Samstag, 11. März 2017

Samstagsplausch KW 10/17: Luxusprobleme

Heute zieht unser Büro um. Sechs Monate lang werden wir in einem Komplex am Rande der City Süd untergebracht. Ich kenne die City Süd von früheren Jobs gut genug, um zu wissen: Sie hat durchaus schöne Ecken. Die Ecke, in der wir sind, gehört definitiv nicht dazu. Da gibt es nur Asphalt und Abgase.

Wir wissen schon seit einem knappen Jahr von dem bevorstehenden Umzug, und ich bemerkte erstaunt, was ein relativ sicherer Arbeitsplatz mit mir machte. Bis vor vier Jahren arbeitete ich nur mit befristeten Verträgen oder Werkverträgen. Ich wusste im Voraus, länger als maximal zwei Jahre würde ich an keinem Arbeitsplatz sein. Oft waren es nur sechs Monate. Da ist mensch nur durchlaufender Posten.

Im Büroflur versammeln sich schon mal die aufklappbaren Aktenwagen.
Dann bekam ich einen unbefristeten Arbeitsvertrag und fand mich unter Menschen wieder, die oft mit 15 Jahren in den Betrieb kamen und ihn mit 65 Jahren wieder verlassen, die keinen Grund sahen, den Betrieb zu wechseln, allenfalls die Abteilung.

Schnell merkte ich, wie sehr man sich an ein geregeltes Einkommen und einen relativ sicheren Arbeitsplatz gewöhnen kann. Mehr noch: Bis heute befand sich mein Büro in einem großen Einkaufszentrum. In der Mittagspause konnte ich kommod bei Schlachter, Bäcker und Grönhöker einkaufen, zur Apotheke, zur Bank, zur Post, zum Friseur, zum Schneider, zur Drogerie, zum Optiker, konnte kurz mal Blumen, Bücher, Bastelkrams kaufen ... Auch daran gewöhnte ich mich im Handumdrehen.

Moodboard.
Ich musste auch nichts für die Mittagspause mitnehmen. Wenn die Kraft fehlte, zu Hause etwas vorzubereiten, konnte ich einen Salat in guter Qualität kaufen oder Sushi oder irgendwas aus einem der drei Supermärkte. Auch an diese Bequemlichkeit gewöhnte ich mich schnell.

Moodboard.
Um den Bürokomplex herum, in dem wir für sechs Monate sind, gibt es diese Infrastruktur nicht. Alles ist mindestens 15 Minuten Fußweg oder Busfahrt entfernt - zu weit, um etwas in 30 Minuten Mittagspause zu erledigen, und schon gar nicht, um irgendwo einzukehren.

Für mich heißt es dann, entweder abends für den nächsten Tag ein Mittagessen vorzubereiten, oder, wenn die Kraft dafür nicht reicht, abgepackte Salate parat zu haben. Außer Wasserkocher und Spülmaschine gibt es nämlich keinerlei Kochgerät (bislang hatten wir Herd, Backofen und Mikrowelle).

Für den allergrößten Notfall bietet die Kantine von unserem normalen Standort aus mittags eine Notversorgung an. Alles andere - Post, Bank, Friseur und so weiter - muss am Wochenende erledigt werden.

Bürobedarf, kreativ interpretiert.
Ich werde also in den kommenden sechs Monaten nicht verhungern, und ich werde es sicher auch überleben, dass es sechs Monate lang Obst, Gemüse, Fleisch und Brot aus dem Supermarkt gibt, wenn ich es sonnabends nicht auf den Markt schaffe. Und da keine Spontankäufe in der Mittagspause mehr möglich sind, wird sich mein Sparschwein freuen.

Im Vorfeld dachte ich mir, ich bin die einzige, die quasi hysterisch reagiert angesichts des neuen Standortes mitten im infrastrukturellen Niemandsland, aber das kam mir nur so vor, denn ich war auf keiner der vielen Informationsveranstaltungen zum Umzug. Bei aller Hysterie dachte ich mir nämlich auch, ich lasse das alles mal auf mich zu kommen, denn schließlich gibt es Menschen, die dafür bezahlt werden, dass alles reibungslos läuft.

So war dann die Frage an meinen Chef, ich könnte doch sicher den längeren Arbeitsweg von zwei Stunden pro Tag auf meine Arbeitszeit anrechnen, als Scherz gemeint. Er verstand sie auch so, sagte aber, dass es tatsächlich viele Kollegen gab, die wirklich der Überzeugung waren, dem wäre so, was entsprechende Vermerke nach sich zog.

Auch meine Pflanzen sind Bürobedarf.
Der Arbeitsweg bereitete mir einige Sorgen, weil es nicht ausreichend Parkplätze gibt. Vorrang haben natürlich Körperbehinderte, klar, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Nun bin ich ein großer HVV-Fan, aber die Anbindung des Hamburger Westens ist katastrophal, wenn man nicht direkt an der S-Bahn wohnt (und auch, wenn man direkt an der S-Bahn wohnt, sofern man hinter Blankenese lebt). Wie ich es auch drehte und wendete: Ich brauche mit dem HVV zwischen 90 und 120 Minuten ins Büro - für eine Strecke. Mit dem Auto brauche ich je nach Schicht zwischen 30 und 60 Minuten.

Als ich mich schon damit abfand, jeden Tag zwischen drei und vier Stunden unterwegs zu sein, gab's eine Mail vom Umzugsteam, dass die Parkplätze, die noch übrig sind, verlost werden. Ich hab' mich dann einfach mal in den Lostopf geworfen und hatte tatsächlich Glück!

