Heute ist wieder der fünfte Tag des Monats, und Frau Brüllen fragt "Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?", kurz WMDEDGT? Vielen Dank für's Sammeln!
Wie am 5. Mai 2022 sind wir in Weißenhäuser Strand, allerdings ist der Gatte Gott sei Dank diesmal nicht im Krankenhaus, sondern schläft neben mir - zumindest bis halb vier, als er anfängt, herumzutigern und unruhig zu werden. Wir schlafen in diesem Urlaub beide schlecht, warum auch immer.
Während ich vor drei Jahren noch die Kraft hatte, vor dem Frühstück eine Stunde in den Fitnessraum zu gehen, bin ich jetzt einfach nur noch erschöpft, komme aus der Erschöpfung einfach nicht mehr heraus. Der Wecker klingelt um halb acht. Aus der Umarmung des schlafenden Gatten lösen, aufstehen, Kaffee kochen, den Gatten wecken und Kaffee auf dem Balkon trinken. Nach zwei, drei Kaffee ist es Zeit für's Frühstück.
Wir sind mit Schwiegermutter und Tante hier, um Schwiegermutters 90. Geburtstag zu feiern. Leider ist sie, gelinde gesagt, unleidlich. An ihrem Geburtstag eskalierte die Situation so sehr, dass der Gatte am liebsten umgehend abgefahren wäre. Ich bat darum, frühestens heute abzufahren, weil ich heute die Ostsee-Tante besuchen möchte. der mitgereisten Bayern-Tante gelang es, die Wogen einigermaßen zu glätten, so sehr, dass Schwiegermutter mehrfach um Entschuldigung bat. Allerdings ist vor allem der Gatte so schwer verletzt, dass er die Entschuldigung nicht akzeptieren kann. Wir verbringen also möglichst wenig Zeit zu viert. Mit Tante verbrächten wir gerne mehr Zeit, aber es ist nicht möglich, sie alleine zu erwischen, da Schwiegermutter immer im Mittelpunkt stehen muss.
Wie sehr der Gatte verletzt ist, zeigt sich daran, dass er zum Frühstück geht, ohne die Damen abzuholen, deren Zimmer gegenüber unserem sind. So sind wir denn schon fast mit dem Frühstück fertig, als die Damen auftauchen. Als ich vom letzten Büfett-Gang komme, sprintet der Gatte gerade aus der Tür - es ist erstaunlich, welches Tempo er gelegentlich trotz seiner Behinderung vorlegen kann. "Ich muss hier raus, sonst gibt es einen Mord!", zischt er mir zu. Schwiegermutter benahm sich also wieder mal unleidlich, wurde ausfallend, weil ihr niemand ihre Wünsche von den Lippen ablas. Sie wollte nämlich Obst haben, aber ich ging zum Büfett, ohne sie zu fragen, ob ich ihr etwas mitbringen könne. Ich hatte in die Runde gefragt, ob ich etwas mitbringen könne, aber eben nicht explizit sie angesprochen. Großer Fehler.
Zu Ende frühstücken, dabei die keifende Schwiegermutter ignorieren, den Gatten einsammeln und auf's Zimmer gehen.
Die Wunden des Gatten versorgen. Normalerweise ekle ich mich nicht so schnell (ich hatte in einem früheren Leben mit Exhumierungen zu tun), aber wenn's der Liebste ist, ist es etwas anderes. Ich weiß zudem, dass die Angst, dem Gatten wehzutun, unbegründet ist, da er in beiden Füßen kein Gefühl mehr hat. Dennoch: Ich zögere. Der Gatte ist beim Entfernen der alten Wundauflagen beherzter als ich. In Teamarbeit schaffen wir den Verbandswechsel.
Eigentlich hätte ich jetzt locker zwei, drei Stunden Zeit zum Wellnessen, allein: Ich bin schlichtweg erschöpft. Ich würde beim Schwimmen einschlafen. Der Gatte ist seit der letzten OP ohnehin dauererschöpft, außerdem schlafen wir ja gerade beide einfach schlecht. Wir fallen ins Bett und schlafen zwei Stunden komatös.
Wir starten zum Besuch der Ostsee-Tante, haben reichlich Zeitpuffer, was sich noch als sehr nützlich erweisen wird. Der Plan ist, in Lütjenburg Kuchen und Blumen zu besorgen - laut Google Maps gibt es dort einen Famila, der neben dem Supermarkt Geschäfte für beides bietet. Das Pfand wollen wir dort auch gleich noch abgeben. Allerdings: Kaum sind wir vom Hotelgelände gefahren, verabschiedet sich Google Maps. Ich vergaß, dass ich in Deutschland bin, wo die Netzabdeckung einfach ein Graus ist.
Ich habe zwar grob die Route im Kopf, mir aber nicht gemerkt, welche Abfahrt wir in Lütjenburg nehmen müssen. So landen wir in der Altstadt. Mit fittem Gatten könnte ich aussteigen und mich zu Fuß auf die Suche nach Bäcker und Blumen machen, nur ist der Gatte halt nicht fit. Der Versuch, in Lütjenburg Internet zu bekommen, schlägt fehl. Also irren wir durch die Altstadt, bis Schönberg ausgeschildert ist, und folgen der Ausschilderung, Zumindest sehen wir viel von der Landschaft - und Zeit haben wir ja auch noch.
