Sonntag, 12. Juli 2020

Samstagsplausch KW 28/20: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten XVII

Diese Woche stand endlich Schwiegermutters Umzug in die Seniorenwohnanlage an. Dem ordnete sich alles andere unter. Schwiegermutter zieht freiwillig aus ihrem Haus aus, freut sich schon seit einigen Jahren auf die Wohnung, auf den Komfort und das Umsorgtwerden, aber momentan ist einfach alles zu viel für sie.

Der Gatte und ich sind seit 17 Wochen weitgehend zu Hause, der Gatte inzwischen im vierten Monat Kurzarbeit. Er ist zwei Tage im Büro und ansonsten auf Abruf, kümmert sich in dieser Zeit um Haushaltsauflösung und Umzug seiner Mutter in eine Seniorenwohnanlage. So gesehen ist die Kurzarbeit des Gatten fast schon ein Segen, denn ohne seine Hilfe wäre seine Mutter aufgeschmissen, da total überfordert.

Ich bin ebenfalls zwei Tage pro Woche im "echten" Büro und arbeite ansonsten im Heimbüro. Die drei Projekte, für die ich verantwortlich bin, sind alle auf unterschiedliche Weise von der Pandemie betroffen, aber mein Arbeitsplatz an sich ist sicher. Ich kann mich vor Überstunden kaum retten, was auch wieder gut ist, denn so kann ich immer mal wieder freie Tage nehmen, um den Gatten und seine Mutter zu unterstützen, weil mein Arbeitgeber flexibler ist.

Am Umzugstag musste der Gatte ins Büro, also war ich kurz nach sieben bei Schwiegermutter - und schickte sie erstmal wieder ins Bett. Schwiegermutter schlief schon seit Nächten nicht, stand (und steht) völlig neben sich und war so aufgelöst, dass ich dachte, sie legt sich besser hin, bis die Umzugsleute kommen.

Mit der Umzugsfirma ließ es sich ja erst etwas holprig an, aber das schreibe ich inzwischen Schwiegermutters Verwirrtheit zu. Die Möbelpacker, vor allem die jungen Männer, waren unwahrscheinlich rücksichtsvoll und einfühlsam. Als sie hörten, dass Schwiegermutter im Bett liegt, bewegten sie sich quasi auf Zehenspitzen.

Als Schwiegermutter dann wach war, packten die Männer geduldig alles ein, was sie einpackt haben wollte - und wenn es leere Papiertragetaschen italienischer Designer waren. Sie waren so gründlich, dass sie sogar winzige verlorene Ohrstecker fanden - und bei jedem Teil fragten sie, ob es eingepackt werden solle, hörten sich geduldig Schwiegermutters Geschichten dazu an, wenn ich nicht zur Stelle war und für's Weiterarbeiten sorgte, in dem ich ihr zuhörte.

Nachmittags war das Haus dann leer (dachten wir zu diesem Zeitpunkt zumindest), brachte der Gatte Schwiegermutter mit zu uns, denn ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei, sie über Nacht im leeren Haus zu lassen, so verwirrt, wie sie ist. Sie verlor am laufenden Meter die Schlüssel für die neue Wohnung, klammerte sich am Schlüsselbund für's Haus fest, wollte volle Portemonnaies und Beutel mit Schmuck im Müll entsorgen ... Irgendwann kontrollierte ich alles, was sie wegwarf, nahm Wertvolles an mich (ein Hoch auf meine große Handtasche) und gab's abends dem Gatten.

Wir sorgten dafür, dass Schwiegermutter Ruhe bekam, früh schlafen konnte, aber leider war die Hoffnung, dass sie nach ein paar Stunden Schlaf, ausreichend essen und trinken (beides vergisst sie seit längerem) wieder besser beieinander sei, vergeblich. Als ich gegen elf Uhr in die neue Wohnung kam, war der Gatte entnervt. Geduld ist ohnehin nicht seine Stärke, und seine Toleranz bei sinnlosen Diskussionen ist nicht so ausgeprägt wie meine - ich habe durch Mudderns jahrzehntelange Übung.