Perspektivisch will ich aber versuchen, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Konditionell schaffe ich das, aber ich habe immer noch mit Panikattacken zu tun, ausgelöst durch die vielen Reize. Sollte ich das aber in den Griff kriegen, freut sich eine Kollegin über meinen Parkplatz.

Ein letzter Blick in mein altes Büro.
Breiten Raum nahm auch die Frage ein, wer zukünftig mit wem ein Büro teilt. Es gibt Kollegen, die sitzen sich seit 20 und mehr Jahren Tag für Tag gegenüber, und es zeigte sich, dass auch nur die Idee, sie könnten für sechs Monate getrennt werden, dramatisch wäre. Unsere Flurgemeinschaft wird auch getrennt, dafür teilen wir uns für sechs Monate mit einem anderen Team Flur, Teeküche und Toilette.

Ebenfalls zu unterschätzen ist auch nicht die Frage, wie die Pflanzen transportiert werden, denn wenn man jahre- oder jahrzehntelang im gleichen Büro sitzt, kommt schon mal ein veritabler Dschungel zusammen. Die Mitteilung, es würden nur dienstliche Pflanzen transportiert, sorgte bei einigen für Erheiterung, bei anderen für milde Panik.

Wir erklärten unsere Pflanzen kurzerhand zu Bürobedarf und packten sie auf Aktenwagen, von denen wir mehr als genug hatten, da bei uns die Akten überwiegend elektronisch sind. In mein Auto wurden "Frau Kurnaz", eine nach einer ehemaligen Kollegin benannte Orchidee, und mein Bogenhanf verladen, denn die waren zu lang für die Aktenwagen.

Spannend war's, zu beobachten, in wie weit sich Chefs und Blaumänner am Einpacken beteiligten oder es ihren Sekretärinnen überließen, denn egal, wie gut alles organisiert ist, Ein- und Auspacken müssen wir immer noch selbst.

Ein letzter Blick in den Abendhimmel vorm Fenster.
Meine Chefin und mein Chef sind gut erzogen und packten selbst. Mein Chef blieb gestern sogar noch so lange, bis Kollegin I und ich mit allem fertig waren. Die anderen Chefs verschwanden mittags oder fuhren über den Umzugstermin in den Urlaub. Von Kollegin I und mir wurde ansonsten erwartet, dass wir bis zur letzten Minute den normalen Betrieb aufrecht erhalten und dann neben dem Krams für unsere Blaumänner auch noch das Geschirr und das andere Gedöns der Gemeinschaftsräume einpacken ....

Kollegin I brachte das ordentlich in Brass. Umzugserprobt wie sie ist, beschloss sie, dass wir das nicht mitmachen. So gab's dann weniger Überstunden, als ich zu Beginn der Umzugswoche befürchtete. Mal schauen, wie nächste Woche das Auspacken ist.

In sechs Monaten ziehen wir dann wieder zurück in ein frisch saniertes Gebäude - sofern die Arbeiten rechtzeitig beendet sind. Aber das wird schon.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch.

5 Kommentare:

  1. Mit großem Interesse habe ich deinen Beitrag gelesen und merke, wie gut ich es doch habe mit einem Fußmarsch von 20 Minuten zu meinem Arbeitsplatz hier in der Provinz...

    LG in die Großstadt von Augusta

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  2. Guten Mogen!
    Die 6 Monate gehen sicher wie im Flug vorbei ;-) Aber ja, ich kenne das auch. Die Kolleginnen und Kollegen, die gar nicht einsehen, einen Finger für einen Umzug zu rühren, die, die sich auf keinen Fall von ihrem Büronachbarn trennen wollen oder genau anders herum, die, die Morgenluft wittern, endlich ein Einzelbüro zu bekommen. Macht schon Spaß zu sehen. Ich muss gestehen, dass ich selbst da inzwischen leidenschaftslos bin. Ich mag mein Büro nicht besonders, aber ich soll da ja nur arbeiten und nicht wohnen. Von daher passt das schon.
    Hab einen schönen Sonntag!
    LG
    Yvonne

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  3. Ohje, das wird sicher noch einige Zeit dauern, bis sich alles wieder eingespielt hat - und dann zieht Ihr zurück. Ich bin mit meinem Büro auch schon diverse Male umgezogen, in Ausweichquartiere, in neue Quartiere und schließlich in eine andere Abteilung und innerhalb des Flures. Aber es geht alles für eine gewisse Zeit und Du hast ja die Aussicht auf die Rückkehr zum alten Zustand. Ich wünsch Dir, dass alles glatt läuft.
    Starte trotz allem gut in die neue Woche.
    Schöne Grüße
    Kristin

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  4. Das wird schon. Du wirst die 6 Monate schaffen.
    Deine Idee mit dem Rad zu fahren ist doch auch nicht schlecht.
    Wir sind mit dem Betrieb auch schon 2x umgezogen. Irgendwie hatte es auch etwas "reinigendes"
    Ich wünsche dir eine schöne Woche
    Andrea

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  5. Ich versinke gerade ein bisschen in Arbeit und kann Euch daher erst heute für Eure Kommentare danken und Euch antworten.

    @Augusta Em, oh, so kurze Arbeitswege gibt es auch in der Großstadt, wenn man richtig wohnt. Ich wohne halt falsch ...

    @Yvonne, ich sehe, wir verstehen uns ;o)

    @Kristin, wir waren tatsächlich binnen einer Stunde arbeitsfähig. Die Umzugsmenschen haben beste Arbeit geleistet. Wir konnten es kaum glauben (und sparen natürlich nicht mit Dank und Anerkennung).

    @Andrea, ja, die Reinigungswirkung ist unbestritten. Die Regal in meinem Büro sind halb leer.

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