Heute ist wieder der fünfte Tag des Monats, und Frau Brüllen fragt "Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?", kurz WMDEDGT? Vielen Dank für's Sammeln!
Ich kämpfe immer noch mit Schlafstörungen. Eine Nacht Durchschlafen wäre mal wieder schön, aber immerhin konnte ich knapp drei Stunden am Stück schlafen. Der Wecker klingelt nicht mehr um sechs Uhr. Seitdem der Gatte tot ist, kann ich länger schlafen, auch freitags, wenn die Putzfrau kommt, denn ich muss morgens nicht mehr aufräumen. Dass Männer Dreck machen, stimmt zumindest in diesem Haushalt.
Aufstehen, kurz im Bad und im Erdgeschoss ein paar gestern Abend übersehene Dinge beiseite räumen, die Adventskalendertürchen öffnen, Kaffee kochen, Toast machen, dann klingelt auch schon unsere Putzfrau. Klönschnack über das aktuelle Befinden unserer Familien, dann frühstücke ich schnell und reinige den Kaminofen, fülle das Holz nach, bevor in der Stube gesaugt und gewischt wird. Lachen musste ich, als ich aus dem Gäste-WC Toilettenpapier ins Bad bringen wollte und festgestellte, dass da kaum noch welches ist. Kaum ist der Gatte nicht mehr da, geht fast das Toilettenpapier aus! Er sorgte früher immer dafür, dass immer genug da ist.
Heute muss ich ins Rathaus, um Hinterbliebenenrente zu beantragen. Ich finde es unglaublich, dass es eine (zudem noch empathische) Mitarbeiterin gibt, die ausschließlich dafür da ist, bei Rentenanträgen, Anträgen wg. Schwerbehinderung etc. zu helfen! Ich weiß noch, wie verloren wir uns fühlten, als wir für den Gatten in Hamburg Rente und Behinderungsgrad beantragten. Nach weniger als einer Stunde sind wir mit allem durch. Ich habe es tatsächlich geschafft, alle erforderlichen Unterlagen dabei zu haben! Außerdem bekomme ich einen Termin für die Klärung meines eigenen Rentenkontos, als die Mitarbeiterin erfährt, dass das noch nicht geschehen ist. Das ist großartig! Ein paar Hausaufgaben bekomme ich auch mit, aber das ist alles machbar, selbst für grundverpeilte Frettchen wie mich. Verwirrend ist die Information, dass ich bei der Krankenkasse jetzt als Rentnerin geführt werde, weil ich Hinterbliebenenrente bekomme. Das muss ich sicher nicht verstehen.
Im Rathaus gab's neben der netten Mitarbeiterin noch ein Kleinstadt-High Light: Gelbe Säcke. Die sind anscheinend keine Mangelware mehr, seitdem klar ist, dass ab Januar jeder Haushalt eine Gelbe Tonne bekommt.
Ich muss die ganze Zeit über daran denken, wie sehr sich der Gatte freute, als wir uns am 12. April 2024 endlich ummelden konnten und Heidjer wurden! Was für ein schöner Tag war das! Welche Hoffnungen und Träume hatte er damals! Nichts davon sollte in Erfüllung gehen. Wie jeden Tag kämpfe ich immer wieder mit den Tränen. Der viel zu frühe Tod des Gatten ist einfach unfassbar. Ich bin dankbar, dass ich ihn bis zu seinem letzten Atemzug begleiten durfte, und hoffe, ich konnte ihm bis zuletzt schöne Momente bereiten.
Wieder nach Hause, kurz mit der Putzfrau klönen, dann ins Arbeitszimmer und versuchen, wieder in die Arbeit zu kommen. Ich schaffe es, das Sichten von mehr als 2.900 eMails abzuschließen. Das meiste kann ich ohnehin löschen, aber die zu löschenden und die wichtigen müssen ja voneinander getrennt werden. Danach stelle ich sicher, dass meine Kollegin heute tatsächlich wie sonst freitags frei hat und von niemand anderem vertreten wird, so dass ich nichts durcheinanderbringe, wenn ich langsam wieder arbeite.
Das Arbeiten fällt schwer. Mir fehlt die Konzentration, und mir fehlt der Gatte im Nebenzimmer, der immer mal zu mir kam, um zu fragen, ob ich viel zu tun habe, um mir etwas zu erzählen undundund. Ich kann auch nicht mehr einfach zu ihm gehen und ihn in die Arme nehmen. Es ist sehr still im Haus, seitdem der Gatte ging. Er fehlt mir so unendlich.
Zwischendrin verabschiede ich die Putzfrau. Wie üblich fragen wir gegenseitig nach unseren Plänen für das Wochenende. Es ist seit sechs Wochen, seit dem Tod des Gatten, das erste Wochenende, an dem niemand um mich herum ist. Das wird schön und schrecklich gleichzeitig. Ich muss lernen, Leere, Einsamkeit und Stille auszuhalten. Auf dem Programm für's Wochenende stehen das Schreiben der Danksagungen, das Schreiben der Weihnachtskarten für die Aktion Post mit Herz und das Beschriften der Kalender-Fotos. Ich habe für Schwiegermutter, Tante, die Sandkastenfreundin und mich einen Kalender für das nächste Jahr mit Portraits des Gatten aus den letzten 26 Jahren gemacht und hoffe, sie freuen sich.
Ich mache einen Beitrag für den Friday-Flowerday fertig, beginne den Beitrag für den November-PMDD, schmeiße den kommenden Wochenplan um, weil es leckere Angebote beim Schlachter gibt, und bestelle über die dort arbeitende Freundin mit dem Hinweis, sie möge sagen, wenn ihr meine Bestellung zu viel ist. Ich weiß, dass sie so ehrlich ist. Sie schreibt nach Feierabend kurz, das es okay ist, aber auch, was aktuell im Laden los ist. Anscheinend drehen gerade alle durch. Ich dachte gestern schon, dass die Verkäuferinnen bei Edeka völlig fertig aussehen. Wie mag das erst kurz vor Weihnachten sein?!
