Samstag, 13. September 2025

Samstagsplausch KW 37/25: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CCLXXXVII

Sonntag saßen wir auf der Terrasse, hatte ich nach neun Wochen endlich mal wieder die Muße, in Ruhe die Lokalpostille zu lesen. Ich entdeckte eine Todesanzeige für den jungen Mann, der mit dem Gatten zwei Tage das Zimmer teilte. Er kam an einem Donnerstag als Notfall, war sehr schwach und desorientiert, als er zum Gatten auf's Zimmer verlegt wurde. Zwei Tage später wurde er dann hektisch auf die Intensivstation verlegt. Wiederum zwei Tage später starb er. Wir sind traurig und geschockt. Dem Gatten steckt der Besuch der Eltern des jungen Mannes in den Knochen. Sie haben ihn über Stunden beschimpft, weil er nicht eher ins Krankenhaus ging. Sie brachten ihm allerdings auch eine Rose mit, die im Krankenzimmer vergessen wurde, als alle Sachen des jungen Mannes eingepackt wurden. Ich hatte nach drei Tagen Mitleid mit dem zunehmend trockner werdenden Pflänzchen und nahm es mit nach Hause, wo es seitdem üppig blüht. Die Mitnahme war vermutlich moralisch verwerflich, aber ich konnte nicht anders.

Insgesamt reden wir in diesen Tagen viel über das, was der Gatte in neun Wochen Krankenhaus erlebte. Es wird dauern, bis er die vielen Eindrücke verarbeitete. Erfreulicherweise erledigte sich aber manches, was mir im Krankenhaus Kopfzerbrechen machte, quasi sofort nach Ankunft des Gatten zu Hause, ist das Delir komplett verschwunden.

Montag und Dienstag hatten eine hohe Schlagzahl, vor allem für den Gatten, der ja neun Wochen quasi nur im Bett lag oder mit dem Rollstuhl geschoben wurde, sich kaum bewegte, jetzt aber partout wieder Normalität haben möchte. Nur spielt da sein Körper nicht mit. Montag wollte der Gatte unbedingt nur mit einem Stock gehen, Dienstag nahm er den Rollator. Der Rollstuhl wäre in beiden Fällen die bessere, da weniger anstrengendere,  Wahl gewesen, aber auf den möchte der Gatte möglichst verzichten. Leider will der Gatte im Haus auch möglichst auf den Stock verzichten. So sehr ich das verstehen kann, so sehr habe ich im Gedächtnis, dass der Verzicht auf einen Stock letztlich meiner Mutter das Leben kostete. 

Wir waren beim neuen Nephrologen, und der Wechsel scheint eine gute Idee gewesen zu sein. Nicht nur, weil uns die Fahrt nach Hamburg erspart bleibt, sondern auch, weil der Gatte von nur einem Arzt behandelt wird. In der Hamburger Praxis hatte er jedes Mal einen anderen Arzt. Das machte ihn irre. Die hiesige Praxis ist auch insgesamt kleiner und ruhiger, was ebenfalls wohltuend ist. Der neue Nephrologe macht einen guten Eindruck. Wir konnten einige offene Fragen klären, zum Beispiel die nach der Dialyse, die immer wieder im Raum stand, zuletzt im Krankenhaus, wo sie der Gatte angeblich verweigert haben soll. Da ich bei so ziemlich allen Arztgesprächen dabei war, war ich irritiert, denn es war nicht von einer Dialyse die Rede. Dafür sah auch der Nephrologe keinen Grund. Die Niere ist auf niedrigem Niveau stabil.

Wir waren auch beim Diabetologen, der in der Fußambulanz die Wundversorgung des Gatten übernimmt. Beim Saubermachen der Amputationswunde zeigte sich, wie "gründlich" das Krankenhaus die Wunde säuberte: Es befanden sich noch Fäden in der Wunde - seit über sieben Wochen! Wundmanagerin und Ärztin waren fassungslos. Dass der Gatte eine tödlich verlaufende Pilzinfektion hat, ist schlichtweg kein Wunder. Die Fäden sind gezogen, und künftig sind wir alle zwei Wochen in der Fußambulanz. Dazwischen übernimmt der Pflegedienst. Sollte sich die Wunde entzünden, können wir jederzeit in die Fußambulanz. Entscheidend für den Verlauf der Pilzinfektion ist nach wie vor, dass die Wundsituation stabil bleibt. Umso länger kann der Gatte leben. 

Beim Diabetologen gab's eine Überraschung: Der Langzeitzuckerwert des Gatten ist so gesunken, dass er fast im Normbereich ist! Das ist nach über 20 Jahren das erste Mal! Das Leben hat einen seltsamen Humor: Der Gatte stirbt an Candidose, aber mit sehr gut eingestelltem Blutzucker. 

