Dreißig Minuten vom Eintreffen bei Schwiegermutter und Tante bis zum Entschluss, wieder abzureisen, sind selbst für mich Rekord. Als ich letzten Sonntag bei Schwiegermutter und Tante ankam, eskalierte Schwiegermutter sofort. Es kam zum Rotgarnelen-Gate.
Schwiegermutter und Tante kauften die falschen Garnelen: Rohe, ungeputzte Rotgarnelen. Keiner der beiden wusste, wie man sie küchenfertig macht. Sie versuchten es am Vortag und veranstalteten anscheinen ein Massaker. Tante und ich überlegten, was wir damit machen können, denn wir wollten nicht anderthalb Kilo Garnelen wegwerfen (und Foodsharing ist in Dachau schwierig). Schwiegermutter, die harthörig ist und Hörgeräte verweigert, war der Ansicht, wir reden über sie und gäben ihr die Schuld für die falschen Garnelen. Sie betonte mehrfach, nicht sie sei Schuld an den falschen Garnelen, sondern ausschließlich Tante, denn die habe ihr nicht richtig vorgelesen was auf der Packung stehe (Schwiegermutter ist auch noch halbblind). Ich bekam das Verbot, mich mit Tante zu unterhalten, damit wir uns nicht gegen Schwiegermutter verbünden.
Das war die erste halbe Stunde. Da überlegte ich, wie ich die Rückfahrt stressfrei organisiere, saß still auf meinem Platz und strickte. I sit, I knit, und Tante hat nichts dagegen, im Gegenteil. Schwiegermutter unterhielt sich nur noch mit Tante, ich durfte nichts mehr sagen, wurde angeschrien, wie ich es denn wage, mich in die Unterhaltung von Erwachsenen einzumischen, wenn ich wagte, etwas zu sagen. Ich durfte auch nicht stricken, sondern sollte andächtig Schwiegermutters Ergüssen lauschen (und Stricken ist ordinär). Schwiegermutter ignorierte zum zweiten Mal meine sehr deutliche Ansage zu ihrem Benehmen.
Das war der Punkt, an dem ich meine Sachen packte und beschloss, im Hotel mit Internet die Rückreise zu klären (bei Tante gibt es keinen Empfang). Das brachte Schwiegermutter total aus der Fassung. Sie schrie, wenn ich jetzt ginge, wären wir geschiedene Leute. Ob ich das wolle? Sie sollte keine rhetorischen Fragen stellen. Zu ihrem Leidwesen kann sie mich anders als ihren Sohn nicht erpressen. Als Schwiegermutter merkte, dass sie mich nicht aufhalten kann, lenkte sie ein, entschuldigte sich und war den Rest der Woche handzahm.
Ich entschied von Tag zu Tag, was besser für mich ist: Bleiben oder Abfahren. Letztlich blieb ich die ganze Woche, was mir gut tat. Ich konnte in München nochmal die vertrauten Wege gehen und war dabei nicht alleine mit meiner Trauer. Ich konnte in Dachau die Wege gehen, die wir im letzten Jahr nicht mehr gemeinsam gehen konnte, weil der Gatte schon nicht mehr schmerzfrei gehen konnte. Ich reduzierte das Zusammensein mit Schwiegermutter auf das notwendige Minimum, was leider bedeutete, dass ich auch mit Tante, die ich sehr gerne mag, nur wenig Zeit verbringen konnte. Dafür leistete ich ihr noch länger Gesellschaft, nachdem Schwiegermutter abfuhr und bevor ich selbst fuhr. Ich muss mal schauen, dass ich zukünftig öfter mit ihr telefoniere, denn wir beide möchten nicht, dass der Kontakt abreißt.
Ich konnte etwas zur Ruhe kommen, ging viel spazieren, schlief viel (manchmal denke ich sogar, meine Augenringe sind weg) und strickte viel. Dafür lese ich aktuell kaum, was auch daran liegt, dass der Tolino mal wieder zickt.
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| Alphornbläser vor einem der Schleißheimer Schlösser. |
Beim Spaziergang durch die Schleißheimer Schlossanlagen musste ich besonders oft an den Gatten denken. Die Nische, in der er sich letztes Jahr ausruhte, war leer. Der Gatte war so verzweifelt darüber, dass wir nur ein paar Meter gehen konnten, weil seine Beine nicht mehr wollten. Dieses Jahr war ich länger unterwegs und hatte das Glück, ein Konzert dreier Alphornbläser zu erleben. Ich wäre gerne länger spazieren gegangen, aber der Wind war eisig, und dafür hatte ich den falschen Mantel mit.
Hier galt 294 Wochen: Der Gatte und ich waren coronabedingt weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall, im sechsten steckte er sich bei einem neunwöchigen Krankenhausaufenthalt mit Candidozyma auris an. An der Pilz-Infektion starb er im Oktober 2025 im Alter von 64 Jahren. Seit Woche 294 versuche ich mich, im Alleinleben zurechtzufinden. Jetzt ist Woche 302.
Ich hänge aktuell mit den Blog-Beiträgen hinterher. Mir fehlen Ruhe und Konzentration. Beides reicht gerade mal so für's Arbeiten. Deswegen geht dieser Beitrag diesmal nicht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea, denn ich bin zu spät. Über's Kochen und Einkaufen in der Weihnachtswoche berichte ich demnächst in der Kombüse.

Nachdem ich dich bei Andrea nicht gefunden habe, war ich mehrmals auf deinem Blog, das werden auch andere Leser bestimmt so machen. Schade dass deine Schwiegermutter so ein manipulativer Drachen ist und gut dass du trotzdem noch zur Ruhe gekommen bist. Dein Karlchen scheint auch durchgehalten zu haben. Versuche auch weiterhin so tapfer das Beste daraus zu machen.
AntwortenLöschenEine kleine Umarmung, Tina