So war ich dann auch den zweiten Tag eingespannt und froh, dass meine Chefin darauf bestand, mir den Tag auch noch freizunehmen, denn eigentlich sollte der Gatte ja alleine übernehmen, wollte ich arbeiten. Das heißt dann für morgen jede Menge Überstunden, denn ich muss zwei Arbeitstage Rückstand aufholen, zusätzlich zu dem vom Wochenende. Dafür arbeite ich aber auch eine Kollegin ein, die mich in den kommenden Wochen unterstützen soll, damit ich vor Überlastung nicht vollends zusammenklappe.

Wie am Vortag war ich weitgehend damit beschäftigt, Schwiegermutter abzulenken, dafür zu sorgen, dass sie niemandem im Weg ist, darauf zu achten, dass sie genügend isst und trinkt - und Diskussionen wie die, ob eine 130 cm lange Wand länger wird, wenn man eine 160 cm lange Schrankkombi davor stellt und mal guckt, ob's passt, zu beenden. Energisch kann ich nämlich auch - und die Möbelpacker hatten auch so schon genug zu tun, die mussten nicht zusätzlich sinnlos Schränke schleppen.

Nun ist Schwiegermutter glücklich, weil der Sekretär richtig gut ins Schlafzimmer passt, denn die 160 cm lange Schrankkombi ist auf 40 cm und 120 cm geteilt. Wir gewannen dadurch so viel Platz, dass Schwiegermutter wieder ans Schlafzimmerfenster gelangt, ohne über den Sekretär zu klettern oder die Marmorfensterbank abzusägen. Mein Tetris-Highscore machte sich mal wieder bezahlt, auch in der Abstellkammer, wo auch noch zwei Regale Platz fanden, die eigentlich zum Sperrmüll sollten, die Schwiegermutter dann aber doch auf den Umzugswagen laden ließ, als wir nicht aufpassten.

Der Gatte übernahm immer wieder Fahrten zwischen Schwiegermutters Wohnung, ihrem Haus und unserer Wohnung, holte allerlei Vergessenes und meinte irgendwann entsetzt, dass in Küche und Bad noch gar nichts gepackt wäre, der Keller noch voll sei, ebenso wie die Abseiten. Na, Prost Mahlzeit! Als ich am Vortag an den Gatten übergab, war ein Arbeiter zwar dabei, in der Küche einzupacken, aber das unterband Schwiegermutter anscheinend, weil sie meint, in der Küche noch zu kochen, wenn sie wieder im Haus ist, und der Gatte bekam's nicht mit. So war's kein Wunder, dass ein gutes Viertel weniger Umzugskartons als veranschlagt gebraucht wurden.

Das Wichtigste wie Lebensmittel, Geschirr, Besteck, Körperpflegeartikel brachten wir ihr inzwischen vorbei, aber der Rest, der noch im Haus ist, ist so viel, dass wir nochmal das Umzugsunternehmen beauftragen werden, wenn der Sperrmüll abgeholt wurde, wir einen Überblick über die gesamte Restmenge haben.

Das Zerlegen (und der Wiederaufbau) der Monsterschrankwand war ein Kraftakt, und der Schreiner tat mir leid. Aber sie steht, und was keiner auf dem Zettel hatte: Sie ist gar nicht 60 cm tief, sondern nur 40 cm. Die Wohnzimmertür geht also doch auf. Der Vorarbeiter der Umzugsleute war sogar so plietsch, in der Seniorenwohnanlage anzurufen und nach der Deckenhöhe zu fragen, bevor die Schrankwand abgebaut wurde. "Wir wollen ja schließlich morgen keine Überraschung erleben."

Die Umzugsleute überschlugen sich vor Freude, weil sie bei uns an beiden Tagen Frühstück bekamen, mit Selter, Apfelschorle und Kaffee versorgt wurden - für mich ist das selbstverständlich, ich wurde so erzogen, aber ich erfuhr, dass sowas heute sehr selten ist. Schwiegermutter musste ich am ersten Tag früh morgens sogar ausreden, den Tisch für die Umzugsleute mit Porzellan, Besteck und Servietten einzudecken, denn sie befand, die Herren sollten erst mal ordentlich frühstücken, bevor sie mit der Arbeit anfangen ... Bevor wer sagt, die Umzugsmänner hätten lieber Trinkgeld als Brötchen gehabt: Sie bekamen beides.

