Sonntag, 31. Juli 2022

#pmdd2022: Der 28. Juli 2022

An jedem 28. eines Monats ist Picture my Day-Day, kurz pmdd. Ich finde, das ist ein schönes Tagebilderbuch. Mitmachen ist einfach: Fotos vom Tag machen, bloggen oder mit #pmdd2022 auf Twitter oder Instagram einstellen. Gesammelt wird alles auf dieser Seite.

Heute kein Balkonkaffee als erstes Foto, denn dafür habe ich keine Zeit. Stattdessen reinige ich schnell noch das CPAP-Gerät, während der Kaffee durchläuft.

Schwerbepackt geht's ins Auto. Eine Tasche vergaß ich dennoch. Der Gatte bringt sie später mit.

Ich fühle mich heute wie White Rabbit: Ich bin hinter meinem Zeitplan. Hoffentlich ist die Autobahn leer. 

Die Autobahn war leer, ich bin wieder in der Zeit! Und: Ja, das Karlchen muss dringend geputzt werden, aber während des Entrümpelns lohnt das nun wirklich nicht. 

Im zweiten Zuhause, das hoffentlich bald das erste wird.

Heute bin ich sehr früh unterwegs, muss ins zweite Zuhause in der lindgrünen Hölle, denn es kommt eine Öllieferung, damit wir es im kommenden Winter warm haben. Das gehört zu den vielen neuen Dingen, die auf uns zukommen, jetzt, wo wir plötzlich Hausbesitzer sind ... Eine Nachbarin von Mudderns ist seit vielen Jahren so nett, den Öleinkauf für mehrere Nachbarn zu organisieren, und fragte vor fünf Wochen, als wir noch keine Ahnung hatten, das wir plötzlich Hausbesitzer sein würden, ob sie wie jedes Jahr für uns mit bestellen solle. Natürlich. Wir lassen erstmal so viel wie möglich beim alten.

Wir haben jetzt eine Ölheizung, die heute aufgefüllt wird (und bis zum Winter wissen wir hoffentlich auch, wie sie funktioniert).

Gegen neun Uhr komme ich endlich zu Kaffee und Frühstück.

Der Plan für den Tag. 

Jetzt ist es besiegelt: Mudderns wird vollstationär im Pflegeheim aufgenommen. 

Ich komme zwar etwas später los als geplant, bin aber pünktlich im Haus. Der Öllieferant ist sehr nett und wie Mudderns sagte, wüsste er sogar, wo der Schlüssel für den Tank hängt. Er beliefert Mudderns schon seit Jahren und fragt erstmal, wie es ihr geht. Es spannend, wer sich nach Mudderns erkundigt. Dass sich der Nachbar, der seit Jahren täglich zwei Tageszeitungen von ihr bekam, sich aber zusätzlich jeden Gefallen bezahlen ließ, nicht nach ihr fragt, verwundert nicht, ebenso wenig wie das Ausbleiben der Frage von den linken Nachbarn, die ohne Absprache in ihren Garten eindrangen, dort Kahlschlag machten und dafür einen hohen dreistelligen Betrag von ihr haben wollten (nachdem sie schon Mudderns Apfelbaum zu meucheln versuchten). Zu diesen Nachbarn ziehen wir schnellstmöglich eine Holzpalisade, auch, um ihren Schottergarten mit Plastikpool, Hüpfburg, Plastikblumen und -vögeln nicht sehen zu müssen. Außerdem wird eine Kamera installiert - besser ist das.

Wenn man die Altkleidersäcke einfach die Treppe runterfallen lässt, geht's schneller ...

Kaffeepause mit süßen Teilchen über Too good to go. Der Grill im Hintergrund sollte heute eigentlich zum ersten Mal angeworfen werden, aber es kam anders.

Im neuen Garten wachsen Malven Herbstanemonen. Die dürfen auch nach der anstehenden Umgestaltung auf jeden Fall bleiben.

Der Gatte überlegt, in der lindgrünen Hölle in den Schützenverein einzutreten. Dann stehen bei uns auch solche Gläser ...

Vormittags bin ich bei Mudderns, kommt der Gatte, der auf dem Weg den Einkauf für die kommende Woche erledigte. Arbeitsteilig räume ich im Wohnzimmer die Schränke aus, während er auf dem Dachboden Klamotten in Säcke stopft. Ich erinnere ihn an regelmäßige Pausen und hole immer mal wieder Säcke ab, damit er sich die Treppen spart. Am Ende des Tages werden wir fünf Säcke voller Klamotten, drei Säcke voller Müll, eine Ikea-Tasche voller Elektroschrott und 20 leere Koffer für den Sperrmüll haben, dazu viel Altpapier. Ich bin zehn Stunden mit Entrümpeln beschäftigt, der Gatte acht - langt dann auch.

Der Große Dicke Fette Müffelhase und der Kirmeshase zogen schon ins neue Zuhause ein. Beim Entrümpeln fand der Gatte Schnuffi, meinen Kindheits-Hunde-Hasen, der sich gerade mit beiden anfreundet.


Vor der Heimfahrt den Abwasch erledigen.

Gegen das Gefühl, nichts geschafft zu haben. Die schiere Masse dessen, was entsorgt werden muss, erschlägt uns. 

Gegen das Gefühl, nichts geschafft zu haben. Der Karton ist halbvoll. 

Nachmittags geht's nochmal zu Mudderns ins Heim, den unterschriebenen Vertrag für die Aufnahme in die vollstationäre Pflege abgeben und kurz mit Mudderns plaudern. Es ist schwer für sie. Vor fünf Wochen stürzte sie so schwer, dass klar war, sie kann nicht mehr alleine leben, egal, wie wir das Haus umbauen. Nach zehn Tagen im Krankenhaus kam sie ins Pflegeheim. Dass sie ihr Haus, in dem sie 62 Jahre lebte, so verlassen wird, hätte niemand gedacht. Das Heim ist ganze 220 Meter von ihrem ehemaligen Haus entfernt, aber sie ist tapfer, beschloss, nicht mehr dahin zurückzukehren, will sich vor allem nicht an die fürchterliche Nacht ihres Sturzes erinnern. Sie muss über Stunden hilflos gelegen haben, bis ich sie durch Zufall fand, weil es mir komisch vorkam, dass sie telefonisch nicht erreichbar war. Mudderns glaubt, dass wir schon in ihrem Haus leben, versteht nicht, dass wir frühestens Ende kommenden Jahres einziehen, wenn alles saniert und nach unseren Vorstellungen umgebaut ist. Wenn es so weit ist, wird sie hoffentlich öfter bei uns bei uns sein. Wir lassen ihr auch extra die Bank vor Haus stehen, auf der sie so gerne saß. Aber jetzt, während des Entrümpelns, wäre ein Besuch ein Schock für sie, und wir sind froh, dass sie bislang nicht daran denkt. 

Ein Souvenir meiner Israel-Zeit, das auf jeden Fall im Haus bleibt. 

Wie gut ich mal stricken konnte! Das war ein Gutschein für einen Pulliver für Mudderns. 

Die Schlüssel haben ihren Platz schon gefunden, und der Zettel ist wichtig, weil sich die Klingel hartnäckig jeder Reparatur verweigert. Eine neue ist bestellt. Die Fliesen werden übrigens weiß.

Später als geplant fahren wir zurück und landen dennoch im Stau. Der Gatte ist vor mir zu Hause und trägt die Einkäufe rein, während ich die Textil- und Müllsäcke zu den Mülleimern schleppe. Kurze Balkonpause, dann Einkäufe wegräumen und den Elektrogrill anwerfen. Das Zwiebelbaguette, auf das sich der Gatte so sehr freute, habe ich dusseligerweise im Haus vergessen ... Nach dem Abendessen und etwas Hausarbeit ist nur noch Sofasitzen und frühes Schlafengehen angesagt - ich muss am kommenden Tag wieder ins Büro.   

Es gibt sie noch, die Schleichwege meiner Kindheit, nach 40 Jahren zugewachsen. Ich freue mich schon darauf, sie mit dem Gatten zu gehen.

Gegen das Gefühl, nichts geschafft zu haben. 

Mal gucken, ob die Abholung klappt. [Spoiler: Sie klappte.]

