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Samstag, 28. Oktober 2023

Samstagsplausch KW 43/23: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CLXXXIX

Sonnabend und Sonntag hatten wir Besuch. Ich hatte so von der alt-neuen Heimat geschwärmt, dass eine Blog-Freundin meinte, dieses Bullerbü wolle sie sich gerne mal selbst ansehen. Der Regen warf unsere Planung komplett um, und manches Mal mussten wir improvisieren.

Sonnabend besuchten wir die Kunststätte Bossard. Solange es nur nieselte, schauten wir uns die Außenanlagen an, anschließend die Innen-Ausstellungen. Seit mehr als zwei Jahren gibt es eine Kontroverse zur politischen Einstellung der Bossards, und inzwischen liegt ein erstes Gutachten vor. So sehr ich die Arbeit des IfZ normaalerweise schätze, hier habe ich den Eindruck, es wird alles getan, um nachzuweisen, dass die Bossards unmöglich von Antisemitismus und NS-Geist beeinflusst sein könnten. Gut, man fand in seiner Symbolik zwar ein Hakenkreuz, aber das war sicher nur Zufall. Okay, Bossard war Anhänger der Ariosophie und Lebensreform, propagierte Rassenreinheit, äußerte sich antisemitisch, aber deswegen kann man doch nicht davon ausgehen, dass er Antisemit war. Merke: Wenn etwas quakt wie eine Ende und watschelt wie eine Ente, ist es sicher keine Ente, wenn's um einige Millionen Euro Förderung für einen Museumsneubau geht. 

Im Heide-Erlebniszentrum wird erklärt, wie Wolle hergestellt wird, warum Schäfer stricken und dass australische Wolle schon seit 1850 den heimischen Markt kaputt macht. Ich dachte, das ging erst viel später los.  

Sonntag sollte es einigermaßen trocken sein, also fuhren wir ins Büsenbachtal zum Wandern. Kaum waren wir aus dem Auto ausgestiegen, fing es an zu nieseln. Nach keinem Kilometer wurde aus dem Nieseln ein kräftiger Regen. Also zurück zum Auto. Die einzige Drinnen-Aktivität in der Nähe, die zu dieser Zeit schon geöffnet war, war das Heide-Erlebniszentrum, eine Empfehlung der örtlichen Facebook-Gruppe. Wir hatten keine Erwartungen und wurden mehr als positiv überrascht! Die Ausstellung ist super! Dazu gibt's beizeiten einen Extra-Beitrag. Danach bummelten wir ein bisschen durch das bezaubernde Heidedörfchen Undeloh. Zur Heideblüte bekommt man hier keinen Fuß auf den Boden, aber an diesem Wochenende mit unklarem Wetter war's einigermaßen leer. Anschließend gingen wir noch ein Stück des Heidelehrpfads, bis ich schwächelte.

Auf dem Heide-Lehrpfad.

So schön Besuch über's Wochenende war, so sehr strengte es mich doch auch an. So viel Gesellschaft, frische Luft und Bewegung bin ich seit Jahrenden nicht mehr gewohnt. Zum Glück kennt die Gästin so was und war nicht böse, als ich Sonntag Abend signalisierte, ich bräuchte Ruhe.

"Trinkst du noch Tee mit mir?" frug der Gatte, als wir Montag Nachmittag nach meinem Feierabend in die Stadt gingen. Klar blieb ich noch zum Tee, ehe ich mich nach Hamburg in die Wohnung aufmachte. Das Gependel fällt uns schwer. Vor allem der Gatte verträgt die Trennung schlecht, mag nicht alleine sein. Dienstag Abend waren wir dann wieder zusammen.

Dienstag und Mittwoch waren heftige, lange Arbeitstage mit viel Trubel. Ich bin froh, dass ich tolle Kollegen habe - und dass ich seit heute eine Woche Urlaub habe. In meinem Projekt gibt es spannende Entwicklungen, im Team insgesamt ebenfalls. Die Entwicklungen in meinem Projekt hätte ich stoppen können, aber ich fand, das Projekt dürfe nicht darunter leiten, dass die Projektleitung malad ist. Die Kollegin, die mit mir im Projekt arbeitet, und die Chefs tragen das zum Glück mit, und der Rest des Teams ebenfalls. Es ist unwahrscheinlich beruhigend, dass ich mir in dem ganzen Chaos zumindest beruflich keine Sorgen machen muss. 

Ich hatte keine Kraft, diese Woche zur Grippe-Impfung zu gehen und sagte den Termin ab. Zufällig sah ich, dass die letzte Corona-Impfung schon im Oktober ein Jahr her ist, nicht erst im Dezember, und nun habe ich kommende Woche einen Termin für eine kombinierte Grippe-Corona-Impfung - in der Apotheke. Ich bin gespannt - auf den Ablauf und wie mein Körper damit umgeht. Der Gatte bekam diese Woche seine Grippe-Impfung und spürte diesmal die Nachwehen 24 Stunden später, als wir schon gar nicht mehr damit rechneten. Letztes Jahr kippte er gleich in der Arztpraxis um ... Gegen Corona lässt er sich nicht mehr impfen, denn nach jeder Impfung lag er eine Woche flach. Nicht auszudenken, wie es würde, bekäme er tatsächlich Corona. Beim Arzt erfuhr der Gatte, dass sich seine Kaliumwerte schon etwas verbesserten. Der Stress mit der kaliumarmen Ernährung lohnt sich also. Kommende Woche schon gibt's neue Werte. Meine Blutwerte hingegen werden kontinuierlich schlechter - zu viel Fertigfutter und belegte Brötchen in der Mittagspause, weil ich keine Kraft habe, mir Oats zu machen.  

In der Hoffnung, dass wir tatsächlich in sieben Wochen mit dem Umzug beginnen, fingen wir langsam an, auszusortieren. Dabei fand ich das Reisetagebuch meiner ersten Israelreise 1988 wieder! Ansonsten freue ich mich über jeden Gegenstand, den ich entweder wegwerfe oder zum Recyclinghof bringe. Kommende Woche wird ein Teil des Lagers ausgeräumt, ziehen die Schiffsmodelle des Gatten schon mal um. 

Auf der Baustelle waren die Gärtner fleißig, und das Ergebnis sieht gut aus. Der Chef war gestern da und befand, das eine oder andere müsse nachgebessert werden. Das macht insgesamt einen guten Eindruck, auch, wenn sich die Arbeiten wieder mal ziehen - hoher Krankenstand. Es fehlt noch die Regenrinne, und Gartenhaus und ein paar vom Vorgänger gesetzte Zaunelemente müssen noch gestrichen, Bäume geschnitten werden. 

Ich muss mich um einen anderen Dachdecker kümmern, denn Dachdecker II meldete sich nicht mehr. Ich habe keine Lust, dem Kostenvoranschlag hinterher zu telefonieren, denn so, wie er beim Ortstermin die Montage von Trittstufen zum Schornstein schilderte, wird es kompliziert und teuer. Ihm waren die Dachfenster zu dicht am Schornstein, weswegen er hinter dem Haus ein Gerüst aufstellen will, um auf dem Dach Trittstufen von hinten nach vorne über das Dach und zurück um den Schornstein herum zu verlegen ... Ich habe beschlossen, erstmal abzuwarten, bis der Kamin tatsächlich eingebaut und angeschlossen ist, und dann nochmal zu hören, was der Schornsteinfeger nun wirklich will. Im September 2022 wollte er Trittstufen zum Kaminkehren, im April 2023 nicht. 