Der Haus- bzw. Palliativarzt war da und befand, der Gatte sei noch kein Palliativpatient. Äh, bitte was?! Seiner Meinung nach werden die kommenden vier Wochen zeigen, in welche Richtung es bei dem Gatten gehe. Erst dann würde der Hausarzt ihn als palliativ einstufen. Bleibt der Gatte hingegen fieberfrei, dürfen wir vorsichtig Hoffnung schöpfen.

Okay, der Gatte ist Schrödingers Palliativpatient.

Wir wissen aktuell nicht, was wir davon halten sollen, was wir denken oder fühlen sollen. Es widerspricht allem, was uns die Ärzte im Krankenhaus sagten. Andererseits: Wir vertrauen dem Hausarzt. Der Gatte kämpft tapfer. Er will leben, so lange wie irgend möglich, selbstbestimmt. Er wird langsam selbstständiger, kräftiger, beweglicher, die Muskulatur wird stärker. Die vor einer Woche montierte  Aufstehhilfe am Bett braucht der Gatte kaum noch, und die seit drei Tagen vorhandene Aufstehhilfe am Sofa immer seltener (das Aufstehen vom Sofa war schon zu besseren Zeiten schwierig).

Sicher ist, dass wir durch die zurückgenommene Palliativ-Einstufung weniger Unterstützung bekommen, und das, wo der Gatte jetzt doch erheblich mehr Pflegebedarf hat. Das belastet vor allem mich, da bin ich ganz egoistisch, denn über das Palliativnetz hätte ich Tag und Nacht jemanden erreichen können bei Fragen oder Problemen. Der Gatte ist da wesentlich gelassener.

Der Hausarzt strich zudem den Medikamentenplan aus dem Krankenhaus zusammen, der drei DinA4-Seiten umfasste. Der Gatte bekam in den letzten Wochen über 30 Tabletten täglich und zusätzlich mehrere Infusionen. Auf dem Plan sind Medikamente, deren Wirkung sich gegenseitig aufhebt, und Medikamente, die doppelt eingesetzt wurden. Es sind Antibiotika dabei, bei denen nicht ersichtlich ist, gegen welchen Bakterienstamm sie wirken sollen - inklusive großzügig eingesetztem Reserveantibiotikum, das laut Hausarzt eher schadet als nützt, eher zum Tode führt. Es sind Medikamente dabei, die für den Gatten gar keinen Nutzen haben, nicht zu seinen Erkrankungen passen usw.. 

Als ich mich daran machte, die Tabletten des Gatten zusammenzustellen, stellte ich fest, dass er schon seit einigen Tagen manche Medikamente gar nicht mehr bekam, die er braucht. Das Krankenhaus gab uns nämlich einen Vorrat für eine Woche mit, und da fehlte einiges. Im Krankenhaus hatten wir ohnehin keinen Überblick, welche Medikamente der Gatte bekommt.

Die Entscheidung, den Gatten nach Hause zu holen, begrüßte der Arzt. Das sei die beste Therapie und Medizin. Zu Hause hätte der Gatte eine bessere Chance, sich zu erholen. 

Hoffen und beten.

Eigentlich sollte diese Woche die Augenbehandlung des Gatten fortgesetzt werden, aber der Hausarzt bat darum, damit noch vier Wochen zu warten, bis wir vielleicht wissen, ob der Gatte stabil ist. Der Gatte stimmte zu, worüber ich ganz froh war, denn so hatte er einen ruhigen Tag, hatte ich einen Tag, an dem ich diversen Schriftkram und unseren Wocheneinkauf erledigen konnte. Es fällt mir immer schwer, den Gatten alleine zu lassen, vor allem, weil er noch keinen Hausnotruf und keinen Treppenlift hat. Treppensteigen fällt ihm sehr schwer. Während ich beim Einkaufen war, probierte er allerdings aus, ob er in sein Eisenbahnzimmer auf dem Dachboden kommt ... Ja, er schaffte es, was ihm wieder Auftrieb gab. Generell fällt es ihm aber unendlich schwer, Treppen zu steigen, kann er nur ein paar Schritte gehen, ist bei mehr als ein paar Metern im Rollstuhl noch am besten aufgehoben.

Nach dem Hausarztbesuch war ich so neben der Spur, dass ich ohne nachzudenken einen "Kalender für Zwei" für das kommende Jahr bestellte. Erst danach ging mir auf, dass ja alles andere als sicher ist, dass wir kommendes Jahr noch zu zweit sind. Seit 25 Jahren bestelle ich den Kalender jedes Jahr um diese Zeit, da dachte ich jetzt gar nicht nach.

