Samstag, 1. November 2025

Samstagsplausch KW 44/25: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CCXCIV

Es ist so schrecklich still im Haus ohne den Gatten. Es schmerzt, dass ich ohne Gruß gehe, dass ich ohne Gruß wieder nach Hause komme, dass keiner da ist, mit dem ich den Tag Revue passieren lassen kann. Ich war zwar in diesem Jahr oft alleine im Haus, weil der Gatte so lange im Krankenhaus war, aber wenn ich aus dem Haus ging, war der Gatte mein Ziel, und wenn ich wieder nach Hause kam, kam ich vom Gatten. 

Stille und Leere sind schwer zu ertragen.

Ein Fliegenpilz auf dem Friedhof.

Dabei war es genaugenommen gar nicht so still und leer in den letzten Tagen.

Zusammen mit dem Bestatter habe ich die rituelle Waschung des Gatten durchgeführt. Der Bestatter hat ihn rasiert. Das wollte ich nicht selbst machen, weil der Gatte in den letzten Wochen immer wieder meinte, ich könne das nicht gut genug, und mir jedes Mal den Rasierer aus der Hand nahm. Dann zogen wir dem Gatten seine Lieblingskleidung an. Der Bestatter nahm außerdem einen Abdruck für eine Totenmaske. Später brachte ich noch die Grabbeigaben vorbei. Der Gatte entschied sich für eine Erdbestattung, so dass er alles mit ins Jenseits bekommen kann, was ihm wichtig ist. 

G. kam aus Hamburg, brachte eine Schüssel Madeleines mit und spazierte mit mir zwei Stunden bei Regen und Sturm über den kleinen Friedhof auf der Suche nach möglichen Gräbern. Sie war in einem früheren Leben Friedhofsgärtnerin und wollte verhindern, dass ich aus Überforderung einfach irgendein Grab nehme, das mir die Friedhofsverwaltung vorschlägt. Erfreulicherweise fanden wir Spuren von Kaninchen auf dem Friedhof, denn der Gatte ließ sich von mir das Versprechen geben, dass er auf einen Friedhof mit Hasen bzw. Kaninchen kommt. 

Die Mitarbeiterin der Friedhofsverwaltung, mit der ich mich Tage später traf, um ein Grab zu kaufen, war beeindruckt, dass wir uns vorher trafen, um zu gucken, was mir wichtig ist. Ich hatte eine Rangliste vorbereitet. Die beiden Gräber, die ich am liebsten gehabt hätten, schieden aus, weil sie für vier Personen sind, also wurde es die dritte Option. Ich denke, der Gatte ist mit dem Grab unter Bäumen einverstanden, denn als ich noch überlegte, ob es wirklich das werden sollte, fiel plötzlich ein Sonnenstrahl durch den regengrauen Himmel darauf. Jedenfalls waren wir mit dem Gräberkauf in unter fünfzehn Minuten durch.

G. und ich guckten uns auch die Friedhofskapelle an, und ich war froh über den Entschluss, dort nicht die Trauerfeier zu machen, sondern im Beerdigungsinstitut. Ursprünglich entschied ich mich gegen die Kapelle, weil ich nicht frieren wollte. Jetzt realisierte ich, dass der Sarg dort vor Heldengedenk-Fenstern aufgebahrt wird, man auf die Namen der toten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg blickt. Das fiel mir früher nie auf. Die Kapelle ist zwar niedlich, aber die Fensterfront geht gar nicht, weder für den einst soldatischen Gatten noch für mich. Da sind wir im Beerdigungsinstitut besser aufgehoben, denn dort blicken wir auf ein Foto des Gatten, aufgenommen bei unserem letzten gemeinsamen Ausflug in die Heide Ende September, bevor der Gatte palliativ wurde. 

Durch den Spaziergang mit G. fand ich auch eine Idee für die Gestaltung des Grabmals: Der Gatte liebte Solnhofer Platten wegen der Fossilien, präparierte auch selbst Fossilien, verdiente in einem früheren Leben seine Brötchen damit. Leider ist der Kalkstein nicht geeignet für Außennutzung, aber mit dem Steinmetz sprach ich schon ab, dass in den Grabstein eine Fossilie kommt - und natürlich ein Hase. Einen Termin mit dem Steinmetz habe ich auch schon. Außerdem kommt eine Bank auf's Grab, wenn sie denn von der Friedhofsverwaltung genehmigt wird, damit ich beim Trauern nicht stehen muss. Ich bin faul. Da ich freie Hand bei der Gestaltung des Grabs habe, bin ich kurz davor, die LGB, die sich der Gatte wünschte, aufbauen zu lassen ... Ja, ich bin knapp vorm Durchdrehen vor Trauer, ich weiß.