Wegen des defekten Wasserrohrs in der Waschküche diskutieren Heizungsbauer und Versicherung noch immer, wer den Schaden eigentlich verursachte. Solange der Keller trocken ist, sollen sie meinswegen diskutieren. Die Rechnung für den Austausch von Heizungsthermostaten und -ventilen verursachte Schnappatmung. Nur: Nützt ja nichts. Zum Teil waren die Ventile noch von 1961, das konnte ja nicht so bleiben. Dass der Kohleofen aus dem System genommen wurde, war sofort zu merken: Im Heizungskeller, der Werkstatt des Gatten, ist es deutlich kühler. Insgesamt sind wir sehr dankbar, dass jetzt fast überall die Heizungen wieder funktionieren. "Ein warmes Haus hat ja nicht jeder", sagte der Gatte gestern, als wir wieder ins Haus, nach Hause, kamen. Im Gästebad zickt die Heizung noch, aber das lassen wir erstmal so, denn der Gatte meint, dort sei es warm genug. Er nutzt es zurzeit, weil er im Eisenbahn- bzw. Gästezimmer schläft. Wir warten jetzt mal ab, wie es den Winter über ist, und ggf. muss ich mich im Frühjahr um die Heizungsreparatur kümmern.

Hier gilt seit mittlerweile 189 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. 

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte und hoffe sehr, das bleibt so. Weiterhin gibt es im Umfeld reichlich Infektionen. 

Der Gatte kommt immer wieder auf unseren Zahnarzt zu sprechen, der im August plötzlich und viel zu früh an einem Hirntumor verstarb. Der Zahnarzt war zwei Jahre jünger als der Gatte, bei dem der Schock tief sitzt. Er überlegt, zukünftig in der alt-neuen Heimat zum Zahnarzt zu gehen. Ich zögere noch, denn ich war knapp 35 Jahre Patientin in der Praxis. Der hiesige Zahnarzt wäre aber kaum fünf Gehminuten entfernt. Wir werden sehen. 

Schwiegermutter geht es gut, Tante hoffentlich auch - Neuigkeiten von ihr bekommen wir nur über Schwiegermutter, und die redet mehr über sich selbst oder schimpft nur über Tante, mit der sie einmal wöchentlich telefoniert. Für uns ist es schwierig, Tante zu erreichen, so dass wir nur hoffen können, dass es ihr gut geht, ihr die Reha nach ihr Schulter-OP gut tut. Schwiegermutter hat sich in den Kopf gesetzt, dass Tante Weihnachten nach Hamburg kommt. Wir sind gespannt, ob das klappt. Unter anderen Umständen hätten wir nicht dagegen, Weihnachten zu Tante nach Dachau zu fahren, aber in diesem Jahr werden wir dann noch mitten im Umzug sein. 

Ein Teil von mir ist seit drei Wochen permanent in Israel. Mittwoch beginnt in Hamburg die Schule wieder, und für die jüdischen Schülerinnen und Schüler wird die Situation wenig kommod. Jüdinnen und Juden machen sich seit drei Wochen so unsichtbar wie möglich. Feierten wir nicht gerade erst 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland?! Es macht mich wütend, dass aufgrund von Sicherheitsbedenken Gottesdienste nicht stattfinden können, Kinder nicht in die Schulen können. Das Ausmaß an Antisemitismus, das sich allerorten zeigt, macht mich sprachlos. Wütend machen mich auch die Forderungen nach einem Waffenstillstand. Die Täter-Opfer-Umkehr, die nach dem Simchat-Tora-Massaker einsetzte, ist unglaublich. Es gibt keine Anstrengungen, die Hamas zur Freilassung der über 200 Geiseln zu bewegen (oder wenigstens Visiten durch das Rote Kreuz zuzulassen) oder zum Aufgeben zu bewegen. Es gibt keinen Druck auf die Unterstützerstaaten der Hamas. Einzig Israel soll eine Waffenruhe einhalten. Wie wahnsinnig diese Idee ist, zeigt sich schon daran, dass die Hamas in den letzten drei Wochen über 8.000 Raketen auf Israel abfeuerte. Die Hamas ist wohlhabend und gut ausgestattet, lebt in sicheren Staaten, während die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza leidet - und sich doch nicht gegen die Hamas wendet, sondern einzig gegen Israel. Es ist ganz klar, dass nur die Hamas ein Ende des Krieges in der Hand hat, nur da sie und ihre Unterstützerstaaten das Ende allen jüdischen Lebens wollen, und zwar nicht nur in Nahost, ihnen niemand Einhalt gebietet, wird es so schnell kein Ende des Krieges geben. Hier sind übrigens die Namen und Fotos der über 200 Kinder, Frauen und Männer zu sehen, die seit drei Wochen in Hamas-Geiselhaft sind: Bring them home now. Die jüngste Geisel ist 9 Monate alt, die älteste 85 Jahre. 

Noch sieben sechs Wochen bis Umzug. Hoffentlich.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

Samstag, 11. Juni 2022

Samstagsplausch KW 23/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXVII

Eigentlich gilt hier seit mittlerweile 117 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. 

In dieser Woche waren wir aber oft auf dem Swutsch, erst in der Haseldorfer Marsch, dann zu den Glücksstädter Matjeswochen. In die Marsch fuhren wir mit dem Auto, da es nur eine ÖPNV-Verbindung mit 45minütigem Fußweg gab, aber nach Glückstadt nahmen wir den ÖPNV, schließlich soll mein 9-Euro-Ticket ja ausgenutzt werden, hat der Gatte aufgrund seiner Behinderung ohnehin ein bundesweit gültiges Jahresticket.

Die Züge waren gut ausgelastet, und auf dem Hinweg rief der Schaffner nur lakonisch durch den Waggon: "9-Euro-Ticket, 9-Euro-Ticket, 9-Euro-Ticket - irgendjemand ohne 9-Euro-Ticket?!" Ohne 9-Euro-Ticket wären wir mit dem Auto nach Glückstadt gefahren, denn das kostet weniger als ein reguläres Ticket und geht doppelt so schnell. Angesichts steigender Coronazahlen wäre es auch die sichere Alternative gewesen. So hoffen wir, dass uns die FFP2-Masken schützten. 

In der Haseldorfer Marsch.

Momentan häufen sich die Coronafälle im Umfeld. Nach dem langen Pfingstwochenende meldeten sich Dienstag zwei Kollegen krank, darunter auch meine Urlaubsvertretung, denn ich hatte diese Woche frei. Beide gehören zu den Risikopatienten, beide hat es ziemlich erwischt, denn auch ein milder Verlauf ist kein Zuckerschlecken. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam. Vermutlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es uns auch erwischt.

Wir haben diese Woche oft an die Zeit vor einem Jahr gedacht, als der Gatte im Krankenhaus war, unsicher war, wie es weitergehen würde. In dieser Woche gab es wieder ein kleines Stückchen Normalität, als der Gatte nicht nur an meinen Geburtstag dachte, sondern dafür sorgte, das er mit den in seiner Familie üblichen Ritualen gefeiert wurde - das war fast wie früher, als der Gatte noch gesund war! Und das war sehr schön!

Heute zeigte sich allerdings, dass die Woche schlichtweg zu viel für ihn war, denn am Tag nach unserem Ausflug in die Marsch musste der Gatte seine Mutter in einer völlig sinnlosen Aktion einen ganzen tag durch die Gegend chauffieren - eigentlich wollte er nur eine Besorgung bei ihr abgeben, was sie gleich ausnutzte. Er schaffte es kaum noch nach Hause. Da wäre es besser gewesen, wir wären gestern zu Hause geblieben, aber das wollte der Gatte nicht. Gestern Abend war er auch noch quietschfidel, aber heute beim Herzsport bekam er dann prompt die Quittung, und ich war froh, dass ich meinem Instinkt traute und ihn fuhr. Ich hoffe, er kann sich morgen ausruhen und muss nicht zu seiner Mutter. Aber so erschöpft der Gatte auch ist, so sehr zeigt sich doch, dass die Kontrolle seiner Kohlenhydrate greift. Noch vor zehn Tagen hätte er die Anstrengungen nicht durchgestanden. 