Viele Gedanken mache ich mir über unsere Grabstätte. Am liebsten wäre uns beiden eine Wald-Bestattung, aber die beiden in Frage kommenden Friedhöfe sind nur mit Auto / Taxi oder mit ÖPNV-Irrfahrten zu erreichen. Eine Taxifahrt kostet aktuell geschmeidige 65 Euro. Der Friedhof, der zu Fuß zu erreichen wäre, auf dem meine Eltern und Großeltern liegen, ist kirchlich, kommt also für uns nicht in Frage. Der städtische Friedhof wäre mit einer einfachen Busfahrt zu erreichen, liegt aber nicht so schön wie die Bestattungswälder. Solange ich arbeite bzw. noch Autofahren kann, muss ich mir über Taxikosten keine Gedanken machen, aber mit der Verrentung werde ich dafür kein Geld mehr haben. Irgendwie alles doof.

Und dann hatte ich mich gerade dazu durchgerungen, dass wir nach zwei Grabstätten in dem Bestattungswald gucken, der uns am besten gefällt, ich schon mal anfange, für die Taxikosten zu sparen, da meint der Gatte, er solle doch keine Feuer- sondern lieber eine Erdbestattung, was wieder zum städtischen Friedhof führt. 

Diese Woche wurde auch ein Treppenlift in Auftrag gegeben. Er wird in ca. zwei Monaten geliefert und eingebaut. Denken wir mal optimistisch, dass der Gatte das noch erlebt ... Es gibt ja keine Prognose zur Lebenserwartung mit Candidose. Beim Treppenlift haben wir uns für einen lokalen Anbieter entschieden. Der Vertreter des werbestarken Unternehmens, das überall auftaucht, war uns zu sehr auf's Verkaufen um jeden Preis aus und enttäuscht, dass wir Bedenkzeit brauchten, nicht sofort den Vertrag abschlossen. Aber bei einer fünfstelligen Summe möchte ich dann doch mal einen Moment nachdenken.

Stricktreffen, diesmal mit Sushi, weil einige von uns Hunger hatten.

Diese Woche konnte ich auch zum Stricktreffen gehen. Der Gatte befand, er sei stabil genug, um ein paar Stunden alleine zu sein, und die Aufstehhilfe für's Sofa kam einen Tag vorher, so dass auch keine Gefahr bestand, dass er dort hilflos strandet. Montag kommt der Hausnotruf, dann kann ich den Gatten beruhigter alleine lasse. Wir hätten uns gerne für die Notruf-Variante entschieden, die auch draußen funktioniert, aber die ist auf unbestimmte Zeit nicht lieferbar - und wer weiß, wann der Gatte wieder alleine draußen unterwegs sein kann.

Gestern waren wir auf dem Stadtfest. Der Gatte freute sich sehr darauf. Ich schob ihn die ganze Zeit im Rollstuhl, denn er war vernünftig genug, nicht den Rollator nehmen zu wollen - anderthalb Kilometer können lang sein, wenn man alle zehn Meter eine Pause braucht. Als wir gerade loszockeln wollten, kamen die überrechten Nachbarn aus der Tür. Die Nachbarin begleitete uns den ganzen Weg (ihr Mann rannte vor; da ist mal wieder Ehekrise) und gab mir hilfreiche Tipps zum Umgang mit dem Rollstuhl an Bordsteinen und den Kabelkanälen, die auf dem Festplatz alle paar Meter liegen. Es war ein schöner Ausflug. Doof war nur, dass es anders als im letzten Jahr keine Tische und Bänke gab, an denen man in Ruhe essen und trinken kann. Der Gatte hatte seine Sitzgelegenheit ja dabei, aber ich musste im Stehen essen, was ich blöd fand. 

Hier gilt seit mittlerweile 287 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall, im sechsten wurde er ein Palliativfall. Der Gatte ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. Es geht uns dennoch vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich die Erkrankungen und der Schlaganfall des Gatten zu Wesensveränderungen führten, die ein Zusammenleben manchmal sehr schwer machen. 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse. 


3 Kommentare:

  1. Meine Daumen bleiben weiterhin fest gedrückt. Von Herzen alles Gute für Sie und Ihren Gatten - Andrea

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  2. Du meine Güte, dreissig Tabletten am Tag!
    Wie gut, dass der Hausarzt euer Vertrauen hat und ordentlich aussortiert hat!
    Alles Gute weiterhin! Zuhause zu sein bekommt deinem Mann scheinbar sehr gut,das klingt doch alles verhalten positiv, es scheint sich in die richtige Richtung zu entwickeln, weiter so!
    LG, Silke

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  3. Ach herrjeh, gut, dass es daheim aufwärts geht. Viel Kraft für die Pflege und viele schöne Stunden zu zweit wünsche ich.
    Da offensichtlich es lt. Schulmedizin nur eine Richtung gibt, könnte man andere Wege "gefahrlos' nutzen: z.b. CDL Chlordioxidlösung, Experte ist Andreas Kalcker
    Mir ist bewusst, dass dieser bzw. CDL verrufen wird, habe aber selbst klasse Erfahrungen gemacht bei Viren und Bakterien. Bitte nur als Anregung sehen.
    LG Maria

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.