In Schönberg kauft der Ostsee-Onkel immer ein, also wird es da schon Läden geben. Wir finden einen Edeka, der auf den ersten Blick aber weder Blumen noch Kuchen hat. Internet übrigens auch nicht. Beim Versuch, eine Möglichkeit zum Wenden zu finden, finden wir tatsächlich auf einem Fleck einen Blumenladen, einen Bäcker und einen Parkplatz! Da die Ostsee-Tante grundsätzlich eine Torte pro Person rechnet, macht die Bäckereiverkäuferin mit uns das Geschäft ihres Lebens, entsteht hinter uns eine lange Schlange.
Kurz erwische ich etwas Netz, um festzustellen, dass ich nicht drehen muss, sondern der Straße folgen kann, um zur Ostsee-Tante zu gelangen. Das Dorf, in dem sie zusammen mit dem Ostsee-Onkel wohnt, hat kaum 400 Einwohner, aber eine bekannte und gut ausgeschilderte Touristen-Attraktion. Ich weiß nur nicht mehr, ob die beiden rechts oder links davon wohnen, aber in einem Dorf mit knapp 400 Einwohnern kann man sich nicht wirklich verfahren. Eine Viertelstunde vor der Zeit rollen wir bei den beiden auf den Hof. Da gibt es übrigens kurz Netz: Google Maps ist inzwischen immerhin schon in Schönberg und verkündet, ich müsse auf der Niederstraße Richtung Knüllgasse fahren. Ja, das hatte ich vor zwanzig Minuten auch gemerkt.
Das Wiedersehen mit der Ostsee-Tante verläuft sehr harmonisch, ist wegen des Zustands des Gatten allerdings kürzer als es sein könnte. "Wenn man die Tante und deine Mutter nebeneinander stellt, würde man nicht denken, dass die beiden Schwestern sind!", sagt der Gatte und bringt es auf den Punkt. Auch charakterlich könnten die beiden unterschiedlicher nicht sein. Die Ostsee-Tante hat übrigens auch Kuchen da, obwohl ich mehrfach sagte, sie müsse keinen auftauen. Zwanzig Stück Kuchen für vier Personen sind ein wenig knapp ... Der Gatte und ich freuen uns über aufgetaute Donauwelle, hatten wir ewig nicht. Die Ostsee-Tante und ihr Mann freuen sich über mitgebrachten Mohnkuchen, Erdbeersahne, Bienenstich und Erdbeer-Vanille-Schnitte. Tante und Onkel werden noch ein paar Tage vom Kuchen essen, denn wir nahmen nichts mit.
Für die Heimfahrt schalte ich das Taschentelefon gar nicht erst ein. Gibt ja eh kein Netz. Den Rückweg finden wir, ohne uns zu verfahren. Hinter Lütjenburg steht plötzlich ein RTW, davor und dahinter jeweils ein Zivilfahrzeug, dessen Fahrer den Verkehr regeln - ohne Warnweste, weswegen ich sie im Dämmerlicht des Waldes fast übersah. Während wir den RTW passieren, sehe ich aus dem Augenwinkel ein oder zwei abgedeckte Körper liegen. Alles sehr merkwürdig, zumal keine Polizei vor Ort ist.
Kaum zurück im Hotel, laufen wir Schwiegermutter und Tante in die Arme. Der Gatte hat allerdings keine Lust, sich zu einem Apéro zusammenzusetzen, möchte sich lieber ausruhen. Die Stimmung ist angespannt, ändert sich auch nicht beim gemeinsamen Abendessen. Normalerweise würden wir uns nach dem Abendessen noch auf ein Abschiedsgetränk in der Bar zusammensetzen, aber danach ist niemandem mehr.
Wir sind rechtzeitig zur Tagesschau wieder auf unserem Zimmer - das gab es noch an keinem der Abende hier. Nach der Tagesschau beginnen wir mit dem Packen, dann stricke ich eine Socke zu Ende. Vor dem Einschlafen noch etwas lesen*, dann auf eine Nacht hoffen, in der ich durchschlafe - vergeblich.
Der Blick zurück in die ersten fünf Corona-Jahre: Im Mai 2020 war der Gatte noch gesund und in Kurzarbeit, während ich durch die Spontan-Digitalisierung meines Mammutprojekts jede Menge Überstunden ansammelte. Im Mai 2021 war der Gatte schon über ein halbes Jahr krank, stand der zweite Krankenhausaufenthalt unmittelbar bevor. Am 5. Mai 2022 konnte ich den Gatten aus dem Krankenhaus abholen, wo er nach einem Sturz im Urlaub zur Beobachtung war. Im Nachhinein fragt er sich immer wieder, ob dieser Sturz nicht schon ein erster Schlaganfall war, aber das Krankenhaus machte ein CT, wonach der eigentlich ausgeschlossen ist. Am 5. Mai 2023 schreibe ich Trauerbriefe. Das möchte ich nicht so bald wieder machen müssen. Am 5. Mai 2024 sind wir mit der Küchenplanung beschäftigt. Ein Jahr später warten wir auf die Erstattung des retournierten Herdes. Den mussten wir wegen der Behinderung des Gatten nach knapp neun Monaten gegen ein anderes Modell tauschen. Immerhin fand sich die Retoure nach fünf Wochen beim Händler an ... Und auch damals hatten die beiden Schulfreundinnen keine Zeit für ein Treffen. Ich wüsste zu gern, was da los ist, will es aber nach wie vor nicht per WhatsApp klären, sondern im direkten Gespräch.
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