Mudderns Gesellschafterin hat zwei Wochen Urlaub, und so war ich diese Woche bei Mudderns. Sie ist dazu übergegangen, mich alles, was mit Kranken- und Pflegekasse zu tun hat, erledigen zu lassen, und da lief einiges auf. Es wäre einfacher, die Briefe gingen direkt an mich, aber das ist Mudderns nicht recht. Sie lässt sich zunehmend gerne bedienen und vieles abnehmen, was sie selbst noch kann. Mal schauen, wie sich das entwickelt - und: Nein, ich nehme ihr nichts ab, was sie noch selbst kann. Ich habe genug zu tun.

Schwiegermutter ist wie gewohnt schwierig, und Tante geht's gut. Beide wollen im Herbst einen Wellness-Urlaub machen. Die Organisation ist, gelinde gesagt, chaotisch, und wir sind gespannt, ob's etwas wird.

Diese Woche bescherte mir ein neues Taschentelefon. Mit neuer Technik tue ich mich immer schwer, und so gewöhnen wir uns nur langsam aneinander. Allerdings funktioniert endlich der Schrittzähler, was mich jeden Tag freut. Beim alten Taschentelefon konnte ich Kilometer um Kilometer laufen, ohne dass ein Schritt angezeigt wurde. Das war frustrierend. Kommende Woche werde ich dann mal herausfinden, ob die App auch funktioniert, wenn das Telefon in der Handtasche getragen wird oder nur, wenn's in der Hosentasche mitläuft.

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Sonntag, 5. Juni 2022

Samstagsplausch KW 22/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXVI

"Heute Morgen konnte ich noch Auto fahren. Heute Abend kann ich gar nichts mehr!", verzweifelte der Gatte zu Wochenbeginn, und das brach mir das Herz. 

Diese Feststellung zeigt, wie der Zustand des Gatten von einem Moment auf den anderen kippen kann. Plötzlich geht dann gar nichts mehr, kippt der Gatte um und kommt buchstäblich nicht mehr auf die Beine. Polyneuropathien sind großes Kino, vor allem, wenn noch andere Erkrankungen dazu kommen. Eine Verbesserung oder gar ein Gesundwerden sind illusorisch. Einzig Symptome können gelindert werden - manchmal. 

Für den Rest der Woche stabilisierte sich der Zustand des Gatten etwas, und gestern bei der Herzsportgruppe konnte er sogar mit den anderen Fußball spielen, ohne umzukippen. Noch nachmittags redete er davon, wieviel Spaß ihm das machte! Seit Wochen redet der Gatte zudem davon, nicht nur meins, sondern beide Fahrräder wieder flott zu machen, weil er gerne wieder Radfahren möchte. Da er mit Gleichgewichtsstörungen kämpft, werden wohl zumindest für die Anfangszeit Stützräder fällig, auch, wenn der Gatte die lächerlich findet. Nur: Ohne stürzt er, denn er kann sich nicht abfangen. Ein eBike wäre sinnvoll, aber das möchte er nicht. Stattdessen überlegt er, in die "Indoor-Cycling"-Seniorensportgruppe unseres Vereins zu gehen, um etwas sicherer zu werden, bevor es auf die Straße geht. Mal sehen. 

Hier gilt seit mittlerweile 116 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam.

Diese Woche war die Kollegin, die vier Wochen wegen Corona ausfiel, wieder im Büro. Sie ist froh, dass sie wieder fit ist, und überraschte uns alle mit einer Runde Franzbrötchen. Die beiden Kinder des Kollegen sind auch wieder fit, und die Eltern schafften es tatsächlich, sich nicht anzustecken. 

Im Büro war's anstrengender als gedacht, vor allem Freitag, denn unser Ukraine-Projekt nimmt Fahrt auf, und bei einem erst Donnerstag von der Stadt beschlossenen Projekt spielt mein Mammutprojekt eine tragende Rolle. Da ich kommende Woche Urlaub habe, musste ich Freitag meine Vertretung briefen, damit sie weiß, was auf sie zukommt. Sie war trotz freien Tags zufällig online und rief an, als sie die ersten Mails, in denen sie cc gesetzt war, sah. Es tut mir leid, dass sie keinen ruhigen Vertretungsdienst haben wird, aber ich brauche ein paar Tage zu Hause, so dass ich nicht meinen Urlaub absagen möchte. Und ich weiß, sie wird von Chefs und Kolleginnen unterstützt. Für mich ist es ungewohnt zu sagen, dass das Büro ohne mich zurecht kommen muss. 

Diese Woche durfte ich mit einer Kollegin durch die Stadt laufen - das sind die Momente, in denen ich meinen Job noch mehr mag als sonst. Die Kollegin hat für den Sommer wieder eine Themen-Rallye entwickeln lassen, und die musste nun auf Plausibilität geprüft werden. Das machte viel Spaß! Ich hatte erst Angst, dass ich zu viel meckere, weil die Konzeption von Stadtrundgängen früher mein Job war, aber die Kollegin konnte gut damit umgehen, und die, die Rallyes konzipierten, meinten, ich solle zukünftig immer die Überprüfung mitmachen. Och nö, ich bin ganz froh, dass das nicht mehr mein täglich Brot ist. Es tat aber gut zu merken, dass ich es noch kann.  

"Sachma, täuscht das oder wirst du immer weniger?" frug Chef I diese Woche. Momentan täuscht das, denn nach 30 Kilo Abnahme halte ich mein Gewicht, aber da ich mich diese Woche mal wieder im Fernsehen und in einigen Insta-Stories sah, registrierte auch ich, wie viel ich abnahm. Es dürfte gerne mehr werden, aber momentan ist nicht die Zeit dafür. 

Dass ich nicht nur letzten Freitag auf dem Swutsch war, sondern auch noch zwei lange Tage im echten Büro, bekam dem Gatten gar nicht. Für den Rest der Woche organisierte ich mich so, dass ich viel Zeit für ihn hatte, und die gemeinsame Zeit war sehr schön. Wir konnten ohne die Brüll- und Bolz-Blagen auf der Terrasse sitzen und bummelten durchs große Einkaufszentrum. Wir ließen die vergangenen zwei Jahre Revue passieren und überlegten, wie schön es gewesen wäre, an diesem langen Wochenende in London zu sein. 

Nach meinem Urlaub müssen wir mal gucken, wie wir uns so organisieren, dass der Gatte besser damit zurecht kommt, dass ich zwei, drei Tage jeweils zehn bis zwölf Stunden weg bin, denn dass ich nur noch zu Hause bin, ist keine Lösung, wollen wir beide nicht, so gut wir es auch miteinander aushalten. Zu den schönen Momenten diese Woche gehörte auch, dass der Gatte mal vor mir wach war, Kaffee kochte und mir welchen ans Bett brachte. Früher war das an Wochenenden die Regel, aber seit der Erkrankung kommt das nur noch sehr selten vor. 

Tante rief letzten Sonntag an, um sich für die Fotos aus dem Kurzurlaub mit Schwiegermutter zu bedanken, und wir sprachen lange miteinander. Es ist immer wieder schön, mit ihr zu reden. Es wäre schön, sie in der Nähe zu haben.