Der Blick zurück in die ersten beiden Corona-Jahre: Am 28. Juli 2020 war der Gatte noch gesund und mit der Haushaltsauflösung seiner Mutter beschäftigt. Zwei Tage später wurde ihr Haus an die Käufer übergeben. Zwei Jahre später ist er mit der Haushaltsauflösung meiner Mutter beschäftigt. Am 28. Juli 2021 war der Gatte schon krank, beschäftigte mich ein ominöser Tumor-Verdacht (der sich ein Vierteljahr später zum Glück nicht bestätigte, da die gefunden Tumore gutartig sind).

Und täglich grüßt die Spülmaschine. In der Lücke vorne stand mein Thermobecher, den ich schon früh morgens rausfischte.

Der Gatte erledigte den Wocheneinkauf, und ich ahne, wir werden an den sechs Kohlrabi mindestens zwei Wochen essen ...

Vor dem Einschlafen noch etwas lesen: "Die Erfindung des Jazz im Donbass*" ist allerdings so gar nicht meins. 

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Samstag, 30. Juli 2022

Samstagsplausch KW 30/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXXIV

Vorgestern habe ich den Vertrag auf vollstationäre Aufnahme von Mudderns ins Pflegheim unterschrieben - damit ist es nun besiegelt, dass sie dort bleibt. Theoretisch hat sie auch schon ein Einzelzimmer. Praktisch scheitert es am Personalmangel, denn niemand ist da, um die freien Zimmer zu renovieren, damit sie neu vergeben werden können. Der Personalmangel ist immer wieder zu spüren und macht mir Sorge, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die da sind, sind einfach zauberhaft. Mal schauen, wie sich das alles entwickelt. 

Es ist eine große Erleichterung, dass sich Mudderns im Heim wohlfühlt, langsam ihre Routinen entwickelt, ankommt, endlich wieder einen strukturierten Tagesanlauf hat und vor allem auch isst. Wenn sie ins Einzelzimmer umgezogen ist, hat sie endlich auch ein paar vertraute Möbel und Erinnerungsstücke, kann richtig ankommen. Dass Mudderns so schwer stürzte, dass klar wurde, sie kann nicht mehr alleine Leben, ist gerade erst fünf Wochen her, und wir sind alle noch dabei, uns in die neue Situation einzufinden. 

Hier gilt seit mittlerweile 124 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, und gerade in der aktuellen Situation merken wir wieder einmal, welch ein gutes Team wird sind.

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist sie aber unvermeidbar, und ich kann nur hoffen, dass es uns dann nicht zu hart trifft.  

In dieser Woche versuchte ich wieder zu arbeiten. Meine Ärztin hätte mich auch länger aus dem Verkehr gezogen, um ein neuerliches Burn Out zu verhindern, aber ich dachte, ein bisschen Normalität täte mir gut. Ich weiß noch nicht, ob das so eine gute Idee war, denn noch immer kämpfe ich mit karusselfahrenden Bussen und Bahnen oder schwankenden Fußböden, macht mein überlastetes Hirn lustige Sachen. Mal schauen, ob ich bis zum Urlaub in sechs Wochen durchhalte. Meine Vertretung schlug sich wacker, so dass ich auch länger ausfallen könnte, wenn es gar nicht anders geht.

Im Büro haben wir aktuell zwei Coronafälle, und zusammen mit der Ferienzeit führte es letzte Woche dazu, dass phasenweise nur eine Person da war. Zum ersten Mal haben wir den Fall einer symptomlosen Corona-Infektion. Zum Glück ist die Kollegin so vernünftig, im Heimbüro zu arbeiten, und ich hoffe, sie bleibt dort, bis sie negativ getestet ist. Dadurch, dass bei uns Leute fehlen, war ich diese Woche vier Tage im echten Büro statt wie sonst drei. So war sichergestellt, dass das Büro besetzt ist, falls die unzuverlässige Montagskollegin ausfällt.  

Der Große Dicke Fette Müffelhase und der Kirmeshase zogen schon ins neue Zuhause ein. Beim Entrümpeln fand der Gatte Schnuffi, meinen Kindheits-Hunde-Hasen, der sich gerade mit beiden anfreundet.

Das Ausräumen von Mudderns Haus ist emotional und körperlich anstrengend. Sie neigt zum Horten, und so muss extrem viel entrümpelt werden. Der Gatte fuhr gestern etwa 20 Koffer sowie eine volle Ikea-Tasche mit Elektroschrott zum Sperrmüll, darunter ein originalverpacktes ShowView-Gerät samt Kaufbeleg oder ein ebenfalls originalverpackter Infrarotkopfhörer samt Kaufbeleg, beides aus 1995 ... 

Ich ahnte bislang nicht, wie viel Kladage man in vier Kleiderschränken und auf einer Kleiderstange unterbringen kann, aber ein Kleiderschrank ist begehbar, und in den anderen wurden die Klamotten gerollt gelagert, um Platz zu schaffen. Gestern schafften wir es immerhin 5 Müllsäcke zu füllen. Ich habe zufällig Textiltiger entdeckt, eine Firma, die Kleidung kostenlos zu Hause abholt - eine für uns zeit- und geldsparende Erleichterung! Außerdem haben wir diese Woche als Ausbeute einen Umzugskarton voller Kleiderbügel und einen Gelben Sack voller Schutzfolien, denn die Kladage musste ja vor Staub geschützt werden ... Dazu kamen drei Säcke voller Müll und zweieinhalb Umzugskisten voller Porzellan und Stehrümchen - plus das Gefühl, nichts geschafft zu haben. 

Es ist nicht nur die schiere Menge, die uns erschlägt, sondern auch der Umstand, dass Mudderns regelmäßig erzählte, sie habe entrümpelt. Das ist eine der vielen Geschichten, die sie sich ausdachte. Dass sie so gerne Geschichten erzählt, ist aktuell ein wirkliches Problem, denn eigentlich müsste ich beispielsweise nach jedem Arztbesuch dem Arzt hinterher telefonieren, ob das stimmt, was meine Mutter sagte - in den letzten fünf Wochen stimmte da nämlich selten etwas. Allein: Ich habe dazu nicht die Kraft und lasse Dinge laufen, die ich besser nicht laufen lassen sollte, auch, weil Mudderns generell extrem launisch ist. Wenn sie mich heute bittet, etwas zu erledigen, hat sie bis morgen ihre Meinung geändert, muss ich es wieder rückgängig machen. Also wurde ich im Laufe der letzten fünfeinhalb Jahrzehnte sehr gut im Aussitzen. Ich hoffe, sie wird wieder selbstständiger und klarer, denn ich kann nicht immer auf Abruf parat stehen und alles für sie erledigen, was sie selbst erledigen könnte, wenn sie nicht zu bequem wäre. Wenn sie Hilfe braucht, bekommt sie sie natürlich, aber meistens ist es Bequemlichkeit. 

Ich bin sehr dankbar, dass der Gatte bei allem so gut mitzieht. Er hat schon ein schlechtes Gewissen, wenn er einen Tag nicht im Haus war, und ich bremse ihn, damit er sich nicht übernimmt. Ich arbeite immer noch daran, meine Arbeitszeiten so zu legen, dass ich einen Wochentag im Haus sein kann, bis wir dort Internet haben. Momentan bummle ich Überstunden ab, aber das geht nur noch kommende Woche. Corona beeinflusst übrigens auch unsere Umbaupläne: Immer öfter ist bei Unternehmen die Ansage geschaltet, dass das Büro aufgrund der Pandemie unbesetzt ist, man bitte mailen möge. Immerhin klappte es bis auf einmal immer mit einem Rückruf und einem Termin.  

Wenn alle Handwerker da waren und ihre Kostenvoranschläge abgaben, können wir mit der Bank sprechen - ich bin extrem angespannt, ob wir einen ausreichenden Kredit bekommen werden. Nervös machen mich auch die immer weiter steigenden Energiekosten - zu dem sich anscheinend versechsfachten Gaspreis kommt jetzt auch noch die Energiepauschale. Heißt für uns, etwa 500 Euro Mehrkosten pro Monat, und obwohl wir uns bislang finanziell kaum einschränken mussten, kommen wir jetzt an unsere Grenzen. Und dann ist da ja auch noch die Inflation. Wir versuchen, so viel wie möglich selbst zu machen, um Geld zu sparen, und ich hoffe, wir können schon im kommenden Sommer umziehen, nicht erst Ende kommenden Jahres, auch, wenn dann vielleicht noch nicht alle Bauarbeiten abgeschlossen sind. Aber der Umzugstermin hängt nicht von uns ab, sondern von Mudderns Umzug in ein Einzelzimmer und vor allem von der Verfügbarkeit der Handwerker und den Materialien, die sie brauchen. Und die Firmen kämpfen nun mal mit Corona und Lieferschwierigkeiten.   

