Donnerstag, 6. November 2025

#WMDEDGT 11/25: Zwischen Trauer und Theater

Heute ist wieder der fünfte Tag des Monats, und Frau Brüllen fragt "Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?", kurz WMDEDGT? Vielen Dank für's Sammeln!

Die ersten Nächte nach dem Tode des Gatten vor zwei Wochen konnte ich durchschlafen. Das ist leider schon länger nicht mehr so, und so schlafe ich wieder im Zwei-Stunden-Rhythmus, wache immer wieder auf. Daran ändert auch nichts, dass ich diese Nacht versuchsweise mit geöffnetem Fenster schlief. 

Ich habe heute erst nachmittags einen Termin, muss also nicht aufstehen und tue mich entsprechend schwer damit. Irgendwann schaffe ich es aber doch aus dem Bett und unter die Dusche, achte sogar darauf, dass meine Haare nicht nass werden sollen, falls die Länge für eine Haarspende reicht.

Anziehen, dann runter und den Frühstückstisch decken. Ich achte sehr darauf, mich nicht zu sehr von der Depression beherrschen zu lassen und keine Verwahrlosung einreißen zu lassen, daher: Gedeckter Frühstückstisch. Eine Strickfreundin schickt eine Kondolenz. Tränen fließen.

Während des Frühstücks einen Blick in die Tageszeitung werfen. Ich frühstücke lange, beschäftige mich nebenbei auch mit dem örtlichen Tauschring. Ich wollte schon seit dem Umzug mal zu einem Treffen, um zu gucken, ob's passt, denn ich finde das Konzept spannend. Im Dezember ist das nächste Gruppentreffen. Der Termin passt, und ich kann sogar mit dem Bus dorthin fahren! Ich fahre ja ungern Auto. Perspektivisch wird ein E-Bike oder sogar ein Lastenrad einziehen. Lastenräder kann man hier kostenlos ausleihen, so dass ich gucken kann, ob ich damit zurechtkomme. So muss ich dann nicht mit dem Auto zum Einkaufen fahren (die fußläufig erreichbaren Supermärkte / Discounter sagen mir nicht so zu).

Einen Blick auf die heutige Zu-erledigen-Liste werfen. Das Wetter ist gut, also kann ich wie geplant in den Garten, die Fliederbeere und eine Rose einpflanzen, die kleine Rose, die ich im August mit aus dem Krankenhaus nahm. Sie dankt mir die Befreiung mit üppigen Blüten, und ich hoffe, ich bringe sie über den Winter. Es steht zwar nicht auf der Liste, aber ich beschließe, das Holzregal aufzufüllen. Ich habe Sorge, dass das Holz nicht für den Winter reicht. Schnell zeigt sich: Die Sorge ist unbegründet. Das Holz im Haus fülle ich auch auf und reinige den Kamin.

Das Wetter ist gut. Lebte der Gatte noch, säße er in der Sonne auf der Terrasse und schaute mir beim Arbeiten zu. Zu seinen besseren Zeiten hätte er mir geholfen, hätten wir den Garten ratzfatz winterfest gehabt. 

Während des Holzschleppens meldet sich das Taschentelefon: Jemand will spontan einen Artikel abholen, den ich bei Kleinanzeigen einstellte. Wunderbar! Aus Erfahrung weise ich darauf hin, dass ich beim Preis nicht handle und den Artikel nur komplett abgebe. Gestern meldete sich jemand, der nur einen Teil kaufen wollte zu reduziertem Preis. Öhm, nö. Dieser Abholer ist aber nicht nur zuverlässig, sondern akzeptiert auch meine Bedingungen. 

Die Post war da und mit ihr zwei Kondolenzen. Zum wiederholten Male kullern heute die Tränen, und das nicht zum letzten Male. Offensichtlich bin ich mit meiner Trauer um den Gatten nicht so alleine, wie ich dachte. 

Eigentlich steht für heute noch das Einpflanzen dreier Rosen auf dem Plan, aber plötzlich ist alle Kraft weg. Das Wetter soll gut bleiben in den kommenden Tagen, also schaffe ich Kübel und drölfzich Liter Rosenerde hinters Haus. Einmal mehr bin ich dankbar für die vielen Rollbretter, die der Gatte baute, und beschließe, das Brett, das ich gerade nutzte, im Esszimmer unterm Schrank zu lassen. So ist es immer bereit, wenn ich schnell mal ein brauche, um Sachen von vorne nach hinten durch Flur und Küche zu transportieren. 

Ich sinke kraftlos in den Relax-Sessel des Gatten, der aktuell mein Lieblingsplatz ist, lese Zeitung, stricke eine Socke fertig und nicke dann ein wenig ein. Kaffee und Kandiskuchen, dann ist es Zeit, mich straßenfein zu machen. Ich messe meinen Zopf und stelle erfreut fest, dass die Länge für eine Haarspende reicht! Nach dem Friseurbesuch wird sich zeigen, dass ich noch nicht mal einen Kurzhaarschnitt bekomme, sondern einen Bob in meiner gewohnten Länge. Ich war übrigens zuletzt im November 2020 beim Friseur. Im Spätsommer hatte ich dem Gatten versprochen, zum Friseur zu gehen, wenn er aus dem Krankenhaus zurück ist. Das Versprechen löse ich jetzt ein, wenn auch anders, als im Spätsommer gedacht.