Mudderns geht's gut, aber sie neigt wieder dazu, mir ihre Entscheidungen und Handlungen aufzuhalsen, wird unselbständiger. Paradoxerweise wird das schlimmer, seitdem ihre Gesellschafterin zwei Mal in der Woche kommt. Das muss sich ändern. Es war okay für mich, dafür zu sorgen, dass sie Hilfsmittel und Nachzahlungen der Krankenkasse bekommt, weil das ziemlich komplex war, aber sie ist durchaus noch in der Lage, ihre Alltagsgeschäfte zu erledigen. Natürlich ist es bequemer, wenn ich das mache, aber das Leben ist kein Ponyhof. 

Mittwoch wartete der Gatte gespannt auf meine Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket, aber hier war der Auftakt unspektakulär. Morgens war der Bus sogar leerer als sonst, fehlten die Kinderwagen, Hackenporsche und Gehwagen, die sonst am Markttag für einen vollen Bus sorgen. Ich bin jetzt tatsächlich öfter als früher mit dem ÖPNV unterwegs, aber das liegt nicht am 9-Euro-Ticket, sondern daran, dass ich seit März 2020 zum ersten Mal wieder eine Monatskarte habe. Da ich maximal drei Tage im echten Büro bin, sind zwölf Tageskarten nämlich preiswerter. 

Der Tankrabatt, auf den der Gatte hoffte, weil er aufgrund seiner Behinderung oft aufs Auto angewiesen ist, entpuppte sich als schlechter Witz. Den Rabatt müssen die Mineralölkonzerne ja noch nicht mal an die Verbraucher weitergeben! In manchen Interviews war zu merken, dass die Konzernsprecher sich kaum das Lachen verkneifen konnten. 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

Samstag, 28. Mai 2022

Samstagsplausch KW 21/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXV

Hier gilt seit mittlerweile 115 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam.

Damit die Bärin meiner Begleitung nicht so alleine ist, kam Hoppie Hase mit - natürlich mit Maske. 

Gestern allerdings war ich den ganzen Tag unter Menschen, hatte Besuch von einer Blog-Freundin, und wir butscherten durch die Stadt. Das war schön, aber ungeheuer anstrengend. Heute konnte ich mich kaum bewegen, brauchte direkt nach dem Frühstück schon wieder ein Schläfchen (ausschlafen ging leider nicht, der Gatte musste zum Rehasport). In den Lokalen, die wir besuchten, standen die Tische dichter als dicht, war an irgendwelche Corona-Schutzmaßnahmen nicht zu denken - das war mehr als befremdlich, und ich hoffe, das ging gut. 

Beim Rumbutschern haben wir nicht nur lecker gegessen, sondern ich entdeckte auch ein mir bislang unbekanntes Wollgeschäft. Prompt musste ich die Wolldiät unterbrechen. Online hätte ich mir das Garn sicher nicht gekauft, aber wie es da so bunt und glänzend vor mir lag, konnte ich einfach nicht anders. Die Wolle für den nächsten Mallorca-Schal ist also gesichert.  

So ein unbeschwerter Tag war eine schöne Abwechslung, die ich zuletzt mit einer Schweizer Kochfreundin im September 2021 in Dänemark hatte - ansonsten richtet sich ja jeder Tag danach, wie's dem Gatten geht. Nun, es ist ja, wie es ist, und so, wie es ist, ist es gut. 

Dem Gatten geht's anscheinend ein ganz klein bisschen besser seit der Medikamentenumstellung, wenngleich er immer noch unter Schwindelattacken und Kreislaufproblemen leidet, oft motorisch eingeschränkt ist. Dass ich ihn heute zufällig zum Sport fuhr, war ganz gut, denn er hielt die Stunde nicht bis zu Ende durch, hätte nur schwerlich selbst zurückfahren können. Mal gucken, was die Ärztin kommende Woche sagt. 

Einmal die Alster kreuzen.

Diese Woche verbrachte der Gatte einen entspannten Tag mit seiner Mutter in der Innenstadt. Im Gegensatz zu mir bummelt und shoppt er ja wirklich gerne. Auch wenn er diesen Sonntag wieder zu seiner Mutter zum Tee geht, will er perspektivisch lieber an anderen Tagen etwas mit ihr unternehmen - bei gemeinsamen Aktivitäten ist die Wahrscheinlichkeit einfach geringer, dass sie sich in die Haare geraten, denn bei der gemeinsamen Teezeit monologisiert Schwiegermutter zwei Stunden darüber, was der Gatte alles falsch macht, wie unfähig er ist und was für eine fürchterliche Schwiegertochter ich bin. Widerworte des Gatten führen unweigerlich zum Rauswurf. Spannend wird's allerdings, Aktivitäten zu finden, die Schwiegermutters Ansprüchen genügen ... Ihre Seniorenwohnanlage bietet zwar einiges, aber Schwiegermutter hat sich ja leider entschlossen, alles, was da angeboten wird, abzulehnen, weil's in ihren Augen viel zu primitiv ist.  

Neben dem Massaker in Ulvade, das einfach nur fassungslos und wütend macht, machte mich die Nachricht über den Tod Hans Scheibners traurig. Ich durfte Mitte der 1980er Jahre mal eine Radiosendung mit ihm bestreiten, eine schöne Erinnerung an einen sehr netten Menschen. Möge ihm die Erde leicht sein. 

Street Art in der Marktstraße - Brain Fog sei Dank, fällt mir der Name des Künstlerkollektivs gerade nicht ein. 

Mudderns freute sich, dass der Zores mit ihrer Krankenkasse beigelegt ist, aber, typisch Mudderns, die Freude währte nur kurz. Sie fand sofort wieder etwas, worüber sie sich Sorgen machen, wovor sie Angst haben kann. Ich habe gerade den Eindruck, dass sich ihre Winterdepression in den Sommer verschiebt und versuche, mich nicht davon runterziehen zu lassen. Sie ist von dem, was Pflegestufe zwei nach sich zieht, gerade völlig überfordert. Ich erkläre ihr zwar alles mehrfach, aber sie macht es dann doch anders, was für Chaos sorgt, das ich dann wieder geradebiegen darf. Da ist es hilfreich, dass ihre Gesellschafterin zwei Mal in der Woche da ist, denn auf sie hört Mudderns.  

Tante bekam diese Woche einen dicken Brief mit Urlaubsfotos, und ich hoffe, sie freute sich. Wir halten unverändert am Plan fest, im kommenden Jahr ihren 90. Geburtstag mit ihr zu feiern, und eigentlich wollen wir auch gerne Weihnachten zu ihr, aber während es für uns eine finanzielle Frage ist, stellt sich für Tante die Frage, ob es nicht zu anstrengend für sie wird, ob wir ihr mit dem Besuch wirklich etwas Gutes tun (wobei wir weniger anstrengend sind als Schwiegermutter, die unweigerlich mitkäme). Dass sie 800 Kilometer weit weg ist, ist einfach doof. 

Diese Woche kam endlich die lang erwartete Wasserrechnung, und wir trauten unseren Augen kaum, denn es gibt eine hohe Rückzahlung. So ganz glauben wir es erst, wenn das Geld auf dem Konto ist (und wir haben keine Ahnung, wie wir es schafften, so viel Wasser zu sparen). Angesichts der Höhe könnten wir dem vervielfachten Gaspreis und der hohen Nachzahlung im kommenden Jahr fast gelassen entgegen sehen, wären da nicht noch die anstehende Stromrechnung und die möglichen Nachzahlungen für die Steuer. Trotzdem: Das kleine finanzielle Polster ist sehr willkommen und beruhigt.