Schwiegermutter und Tante geht's gut. Die Damen kämpfen gerade damit, dass es keine brauchbare Zugverbindung zwischen Dachau und Bad Füssing gibt, die für zwei gehbehinderte Frauen samt Gepäck machbar ist, und versuchen, einen Shuttle zu buchen. Ich hoffe, das klappt. 

Gestern starb Lisa-Maria Kellermayr, eine österreichische Ärztin, die von Corona-Leugnern, Impfgegnern und Querdenkern massivst bedroht wurde. Mein Mitgefühl gilt ihrer Familie und ihren Freunden. Wieder wird sehr deutlich: Querdenken tötet, Querdenker sind rechtsradikale Terroristen.  

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Ich hoffe sehr, sie passt auf sich auf, so ausgebrannt, wie sie sich fühlt (und an sie denke ich jedes Mal, wenn ich mit den Pflegekräften bei Mudderns spreche, die über ihre Grenzen arbeiten).Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

Montag, 25. Juli 2022

Ausgelesen: Bücher im Juni 2022

Lesen in Gesellschaft.
In diesem Monat beendete ich mit "Feind des Volkes*" die sechsteilige Max-Heller-Reihe von Frank Goldammer*. Die in Dresden spielenden Bücher begannen im November 1944, so dass sich die Handlung von den letzten Kriegstagen über die sowjetische Besetzung, die Gründung der DDR und den Volksaufaufstand im Juni 1953 bis hin zum Mauerbau im August 1961 zieht. 

Hauptmann Max Heller von der Dresdner Kriminalpolizei ist von seinem neuen, linientreuen Vorgesetzten in den Innendienst versetzt worden. Ein Affront für Heller, der kurz vor seinem Ruhestand steht. Als er eines Tages ein Paket mit Beweismaterial aus einem längst aufgeklärten Mordfall erhält, ist er alarmiert. Bald ist klar, der wahre Täter von damals ist zurück und fordert Heller zu einem perfiden Kampf um Leben und Tod heraus. Eine atemlose Mörderjagd beginnt, die Hellers Familie in größte Gefahr bringt. Auch die politische Lage in der DDR spitzt sich zu. Nahezu unbemerkt von der Welt wird der Bau der Berliner Mauer vorbereitet. Am 10. August 1961 müssen Karin und Max Heller eine dramatische Entscheidung treffen: Gehen oder bleiben.

Im Anschluss an die Max-Heller-Reihe las ich die ebenfalls in Dresden spielende dreibändige Max-Tauner-Reihe, hatte aber arge Probleme, hinein zu kommen - vielleicht lag's am Fußball als Thema des ersten Buches ... "Abstauber*" spielt während der EM, als kurz vor Beginn der Fußball-EM in Polen/Ukraine ein letztes Testspiel der deutschen Mannschaft gegen die Slowakei stattfindet. Auf dem Weg dorthin wird der Bundestrainer Klaus Ehlig bei einem Anschlag auf sein Auto schwer verletzt, sein Assistent Holger Jansen stirbt. Sofort entsteht ein riesiger Presserummel. Falk Tauner, Hauptkommissar und Fußballhasser, ermittelt unter gegnerischen Fans, aber auch ein kürzlich geschasster Spieler sowie ein rivalisierender Trainer geraten in sein Visier. Doch als die Tatwaffe gefunden wird, trägt sie die Fingerabdrücke des DFB-Präsidenten …

Mit "Revierkampf*" tat ich mich dann schon deutlich leichter. Tauner besucht mit seinen drei schon ziemlich erwachsenen Kindern den Dresdner Zoo. Dabei wird er Zeuge, wie Theo, ein Orang-Utan, eine Tierpflegerin würgt. Tauner und die Zoopfleger greifen ein, aber sie kommen zu spät, die Frau ist tot. Ein Kollege der Toten glaubt nicht an einen Übergriff des Tieres. Tauner übernimmt den Fall. Als der Affe ausbricht und ein weiterer Mord geschieht, zweifelt der Hauptkommissar langsam an der Welt: Hat er es tatsächlich mit einem tierischen Serienmörder zu tun?

"Schrammstein*" konnte ich dann schon kaum aus der Hand legen, so spannend fand ich die Handlung: Hauptkommissar Falk Tauner erhält Besuch von seinem älteren Bruder Ralf. Er war Tauners großes Vorbild, bis zu jenem Tag im Jahre 1988, als Ralf in den Westen rübermachte und damit sogar Falks Polizeilaufbahn gefährdete. Als sein Bruder plötzlich verschwindet und kurz darauf tot aufgefunden wird, versucht Tauner den Fall auf eigene Faust aufzuklären und kann nicht glauben, in welche Machenschaften sein Bruder verwickelt war …

Von Sachsen ging's mit dem neunten Band der Lena-Lorenzen-Reihe, "Der Mann in den Dünen*" von Anna Johannsen*, an die Nordsee:  Die "Inselkommissarin" ist gerade erst aus ihrer Elternzeit zurück und oft mit den Gedanken bei ihrem kleinen Sohn, als sie zu einem heiklen Einsatz gerufen wird. Ein Hamburger Reeder ist von seinem täglichen Spaziergang am Sylter Strand nicht wieder zurückgekehrt. Die ersten Gespräche mit der Familie gestalten sich schwierig und sind von Misstrauen seitens der erwachsenen Kinder geprägt.

Als Blutspuren am Strand gefunden werden, sieht alles nach einem Gewaltverbrechen aus. Kurz darauf trifft eine Nachricht der Entführer ein und die Familie scheint plötzlich doch auf Kooperation zu setzen. Lena taucht tief in die Vergangenheit des alten Reeders ein und erfährt, dass er sein Leben nach einer Wanderung auf dem Jakobsweg komplett umgestalten wollte. Liegt hier der Schlüssel zur Lösung des Falls?

Johannsens Stil ist einfach und schlicht, gelegentlich langatmig, gerade das, was mein wattiges, überfordertes Hirn zur Zeit braucht. 

Außerdem machte mich diesen Monat der Tolino bei Onleihe-Büchern mal wieder kirre. Nicht nur, dass die Seiten zusammenkleben, nein, jetzt stimmen auch Inhalte und Seiten nicht überein. Was auf Seite 31 stand, ist plötzlich auf Seite 53 etc. Ich werd' irre! Ich bekam den Tipp, zum Runterladen aus der Onleihe das Beta-Feature "Tolino Leseerlebnis" zu aktivieren und es zum Lesen wieder zu deaktivieren. Mal schauen, ob's hilft. 

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Samstag, 23. Juli 2022

Samstagsplausch KW 29/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXXIII

Eisessen mit Mudderns
am letzten Sonntag.
"Ihre Mutter scheint sich aber wohl zu fühlen im Heim", meinte eine Nachbarin zu mir, nachdem sie Mudderns zufällig auf der Straße traf. 

Ja und nein. 

In klaren Momenten weiß Mudderns, wo sie ist, dass das Heim jetzt ihr Zuhause ist, aber dann wiederum geht sie davon aus, dass sie in einer Klinik ist und wieder nach Hause kommen wird. Gespräche mit ihr sind mehr als sonst eine Wundertüte; es fällt schwer, ihr zu folgen, denn oft ist sie in anderen Realitäten unterwegs. Sie macht sich schon immer die Welt, wie sie ihr gefällt, und was ihr nicht passt, gibt es schlichtweg nicht. Klare Antworten auf klare Fragen sind selten zu bekommen - mit Glück viel später, wenn sie bei einem ganz anderen Thema ist. Es ist also weiterhin sehr anstrengend, und das wird nicht besser, je älter sie wird. Der Schwebezustand im Doppelzimmer macht es nicht besser. 