F. kam mit einem wunderbaren Strauß weißer Rosen zum Trauer-Tee. Sie war kaum weg, da kamen spontan die beiden Sandkasten-Freundinnen vorbei, um sich zu überzeugen, dass ich wirklich den Umständen entsprechend okay bin, wie ich per WhatsApp behauptete. Zum Glück waren reichlich Madeleines da! 

A. buchte sich für eine Woche im hiesigen Hotel ein, um mir beim Auflösen des Hamburger Lagers zu helfen, und G. wird auch dazu kommen. Zu dritt bekommen wir das hoffentlich gewuppt. Das Lager sorgte im Mai für einen Eklat zwischen Schwiegermutter und Gatten, der so heftig war, dass der Gatte bis zum Schluss nicht über den Streit hinweg kam. Ich wusste nicht, dass Schwiegermutter noch immer für den Raum zahlt, dachte, das wäre schon längst von uns übernommen worden. Schwiegermutter verstand bis zum Schluss nicht, wie krank der Gatte war, dass er einfach nicht in der Lage war, das Lager aufzulösen. Sie hielt ihn einfach für faul. Nach dem Eklat im Mai wollte ich die Bezahlung des Lagers auf mich umstellen, so dass Schwiegermutter raus ist, aber das war auch wieder falsch für sie, und der Gatte hatte andere Sorgen, als sich da durchzusetzen. Jetzt will ich das Lager schnellstmöglich auflösen, solange Schwiegermutter mich noch für die beste Schwiegertochter von allen hält. Wer weiß, wann sich ihre Einstellung mir gegenüber wieder ändert.

An. lud mich zu sich ans Meer ein, weil Meer im Moment die beste Medizin sei. Ja, stimmt, nur steht mir im Moment nicht der Sinn nach Wegfahren. Ich will erstmal lernen, mit Stille, Leere und Einsamkeit zurecht zu kommen, habe sonst das Gefühl, auf der Flucht zu sein. Ich muss auch wieder so etwas wie Alltag lernen. Ich habe mir allerdings für Morgen eine Kinokarte besorgt und für Mittwoch eine Theaterkarte. Außerdem habe ich einen Friseurtermin, denn ich versprach dem Gatten, mir die Haare schneiden zu lassen, wenn er aus dem Krankenhaus nach Hause kommt. Da ich ihn schnell nicht mehr wirklich alleine lassen konnte, ging sich das nicht aus. Ich war im November 2020 zuletzt beim Friseur, ließ mir denn einen Zopf wachsen für eine Haarspende, aber das klappt nicht. Ich bin kein Typ für lange Haare.

M., zu dem ich vor fast 15 Jahren den Kontakt verlor, rief an, weil er über eine Kollegin erfuhr, was passierte. 

Der überrechte Nachbar meinte, es wäre gut, dass ich jetzt in der Kleinstadt lebe, wo sich so viele Menschen um mich kümmern könnten und alle Nachbarn Bescheid wüssten, und nicht mehr in der anonymen Großstadt. Ja, manchmal denke ich das auch, aber ich weiß auch, warum ich vor 41 Jahren geradezu fluchtartig aus der lindgrünen Hölle floh und dass ich nur dem Gatten zuliebe zurückkehrte, weil er sich in Haus und Stadt verliebte. Jetzt bin ich alleine hier und weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Freundinnen sagen, ich bin entspannter und glücklicher, seitdem ich in der Kleinstadt lebe. Manchmal denke ich das auch. Mal gucken, was wird.

Das Pflegebett des Gatten wurde abgeholt, und ich war pikiert, dass ich die Matratze selbst entsorgen muss. Zum Glück stand der Astra gerade vor der Tür. Ins Karlchen hätte die Matratze nicht gepasst. Auf dem Müllumschlagplatz musste ich für die Entsorgung Sperrmüll-Gebühren zahlen, da Sperrmüll gebührenpflichtig ist, wenn man ihn selbst anliefert und nicht bis zum nächsten Sammeltermin wartet. Es war eine absurde Situation, und ich konnte nicht wirklich ausblenden, dass ich gerade die Matratze, auf der Gatte  starb, in den Container wuchte. Auf dieses Szenario war ich nicht vorbereitet.

Eine Bekannte, die für die Ukraine-Hilfe sammelt, holte Rollstuhl, Rollator, Schutzschuhe und einiges mehr ab. Die Firma, die dem Gatten Beatmungstechnik lieferte, war eine Woche weder telefonisch noch per Mail erreichbar und reagierte erst, als ich mich in einer Mail für die großzügige Spende an die Ukraine-Hilfe bedankte. Prompt wurde die Beatmungstechnik am kommenden Tag abgeholt. Ich habe den Hausnotruf zurückgeschickt. 