Nachdem der Zores mit Mudderns Krankenkasse beigelegt ist, haben wir Zores mit der Lebensversicherung des Gatten, denn die verweigert die Auszahlung. Wir hatten das schon befürchtet, nachdem wir einen entsprechenden TV-Bericht sahen, aber es hätte ja auch glatt gehen können. So geht's zum Anwalt und wird sich hinziehen.  

Im Büro war's eine ruhige Woche, denn in Hamburg waren Ferien. Mein Mammutprojekt gerät das dritte Jahr in Folge in den Fokus der Nachbarbehörde. Das machte in den letzten beiden Jahren die Sommer sehr arbeitsreich - normalerweise ist spätestens mit dem Beginn der Sommerferien in diesem Projekt Ruhe. Dieses Jahr taten beide Chefs alles, um das zu verhindern. So legten sie bereits vor über drei Wochen gemeinsam mit der Nachbarbehörde die Parameter einer Zusammenarbeit fest. Allerdings scheint es dort keine Kommunikation in den Abteilungen zu geben, die sich für mein Projekt interessieren, und wenn dann noch die Anordnung einer Blaumännin kommt und in mein Projekt eingreift, ist es ohnehin aus. Allerdings ist das, was die Blaumännin und ihre Behörde wollen, nicht umsetzbar. Meine Chefs verstehen das und tragen meine Entscheidung - mal schauen, ob sie das auch rüberbringen können oder ob wir aus politischen Gründen Blödsinn umsetzen müssen. 

Mein Mammutprojekt könnte im Sommer ohnehin in den Fokus der politischen Öffentlichkeit geraten, da brauche ich keine weitere Unruhe wegen einer kurzsichtigen Fehlentscheidung aufgrund des Ukrainekriegs, die dazu beiträgt, Geflüchtete in zwei Gruppen zu teilen. Nun, wir werden sehen. Ich wappne mich jedenfalls schon dafür, dass ich dienstlich nicht nur eine Entscheidung verkaufen muss, die ich nicht mittrage, sondern zwei. Solche Art der Kommunikation liegt mir nicht. Ich kann nichts verkaufen, hinter dem ich nicht stehe, aber nun ja. Wenn's mir zu doof wird, berufe ich mich darauf, dass ich aufgrund meiner Gehaltsklasse diese Entscheidungen nicht nach außen kommunizieren muss, sondern meine beiden Chefs oder die Presseabteilung und somit mein Ex-Chef, der ja leider weiß, was ich kann ... 

Den beiden coronakranken Kindern des Kollegen ging es zum Glück nach hohem Fieber rasch besser, und weder seine Frau noch er steckten sich an. Es schaut auch so als, als käme die Kollegin, die Corona vor vier Wochen schwer erwischte, kommende Woche wieder ins Büro. Das wäre schön!

Die drei Bürotage sind nach wie vor sehr anstrengend für mich. Ich bin zwar gerne im Büro und freue mich, meine Kolleginnen wiederzusehen oder einiges in der Innenstadt erledigen zu können, aber mit zehn bis zwölf Stunden sind die Tage auch sehr lang. Vor allem die sehr lange Fahrzeit im proppenvollen ÖPNV macht mir zu schaffen. In solchen Momenten fällt mir dann auf, dass ich auch chronisch krank und behindert bin, mich aus gutem Grund für Teilzeit entschied.

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Montag, 3. Januar 2022

Die Schilleroper

Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesen. Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst.  

Aktuell tarnen sich die Demokratiefeinde als Kritiker jeglicher Corona-Maßnahmen und marschieren sonnabends durch die Innenstadt. Aber auch unter der Woche laufen Nazis gerne durch verschiedene Stadtteile. Dabei ignorieren sie ungeahndet jegliche Auflagen bezüglich Abstand und Maskenpflicht. An Intelligenz und Anstand mangelt es ihnen ohnehin, sonst wären sie keine Nazis. 

Die demokratische Mehrheit der Stadt hingegen trifft sich am 15. Januar 2022 um 15:30 Uhr am Ferdinandstor - coronakonform mit Anstand, Abstand und Maske.

Die Schilleroper ist auch eine große Freiluft-Galerie.

Der markante Rundbau, dessen Stahlkonstruktion unter Denkmalschutz steht, im Oktober 2018.

Der markante Rundbau der Schilleroper, der nicht zufällig an ein Zirkuszelt erinnert, wird Ende des 19. Jahrhunderts nach Plänen des Architekten Ernst Michaelis für Circus Busch errichtet und fasst über 1.000 Zuschauer. Nur wenige Jahre später zieht Circus Busch allerdings an den Zirkusweg auf St. Pauli um. Das Gebäude wird zum Theater umgebaut, eröffnet 1905 mit Schillers "Wilhelm Tell" und erhält anlässlich des 100. Geburtstags des Dichters den Namen "Schiller-Theater". In den 1920er Jahren werden im Wesentlichen politische Stücke gespielt, treten Laiengruppen der Hamburger Arbeiterbewegung auf. Das Theater ist in finanziellen Schwierigkeiten.

Die Nebengebäude, die nicht unter Denkmalschutz stehen, sind inzwischen abgerissen.

Ab 1933 passt sich das Theater den Nationalsozialisten an, nimmt zum Beispiel ein Drama von Joseph Goebbels auf den Spielplan. Aufgrund eines fehlenden Luftschutzkellers muss das Theater mit Beginn des Zweiten Weltkriegs den Betrieb einstellen. 

Erinnerung an die Zeit zwischen 2003 und 2006, als die Schilleroper zum letzten Mal als Club genutzt wurde. 

Spätestens ab 1943 befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Schilleroper in der damaligen Amselstraße ein Lager für etwa 500 italienische Kriegsgefangene, bewacht von Soldaten. Die Männer werden bei Aufräumarbeiten von Bombenschäden eingesetzt; körperliche Schwerstarbeit, die in der Regel u.a. aufgrund von Blindgängern und einstürzendem Mauerwerk viele Opfer fordert. Das Lager besteht bis Anfang 1945, dann werden die Männer verlegt.

Die denkmalsgeschützte Rotunde mit dem "Laterne" genannten Oberlicht, das an einen Leuchtturm erinnert.

Außerdem befindet sich auf dem Gelände die Großküche Hönisch, die zahlreiche Lager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter mit Essen versorgt, aber auch das Mittagessen für die Wachmannschaften des KZ Neuengamme lieferte. Die Großküche liefert zumindest in einem Falle auf Wunsch eines Betriebes, bei dem Kriegsgefangene eingesetzt sind, auch schon mal doppelte Verpflegungssätze, was aufgrund einer Anzeige allerdings geahndet wird.  

Im dichtbebauten Areal Bei der Schilleroper / Lerchenstraße sollen Neubauten mit bis zu 10 Stockwerken entstehen.

Nach der Befreiung wird das einstige Theatergebäude, das nicht von Bomben zerstört wurde, als Unterkunft für Flüchtlinge und Ausgebombte genutzt, schließlich als Hotel, Unterkunft für Arbeitsmigranten bzw. Flüchtlinge und Obdachlose, aber auch immer wieder für kulturelle Zwecke. Uneinigkeit über die weitere Nutzung und Leerstand setzen dem Gebäude, das unter Denkmalschutz steht, sehr zu. Im letzten Jahr kam es kurzfristig zu Abrissarbeiten einsturzgefährdeter Nebengebäude, sollte das Stahlgerüst der Rotunde endlich gestützt werden, aber kaum begannen die Arbeiten, wurden sie auch schon wieder wegen unsachgemäßer Durchführung gestoppt. 