Ich bemühe mich bei allem, das Positive zu sehen: Nachdem ich letzten Freitag mit Mudderns durch fast alle Etagen des Heims ging, nutzt sie die Lese-Ecke und den Garten sehr intensiv, weil "Was soll ich den ganzen Tag auf dem Zimmer?" Dazu brauchte sie noch nicht mal den Plan, den ich ihr zwei Tage später mitbrachte. Sie zieht sich tagsüber wieder an, bleibt nicht den ganzen Tag im Schlafanzug. Sie isst inzwischen mittags im Speisesaal, nachdem sie das Heim zwei Wochen lang kirre machte, nicht entscheiden konnte, wo sie essen möchte. Phasenweise bekam sie drei Portionen, weil niemand wusste, ob sie im Speisesaal, im Gemeinschaftsraum auf ihrer Etage oder im Bett essen möchte, aber jetzt half, dass im Speisesaal Herr K. sitzt , und an seinem Tisch möchte sie auch sitzen ... Sie entschuldigte sich sogar bei den Köchen für das Hin und Her. Sie isst wieder drei Mahlzeiten am Tag (und das Essen wird im Heim frisch gekocht, ist einfach, aber altersgerecht und gut). Mudderns nahm am Erdbeerfest teil und knüpft erste Kontakte - das fiel ihr schon immer leicht; Kontakte zu pflegen hingegen nicht. Als ich ihr Freitag einen Rosenstrauß mit ihrer gewohnten Rosenvase mitbrachte, gab es noch Drama, weil sie partout keine Blumen wollte, aber als wir vorgestern unterwegs waren, sollten die verblühten Blumen ersetzt werden. Früher kaufte sie sich wöchentlich einen Rosenstrauß; es ist also ein gutes Zeichen, dass sie wieder Blumen haben möchte. Sie überlegt, wieder in die Kirche zu gehen, wenn sie sich sicherer fühlt. Momentan mag sie außerhalb des Heimes noch nicht alleine unterwegs sein.

Dass Mudderns so schwer stürzte, dass sie ins Krankenhaus musste und sofort klar war, dass sie sich nicht mehr selbst versorgen kann, nicht mehr alleine leben kann, ist heute genau vier Wochen her.

Hier gilt seit mittlerweile 123 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist sie aber unvermeidbar, und ich kann nur hoffen, dass es uns dann nicht zu hart trifft. 

"Jetzt sind wir erwachsen", stellte der Gatte gestern fest, als wir im Haus auf der Terrasse saßen. Er hat recht. Wir sagen gerne, wenn wir erwachsen sind, haben wir ein Haus mit Kamin, Garten und Hund, und das alles ist jetzt in Reichweite - aber auch Kreditschulden, zumindest, sofern uns die Bank als kreditwürdig einstuft. Sonst müssen wir neu planen, schlimmstenfalls das Haus verkaufen, wobei das Mudderns nicht zuließe. Sie stimmt keinem Verkauf zu, und das Haus nach der Schenkung ohne ihre Zustimmung zu verkaufen, könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Es gibt also keinen Plan B. Der Gatte meint, dass wir alles ohne Kredit schaffen. Wir werden sehen (und selbst wenn, habe ich Schulden beim Gatten - okay, der berechnet zumindest keine Zinsen). Kommenden Monat bekommen wir die ersten Kostenvoranschläge, und dann werden Fördermöglichkeiten ausgelotet, sprechen wir mit den Banken. 

Mudderns ist der Meinung, dass wir mit dem Verkauf ihrer Sammlungen gutes Geld verdienen können, aber da ist der ideelle Wert höher als der finanzielle. Ich hoffe, dass Vadderns Briefmarken und Münzen das erhoffte Geld einbringen, sofern ich sie finde ... Das Entrümpeln gestaltet sich langwierig und schwierig, denn ich muss Raum für Raum, Schrank für Schrank, Schublade um Schublade durchgehen, weil nur wenig an seinem Platz ist, Mudderns Beschreibungen zum Teil sehr kryptisch sind. Das Entrümpeln ist manchmal emotional schwierig, wenn ich zum Bespiel die letzten Fotos finde, die meinen Vater ein halbes Jahr vor seinem Tode zeigen, aber bislang komme ich gut damit zurecht. Sobald ich mit dem Sichten durch bin, kann endlich der Entrümpler kommen (und dann geht's in der Wohnung weiter, denn nicht alles wird umziehen). Wir haben uns dagegen entschieden, Möbel zu verschenken oder einen Haus-Flohmarkt zu machen, denn Aufwand und Erlös stehen in keinem Verhältnis. Wären wir vor Ort, wäre es anders, aber für die 80 km brauchen wir aufgrund der Situation vorm Elbtunnel oft drei Stunden, und das strengt zusätzlich an. Dieses und nächstes Wochenende haben wir Pause, denn der Elbtunnel ist gesperrt. Zwei Ruhetage tun gut.

Der Gatte hatte die Idee, Vorher-Nachher-Fotos von allen Räumen zu machen, und die Idee war wirklich toll! Nicht nur, dass wir sehen, was wir alles schon geschafft haben, obwohl es uns anders vorkommt, sondern wir können auch anhand der Fotos besprechen, was der Gatte machen kann, wenn er alleine im Haus arbeitet - er kann ja öfter raus als ich, muss ja nicht mehr arbeiten. So weiß er, was ich gerne erstmal aufbewahren möchte und was er bedenkenlos entsorgen kann.

Doof ist, dass wir keinen Plan haben, was Mudderns mitnehmen möchte, wenn sie ein Einzelzimmer hat. Klare Aussagen sind selten zu bekommen. So möchte sie gerne einen Sessel mitnehmen, "den, mit dem ich immer umkippe", und versteht nicht, dass genau aus diesem Grund dieser Sessel nicht mitkommt, sie einen neuen bekommt. Ich halte ein drei kleine Stapel-Tischchen, Stehlampen und zwei kleine Schränke zurück, dazu ihre erste Puppe, die noch repariert werden muss, viele Fotos und Stehrümchen. Ähnlich problematisch ist die Auswahl der Kleidung, die sie mitnehmen könnte, denn auch da gibt es keine klare Aussage, schon gar nicht zu Winterkleidung, denn da entschließt sich Mudderns prompt, nur in einer Klinik und im Winter wieder zu Hause zu sein. 

Mudderns schiebt aktuell alles auf mich ab, und so darf ich mich um ihre gesamte Korrespondenz kümmern. Gestern saß ich ein paar Stunden da und sortierte ihren Papierkram - von einem Überblick bin ich weit entfernt, aber ich habe zumindest eine grobe Ahnung und fand, was ich suchte. Ich hoffe, dass sie das alles wieder übernimmt, wenn sie im Einzelzimmer und eingerichtet ist, aber ich kenne ihre Bequemlichkeit. Zudem möchte sie jeden Tag besucht werden, ist der Überzeugung, wir wären schon in ihrem Haus eingezogen, lebten in ihren Möbeln, mit ihren Sachen, und so ruft sie an, damit ich ihr mal eben Watte, Duschgel, was auch immer vorbei bringe, versteht nicht, dass ich 80 km und nicht 220 m entfernt bin. Solche Ansinnen kenne ich von früher, als ich "mal eben" kommen sollte, weil sie beispielsweise die Fernbedienung suchte. Ich kann daher so etwas gut ablehnen, aber bei ihrem aktuellen Zustand dauert es mich mehr als sonst (und alle Versuche, mal aufzulisten, was sie alles braucht, scheiterten bislang). Immerhin machte Mudderns keine Anstalten, ins Haus zurückzukehren, sagte auch, das wolle sie bewusst nicht, um sich nicht an die Nacht ihres Unfall zu erinnern, und gab ihre Schlüssel inzwischen dem Gatten. Die Unfall-Nacht muss wirklich traumatisch gewesen sein, nicht nur gemessen an Mudderns Amnesie, sondern auch an die Spuren, die wir inzwischen fanden. Es ist ein Wunder, dass sie überlebte.

