Samstag, 15. Oktober 2022

Samstagsplausch KW 41/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXXXV

Eigentlich hatte ich mich auf das Yarncamp am Sonnabend gefreut, aber aufgrund der A7-Sperrung ließ ich es ausfallen, damit ich rechtzeitig in der lindgrünen Hölle bin, denn für den Nachmittag hatte sich eine Apfelpflückerin angesagt, und ich wusste nicht, wie lang der Stau werden würde. Die Apfelpflückerin füllte zwei 50 Kilo-Kisten! Im Garten der linken Nachbarin, die, die die Äpfel bislang als Müll betrachtete, standen zudem drei Wäschekörbe voller Äpfel, und ich sammelte einen halben Wäschekorb für Hamburg ein.

Sonntag kamen die Entrümpler zur Vorbesichtigung. Sie machen einen guten Eindruck, und der Preis stimmt auch. Donnerstag begann die Räumung des Hauses. Der Gatte fuhr schon Mittwoch raus - wir sind aktuell oft getrennt, was uns ganz gut tut. Seit Dezember 2020 waren wir ja nur getrennt, wenn der Gatte im Krankenhaus war. Ich bin immer noch unruhig, weil der Gatte immer mal wieder schlechte Nächte hat und dann Hilfe braucht, aber toi toi toi, bislang ging es gut. Das heißt aber nicht, dass ich besser schlafe. Ich habe heftige Schlafstörungen und bin tagsüber total erschöpft.

Sonntag kam auch A., die ich am Wochenende davor übers Foodsharing kennenlernte. Sie ist in einer der Kleiderkammern im Kreis aktiv, holte sich Besteck, Geschirr, Töpfe und die letzten beiden Winterjacken von Mudderns ab. Während ich bei den Kleiderkammern in Hamburg über jedes Kleidungsstück, jeden Kochtopf diskutieren muss, wird im Kreis alles genommen und geht sofort weg. Die Abholerin nahm sogar Sachen mit, die ich aussortiert hätte, und bei manchen Sachen musste ich sie überzeugen, dass die nun wirklich nicht mehr gehen. Schade, dass wir uns nicht eher kennenlernten, denn mit Mudderns Kleidung wäre die Kammer gut gefüllt gewesen.

Sonntag traf ich mich wie jede Woche mit Mudderns und war erschrocken, wie sehr sie seit letzter Woche körperlich abbaute. Inzwischen ist sie nicht mehr in der Lage, ihren Rollator alleine über den Gehweg zu schieben, braucht bei jedem noch so kleinen Hindernis wie abgesenkten Bürgersteigen Hilfe. Sie sagt, ihre Gesellschafterin helfe ihr schon lange beim Schieben. Sie kann auch kaum noch die Füße heben und braucht alle 50 bis 100 m eine Pause. Wir schafften es gerade so zu Fuß ins Wahllokal bei der Kirche und zurück. Man sieht Mudderns an, wie sehr das Gehen sie anstrengt, aber einen Rollstuhl lehnt sie vehement ab. Bislang konnten wir sie auch nicht zu einem Rollator-Rollstuhl* bewegen, und inzwischen lehnt sie es auch ab, sich auf dem Rollator schieben zu lassen. Es ist illusorisch, dass sie den Weg zur Kirche alleine schafft, und selbst, wenn sie es nicht mehr ablehnt, dass ich sie begleite, müssten wir die 500 m mit dem Auto fahren. 

Mudderns beklagte sich darüber, dass sie im Pflegeheim keinen Anschluss an die anderen Bewohnerinnen findet. Als wir uns dann aber mit einem Pfleger unterhielten und eine Mitbewohnerin dazu kam, fuhr Mudderns sie mit "Was guckst du so blöd?!" an. Ihre Aggressionen nehmen immer mehr zu, und sie nimmt es nicht wahr, wie sehr man sich um sie kümmert. Ihr Verhalten ist oft unangemessen. Sie ist mit der Situation schlichtweg überfordert und beharrt immer wieder darauf, alleine leben zu wollen. Nur weigere ich mich weiterhin, ihr eine Wohnung zu mieten, weil ich weiß, dass sie nicht mehr alleine leben kann. Im Pflegeheim wird ihr Verhalten aufgefangen, im Betreuten Wohnen nicht. Die Anlage ist nur auf selbstständige Bewohner ohne Unterstützungsbedarfe ausgerichtet. Die Damen, die ich dort bislang kennenlernte, sind alle noch sehr fit. Das ist Mudderns nicht. Das versteht Mudderns nicht. Immerhin nimmt sie vormittags an den Angeboten des Pflegeheims wie Sitzgymnastik oder Gedächtnistraining teil - wenn es denn stimmt, was sie erzählt. Das weiß man bei ihr ja nicht. 