Das freigelegte Stahlskelett der Rotunde im Oktober 2021. Die Abbrucharbeiten wurden im August gestoppt. Die Konstruktion ist einsturzgefährdet und soll einen Stützturm erhalten, der allerdings noch immer fehlt.

Heute ist die Schilleroper der letzte erhaltene Zirkusbau, der im 19. Jahrhundert in Stahlskelettbauweise errichtet wurde, ein Juwel der Architekturgeschichte. Was die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs nicht schafften, schaffte das Desinteresse der Nachkriegszeit: Seit fast 70 Jahren verfällt das Gebäude. Besitzer und Stadt schieben sich gegenseitig die Schuld dafür zu, so dass sich nichts tut, was den Verfall aufhält. Ein realistisches Konzept fehlt. Aktuell sieht alles nach der typischen Hamburger Lösung im Umgang mit denkmalgeschützten Gebäuden aus: Verfallen lassen, bis ein Abriss unvermeidbar ist, dann lukrativ neu bauen.

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Freitag, 20. August 2021

Barockgarten Jersbek / Jersbeker Park

"Wer rechnet hier mitten auf dem Land schon mit so einem tollen Park?", meinte der erstaunte Gatte, als ich ihm den Barockgarten in Jersbek zeigte. Obwohl der Anfang des 18. Jahrhunderts angelegte Park nur noch rudimentär erhalten ist, lässt sich seine einstige Pracht noch erahnen. Die Anlage steht unter Denkmalschutz, das dazugehörige Gut Jersbek, Herrenhaus samt Nebengebäuden, ist in Privatbesitz und wird von den Nachfahren der ursprünglichen Gutsherrenfamilie bewohnt.

Rondell und Torhaus, einst quasi das Entrée zum Barockgarten. Im Keller befand sich das gutseigene Gefängnis; seitlich wohnten die Gutsarbeiter.
Blick auf die Seitengebäude und das eigentliche Gutshaus. Die Gebäude sind bewohnt, das Areal privat und nicht zu betreten.

Bei unseren Besuchen Mitte April 2018 (damals machte ich die Fotos) bzw. Mitte August präsentierte sich der Park im Wesentlichen Grün. Besonders schön muss er im Frühjahr sein, wenn auf den Wiesenflächen tausende Buschwindröschen und Schlüsselblumen blühen, oder mit bunt gefärbten Blättern im Herbst. Im Herbst lohnt sich der Besuch auch wegen der Streuobstwiese mit Apfelbäumen. Gegen eine Spende darf man hier für den Eigenbedarf ernten.

Sichtachse von Eingang bis zu den sogenannten Jagdsternen, sternförmige Schneisen für die Treibjagd.
Die Streuobstwiese im Frühjahr.

Je nach Kondition kann man den Park auf drei Wanderrouten von 1,4 km bis 3,5 km Länge erkunden. Vor drei Jahren nahm ich die mittlere Runde, die bis zum Wasserbecken und zu den sogenannten Jagdsternen führt, mit dem kranken Gatten war es nur ein kurzer Spaziergang. Die lange Runde führt u.a. zum historischen Eiskeller und zur ehemaligen "Holländerei" genannten Milchwirtschaft. Später mal. 

Lindenkreis "12 Apostel". Die fehlende Line wurde inzwischen nachgepflanzt. In diesem "grünen Salon" wurden im Sommer im kleinen Kreis Gäste empfangen.
Der Lindenkreis.

Die Jagdsterne, sternförmige Schneisen für Treibjagden, verlängern den eigentlichen Garten. Beliebt ist die Jagd auf Dam- und Rotwild. Jersbek liegt am Rande des Duvenstedter Brook, einem Naturschutzgebiet, eingerichtet von Reichsstatthalter Hamburgs, Karl Kaufmann, der es zu seinem persönlichen Jagdgebiet machte und für die Bevölkerung schloss. Inzwischen ist der Duvenstedter Brook wieder frei zugänglich.

Eine der vielen prächtigen Alleen.
Die Lindenalleen sind vierreihig.

Start und Ziel ist am Landgasthof Zum Fasanenhof mit dem ehemaligen Küchengarten. So einladend sich das Lokal auch präsentiert, eine Einkehr ergab sich nicht. 

Die Bäume haben hier Gesichter.

Bis heute erhalten sind die Alleen, Sichtachsen und Heckengänge, die Aufteilung in Parkett- und Boskettbreich, die Flächen zum Lustwandeln und natürlich der Wald. Manche Gebäude wie das Gartenhaus, in dem einst Opern und Konzerte veranstaltet und Feste gefeiert wurden, sowie viele Dekorationselemente wie Putten und Pavillons, fehlen leider. Konzerte und Führungen hingegen werden immer wieder veranstaltet, aktuell natürlich nur, sofern Corona es zulässt.

Erinnerungsbank. Wer auf Ruhebänke angewiesen, hat ansonsten Pech, denn die sind Fehlanzeige. Für den Gatten habe ich deswegen immer einen Flipstick* dabei.

Der Barockgarten in Jersbek ist von Hamburg aus in etwa zwei Stunden (einfache Strecke) mit dem HVV erreichbar - theoretisch. Fährt man unter der Woche, hält die Linie 8111 quasi vor der Tür. Am Wochenende läuft man etwa 50 Minuten von Bargteheide aus zu Fuß - oder man nimmt das Auto und fährt knapp eine Stunde (einfache Strecke). Parkplätze gibt es an der Bushaltestelle und vor dem Landgasthof Zum Fasanenhof normalerweise reichlich.  

Der Landgasthof "Zum Fasanenhof".

Dieser Beitrag geht rüber zur Freutag-Linkparty. Vielen Dank für's Sammeln!

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Montag, 16. August 2021

Gut Borstel

Wir haben uns da was eingetreten. Es ist braun. Es riecht nach Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus. Wir hatten schon mal Faschismus in Deutschland. Mein Bedarf daran ist hinreichend gedeckt. Ich muss keinen faschistischen Staat erleben. Mir reichen die Erinnerungen an den, den es zwischen 1933 und 1945 gab.

Blick auf die prächtige Fassade des Herrenhauses auf Gut Borstel.

Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesen. Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst.

Der einstige Barockgarten ist heute ein weitläufiger Landschaftspark, der öffentlich zugänglich ist.

"Die Hölle in der Idylle*" ist der Titel eines Buches über ein Außenlager des KZ Neuengamme, und er kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn besonders schöne Orte mit der NS-Geschichte verknüpft sind so wie der wunderschöne Park mit dem prächtigen Herrenhaus des Medizinischen Forschungszentrums Borstel. 

Gut Borstel wurde Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals erwähnt. Das heutige Herrenhaus wurde Mitte des 18. Jahrhunderts fertiggestellt, nachdem der Vorgängerbau samt Wirtschaftsgebäuden bei einem Brand zerstört wurde. Das fünfzehnachsige Herrenhaus hat schlossähnliche Ausmaße und ist eines der größten seiner Zeit. Neben Barockelementen sind auch bereits Rokokoelemente erkennbar. 

Neben dem Hauptgebäude sind zwei Kavaliershäuser erhalten, die zusammen mit dem Herrenhaus eine Vorstellung des einstigen Ehrenhofs vermitteln. Das Ensemble wurde Anfang dieses Jahrhunderts umfassend renoviert und wird u.a. für Veranstaltungen genutzt. Im Inneren sind verschiedene ursprüngliche Elemente erhalten, u.a. ein Rokokosaal. Ein Barockgarten im französischen Stil wurde rund um das Herrenhaus angelegt, der heute als weitläufiger Landschaftspark gestaltet und öffentlich zugänglich ist.

Park und Herrenhaus.