Ich habe drei Thomas Beckett-Rosen gekauft in der Hoffnung, dass ich eine durchbringe und auf's Grab setzen kann. Kommen alle drei durch, kommt eine zur Hummelrast und die andere in den Vorgarten. Der Gatte beschloss im Frühjahr, aus dem Vorgarten mittels Kübeln einen Rosengarten zu machen. Leider war er zum Rosen-Markt, wo die ersten Stöcke gekauft werden sollten, schon im Krankenhaus. Ich werde jetzt also lernen, wie man Rosen hegt und pflegt. Ich habe schon erfahren, dass die Rehe auf dem Friedhof die Rosenknospen lieben, und geguckt, was außer einem Jagdschein hilft. Dem Gatten würden zwar Bambi und Klopfer an seinem Grab gefallen, aber für die kann ich auch etwas anderes pflanzen - Wassermelonen, die der Gatte zuletzt als einziges noch aß, zum Beispiel. Der Friedhofsgärtner, der sich um das Grab meiner Eltern kümmert, weiß schon, dass er sich ab Januar auch um das Grab des Gatten kümmern wird. 

Die ersten Säcke mit Kleidung gingen zur Kolping-Sammlung, und die ersten Kleinmöbel aus dem Arbeitszimmer des Gatten wurden verschenkt. Den Nachlass des Gatten aufzulösen, wird noch ein Akt. Er hat zwar festgelegt, wer was bekommen soll von den Dingen, die sich verkaufen lassen, aber ob die Händler die Sachen wirklich haben möchten, weiß ich nicht (ganz zu schweigen von ihrem Wert). Ich bin auch mit dem ganzen Technik-Park in Arbeitszimmer, Gästezimmer und Werkstatt komplett überfordert, weiß zum Teil noch nicht mal, was das ist, bin froh um jede Rechnung, die ich finde, die mir sagt, was es ist und wie teuer es war. Ich hoffe, dass mir der Mann einer der beiden Sandkastenfreundinnen bei den Sachen ohne Rechnung helfen kann, musste ihr allerdings versprechen, dass ich ihm nichts aus der Werkstatt mitgebe, da sie gerade beim Entrümpeln ist. Kommt mir irgendwie bekannt vor ... Ich hoffe, dass ich den Dezember-Termin für den Sperrmüll wahrnehmen kann, wobei ein Termin nicht reicht, da die Anzahl der Sachen, die abgeholt werden, begrenzt ist. Der Novembertermin kollidiert mit der Beisetzung.

Ich ließ mich endlich gegen Covid und Grippe impfen und schaffte es, noch für diesen Jahr einen schon längst überfälligen Zahnarzttermin zu ergattern. Selbstfürsorge halt. Die Apothekerin, die mich impfte, trug einen Pin mit einer Israel-Flagge und freute sich sichtlich, als ich sagte, dass ich mich freue, den Pin zu sehen, weil so ein Solidaritätszeichen selten ist in diesen Tagen. "Ja, es ist ja leider immer noch nicht vorbei", meinte sie. Bring them home now gilt noch immer. Die Covid-Impfung nahm mich wieder mehr mit als die Grippe-Impfung. Ich war auch so lange nicht mehr unter Menschen, dass ich mich erst wieder an Maske und Luftfilter gewöhnen muss. Ich habe keinen Bock auf Covid, Grippe oder Erkältung. Ich habe beim Gatten gesehen, was die anrichten können.

Schwiegermutter baut rasend schnell ab, was erschreckend ist. Ich hoffe, sie fängt sich wieder. Ein Kind zu verlieren, ist das schlimmste, was passieren kann. Sie versucht gerade, mich zu instrumentalisieren, so dass ich reichlich Grenzen setzen muss. Ich habe nicht vergessen, dass sie über 20 Jahre lang vehement gegen die Beziehung zwischen dem Gatten und mir intrigierte, mit allen erdenklichen Mitteln. So gibt es einen sittenwidrigen Ehevertrag, musste sich der Gatte verpflichten, nicht mit mir in sein Elternhaus zu ziehen, weswegen es verkauft wurde (und Schwiegermutter sich seitdem fragt, warum der Gatte es ablehnte, in das Haus zu ziehen). Erst als Schwiegermutter sah, dass ich trotz seiner Erkrankungen zum Gatten halte, bin ich die beste Schwiegertochter von allen. Dem Braten traue ich nicht. 

