Samstag, 15. November 2025

Samstagsplausch KW 46/25: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CCXCVI

Was für eine Woche!

Sonntag war ich im Klezmer-Konzert in der Kirche. Bei Klezmer, den Nicht-Juden interpretieren, bin ich immer skeptisch, umso mehr, wenn es ein Konzert zur Erinnerung an die Novemberpogrome ist. Mischpoke aber ist echt gut und machte das Genre zu ihrem Ding. Das Konzert machte echt Spaß! Damit ich nicht wieder das heulende Elend bekomme, wenn ich in ein leeres, dunkles Zuhause zurückkomme, habe ich eine Stehlampe in der Stube an eine Zeitschaltuhr angeschlossen. Die schaltet die Lampe zum Einbruch der Dunkelheit ein, egal, ob ich zu Hause bin oder nicht. So vermeide ich es auch, nach einem Tag im Arbeitszimmer in eine dunkle Stube zu kommen. Selbstfürsorge halt. Nachmittags brachte die rechte Nachbarin Kuchen und eine Flaschen Stärkungssaft vorbei - so lieb!

Diese Woche war ich in einem Kirchenkonzert.

Dienstag war die Trauerfeier für den Gatten, und sie war überwältigend! Wir gingen bei der Planung davon aus, dass nur Schwiegermutter, Tante und ich da sein würden, entschieden uns dann aber doch für den großen Trauersaal. Der kleine mit sieben Plätze sagte mir nicht zu, und ich dachte, wir sitzen ja eh in der ersten Reihe, da ist es egal, wenn die Reihen hinter uns leer sind. Kaffee und Kuchen bestellten wir für zehn, die Mindestzahl, denn ich hatte keine Lust, nach der Trauerfeier mit Schwiegermutter und Tante irgendwo beim Bäcker zu sitzen. Stattdessen nutzten wir das Trauercafé des Bestatters, und notfalls hätten wir in den kommenden Tagen reichlich Kuchen gehabt. 

Montag Abend wusste ich, wir werden neun sein, kündigte sich die 90jährige Ostsee-Tante an, gefahren von meinem 72jährigen Cousin.

Dienstag waren wir dann plötzlich mehr als doppelt so viele! Die Sandkastenfreundin des Gatten sagte zum ersten Mal in 40 Jahren eine Trainingsstunde ab und kam, obwohl die beiden seit Jahrenden keinen Kontakt mehr hatten. Schwiegermutter wollte nicht, dass ich ihr Bescheid gebe, aber gerade weil ich um ihre enge Beziehung zum Gatten wusste, wäre mir alles andere falsch vorgekommen. Meine Chefin und meine Kollegin kamen, obwohl sie alles für eine große Tagung am kommenden Tag vorbereiten mussten. Zwei von Schwiegermutters ebenfalls 90jährigen Freundinnen kamen trotz langer Anreise. Ich kam aus dem "Was machst du denn hier?!" bzw. einem "Und Sie sind bitte wer?!" gar nicht mehr heraus. Die rechten und überrechten Nachbarn kamen, und der überrechte Nachbar betonte beim Abschied nochmal, dass er es ernst meinte, als er sagte, er helfe mir beim Andübeln und Zusammenbauen von Regalen, beim Sichten der Werkstatt etc. 

Der Bestatter rotierte angesichts des unerwarteten Ansturms. Damit der Kuchen für die doppelte Menge Trauergäste reichte, wurden die Stücke kurzerhand halbiert (Getränke waren genug da). Schwiegermutter lobte hinterher die kleinen mundgerechten Kuchenstücke, die genau die richtige Häppchengröße gehabt hätten ... 

Wenn ich nochmal eine Beerdigung organisieren muss, setze ich in die Traueranzeige ein "uAwg bis". Diesmal verzichtete ich aus Pietät und Takt darauf, weil man das einfach nicht macht, aber es erleichtert die Organisation ungemein.

Am sonnigen Donnerstag war dann die Beisetzung, und ich war heilfroh über meine Entscheidung, sie getrennt von der Trauerfeier zu terminieren, denn so sehr ich mich zwei Tage vorher über die vielen Trauergäste freute, so froh war ich jetzt, mich in Ruhe vom Gatten verabschieden zu können. So folgten dann nur Schwiegermutter, Tante und ich dem Sarg. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, wie die Sargträger wohl aussehen, war ewig bei keiner Erdbestattung mehr, und war erstaunt, dass sie wie in Hamburg Lutherrock, weiße Halskrause, Handschuhe und Dreispitz trugen. Das war sehr würdevoll und feierlich, auch ihr Abschiedsgruß, als sie den Sarg mit dem Gatten in die Erde ließen. Den Gatten so tief unten unter der Erde zu wissen, ist fürchterlich, vor allem, weil der Gatte als Soldat verschüttet wurde und davon traumatisiert war. Deswegen war ich erstaunt, dass er sich für eine Erdbestattung entschied. Möge ihm die Erde leicht sein!

Eigentlich wollte ich mir die komplette Woche für die Trauerfeierlichkeiten freihalten, weil ich wusste, sie würden mich sehr mitnehmen. Wider besseres Wissen brachte ich dann doch noch einiges auf den Weg wie die Beantragung eines Erbscheins, verschiedene Vertragskündigungen usw. Die Grabgestaltung steht im Großen und Ganzen, so dass ich kommende Woche Steinmetz und Friedhofsgärtner beauftragen kann - wieder zwei Posten, die ich von der Liste streichen kann.