1930 wird das Gut an Friedrich Bölck aus Bad Oldesloe verkauft. Der 53jährige hat mittels Hausierern ein Vertriebssystem für Margarine geschaffen, zu dem auch ein Rabattsystem gehört, mit dem seine Kunden u.a. Berechtigungsscheine für Erholungsurlaube erwerben können. Er beschäftigt deutschlandweit bis zu 5.000 Mitarbeiter und baut neben einer Margarinefabrik in Bad Segeberg u.a. eine Kaffeerösterei in Bad Oldesloe. Außerdem kauft Bölck verschiedene Herrenhäuser, darunter auch Gut Borstel, das er zu einem Erholungsheim für die Kinder seiner Mitarbeiter und seiner Kunden umbaut. Bölck, der mit seiner Frau Christina vier Kinder hat, ist äußerst vermögend und setzt sein Vermögen sozial ein. Er stammt selbst aus finanziell schwachen Verhältnissen und vergaß das nicht. 

Als Sozialdemokrat und Pazifist gerät Bölck ins Visier der Nationalsozialisten. Nach ihrer Machtübernahme verboten sie u.a. den Hausiererhandel, was Bölcks Vertriebssystem vernichtet. Er muss seine Firmen und Güter verkaufen und zieht sich nach Angriffen auf sein Bad Oldesloer Wohnhaus in die Nähe von Bad Schwartau zurück. Friedrich Bölck stirbt 1940 bei einem Autounfall und wird auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. 

Der Park ist wirklich sehr weitläufig.

Das Kindererholungsheim im Borsteler Herrenhaus wird aufgelöst. 1938 richtet der Reichsarbeitsdienst (RAD) hier eine Bezirksschule für die Leiterinnen des weiblichen RAD ein. Die sogenannten Arbeitsmaiden sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Sie helfen anfangs bei der Garten- und Feldarbeit, bei der Hausarbeit, der Versorgung des Kleinviehs, beim Melken und bei der Beaufsichtigung der Kinder. Im Laufe des Krieges werden sie in Dienststellen der Wehrmacht, Behörden, Krankenhäusern, Verkehrs- und Rüstungsbetrieben eingesetzt, dann zum Kriegsdienst im Flugmeldedienst bei der Luftwaffe oder bei der Flak abkommandiert. Teilweise werden die RAD-Frauen auch als KZ-Aufseherinnen eingesetzt. 

Im weitläufigen Park gibt es auch lauschige Plätzchen.

Nach dem Hamburger Feuersturm im Juli 1943 werden Ausgebombte und Flüchtlinge auf Gut Borstel untergebracht. Nach der Befreiung wird Borstel zum Sammellager für ca. 500 Polinnen und Polen, die auf den umliegenden Bauernhöfen und in Firmen zur Zwangsarbeit eingesetzt waren. Unter ihnen ist auch ein vierjähriges Mädchen, das 1946 in einer  Klärgrube des Gutes tödlich verunglückt und im Gräberfeld für Kleinkinder ukrainischer und polnischer Zwangsarbeiterinnen in Sülfeld beigesetzt wird.

1947 wird das Grundstück dem Land Schleswig-Holstein übergeben, das hier das Forschungszentrum Borstel einrichtet.

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Samstag, 16. Mai 2020

Samstagsplausch KW 20/20: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten IX

In dieser Woche war ich mehr in diesem Draußen als in den acht Wochen zuvor und merkte, dass mir neue Eindrücke abseits der gewohnten Wege doch fehlten. Wir sind mittlerweile seit neun Wochen weitgehend zu Hause; ich im Homeoffice, der Gatte in Kurzarbeit. Der Gatte ist einmal wöchentlich im "echten" Büro und ansonsten auf Abruf, während ich an meiner zum Schreibtisch umfunktionierten Werkbank arbeite, wenn im "echten" Büro nichts anliegt, was persönliche Anwesenheit erfordert.

Diese Woche war ich zwei mal im "echten" Büro, zufällig auch an dem Tag, an dem es unerwartete Entwicklungen gab. Da war es praktisch, dass wir uns kurz zu viert zusammensetzen und absprechen konnten. Das bedeutete aber auch, dass ich an einer spontanen Videokonferenz aus dem Büro heraus teilnehmen musste, mit dem Dienstrechner, auf dem die Software dafür nicht funktioniert.

Aber ich habe herausgefunden, wie ich mich mit dem Diensttelefon in einer Telefonkonferenz einwählen kann. Ein technikaffiner Kollege scheiterte daran, und deswegen dachten wir, das geht wohl nur auf Leitungsebene (als Sekretärin war das Einwählen in Telkos für die Blaumänner fast mein täglich Brot), aber nicht auf Arbeitsebene. Doch, es geht, wenn man sich erst in die Videokonferenz einwählt und wartet, bis die Software abstürzt. Dann bekommt man eine neue Telko-PIN, mit der die Einwahl klappt. Nimmt man gleich die erste Telko-PIN, klappt es nicht. Technik ist schon toll.

Wir konnten bei der Digitalisierung des Mammutprojekts einige Hürden nehmen, und vorgestern Abend ging ich beruhigt in ein langes Wochenende. Ich versuche aktuell ja, Überstunden abzubauen, aber die kommen schneller zusammen, als ich sie abbauen kann, obwohl eigentlich weniger los ist.

Dass ich zwei Tage im "echten" Büro war, lag am Gatten, denn der wollte unbedingt mal wieder einen Einkaufsbummel machen, und so nahm ich ihn im Auto in die Innenstadt mit, damit er nicht den ÖPNV nutzen musste.

Seit Mittwoch können zwar alle Geschäfte unabhängig von der Größe wieder öffnen, aber nicht alle setzten das so schnell um, und so fand der Gatte den Stadtbummel bedrückend und entnervend. Er musste erstmal eine Stunde überbrücken, denn die Geschäfte öffnen erst um 11 Uhr statt wie sonst um 10 Uhr. Erfolgreich war der Bummel dennoch: Wir haben jetzt das Lego-Minions-Set!

Sonnabend war ich nach acht Wochen das erste Mal wieder im großen Einkaufszentrum. Ich mag Einkaufsbummel schon zu normalen Zeiten nicht, aber jetzt mag ich sie noch weniger. Mich nerven die Schlangen vor den Geschäften, die Einbahnstraßenregelungen im Zentrum und in den Geschäften und das Masketragen. Dennoch ist mir das allemal lieber, als online zu bestellen, was ich möglichst vermeide. Aber Einkaufen bleibt einfach anstrengend (und wird es sicher noch für viele Monate bleiben).

Sonntag waren wir nach 12 Wochen endlich mal wieder bei Mudderns. Das war schön! Sie lehnte bislang alle Besuche wegen der Ansteckungsgefahr ab, wünschte sich jetzt aber, dass wir zum Muttertagsfrühstück kommen. Normalerweise wären wir brunchen gegangen, aber das war noch nicht möglich. So brachten wir dann alles mit. Sie hält sich tapfer. Aber sie ist auch gebrechlicher als vor 12 Wochen.

Schön war auch die Fahrt über Land zu Mudderns, die anderen Eindrücke abseits der gewohnten Wege wie blühende Rapsfelder. Die sehe ich besonders gerne, und die fehlten mir in diesem Jahr.

Der Tapir ist der Maßstab.
Andere Eindrücke gab's auch gestern bei Hagenbeck. Tante wünschte sich einen Zoobummel, nachdem das seit letzter Woche wieder möglich ist. Maximal 2.000 Besucher dürfen gleichzeitig auf's Gelände. Es gibt die Bitte, Nies- und Hustenetikette einzuhalten (was kaum gemacht wurde), Masken zu tragen (was kaum gemacht wurde), Abstand zu halten (Kinder liefen kreuz und quer, rempelten dabei auch gerne mal alles an, was im Weg war, wie die Tante mit dem Rollator). Rücksichtnahme gab's kaum.