Noch ist Schwiegermutter der Meinung, dass wir zukünftig zusammen urlauben, dass sie sich ab Frühjahr regelmäßig um den Garten kümmern wird usw. Zwar werden wir Weihnachten zusammen mit Tante verbringen, das war noch zu Lebzeiten des Gatten geplant, aber Schwiegermutter wurde schon fünsch, als sie begriff, dass ich nicht Tage vor Weihnachten mit ihr zusammen im Zug hin- und erst nach Neujahr zurückfahren werde. Dass ich außerdem vorhabe, in Dachau und München unterwegs zu sein, überhörte sie geflissentlich. Ich möchte in beiden Städten ein paar von den Dingen machen, die ich bei den letzten Besuchen gerne mit dem Gatten gemacht hätte, für die er damals aber schon keine Kraft mehr hatte.

Schwiegermutter goutiert nicht, dass ich vieles von dem, was ich mit dem Gatten geplant hatte, alleine machen möchte. Sie sei nie dort gewesen, wo sie mit ihrem Mann gewesen war, das habe sie nicht ertragen. Verständlich, aber jede trauert anders. Der Gatte und ich hatten viele gemeinsame Interessen und Hobbies, und ich würde mich beschränken, wenn ich denen nun nicht mehr nachgehe. Außerdem möchte ich nach Lanzarote, wie ich es dem Gatten versprach. Er hatte gehofft, dass wir die Reise gemeinsam machen könnten, nachdem seine Beine operiert waren, und als klar war, dass das nichts wird, nahm er mir das Versprechen ab, dorthin alleine zu reisen. Leider konnte er mir nicht mehr sagen, wo auf Lanzarote er vor Jahrenden urlaubte.

Ich habe es endlich geschafft, der Ostsee-Tante vom Tod des Gatten zu erzählen. Sie feierte letzte Woche ihren 90. Geburtstag, und den wollte ich nicht mit schlechten Nachrichten überschatten. 

Ich habe die Halloween-Girlande aus dem Häuschen geholt und aufgehängt. Der Gatte liebte Halloween, seitdem wir in der lindgrünen Hölle wohnen, und ich werde in seinem Sinne erstmal weitermachen. Schnobkram war ausreichend da, nur die Maskerade und die Special Effects spare ich mir - das konnte der Gatte besser. In der Siedlung ist eine neue Familie eingezogen, die den Vorgarten dekoriert. Würde der Gatte noch leben, würde er sich mit der Familie einen Deko-Wettkampf liefern - Griswolds Halloween, sozusagen. Ich musste an unser erstes gemeinsames Halloween im alt-neuen Haus 2023 denken, wo der maskierte Gatte bei jedem Klingeln glücklich zur Tür lief, während ich ein Gulasch mit Aprikosen kochte. Letztes Jahr konnte er dann schon nicht mehr alleine zur Tür laufen, brauchte meine Hilfe, war aber dennoch glücklich.

Die Trauerkarten sind verschickt - gestern geschrieben mit zitternden Händen und unter Tränen. Spontan fragte ich die 91jährige Nahcbarin, ob sie Lust auf eine kleine Runde zum Briefkasten habe. Ich wusste, dass sie alleine ist, weil sie mich vormittags schon anrief. Sie fühlt sich oft alleine, obwohl sich ihre Kinder liebevoll kümmern. Sie ist seit sechs Jahren Witwe und trauert noch immer. Als sie hörte, dass der Gatte starb, meinte sie gleich, ihre Tür stehe mir immer offen. Wie lieb! Jedenfalls: Der nächste Briefkasten ist keine 200 m entfernt. Das war die kleine Runde, die ich meinte - mit Rundweg um den Häuserblock wäre es vielleicht ein Kilometer gewesen. Die Nachbarin steuerte allerdings zielsicher Richtung Post, so dass wir knapp drei Kilometer liefen. Zum Glück war ich warm angezogen. Da die Nachbarin gerne spazieren geht, werde ich sie sicher öfter fragen.

Die Traueranzeige in der Lokalpostille erscheint heute. Schwiegermutter wollte nicht, dass eine Anzeige in der Zeitung erscheint, aber ich finde, das gehört sich so, auch, wenn der Gatte hier niemanden kennt. 

Hier galt 293 Wochen: Der Gatte und ich waren weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall, im sechsten wurde er ein Palliativfall, steckte sich im Sommer bei einem neunwöchigen Krankenhausaufenthalt mit Candidozyma auris an. An der Pilz-Infektion starb er im Oktober 2025 im Alter von 64 Jahren. Seit Woche 294 versuche ich mich, im Alleinleben zurechtzufinden. 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.