste Tour starten kann. An Tag 6 packe ich aus, fahre abends mit den leeren Kartons nach Hamburg ... Du verstehst die Systematik. Der Umzugsunternehmer meinte nur trocken: "Hoffentlich klappen Sie nicht zusammen." Das hoffe ich auch, aber selbst wenn, ich habe keine andere Wahl. Ich muss das vor den Weihnachtsferien bzw. vor Reha-Beginn erledigt haben (sofern ich die Reha nicht absage). 

Nachts konnte ich wegen Herzschmerzen und Panikattacken nicht schlafen.

Mittwoch erstattete ich online vor Tau und Tag Strafanzeige gegen Gärtner III, denn da er sich hartnäckig weigert, den Insolvenzverwalter zu nennen, die Insolvenzbekanntmachung noch immer fehlt, gehe ich von Betrug, nicht von Insolvenz aus. Als ich dazu kam, den ersten Kaffee zu trinken und dabei durch meine Facebook-Timeline scrollte, ging mir auf, dass die Beiträge zu Toten und Vermissten, die meine ehemaligen Gedenkstätten-Kollegen seit Sonntag teilen, nicht einfach nur aus Mitgefühl geteilt werden, sondern weil es israelische Kollegen und ihre Familien sind, die ermordet oder vermisst werden. Vor Rosh haShana verabschiedete man sich noch in Hamburg mit einem "Bis bald!", wollte die gemeinsamen Projekte im kommenden Jahr fortsetzen. Wer von den israelischen Kollegen lebt, ist eingezogen. Meine Gedenken sind auch bei den ehemaligen Touristik-Kollegen, die mit ihren Reisegruppen in Israel festsitzen und die Heimreise organisieren müssen. Ich möchte nicht wissen, wie die Beschwerden der Gäste lauten werden, kann sie mir allerdings aus Erfahrung vorstellen.

In der Team-Besprechung war die Kollegin wieder da, die sich vor drei Wochen mit Corona abmeldete. Im Team waren Grippe- und Corona-Impfungen über den Arbeitgeber ein Thema, und da sagte sie allen Ernstes, sie hätte uns ja gerne infiziert, um uns die Impfung zu ersparen. Nun ja, bei einer Kollegin war sie erfolgreich. Diese Kollegin kämpft mit den Nachwehen - Corona ist neurotrop, und wenn beispielsweise Neuropathie hat, hat man sehr viel Spaß. Es ist halt nicht einfach "nur eine Erkältung". Insgesamt ist es erschreckend, wie die Vernunft meiner Kolleginnen abnimmt. Vor einem halben Jahr wurde nach darauf bestanden, dass man mit Maske in die Besprechung kommt, wenn man erkältet ist, und dass man sich vorher testet. Inzwischen aber wurde Corona offiziell für beendet erklärt, da sitzt man röchelnd, hustend und niesend in den Besprechungen. 

Mittags schaffte ich die Quadratur des Kreises und konnte einen Termin für die Grippe-Impfung in meinen Kalender quetschen. Die Corona-Impfung bekäme ich, wenn ich zwei Tage vor Umzugsbeginn ohnehin beim Lungenarzt bin, aber das ist mir zu riskant, denn ich will nicht ausfallen und reagiere auch gerne mal auf Impfungen. Nach der Grippe-Impfung muss ich direkt in ein Fernsehstudio und hoffe, die Impfreaktion kommt zeitverzögert. Auf die Corona-Impfung werde ich wohl erstmal verzichten.   

Zum Feierabend stand ich vor dem Büro und wusste nicht, in welches Zuhause ich jetzt muss, welche Richtung ich einschlagen muss. In der Wohnung wartete der Gatte mit Tee und Kuchen. Nach dem Umzug können wir theoretisch wieder jeden Tag eine gemeinsame Teezeit machen, denn ich fahre eine Stunde eher los und bin eine Stunde eher zu Hause - wenn die Züge planmäßig fahren. Ich müsste nicht eine Stunde eher losfahren, aber ich brauche den Puffer für Zugausfälle, um auf jeden Fall zu zehn Uhr pünktlich im Büro zu sein.