Schwiegermutter hat sich erstaunlich schnell an den Gedanken gewöhnt, dass wir umziehen. Letzten Sonntag fragte sie, ob auch ein Gästezimmer eingeplant ist, weil sie dann ja nicht mehr mal eben zum Tee kommen könne, und als der Gatte erwähnte, es zöge auch ein kleines Hundevieh ein, war sie kaum zu bremsen, bot an, Hund und Haus zu hüten, damit wir weiterhin nach Mallorca fliegen könnten. Nun, Urlaub werden wir uns nach dem Umzug nicht mehr leisten können, aber der Gedanke zählt. Der Gatte hat den Plan, dass wir kommendes Jahr im frisch renovierten Haus mit den Müttern und Tante Weihnachten feiern. Wir werden sehen. 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

Samstag, 16. Juli 2022

Samstagsplausch KW 28/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXXII

Im Zieleinlauf des Hamburger
Triathlons letzten Sonntag - nein,
ich lief nicht mit, musste nur
vorbei.
"Machen wir das Richtige?" frug der Gatte am Sonntag, nachdem wir seiner Mutter mitteilten, dass wir umziehen werden. Sie reagierte not amused, gelinde gesagt. Es zeigte sich, was ich schon länger ahnte: Sie wählte die Seniorenwohnanlage, in die sie vor zwei Jahren zog, weil sie in unserer Nähe ist, und geht seitdem hartnäckig davon aus, dass sie Zeit bei uns verbringen wird, sich bei uns um Haushalt und Garten kümmern wird. Der Gatte übersah dieses Ansinnen bislang beharrlich, überhörte die Zwischentöne. 

Im letzten Sommerurlaub gestaltete Schwiegermutter ja ungefragt schon den Garten um, und auch jetzt will sie ständig zum Heckeschneiden, Rasenmähen usw. kommen. Sie versteht auch nicht, warum der Gatte nicht jeden freien Moment mit ihr verbringt. Es war wohl ganz gut, dass wir sie jetzt schon von unseren Plänen unterrichteten, denn so hat sie noch gut anderthalb Jahre Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie 80 km von ihrem Sohn getrennt ist. Der sieht die Entfernung sehr gelassen, dachten wir im Ruhestand doch schon an einen Umzug nach NRW oder Hessen. Ich bin gespannt, welche Steine uns Schwiegermutter vor die Füße werfen wird. 

"Machen wir das Richtige?" fragten wir uns auch Dienstag, als wir in einer Arbeitspause auf Mudderns Terrasse, die jetzt irgendwie unsere ist, saßen und in den Garten blickten. Am Vormittag konnte ich kurz mit Mudderns schnacken, als sie mit ihrer Gesellschafterin auf dem Weg in die Stadt war, und war gerührt, als sie mir ihren Haustürschlüssel in die Hand drücken wollte. Den soll sie aber erstmal behalten. 

Als ich Freitag bei Mudderns war, endlich mal in Ruhe mit ihr sprechen und sie dazu animieren konnte, mit mir zusammen das Heim anzusehen, war klar, dass wir das Richtige machen. Mudderns erklärte einer Mitbewohnerin: "Ich wohne jetzt hier. Früher habe ich in der Siedlung gegenüber gewohnt. Da wohnt jetzt meine Tochter." Mudderns hat sich in einem klaren Moment dazu entschieden, nach der Kurzzeitpflege im Pflegeheim zu bleiben. Da ich schon ahnte, dass sie nicht mehr alleine leben kann, steht sie auch schon seit zehn Tagen auf der Warteliste für ein Einzelzimmer. Die Wartezeit ist blöd, denn im Doppelzimmer fühlt sie sich nicht richtig heimisch, kann nicht wirklich ankommen. Ich kann das verstehen, aber nicht ändern. Wir haben darüber gesprochen, wie wir das Haus für sie sturzsicher umbauen könnten, aber dann wäre sie den ganzen Tag alleine, und genau das möchte sie nicht. Also bleibt erstmal nur der Schwebezustand. Alles muss sich erstmal einspielen. Der Platz im Doppelzimmer war übrigens wirklich ein Lottogewinn, denn am Tag nach Mudderns Einzug wurde ein Aufnahmestopp verhängt! Das Heim leidet unter Personalknappheit, verstärkt durch Urlaub und Corona. 

Mudderns spielt auch im Pflegeheim gerne ihre Spielchen, genießt es, im Bett zu liegen und sich bedienen zu lassen, was auch den Pflegekräften schon auffiel, ist neidisch auf die Bettnachbarin, die sich nicht mehr selbst waschen oder anziehen kann, dementsprechend behandelt wird - das hätte Mudderns auch gerne, also beschwert sie sich, dass die Bettnachbarin angeblich alle Aufmerksamkeit bekomme, sich niemand um sie kümmere. Das stimmt so natürlich nicht. Mudderns redet sich auch ein, das Bett nicht verlassen zu dürfen. Sie könnte sich auch darüber freuen, dass sie noch so selbstständig ist, aber das entspricht nicht ihrem Naturell.

Ich hoffe, es hilft, dass wir uns gestern die Sitzecken anguckten (in einer gibt es sogar einen Bücherschrank, aus dem sich Mudderns gleich bediente) und den Garten. Da sich Mudderns beklagte, ohne "Stadtplan" fände sie sich unmöglich zurecht, habe ich von jedem Stockwerk, in dem wir waren, den Fluchtplan fotografiert und eingezeichnet, wo ihr Zimmer ist, wo sie isst (aktuell wegen kaputter Füße noch im Gemeinschaftsraum in ihrem Wohnbereich, später im schönen Speisesaal mit Dachgarten), wo die Sitzecke mit Bücherschrank ist und wo der Garten. Ich hoffe, sie verlässt dann auch öfter mal ihr Bett. Heute ist im Heim Erdbeerfest, und ich hoffe, die Pflegekräfte schaffen es, Mudderns zur Teilnahme zu motivieren. Ich bin gespannt, was sie erzählt, wenn wir uns morgen sehen. Eine Überraschung wäre es, wenn sie wie abgesprochen tatsächlich auf der Bank vor dem Haus auf mich wartet. Aber damit rechne ich nicht, denn ich vermute, das hat sie sich nicht gemerkt.  

Seit Freitag spätestens sind wir überzeugt, dass wir das Richtige machen. Während ich bei Mudderns war, verbrachte der Gatte viel Zeit mit Arbeiten im Haus und auf der Terrasse, und als ich zurückkam, war er begeistert von der Stille - anders als bei uns fehlen Verkehrslärm, Sirenen, Bolz- und Brüll-Blagen. Stattdessen freute er sich über die Kirchenglocken zu Mittag, wenngleich die nicht jeden Tag läuten, nur freitags bei Hochzeiten, aber das wird er merken. Und es fühlt sich einfach gut an, in das Haus zu kommen, schon ein bisschen wie Nachhausekommen, auch wenn im Haus natürlich noch immer alles an Mudderns erinnert. Das wird auch noch länger so bleiben, denn solange wir nicht sicher wissen, welche Kleinmöbel und Erinnerungsstücke sie mit in ihr Einzelzimmer nehmen wird, können wir nicht richtig entrümpeln. Gleichzeitig leert sich das Haus peu à peu, denn alles, was sie sicher nicht mitnimmt, wir nicht behalten wollen, wird verkauft, verschenkt oder geht in den Müll. Und wenn dann das Haus leer ist, müssen die bisherige Wohnung und das Lager leer werden ... 

Der Müll macht uns aktuell irre, denn Mudderns hat zum einen nur eine 40-Liter-Restmülltonne, die nur alle vier Wochen geleert wird, zum anderen gelten in dem Landkreis ganz andere Müllregeln als bei uns. So werden bei uns in der gelben Tonne Wertstoffe generell gesammelt, bei Mudderns hingegen nur Leichtverpackungen, und ob wir auf dem Wertstoffhof auch Sperrmüll anliefern dürfen, konnten wir partout nicht herausfinden. Der Gatte schlug pragmatisch vor, den Müll einfach in Hamburg zu entsorgen, denn da wissen wir, wie's geht ... Parallel haben wir einige Beistellsäcke gekauft, aber ich mag es den Nachbarn, die aktuell Mudderns Tonne zur Straße schieben, nicht zumuten, auch noch die Säcke zu schleppen. Die Abfuhrtage sind unregelmäßig, so dass wir es nur selten schaffen, am Vortag da zu sein, um die Tonnen und Säcke selbst zu schleppen. 