Beim Umziehen denke ich auch daran, die neue Jogginghose anzuprobieren. Ich habe nämlich zu wenig, weil zwei viel zu weit sind, nachdem ich in den letzten Monaten nochmal zehn Kilo abnahm. Leider stellte ich das mit den zu weiten Hosen erst fest, nachdem ich die nagelneuen Jogginghosen des Gatten in die Kleidersammlung gab. Sie hätten mir nämlich inzwischen gepasst, genau wie die gerade gekaufte. 

Innerhalb von sechs Jahren habe ich es geschafft, meine Haare so lang wachsen zu lassen, dass es für eine Haarspende reicht.

In den Keller, nach meinen Winterstiefel suchen. Ich will zur Trauerfeier und zur Beisetzung nicht in Chucks, selbst, wenn der Gatte in Chucks beerdigt wird. Dabei stelle ich fest, dass ein Paar neue Hacken braucht und das zweite Paar spurlos verschwunden ist. Ich habe tatsächlich neu ein drittes Paar, ungetragen, das mir jetzt gerade recht kommt. Sie sitzen eng, aber bis zur Trauerfeier und Beisetzung bekomme ich sie noch eingelaufen.

Der Friseurtermin geht schneller als gedacht, so dass ich Luft habe, bis ich ins Theater gehe. Ich kuschle mich wieder in den Relax-Sessel. Das Taschentelefon erinnert mich daran, dass Margot Friedländer heute 104 Jahre alt geworden wäre. Ich bekomme einen Hinweis auf den Film "Shifting Paths", in dem es um die jüdische Familie Abelmann geht, Pharmazeiten, die u.a. Kamillosan erfanden, und ertappe mich dabei, wie ich dem Gatten davon erzählen möchte, denn er nutzte das Produkt regelmäßig. Mit Freundinnen whatsappen, dann Fertigfutter zum Abendessen machen, mich freuen, dass der Tiefkühler wieder etwas leerer ist, und ab ins Theater. 

Ich achte darauf, dass ich eine Lampe im Wohnzimmer anlasse, damit mich bei der Rückkehr nicht das heulende Elend angesichts des dunklen leeren Hauses überkommt wie Sonntag, als ich aus dem Kino kam.

Der Weg ins Theater führt an der Kirche vorbei, wo der Organist gerade übt. Da ich wie üblich zu früh dran bin (ich muss mich an mein eigenes Tempo erst wieder gewöhnen, plane die Wege immer noch so, als käme der Gatte mit), kann ich mich einen Moment auf eine Bank unter einem der Fenster setzen und zuhören. 

Dass ich zu Marlene Jaschke gehe, liegt auch am Gatten, der vorschlug, zusammen dahin zu gehen, als er Plakate sah. Ich wunderte mich, denn ich wusste nicht, dass der Gatte Frau Jaschke mag. Aber in den 26 Jahren, die wir uns kannten, überraschte mich der Gatte ja oft. Jedenfalls: Ich bezweifle, dass er das Programm goutiert hätte. Es wurde gesungen, und phasenweise war es sehr klamaukig. Während der Vorstellung rechne ich nach, dass Jutta Wübbe, die die Jaschke verkörpert, bummelig 70 Jahre sein dürfte - das kann doch nicht sein! Es war doch quasi erst gestern, als ich sie zum ersten Mal auf der Bühne des Schmidts, weiland mein zweites Wohnzimmer, sah! Hilfe, ich bin alt!

Schon super, der Mond.

Wieder zu Hause, erwische ich noch den Rest der Tagesthemen und bleibe noch etwas am Fernseher hängen, bevor es zu spät ins Bett geht. Aber ich habe morgen keine Termine.

Der Blick zurück in die ersten fünf Corona-Jahre: Am 5. November 2020 verzweifle ich an der ketogenen Ernährung, ahnen wir noch nicht das Ausmaß der Erkrankung des Gatten und denken, wir können den Advent ganz normal feiern, beschäftigen uns Corona-Regeln. Am 5. November 2021 wissen wir schon um das Ausmaß der Erkrankung des Gatten. überrascht er mich mit roten Rosen. Am 5. November 2022 war ich zum ersten Mal im Repair Café, waren wir gefrustet, weil im Haus nichts vorwärts geht, obwohl die Baubrigade schon seit Ende September fertig sein sollte, wir schon mitten in den Umzugsvorbereitungen stecken sollten. In denen stecken wir am 5. November 2023. Am 5. November 2024 konnte der Gatte noch alleine zu einem Termin gehen und durch die Stadt stromern.

2 Kommentare:

  1. Mein Mitgefühl, möge die Zeit des Schmerzes bald der Zeit der Erinnerung werden.
    LG Maria

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  2. Alles Gute noch einmal für Sie. Ich hoffe, das Schreiben hilft Ihnen etwas dabei, Ihre Trauer zu verarbeiten. Herzliche Grüße aus dem Norden - Andrea

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.