Die Restaurants sind geschlossen, aber die Sitzmöbel stehen draußen und wurden ohne Rücksicht auf Abstand belegt. Die Imbisse sind geöffnet, man soll aber im Umkreis von 50 m nichts verzehren, nur stehen da halt auch Sitzmöbel ...

Vor beliebten Attraktionen wie den Elefanten oder dem Eismeer bildeten sich trotz Aufsicht schnell größere Gruppen, und überhaupt waren hauptsächlich Gruppen unterwegs: Befreundete Familien aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein, nach den Gesprächen untereinander anscheinend Eltern mit ganzen Kita-Gruppen. Wer braucht schon Kontaktbegrenzungen auf zwei Haushalte?! Corona ist doch vorbei!

Bei uns läuft aktuell jeden Tag mindestens einmal die Spülmaschine. Wir brauchen mehr Geschirr, weil wir ja den ganzen Tag zu zweit zu Hause sind und weil ich öfter backe als sonst. Das heißt, morgens doppeltes Frühstücksgeschirr (der Gatte frühstückt sonst im Büro), mittags Geschirr (wir essen sonst beide im Büro), nachmittags jeden Tag Teegeschirr (statt sonst nur am Wochenende) und natürlich das übliche Geschirr zum Abendessen.

Gefühlt läuft auch täglich die Waschmaschine, obwohl wir weniger Kleidung brauchen, weil die Freizeitkladage reicht. Aber da ich ohnehin zu Hause bin, lasse ich den Wäscheberg nicht so stark anwachsen wie sonst, denn ich kann zwischendrin ja immer mal eine Maschine waschen. Und ich nutze die Zeit, um Wolldecken oder Vorhänge zu waschen, was ich sonst nur im Urlaub mache.

Der Stepper wurde diese Woche fast täglich genutzt, denn meine Beine bekamen bis auf den Ausflug "nach Hagenbeck" wieder viel zu wenig zu tun. Das Freiluft-Kursabgebot unseres Turnvereins wird mehr, aber bislang passte es noch nicht mit meinen Arbeitszeiten - und dann sind da ja auch noch die gesundheitlichen Einschränkungen durch die seit Januar andauernden Wechseljahrsbeschwerden, die viel Bewegung verhindern.

Das Kursprogramm für die kommende Woche liegt dennoch schon mal ausgedruckt hier, und wenn ich merke, ich kann nicht mehr, kann ich ja gehen. Nur ist da dann das schlechte Gewissen, dass ich einen der raren Plätze beanspruche, ihn dann womöglich nicht komplett ausnutze und ihn jemandem wegnehme, der nicht eingeschränkt ist ... Irgendwas ist ja immer.

Ansonsten schlafen wir noch immer viel und sind grundsätzlich erschöpft, aber in dieser Woche klappte es zumindest einigermaßen mit einem gemeinsamen Tagesablauf. Und ich bekam einen langen handgeschriebenen Brief von einer lieben Freundin, um die ich mir schon Sorgen machte, weil ich weder auf die Oster- noch auf die Geburtstagskarte etwas hörte, was untypisch ist. Aber es ist den Umständen entsprechend alles in Ordnung, und ich werde im Laufe des Wochenendes mit einem langen Brief antworten.

Mit den Strick-Ufos geht's voran. Aktuell stricke ich eine Jacke und merkte beim rechten Vorderteil immerhin schon nach neun Reihen, dass ich gerade ein zweites linkes stricke ... Die Strickliste wächst dennoch unaufhörlich: Ich habe zu viel Zeit zum Stöbern, sehe zu viele neue Projekte, und der Gatte braucht weitere Hütten- und Handschuhe - krankheitsbedingt sind Füße, Beine und Hände auch bei tropischen Temperaturen oft kalt.

Was mir erst diese Woche richtig auffiel, ist der fehlende Flugverkehr. Im Hamburger Westen gehören wir zu Einflugschneise, und insbesondere bei Schwiegermutter merkt man das sehr. Aber seit Wochen ist paradiesische Ruhe. Das ging so weit, dass Tante gestern erstaunt "Was ist das denn für ein Geräusch?!" fragte, als über uns ein Flieger war.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea - vielen Dank für's Sammeln! Über's Einkaufen und Kochen in der vergangenen Woche berichte ich in der Kombüse. Bleibt zu Hause, bleibt gesund, passt auf euch und eure Lieben auf.

Montag, 21. Oktober 2019

Stolperstein für Claudius Gosau in der Woltmanstraße 14

Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesen. Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst.

Ein Zeitlang blickte ich von meinem Bürofenster direkt auf eine in den 1860er Jahren erbaute Häuserzeile in der Woltmanstraße. Vorm Eingang von Nummer 14 liegt ein Stolperstein für Claudius Gosau. Über ihn (und seine Familie) ist verhältnismäßig wenig bekannt.

Blick auf die (eigentlich denkmalgeschützten) Häuser der Woltmanstraße, die zwar die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs überlebten, nicht aber die aktuelle Baupolitik.
Gosau wird 1892 in Dithmarschen geboren und lebt bis 1938 in Heide. Er leistet Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg, wird mehrfach schwer verwundet, verdient in der Weimarer Republik sein Geld meistens als Bauarbeiter, ist seit 1915 mit Marianne Hansen verheiratet und Vater zweier Kinder.

Der Stolperstein für Claudius Gosau in der Woltmanstraße 14.
In den 1920er Jahren wird Gosau KPD-Mitglied und leitet den Musikzug der Partei. 1930 wird er aus der Partei ausgeschlossen, aber dessen ungeachtet nach Machtübernahme der Nazis im April 1933 aus politischen Gründen verhaftet, scheint aber nicht im organisierten politischen Widerstand aktiv zu sein.

1938 zieht die Familie nach Hamburg, in die Woltmanstraße 14. Vermutlich hofft sie, in der anonymeren Großstadt weniger aufzufallen als im kleinen Heide, wo die politische Einstellung von Claudius Gosau hinlänglich bekannt ist.

Blick auf den Hauseingang Woltmanstraße 14.
Der 22jährige Sohn Wilhelm bleibt in Heide, wo er als Landarbeiter tätig ist. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wird Wilhelm Gosau "aus erzieherischen Gründen" verhaftet und im Juli 1943 in Auschwitz ermordet.

Claudius Gosau findet Arbeit als Lokführer bei der Firma Gottlieb Tesch in Bremen-Farge. Der Betrieb errichtet dort ab 1938 ein unterirdisches Tanklager, unterhält ein eigenes Lager, in dem Zivilarbeiter wie Gosau, aber auch Häftlinge eines Gestapo-Arbeitserziehungslager untergebracht sind. Auf dem Gelände befinden sich mehrere Lager, u.a. auch ein Außenlager des KZ Neuengamme (das Gelände ist heute Teil des Denkortes Bunker Valentin).

Gosau führt mit seinen Kollegen offene Gespräche über den Kriegsverlauf und macht aus seiner politischen Einstellung keinen Hehl. Am 17. September 1943 wird der 51jährige nach Denunziation festgenommen und wegen Hochverrats sowie Wehrkraftzersetzung vor dem Volksgerichtshof angeklagt. Am 11. Februar 1944 wird Claudius Gosau zum Tode verurteilt und am 6. März 1944 in Brandenburg-Görden hingerichtet. 1946 wird seine Urne im Ehrenhain Hamburger Widerstandskämpfer auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.