Der Gatte hat sich entschieden, so viel wie möglich im Haus selbst zu machen, einerseits, um Geld zu sparen, andererseits, weil er Spaß daran hat. Ich hatte die Befürchtung, dass ihm das viel zu viel wird, aber er blüht von Tag zu Tag mehr auf, bekommt leuchtende Augen, wenn er von seinen Plänen redet. Er ist die personifizierte Baumarkt-Werbung. Ich hoffe sehr, dass er sich nicht übernimmt. Kommende Woche stehen Terminvereinbarungen mit Elektriker, Netzwerktechniker und Klempner an, und ich bin froh, dass mir der Gatte das abnimmt. Sein Gesundheitszustand ist weiterhin wackelig, aber ich höre auf besorgte Nachfragen immer öfter öfter: "Doch, das schaffe ich!" Sobald wir Internet haben, ich von dort aus arbeiten kann, kann auch der Gatte richtig loslegen, werden wir immer ein paar Tage am Stück im Haus sein, können uns dann auch selbst um die Mülltonnen kümmern. 

Hier gilt seit mittlerweile 122 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist sie aber unvermeidbar, und ich kann nur hoffen, dass es uns dann nicht zu hart trifft. 

Die hohen Coronazahlen sind überall spürbar. Zwar nutze ich nicht mehr die Teststationen, seitdem sie für mich kostenpflichtig sind, sondern die Testmöglichkeit im Pflegeheim, sehe also nicht mehr, wie viele Menschen für einen PCR-Test anstehen (den ja ohnehin nur wenige bekommen oder machen lassen), aber die vielen Ausfälle durch Erkrankungen sind unübersehbar, ob im Büro, in Mudderns Pflegeheim, beim Augenarzt, bei der Bäckereikette, deren Filialen aktuell fünf Stunden früher schließen, beim ÖPNV, bei der Lebensversicherung des Gatten ...

Diese Woche stand nach zwei Jahren Pause wieder ein Augenarzttermin an, und ich hatte große Arzt, weil ich wieder Lasern befürchtete. Da mein bisheriger Augenarzt am alten Büro ist, also umständlich zu erreichen, vermittelte mir Schwiegermutter einen Termin bei ihrem, bei dem auch der Gatte inzwischen in Behandlung ist. Dahin können wir fast zu Fuß gehen. Der Gatte findet den Arzt nett und kompetent und kam zur seelischen Unterstützung mit. 

Ich fand den Arzt auch sofort sympathisch, war aber skeptisch, weil ich nicht wusste, wie er auf meine Panik vorm Lasern reagieren würde. 22 Jahre hörte ich allen Ärzten, ich solle mich nicht so anstellen, ich könne nichts spüren, das sei ein Routineeingriff. Der letzte Augenarzt war zumindest geduldig und einfühlsam, was viel Wert war. Und dann sagt dieser Augenarzt einfach: "Selbstverständlich merken Sie, wenn das Auge gelasert wird! Das Auge ist ja nicht betäubt! Das ist wie viele Nadelstiche!" Nach 22 Jahren weiß ich also, dass ich mitnichten hysterisch bin. Der Arzt erklärte, er wurde bei Gerhard Meyer-Schwickerath ausgebildet und sei der Meinung, in Hamburg werde viel zu viel gelasert, weil man damit Geld machen könne. Er befand, mein Auge müsse nicht gelasert werden, nannte mir die Warnzeichen, bei deren Auftreten ich unverzüglich in die Praxis kommen müsse, will mich im Frühjahr wiedersehen und erklärte mir, es gäbe die Möglichkeit, das Auge mittels Spritze zu betäuben. Da sei zwar die Spritze unangenehm, ich hätte aber keine Schmerzen. Ich war unwahrscheinlich erleichtert!

Im Büro ist der aktuelle Papiermangel angekommen, wurden wir zum Papiersparen aufgefordert. Zuhause nutze ich ohnehin meistens Makulatur, das werde ich dann jetzt auch im Büro machen, wenn ich nichts Offizielles drucken muss. Ansonsten klappte ich Montag auf dem Heimweg zusammen, zog mich meine Hausärztin erstmal aus dem Verkehr, damit ich zur Ruhe kommen kann. Das klappt so semi. Ich bin von der privaten Situation einfach total überfordert und finde keine Ruhe. Bei der Hausärztin lagen übrigens wieder Zeitschriften im Wartezimmer aus - vor einem Dreivierteljahr war das noch nicht so.   

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

Donnerstag, 14. Juli 2022

#12von12 im Juli 2022

Meine Güte, wir sind schon in der zweiten Jahreshälfte! Die Zeit geht viel zu schnell vorbei. Auch diesen Monat gibt's die Bildersammlung bei Caro von "Draußen nur Kännchen". Sie sammelt wie jeden Monat am 12. des Monats 12 Impressionen des Tages - vielen Dank dafür! Hier kommen meine Juli-Bilder.

#1: Früher Kaffee auf dem Balkon.
#2: Die tägliche Postkarte für Mudderns, heute direkt übergeben (und eine für eine ihrer Nachbarinnen).

#3: Frühstück zum Mitnehmen.

Dieser 12. Juli ist in gewissen Weise ein Déjà-vu des 12. Juli 2020: Damals war Schwiegermutter gerade zwei Tage vorher in ihre Seniorenwohnung gezogen, bereiteten wir in ihrem ehemaligen Haus alles für die Sperrmüllabfuhr in der kommenden Woche vor. Ihren wunderschönen Garten vermissen wir immer noch. Heute fährt mich der Gatte in die lindgrüne Hölle, denn wir wollen ein bisschen in Mudderns Haus, das demnächst unseres ist, arbeiten - das heißt, der Gatte arbeitet. Ich bin für zwei Wochen aus dem Verkehr gezogen, weil mein Körper hartnäckig meint, in einem Karussell zu sitzen. Deswegen fährt auch der Gatte. Führe ich, wären wir in einem dauerhaften Kreisverkehr. 

#4: Der Gatte entschied, dass erstmal Rasen gemäht wird.

#5: Mittagspause, stark improvisiert, denn bei Mudderns gibt es keine Gartenmöbel, und die Esszimmerstühle sind mehr als wackelig. Das Salatrezept gibt's demnächst in der Kombüse.

#6: Das sieht schon wieder ein bisschen nach Garten aus ...

Das schönste Ereignis des Tages konnte ich nicht fotografisch festhalten: Als wir am Pflegeheim vorbei kamen, in dem Mudderns seit einer Woche lebt, spaziert sie zusammen mit ihrer Gesellschafterin fröhlich Richtung Innenstadt, so wie früher! Der Gatte hält kurz an, damit ich aussteigen und beide begrüßen kann. 

#7: Balkonpause und einmal durch die Zeitschriften für Mudderns blättern.

Wieder zu Hause, ist ausruhen angesagt - zumindest für den Gatten. Dass ich gerade keine Ruhe finde, ist ganz praktisch, denn Chef meldet sich mit einer Medienanfrage zu meinem Mammutprojekt. Er entschuldigt sich, dass er sich meldet, aber er weiß auch, dass das okay ist. Weil niemand da ist, der übernehmen könnte (Urlaub, Corona), habe ich ihm angeboten, im Notfall erreichbar zu sein.

#8: Neue Briefmarken sind gekommen, so dass ich weiter die tägliche Postkarte an Mudderns schreiben kann. Hoffentlich bekommt sie bald Telefon.

#9: Erdbeeren ernten.

Der Abend ist ruhig: Beeren naschen, Abendessen machen, Doctor gucken und früh ins Bett in der Hoffnung, dass ich mal länger als drei Stunden am Stück schlafe ...

#10: Die tägliche Spülmaschine ...

#11: Vorbereitungen für's Abendessen.

Der Blick in die ersten beiden Corona-Jahre: Im ersten Corona-Jahr waren wir mit Schwiegermutters Umzug beschäftigt, war der Gatte noch gesund. Im zweiten Corona-Jahr war der Gatte schon krank, der Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente gestellt, lebte er sich gerade im neuen Status Quo ein.  

#12: Vor dem Einschlafen noch etwas lesen*.

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Dienstag, 12. Juli 2022

IStandWithUkraine-Socken aus PondeRosa-Wolle

Als vor mehr als 140 Tagen der russisch-ukrainische Krieg begann, starteten verschiedene Spenden- und Hilfsaktionen, darunter auch welche, bei denen gestrickt und gehäkelt wurde. So entstanden zwei Paar Spendensocken für eine Aktion von Rock 'n Woll. 