Donnerstag ging's wieder auf die Baustelle. Mittags traf ich mich mit Mudderns ehemaliger Gesellschafterin im Café. Es war ziemlich surreal. Ich jonglierte nebenbei mit Umzugsunternehmen und Gärtner IV. Dann gab's plötzlich einen Schrei und einen Knall, ein Geräusch, dass ich nur zu gut kannte: Hinterm Tresen war eine Verkäuferin umgekippt. Ich gehe wegen des Gatten ja automatisch in den Notfall-Modus, war total überfordert damit, weder Erstversorgung leisten zu müssen noch den RTW rufen zu müssen, weil das nach einer Schreckminute andere machten. Als nach sehr langer Zeit (das Krankenhaus ist selbst ohne Blaulicht keine 10 Minuten entfernt) der RTW kam, war die junge Frau schon wieder ansprechbar. Ansonsten erklärte ich "mal eben" den Nahostkonflikt, die Strategie der Hamas und das Vorgehen der IDF. Musste ich ewig nicht mehr machen, aber wenn man keine jüdischen Freunde hat, macht man sich nur wenig Gedanken. Die Verabredung tat mir sehr gut. Wir wollen uns öfter treffen, aber in diesem Jahr wird's wohl nichts mehr.

Gärtner IV teilte mit, dass sie gerade dabei sind, die Palisaden in ihrem Lager zu streichen und sie kommende Woche montieren wollen. "Wer streicht eigentlich den Schuppen und die Palisaden, die schon stehen?" "Das werde ich machen müssen." "Ach was, dazu haben Sie doch gar keine Lust!" Lust schon, aber keine Zeit, außer, ich mache es nachts ... Er nannte mir einen Preis, für den ich das nicht selbst machen kann, und hatte den Job. Ich brauche jede Hilfe, die ich bekommen kann, und bin in der glücklichen Lage, alles, was sich mit Geld regeln lässt, mit Geld regeln zu können.  

Für Freitag rief die Hamas einen weltweiten "Tag des Zorns" aus. Es wurden Häuser mit jüdischen Bewohner mit Magen David markiert. Ich habe nicht gedacht, dass ich solche Bilder außerhalb des Shoah-Kontexts zu sehen bekomme. Das betrifft auch die Bilder vom Simchat-Tora-Pogrom. Am 7. Oktober 2023 wurden mehr Juden ermordet wie seit dem Ende der Shoah nicht mehr. Freitag wurde Juden wurde empfohlen, zu Hause zu bleiben und auf religiöse Symbole zu verzichten, weil für ihre Sicherheit nicht garantiert werden könne. Heißt: Keine Schule, keine Synagoge, kein Büro, nicht einkaufen. Ich hätte nicht gedacht, dass "Nie wieder" nur eine hohle Phrase ist. 

Der Hamas-Terror verfängt: Bevor ich mit einer Teppichwäscherei telefonierte, um zu klären, ob sie es schaffen, zwei Orientteppiche kommende Woche aus dem Lager zu holen und Anfang Dezember ins Haus zu liefern, überlegte ich, ob ich nicht lieber eine Firma mit "deutschen" Inhabern suche als eine mit arabischen. Ich fragte mich, ob es eine gute Idee ist, abends zum Döner-Imbiss gegenüber der Moschee zu gehen oder wie ich dem jungen syrischstämmigen Mann gegenübertrete, der für unseren Gärtner arbeitet. 