Schwiegermutter tut mir gegenüber weiterhin so, als wäre ich die besser Schwiegertochter von allen, allerdings merkte ich auf der Trauerfeier schon, dass sie hinter meinem Rücken anders über mich redet. Es wäre ja auch ein Wunder, hätte sie sich geändert. Sie war auch ziemlich ungehalten, als sie registrierte, dass ich Tante und sie gestern nur nach Hause fuhr, nicht noch mit in die Wohnung zum Mittagessen kommen wollte. Es ging ihr nicht um das Mittagessen, sondern darum, dass sie jemanden brauchte, der sich wieder mal um ihr Taschentelefon kümmert, mit dessen Nutzung sie heillos überfordert ist. Mit Tante stritt sie sich durchgehend. Im Hotel war dann auch noch Tantes Zimmer größer und schöner als ihr Zimmer, was eine endlose Litanei zur Folge hatte. Ich freute mich für Tante, dass sie endlich mal das bessere Zimmer hatte, denn normalerweise ist es umgekehrt. Das Hotel nahm allerdings Rücksicht auf Tantes Gehwagen, und so bekam sie eines der barrierefreien Zimmer, die nun mal größer sind. Schwiegermutter war der Ansicht, man habe sie in einer Abstellkammer untergebracht, und ich bekam strikte Anweisung, bei der nächsten Hotelbuchung darauf hinzuweisen, dass sie keinesfalls wieder dieses Zimmer haben möchte, denn das dürfe gar nicht vermietet werden. Ja, nee, is klaa.  

Wir besprachen, was Weihnachten gekocht wird, denn wir drei Witwen werden zusammen bei Tante in Dachau sein. Anders als im Vorjahr war Schwiegermutter damit einverstanden, dass wir das Essen für die drei Feiertage bei Snowfrost bestellen, waren in zehn Minuten mit der Speiseplanung durch. Ich bezweifle allerdings, dass sich Schwiegermutter an unsere Absprachen halten wird.  

Ansonsten merke ich, dass ich unwahrscheinlich erschöpft bin. In den letzten Monaten habe ich mir so sehr gewünscht, endlich mal ausschlafen zu können, ungestört schlafen zu können, aber jetzt, wo ich es könnte, habe ich Schlafstörungen, komme nachts einfach nicht zur Ruhe. 

Es ist ungewohnt, aber ich versuche tapfer, die Hände, die sich mir entgegen strecken, zu greifen, mich auf das Netz, das sich um mich herum spinnt, zu verlassen. Ich bin es so sehr gewohnt, nur mit dem Gatten an meiner Seite zu sein, dass es jetzt sehr befremdlich ist, dass da noch andere Menschen sind. Mal schauen, wie sich das entwickelt. 

Was mich unwahrscheinlich verletzt und wütend macht, sind Kommentare zum Tod des Gatten, aus denen hervorgeht, dass er kein lebenswertes Leben mehr hatte. Ich weiß ja seit Corona-Beginn, dass Schwerkranke und chronisch Kranke Ballastexistenzen sind, aber dass mir jemand ins Gesicht sagt, dass der Gatte kein lebenswertes Leben mehr führte, ist hart. Sicher, der Gatte war schwerkrank, aber ohne die Pilzinfektion hätte er weiterleben können, hätte viele seiner Pläne umsetzen, Wünsche und Hoffnungen erfüllen können. Nun, angesichts der letzten Äußerungen unseres Möchtegern-Gesundheitsministers und Arzt-Darstellers müssen wir uns wohl daran gewöhnen, das Euthanasie wieder hoffähig geworden ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir Ballastexistenzen wieder ausgemerzt werden. 

Hier galt 293 Wochen: Der Gatte und ich waren coronabedingt weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall, im sechsten steckte er sich bei einem neunwöchigen Krankenhausaufenthalt mit Candidozyma auris an. An der Pilz-Infektion starb er im Oktober 2025 im Alter von 64 Jahren. Seit Woche 294 versuche ich mich, im Alleinleben zurechtzufinden. Jetzt ist Woche 296.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

2 Kommentare:

  1. Ich bin echt fassungslos. dass dir gegenüber solche Kommentare geäussert wurden, was stimmt mit solchen Leuten nicht??
    Ich bin aber froh, dass du in diesen schweren Tagen soviel Unterstützung erfährst, nun liegt es an dir, sie auch anzunehmen.
    Das wird dir vlt. auch nicht so leicht fallen, wo ihr zwei so ein eingeschworenes Team wart, so empfand ich das .
    Wenn ich daran denke, was du in den letzten Jahren alles so geschultert hast, mit deinem Beruf, mit deiner Mama, dann der Umzug mit all seinen Widrigkeiten, die Erkrankungen deines Mannes, es wundert mich , das du noch stehst.
    Ich würde mich für dich wünschen, dass du dich mit der Zeit zu einer Reha/Kur enscheiden würdest, wo du dich auf dich selbst rückbesinnen könntest.
    Bitte fass das als lieben Gedanken auf, ich will dich damit nicht vor dem Kopf stossen...
    Ganz viel Kraft weiterhin, liebe Grüsse von Silke

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  2. Liebe Du
    Ich kann Dir so nachfühlen. Das Leben ohne den Geliebten….

    Und ganz plötzlich steht die Welt einfach still - und wenn sie sich weiterdreht, ist nichts mehr wie es war.

    … ich verlor meine Geliebten vor 5 Jahren…

    … nimm Dir die Zeit, die Du brauchst.
    … nimm Dir das Recht, das zu machen, was Du brauchst.
    … auch wenn es nicht allen passt!

    Herzlichst
    Juliette ( aus der Schweiz)

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.