Links: Eine Socke im Muster Glomma. Rechts: Eine Socke im Hebemaschen-Karo-Muster. 

Auch die Socken aus der IStandWithUkraine-Wolle von PondeRosa-Wolle wollte ich eigentlich spenden, aber sie wurden nicht rechtzeitig zum Aktionsende Ende April fertig. Also gehen sie in die Sammelkiste für die Obdachlosenhilfe.

Socken aus der Ukraine-Färbung von PondeRosa-Wolle.

Das erste Paar wurde im Muster Glomma gestrickt. Das stricke ich gerne, das geht so schön mindless. Außerdem passt es gut zur Färbung, finde ich.   

Das Muster Glomma im Detail. Ich finde, es passt gut zur Färbung.

Ich hatte noch ein paar Gramm Wolle übrig, aber keine Lust auf die Streifen, die ich sonst daraus stricke. Da kam das Karo-Hebemaschen-Muster von Meike gerade richtig. Das habe ich bestimmt nicht zum letzten Mal gestrickt.

Socken im Karo-Hebemaschen-Muster.

Als Grundfarbe wählte ich Weiß - zugegeben, für Socken keine optimale Farbe, aber ich fand, Weiß passt am Besten. Durch das Muster wird der Schaft übrigens sehr eng - also besser ein paar Maschen mehr anschlagen. Ich hoffe auf einen Menschen mit schlanken Waden als Abnehmer für die Socken.

Das Hebemaschen-Karo-Muster im Detail.

Dieser Beitrag geht rüber zu Dings vom Dienstag, Creativsalat und Handmade on Tuesday. Vielen Dank für's Sammeln!

Samstag, 9. Juli 2022

Samstagsplausch KW 27/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXXI

Momentan bin ich mit der aktuellen Situation überfordert. Mudderns ist seit Dienstag in der Kurzzeitpflege, und während sie bei der Ankunft in Begleitung ihrer Gesellschafterin beim ersten Mittagessen im Speisesaal noch total glücklich aussah, erlebten wir sie Mittwoch völlig anders. Sie saß desinteressiert in ihrem Bett und beschwerte sich, dass sich niemand um sie kümmere - währenddessen bemühte sich gerade eine der Pflegerinnen darum, mit ihr zu klären, was sie essen möchte, ob sie wegen ihrer gebrochenen Hand Hilfe beim Essen braucht, und ihr zu erklären, dass sie aktuell auf dem Zimmer essen und möglichst wenig laufen sollte, weil ihre Füße in desolatem Zustand sind. 

Fragt man Mudderns, ist ihre Hand nicht gebrochen, ist mit ihren Füßen alles in Ordnung - sie ignoriert schon länger, dass sie auch hier dringend Hilfe bräuchte. Sie gab mir die mitgebrachte Post ungeöffnet zurück, interessierte sich nicht für die Kleidung, die ich mitbrachte oder wohin ich sie verräumte, hatte noch nicht mal die Arztbriefe geöffnet, obwohl sie die sonst brennend interessieren. Einzig Süßigkeiten und das Buch, das sie vor der Einlieferung ins Krankenhaus las, waren interessant, und sie freute sich über die mitgebrachte Stehlampe. Immerhin.

Vorgestern erlebte Mudderns Gesellschafterin sie zum ersten Mal so, wie ich sie seit langem erlebe: Mudderns war überfordert, quengelig und jammerte, beschwerte sich, dass sich niemand um sie kümmere, sie niemand zum Essen abhole - kurz, alles, was Kooperation erfordert, lehnt sie ab. Mudderns Gesellschafterin sieht sie in einer Seniorenwohnung, weil sie zu selbstständig für das Pflegeheim sei, aber angesichts der Defizite, die ich in den letzten beiden Wochen in Mudderns Haushaltsführung wahrnahm, und des Umstandes, dass ich mich schon seit Monaten um ihre Korrespondenz kümmere, weil sie selbst das nicht mehr macht, sie seit fünf Jahren wiederholt stürzt, sehe ich sie nicht mehr sich selbst versorgen können. Stattdessen habe ich darum gebeten, sie im Pflegeheim auf die Warteliste für ein Einzelzimmer zu setzen, denn auch das Pflegeheim teilt meine Einschätzung. Jetzt hakt es zwischen mir und der Gesellschafterin, die meine Entscheidung nicht nachvollziehen kann.

Der Gatte und ich haben uns zwar Mittwoch auch eine sehr schöne Zwei-Zimmer-Wohnung im Betreuten Wohnen angesehen, aber in der Wunscheinrichtung von Mudderns, zu der auch das Pflegeheim gehört, wird noch weniger geboten als bei Schwiegermutter. Die Rezeption ist nur vier Stunden am Tag besetzt, es gibt keinen internen Notruf, keine Freizeitangebote außer Gedächtnistraining und monatlichem Kaffeenachmittag - die Bewohner sind sehr selbstständig, wie die Hausdame, die uns herumführte, betonte. Da Mudderns sich seit Monaten inadäquat ernährt, beim letzten Sturz noch nicht mal mehr wusste, dass sie einen Hausnotrufknopf um den Hals trägt, lieber über Einsamkeit jammert als an Freizeitangeboten teilnimmt, persönliche Ansprache haben möchte, einen völlig verschobenen Tagesablauf hat, gerne mal nachts auf Wanderschaft geht, finde ich eine Wohnung ungeeignet. So oft, wie sie in der letzten Zeit stürzte, könnte sie dort ewig liegen, und ich kann nicht jedes Mal 80 Kilometer fahren, wenn ich sie gerade nicht telefonisch erreiche.

Mudderns negiert natürlich, dass sie schon länger stürzt, lehnt alle Hilfsmittel ab. In der Wohnung würde sie wie in ihrem Haus den Rollator nicht nutzen, weil es Möbel gibt, an denen sie sich festhalten kann (wobei die inzwischen dicht an dicht stehen müssten, damit sie selbst kurze Distanzen schafft). Im Krankenhaus und in der Pflege nutzt sie den Rollator, sobald sie aus dem Bett aufsteht. Auch wenn alles für Demenz spricht, sie im Krankenhaus als dement eingestuft wurde, merkte das Pflegeheim sehr schnell, dass Mudderns nicht dement ist. Sie ist starrsinnig, eigensinnig, egozentrisch, dickköpfig, narzisstisch, lebt in ihrer eigenen Welt und nimmt nur wahr, was sie wahrnehmen will. Diese Eigenschaften werden durch das Alter unangenehm verstärkt.     

Aktuell ist Mudderns in der Kurzzeitpflege in einem Doppelzimmer, weil so schnell nichts anderes in der Wunscheinrichtung frei war. Dass wir den Platz bekamen, war ohnehin schon ein Sechser im Lotto. Hätte ich mich nicht gekümmert, sondern auf den Sozialdienst gewartet, wäre Mudderns noch im Krankenhaus oder jotwede untergebracht. Die Dame vom Sozialdienst war völlig perplex, als ich anrief und sagte, ich hätte einen Platz, sie müsse bitte den Papierkram regeln und sagen, wann Mudderns transportfähig ist. "Die meisten kümmern sich nicht, schieben ihre Angehörigen zu uns ab und sagen, das wäre jetzt unsere Aufgabe." So aber kommen wir ja nicht weiter (wobei ich selbst überrascht war, dass das Krankenhaus sie sofort überstellte, denn ich hatte mich auf zwei Wochen geriatrische Reha eingestellt, aber die war laut Krankenhaus nicht notwendig). 

Mudderns versteht nicht, wo sie ist, wähnt sich im Wechsel im Krankenhaus oder im Betreuten Wohnen, wobei sie die Leistungen des Pflegeheims mit Betreutem Wohnen gleich setzt. Von einer Rückkehr in ihr Haus redet sie aktuell nicht, fragt auch nicht, wie es dort aussieht, und ich es erwähne das Haus auch nicht. Zum Glück kam sie auch noch nicht auf die Idee, "mal eben" in ihr Haus zu gehen, denn das Pflegeheim ist nur 220 m entfernt. Mudderns erinnert in klaren Momenten, dass ein Steuerberater an den Themen Grundsteuer und Schenkung dran ist, dass ein Notar für die Schenkung kommt. Dieses Vorgehen wurde schon vor Jahren festgelegt. In klaren Momenten sagt sie auch, sie hätte nicht gedacht, dass sie so schnell umzieht. Wir lassen ihr Zeit - bis auf die Grundsteuer drängt nichts, und da muss sie nichts machen, da ich alle Vollmachten habe. Und vielleicht passiert ja doch noch das Wunder, dass sie so auf die Beine kommt, dass sie wieder alleine in ihrem Haus wohnen kann.   