Es gibt für mich nur wenige Situationen, in denen nur schwarz oder weiß möglich ist, in denen einfache Wahrheiten gelten. Die aktuelle ist so eine. Es ist ganz einfach: Legt die Hamas die Waffen nieder, ist Frieden. Legt Israel die Waffen nieder, gibt es kein Israel mehr. Die Simchat-Tora-Pogrom zeigt außerdem, dass die Hamas keine Gnade kennt: Ermordet wurden Juden, Christen, Araber, Menschen aller Religionen und aus 36 Nationalitäten. Der Gazastreifen ist auch seit 2005 nicht mehr israelisch besetzt. Die Hamas hätte längst für Infrastruktur sorgen können, auch mit Hilfe der arabischen Nachbarländer, die aber seit 1948 kein Interesse haben, die Palästinenser zu unterstützen, lieber Terroristen fördern, eine Zwei-Staaten-Lösung verhindern. Die weltweite Ausrufung des Tags des Zorns zeigt zudem, dass es schon lange nicht mehr darum geht, dass Juden Israel verlassen sollen, sondern dass es generell kein jüdisches Leben mehr geben soll (genau genommen kein Leben, das der Hamas-Ideologie widerspricht, egal, ob jüdisch, christlich, arabisch, was auch immer). 

Freitag kamen die Fliesenleger, acht Wochen nach Auftragserteilung, ein junges Paar aus Ostdeutschland, das für eine Baumarktkette durch die Lande reist. Wir haben nun wieder einen Fliesenspiegel in der Küche. Er sieht richtig schick aus und gefällt sogar dem Gatten - die Fliesen suchte ich ja alleine aus. Beim Abmontieren der Spüle stellte sich heraus, dass es dort schon länger eine Leckage gibt. Wir wusste zwar seit Sommer, dass es leckt, gingen aber davon aus, es lecke nur, wenn die Spüle nicht angeschlossen ist, und wollten das nach dem Umzug machen lassen. Nein, es leckt immer. Ich rief beim Klempner an und fragte, ob er beizeiten mal kommen könne. Eine Stunde später rief ich an und bat um sofortigen Klempner-Einsatz, denn ich hatte eine hübsche Heißwasserfontäne in der Küche, und wir hatten keine Ahnung, wo im Keller der Absperrhahn ist. Es kam der Klempner, der sich auch schon seit Dienstag um unsere Heizung gekümmert hat, und gemeinsam mit dem Gatten fand sich der Haupthahn. Es gibt auch ein Absperrventil fürs Heißwasser, aber das ist, wie sollte es anders sein, defekt. 

Hier gilt seit mittlerweile 187 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. 

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte und hoffe sehr, das bleibt so. Weiterhin gibt es im Umfeld reichlich Infektionen. 

Ich kämpfe noch immer mit Schlafstörungen, Schüttelfrost, Halsschmerzen, Husten und immer wieder mit Migräne. Ich bin einfach durch. 

Noch neun acht Wochen bis Umzug. Hoffentlich.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

5 Kommentare:

  1. "und bin in der glücklichen Lage, alles, was sich mit Geld regeln lässt, mit Geld regeln zu können"

    Dann würde ich dringend raten: mehr Umzugskartons. Im Zweifel halt 300 Stück. So teuer sind die nicht, und man kann sie im Anschluss verkaufen bzw. an das Umzugsunternehmen zurückgeben. Dann entfällt die Hin- und Herfahrerei und der Zwang, sofort auspacken zu müssen. Das klingt mir nach einem nichtdurchhaltbaren Programm.

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    1. Wir haben tatsächlich 300 Umzugskartons, sogar 450, um einen Puffer zu haben. Nur um mit allen Kartons und allen Möbeln auf einmal umzuziehen, bräuchten wir einen Lagerraum, könnten uns im Haus nicht mehr bewegen. Jetzt zieht Zimmer für Zimmer um in zweieinhalb Wochen.

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  2. Herrgott, was hast du nur alles an der Backe, pass bloß auf, dass du nicht wirklich noch zusammenklappst.
    Liebe Grüße
    Andrea

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    1. Ja, ich versuche, für Pausen zu sorgen und bin dankbar, dass ich im Büro jede mögliche Unterstützung habe. Hätte ich da auch noch Druck, es wäre nicht auszuhalten.

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  3. Kann der Gatte evtl. mit zur Reha, als Begleitperson oder gibt es "Gästezimmer", wo er gegen Bezahlung miteinquartiert werden kann? Als meine Mutter zur Kur war, wurde mein Vater im Kurort in einer kleinen Pension untergebracht, damit er nicht alleine zuhause ist.

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