Montag kam der Gatte aus der lindgrünen Hölle zum Wäschewechseln und Duschen, denn wir haben dort ja aktuell kein Bad (einen Tag später sollten wir auch kein Wasser, keine Toilette mehr haben). Er berichtete, die linke Nachbarin klingelte, um Apfelkuchen vorbeizubringen. Eine nette Geste, die uns gleichwohl irritierte, denn bislang waren die Äpfel ja nur Müll für sie, und zu Mudderns war sie nicht unbedingt nett. Der Kuchen war übrigens sehr lecker, mit Schmand und Streuseln.

Dienstag passierte dann ganz viel auf einmal. Der Tiefbauer rief endlich an, um den Termin für das Schießen des Glasfaserkabels abzusprechen. Ich hatte schon überlegt, zur Telekom zu wechseln. Der Service des örtlichen Versorgers ist zwar gut, nur die Absprache mit der Tiefbaufirma war nicht möglich. Sie rief exakt einmal an, als ich das Telefon nicht dabei hatte, machten keinen zweiten Versuch, und eine Rückrufmöglichkeit gab's nicht. Als ich aus dem Büro nach Hause kam, war ein dicker Umschlag vom Notar in der Post: Die Übertragungsurkunde für Haus und Grundstück! Die ist inzwischen schon bei der Bank. Das ist allerdings leider noch nicht der geänderte Grundbucheintrag, mit dem der Baukredit bewilligt wird. Auf den allein besteht die Bank. So bleibt es weiterhin eine Zitterpartie, ob er rechtzeitig bewilligt wird. Das schlägt inzwischen nicht nur dem Gatten auf den Magen, sondern auch mir, bereitet schlaflose Nächte. 

Auf dem Heimweg von Büro und Grippeimpfung sah ich die fast 90jährige Nachbarin an der Bushaltestelle sitzen und sprach sie an. Wir freuten uns beide, uns mal wieder aus der Nähe zu sehen. Vor Corona trafen wir uns fast täglich morgens an der Bushaltestelle, da wir beide um die gleiche Zeit aus dem Haus gingen. Seit Corona winken wir uns von Balkon zu Balkon zu - manchmal rufen wir auch einen Gruß, aber das ist über die Distanz mühselig. Als ich noch öfter mit dem Gatten spazierenging, trafen wir uns manchmal im Park. Dienstag klönten wir trotz Kälte fast eine halbe Stunde - der Gatte wunderte sich, wo ich bleibe. 

Dann rief der Bauunternehmer an und teilte mit, wir hätten warmes Wasser im Gäste-Klo. Das hörte sich so an, als wäre der neue Durchlauferhitzer schon angeschlossen, und entsprechend erfreut fuhr der Gatte am Mittwoch ins alt-neue Haus. Vor Ort zeigte sich, das zwar der Wasserhahn am Waschbecken erneuert wurde und warmes Wasser fließen könnte, wäre ein funktionierender Durchlauferhitzer da, aber tatsächlich kommt das weiterhin Wasser aus einem Schlauch in der Wand - und dieser Schlauch ist auch die Klospülung. Ansonsten gibt es kein Wasser. Der Gatte tobte.

Donnerstag gab's dann Wasser - kurzfristig sogar da, wo's sein sollte. Der Installateur schloss die Toilette an, weil wir darauf bestanden, dass wir mit insgesamt acht Personen, die drei Tage im Haus arbeiten, nicht ohne Toilette sein können, und so hatten wir Wasser im Handwaschbecken und im Spülkasten - und im gesamten Gäste-Klo und im Windfang, weil eine Zuleitung leckt und das WC verstopft ist. Verstopfung und Leckage wurden zwar am Donnerstag noch beseitigt, traten aber Freitag wieder auf. Wir sind ziemlich frustriert, denn bis die Baubrigade Hand anlegte, funktionierte das WC, und wenn die sogar schon an einem funktionierenden WC scheitern, wie soll es dann erst mit dem komplett neu zu bauenden Bad inkl. Erneuerung der Leitungen werden?!  