Vom Pflegeheim habe ich einen guten ersten Eindruck: Als wir zum Corona-Test kamen, wusste man sofort, wer ich bin, zu wem ich möchte und unterrichtete mich über den Gesundheitszustand meiner Mutter, dass ihr Hausarzt wegen ihrer Füße informiert sei, dass sie sich gut mit ihrer bettlägerigen Bettnachbarin verstehe, sie sogar zum Reden gebracht habe, sehr humorvoll sei und sich augenscheinlich wohl fühle. Mudderns und ihre Gesellschafterin sehen das natürlich anders. Als wir gingen, kamen gerade zwei Hunde ins Haus - das Heim hat nämlich auch Haustiere. Die Bewohner, die wir auf den Fluren und in Mudderns Wohngruppe trafen, machten einen zufriedenen Eindruck. Außerdem gibt es Gesprächs-, Bastel-, Spiel- und Bewegungsgruppen, sind Bekannte und eine frühere Nachbarin dort. In einem Einzelzimmer kann das tatsächlich sehr schön sein, wenn man sich darauf einlässt.

Ich hoffe sehr, Mudderns lebt sich im Heim ein, wenn sie erst mal zur Ruhe kam. Ich habe gelernt, dass das auch gut drei, vier Wochen dauern kann, ich Geduld haben muss. In Absprache mit dem Heim ziehe ich mich erstmal zurück, damit Mudderns zur Ruhe kommen kann. Ich wünschte, das würde auch ihre Gesellschafterin machen, aber sie besteht darauf, weiterhin zwei Mal die Woche zu kommen. Vielleicht ist das aber ganz gut für Mudderns, denn es ist ja ihr gewohnter Rhythmus, wenigstens etwas Vertrautes. Ich hätte ein besseres Gefühl, wenn Mudderns und ich wenigstens täglich telefonieren könnten, aber das geht nicht, solange der Hausmeister, der als einziger das Telefon freischalten könnte, Corona hat. Momentan schreibe ich ihr jeden Tag eine Postkarte, aber sie kann ja nicht antworten. Ich hoffe dennoch, sie freut sich.    

Hier gilt seit mittlerweile 121 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam - momentan wäre sie sogar der Super-GAU. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist sie aber unvermeidbar, und ich kann nur hoffen, dass es uns dann nicht zu hart trifft. Aber bei unserem Glück ... 

Dass Corona nach offizieller Ansicht vorbei ist, merke ich momentan jeden Tag: Bei den PCR-Tests an der Teststation, in die ich muss, wenn ich Mudderns sehen will, bei den roten Kacheln in der Corona Warn-App, an den Erkrankungen im Umfeld (Chef I ist die zweite Woche malad, ein Kollege die erste, angesteckt auf einem Kindergeburtstag), an Mudderns, die im Pflegeheim keinen Telefonanschluss bekommt, weil der Hausmeister Corona hat, an ihrer Pflegekraft im Heim, die sich, ihre beiden Kinder und ihren Mann jeden Tag testet, weil beide in der Pflege arbeiten, am Gatten, dessen Kardiologie-Termin vorgestern auf Mitte August verschoben wurde, weil das Krankenhaus überlastet ist ... Ich möchte nicht wissen, wie hoch die Untererfassung bei den Coronazahlen ist, vor allem, seitdem die Tests kostenpflichtig sind. 

Während ich Sonntag auf das Ergebnis des Corona-Tests wartete, traf ich meine Sandkastenfreundin, die ebenfalls wartete, weil sie ihre Schwiegermutter besuchen wollte, die in schlechtem Zustand im Krankenhaus liegt. Sie erzählte von ihren Erfahrungen mit dem Medizinischen Dienst bei der Pflegestufenbegutachtung ihrer Mutter, wo man automatisch davon ausging, dass es in der Familie ja zwei Töchter gibt, die ihren Beruf aufgeben, umziehen und sich um die Pflege der Mutter kümmern könnten. In welchem Jahrhundert leben wir noch gleich?! Da war ich doch froh um die Dame vom Sozialdienst, die, als ich sagte, ich könne Mudderns nicht pflegen, antwortete: "Das müssen Sie auch nicht. Dazu gibt es Pflegedienste!" Als ich ihr schilderte, unter welchen Bedingungen Mudderns von einem Pflegedienst zu Hause gepflegt werden könnte, kam ein beherztes: "Das ist doch alles Scheiße! Da ist sie in der Kurzzeitpflege besser aufgehoben!" 

Schön war, dass die Freundin sich freut, dass ich in die lindgrüne Hölle ziehen werde und meinte, ich solle mich melden, wenn wir Umzugshelfer brauchen. Bevor es soweit ist, muss erst mal das Haus entrümpelt und saniert werden ... 

Hilfreich waren zwei Telefonate mit Mudderns älterer Schwester, einer ehemaligen Altenpflegerin, die Mudderns bei den Telefonaten auch so wahrnahm wie ich sie einschätze, und die ganz erschrocken ist, wie sehr Mudderns in den letzten beiden Wochen abbaute. Sie sagte auch, bei Mudderns Starrsinn, Eigensinn und Dickköpfigkeit, mit dem sie viele Behandlungen verweigert, könnten wir nur zusehen und das Beste hoffen, gab mir zu verstehen, dass ich das Richtige tue. Das tat wirklich gut. Wie gesagt: Ich bin mit der aktuellen Situation überfordert. 

Im Büro sind wir von elf auf vier zusammengeschrumpft. Alle anderen sind in Urlaub oder haben Corona. Mittlerweile hatten sechs von elf Corona, zum Teil mehrfach. Dieses Wochenende über sind wir auf einem ukrainischen Familienfest eingesetzt, und ich trage sehr konsequent Maske. Das Fest ist sehr fröhlich und täuscht über die Einzelschicksale hinweg, von denen uns unsere Dolmetscherinnen gelegentlich erzählen. Da ist zum Beispiel eine 12jährige, die ohne Eltern und Geschwister hier ist. Bis vor einigen Wochen war immerhin noch ihre beste Freundin mit Familie hier, aber die Familie ging zurück nach Kiew. Und was es bedeutet, buchstäblich nur mit dem, was man gerade am Leib und in der Hand hatte, als der Krieg begann, zu fliehen, können wir nur erahnen. Daneben fiel mir auf, wie digitalaffin sowohl die Deutsch-Ukrainerinnen als auch die Ukrainerinnen sind. Ich stelle da nämlich mein Mammutprojekt vor, und während die Deutschen grundsätzlich meckern, dass es kein analoges Projekt ist, nutzen die Frauen die digitale Fassung total selbstverständlich und intuitiv. 

Schwiegermutter geht's gut. Sie ließ sich von einer Nachbarin überzeugen, endlich mal das Seniorensportangebot in ihrer Wohnanlage zu nutzen und kam zu ihrer Überraschung ins Schwitzen. Wegen solcher Angebote hatte sie sich eigentlich für die Anlage entschieden, aber dann beschloss sie, alles abzulehnen ... Ich hoffe, sie nutzt das Angebot regelmäßig, um ihre Muskulatur zu stärken. Sturzprophylaxe kann sie nämlich auch gebrauchen. Von Tante höre ich aktuell nichts, weil ich länger nicht mehr mit Schwiegermutter sprach, und hoffe, es geht ihr gut.

"Ich bin schon bei vier Handwaschbecken!", begrüßte mich der Gatte gestern, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Auch wenn ein Umzug frühestens Ende nächsten Jahres realistisch ist, wir Mudderns alle Zeit der Welt geben, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie nicht ins Haus zurückkehren kann, so müssen wir doch gucken, was alles auf uns zukommt, und da erstellt der Gatte eine Prioritätenliste. Plätze für Gasgrill, Werkstatt und Hundekorb hat er schon vergeben ... Das werden aufregende Monate.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.