Nachmittags kommt die Sonne raus. Ich überlege, ob ich meine für morgen geplante Runde zum Friedhof und zum Fotos-Abholen mache, damit ich morgen nicht raus muss, befinde aber, es ist viel zu kalt. Außerdem kann ich mir morgen früh Brötchen zum Frühstück mitbringen. Solange es noch hell ist, packe ich das Altglas in den Hackenporsche. Auch das ist wieder so ein Moment, in dem ich mit den Tränen kämpfe: Da ist das Glas vom Heide-Honig, mit dem ich den Gatten bis zuletzt fütterte. Da ist das Glas von den Amarena-Kirschen, die der Gatte so liebte. Vanille-Eis mit Amarena-Kirschen bekam er auch bis zuletzt. Er sollte mit Wohlgeschmack auf der Zunge ins Jenseits gehen. Da ist das Glas von der Aprikosen-Marmelade, die ich für die Sachertorte brauchte, die sich der Gatte im Krankenhaus für den Tag seiner Rückkehr nach Hause wünschte. Alles, wirklich alles, ist mit dem Gatten verbunden und führt zu Tränen.
Teezeit mit Birnen-Apfel-Punsch und Honigkuchen, dann herumpusseln, bis ein Abholer kommt, und ein Paket für einen weiteren Käufer packen. Es tut so weh, die Dinge wegzugeben, die der Gatte kaufte, über die er sich so freute, weil er seine zukünftige Werkstatt vor Augen hatte, aber was soll ich damit anfangen? Sie nützen niemandem, wenn sie hier stehen und einstauben.
Gestern holte ich eine Holzkiste mit der Totenmaske des Gatten ab. Die Holzkiste kommt jetzt erstmal in ein freigeräumtes Regalfach zu einem der Lieblings-Eisenbahnbücher das Gatten. Dort bleibt die Kiste, bis ich entschied, ob und wo ich die Maske aufhänge oder aufstelle. Das kann ich erst, wenn ich mit dem Umräumen fertig bin. Solange ist die Maske gut in der Holzkiste aufgehoben.
Den Hackenporsche mit dem zu versendenden Paket und der Friedhofstasche bestücken, einen Laufzettel für morgen schreiben, dann kann ich den Tag beenden und zum gemütlichen Teil übergehen. Zum Abendessen gibt es Tomatensalat, so, wie ihn der Gatte gerne mochte, und Lasagne Bolognese, die ich einfror. Sie konnte der Gatte schon nicht mehr essen, aber am Vortag konnte er sich noch über Spaghetti Bolognese freuen, seine letzte Mahlzeit, unser letztes gemeinsames Abendessen. Wie vor sechs Wochen gibt es Vanille-Eis mit Amarena-Kirschen als Dessert. Der Tiefkühler muss ja leer werden ...
Ich häkle lustlos an einem Wichtel weiter - lustlos, weil ich übersah, dass es sich um billigste China-Wolle handelt, die einfach nicht schön zu verarbeiten ist, und weil ich viel lieber den Lulu Slipover anfangen würde, für den ich letzte Woche Wolle kaufte. Die Stricknadeln, die ich dafür bräuchte, liegen aber unzugänglich im Keller. Ich schwanke noch, ob ich den Zugang dafür freiräume oder einfach neue Nadeln kaufe ... Zum Freiräumen fehlt mir aktuell die Kraft. Und eigentlich will ich ohnehin erst den Wichtel fertig haben. Heute schaffe ich den Körper. Fehlen noch Arme und Mütze. Das sollte am Wochenende zu schaffen sein. In der Projekt-Tasche klimpern 2,50 Euro, ein Betrag, den wir im Krankenhaus immer mit nach draußen nahmen, wenn wir dort stundenlang auf einer Bank saßen. Das Kleingeld brauchten wir, falls der Gatte eine Brause oder einen Schoko-Riegel mochte und die Kantine schon geschlossen war. Die Automaten akzeptieren nämlich nur Bargeld.
Ich gehe zu spät und zu müde ins Bett, lese aber natürlich noch etwas vor dem Einschlafen. Aktuell lese ich "Düsternbrook*" von Axel Milberg. Das Buch kaufte ich, als der Gatte und ich vor Weihnachten 2022 durch München bummelten. Wieder so eine Erinnerung, die Tränen auslöst ...
Der Blick zurück in die ersten fünf Corona-Jahre: Am 5. Dezember 2020 schrieb ich nichts, war mit dem erkrankten Gatten beschäftigt, der kurz darauf ins Krankenhaus kommen sollte. Am 5. Dezember 2021 war ich frisch gegen Corona geimpft - zum dritten Mal. Die Hoffnung, dass wir mit dieser Moppelkotze nach dem ersten Corona-Sommer durch wären, war da schon lange verflogen. Am 5. Dezember 2022 hatten wir Baustellen-Blues, kämpften wir mit dem Baukredit. Am 5. Dezember 2023 stand der lang erwartete Umzug endlich kurz bevor. Am 5. Dezember 2024 war klar, dass die Augenärztin des Gatten Mist gebaut hatte, aber es gab dennoch Hoffnung. Drei Wochen vorm Tod des Gatten waren wir zuletzt in der Augenklinik, und in diesen Wochen hätte seine Sehkraft durch weitere OPs weitmöglichst wiederhergestellt werden können. Aber eine Pilz-Infektion, die er sich im hiesigen Krankenhaus zuzog, nahm ihm viel zu früh das Leben.
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