Ich war sehr erleichtert, dass Schwiegermutter tatsächlich am Tag nach dem Umzug mit dem Auspacken der Kisten anfing. Als wir nachmittags kamen, hatte sie schon über die Hälfte geschafft. Am Vortag sagte ich ihr, ich führe erst mit ihr ins Möbelhaus, um Sofa, Sessel, Esstisch und Stühle zu kaufen, wenn alle Kisten ausgepackt sind. Das scheint angekommen zu sein. Bis auf die Monsterschrankwand fehlt die Wohnzimmereinrichtung nämlich noch komplett, und warum auch immer, bin ich jetzt für das Mobiliar zuständig.

Aus irgendeinem Grund akzeptiert Schwiegermutter aktuell, was ich sage. Mal schauen, wie lange das so bleibt, denn in den letzten zwanzig Jahren ließ sie keine Gelegenheit aus, mir klar zumachen, dass ich aus dem falschen Stall komme. Ich bin halt keine dürre blonde Elblette, sondern 'ne fette brünette Prolette. Dass mich einer der Möbelpacker hartnäckig mit "Die Dame" anredete, irritierte mich nachhaltig, denn 'ne Dame werd' ich nie.

"Irgendwann kommt der Moment im Leben einer jeden Frau, wo das Einzige, das hilft, ein Glas Champagner ist."
Schwiegermutter fragt immer wieder, ob es richtig war, das Haus zu verkaufen, denn der Gatte wirke so traurig. Ja, er ist traurig, denn ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Aber er trauert nicht wegen des Hauses. Von dem nahm er schon Abschied, als wir heirateten, denn Schwiegermutter befand mich schon damals als Schwiegertochter so ungeeignet, dass ich mich ehevertraglich verpflichten musste, nicht in das Haus einzuziehen. Das Haus wäre ohnehin viel zu groß für uns und ist nach Meinung des Gatten komplett verbaut. Den schönen Garten hingegen werden wir vermissen, und so sitzen wir in jeder freien Minute zwischen Räumen und Packen auf der Terrasse, selbst beim Dauerregen der letzten Tage.

Es dauert mich sehr, dass Schwiegermutter in ihrer besorgniserregenden Verwirrtheit aktuell alleine in ihrer neuen Wohnung sitzt. Sie leidet unter Einsamkeit, denn ihre Bridge- und Englischfreundinnen sah sie seit vier Monaten nicht mehr, und in der Seniorenwohnanlage muss sie eine Woche in Quarantäne bleiben, darf ihre Wohnung nicht verlassen. Zwar sagt sie, sie will ohnehin niemanden sehen, aber als wir gestern gingen, hatte sie Tränen in den Augen. Ihr fehlt gleichaltrige Gesellschaft und Ansprache, auch, wenn sie ständig betont, sie wolle keine Menschen um sich haben, lege keinen Wert auf Kontakte. Ich hoffe, wenn sie beides wieder hat, legt sich ihre Verwirrtheit.

Ein Besuch in der Seniorenwohnanlage ist aktuell eigentlich nicht möglich, denn es gilt noch immer ein Besuchsverbot. So ist der Zutritt für uns nur deshalb möglich, weil Schwiegermutter noch immer beim Einzug ist. Wir müssen uns vorher anmelden, dann einen Fragebogen ausfüllen, und Handdesinfektion sowie Maske sind eh klar. Schwiegermutter begreift nicht, dass sie in Quarantäne ist, meint hartnäckig, nach dem Mittagessen könne sie gehen. Mal schauen, wie sich das in der kommenden Woche entwickelt.

Uns kommt ihre Quarantäne ganz gelegen, denn Sperrmüllabholung und der Restumzug lassen sich leichter ohne sie bewältigen. Zur Abschiedsfeier mit den ehemaligen Nachbarn und zur Hausübergabe ist sie dann ja wieder dabei.

Und wenn das alles erledigt ist, brauchen der Gatte und ich dringend eine Atempause. Wir überlegten schon, ein langes Wochenende am Meer einzuschieben, aber bis das möglich ist, geht's dann auch schon fast in den lang ersehnten und dringend benötigten Urlaub - sofern die Corona-Infektionszahlen nach den Sommerferien uns noch lassen.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea - vielen Dank für's Sammeln! Über's Einkaufen und Kochen in der vergangenen Woche berichte ich in der Kombüse. Bleibt zu Hause, bleibt gesund, passt auf euch und eure Lieben auf.

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