Donnerstag und Freitag wurde das Haus geräumt, was durch ein Missverständnis leider auch Schnuffi, meinem gerade erst wiedergefundenen Kindheitskuscheltier, das Leben kostete. Ich bin sehr traurig. Vermutlich kompensiere ich damit die Gesamtsituation. Ich realisiere erst langsam, dass jetzt endgültig und unwiderruflich die ganzen alten Leben von Eltern und Großeltern aus dem Haus ausziehen. Mudderns weiß nicht, dass das Haus geräumt wird. In klaren Momenten ahnt sie es.

Donnerstag hatte ich ein hilfreiches Gespräch mit der Nachbarin, die seit 50 Jahren gegenüber von Mudderns wohnt, nur wenige Jahre jünger ist als sie, verhältnismäßig viel Kontakt mit ihr hatte, und mit ihrer Tochter. Ich hadere ja noch immer mit der Entscheidung, Mudderns ins Pflegeheim gegeben zu haben, denn ich weiß, sie wollte nie in eines. Von den beiden Frauen zu hören, dass ich keine andere Wahl hatte, weil Mudderns alle Alternativen ablehnte, tat gut.

Freitag wurde dann zumindest schon mal das Kabel für Internet. Telefon und TV gelegt. Jetzt warten wir auf die Installation der Fritzbox durch die örtlichen Stadtwerke, und dann kann der Gatte die Verkabelung im Haus übernehmen.  

Eigentlich wollten wir bis Sonntag in der lindgrünen Hölle bleiben, heute gemütlich über den Wochenmarkt schlendern, uns später eine Dionsaurier-Ausstellung ansehen, aber die Toilettensituation ließ uns die Flucht ergreifen. So habe ich das erste Wochenende ohne Termine seit dem 25. Juni, dem Tag, als Mudderns ins Krankenhaus kam. Das tut dem Gatten und mir wirklich gut. Ich habe tatsächlich mal zehn Stunden geschlafen. 

Hier gilt seit mittlerweile 135 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird. Er ist inzwischen schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. 

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter und seit der Sanierung des alt-neuen Hauses Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist sie aber unvermeidbar, und ich kann nur hoffen, dass es uns dann nicht zu hart trifft. 

Aktuell ist Corona ganz nahe: Mudderns rief heute Mittag an und sagte, im Pflegeheim sei alles gesperrt, weil es Coronafälle gebe. Welche Maßnahmen konkret ergriffen wurden, konnte die mir nicht sagen, denn sie versteht das alles nicht. Zugegeben, in ihrem Haus wäre die Gefahr, sich an Corona anzustecken, geringer als im Heim, aber dafür war da die Gefahr, sich bei einem Sturz das Genick zu brechen, größer. Dennoch: Wieder mal habe ich ein schlechtes Gewissen. Gleichzeitig überlege ich, wie sie kommenden Sonntag an der Stichwahl teilnehmen kann. Mal schauen, ob sie kurzfristig Briefwahl möchte, sofern es überhaupt möglich ist, sie kurz zur Übergabe der Unterlagen vorm Heim zu sehen. Ob sie ihre Gesellschaften in der kommenden Woche sehen kann, ist ja auch fraglich. Das wird schwer für Mudderns. Ich hoffe, dass es wenigstens die täglichen Veranstaltungsangebote im Heim weiterhin gibt, Mudderns nicht in Zimmerquarantäne muss. 

Schwiegermutter und Tante geht's gut. Tante rief sogar Mittwoch an, um sich für einen Gruß zu bedanken. Schwiegermutter hatte gerade viel Schererei, weil ihr das Portemonnaie gestohlen wurde - mal wieder. Zum Glück war es diesmal kein zu hoher Betrag. Sie ist für Taschendiebe wirklich eine leichte Beute. Diesmal ließ sie ihr Portemonnaie in einem Regal liegen, um sich in einem anderen etwas anzusehen. 

Im Büro ist es ruhig, trotz der Herbstferien. Eine Kollegin ist weiterhin an Corona erkrankt, und ein Kollege war in freiwilliger Quarantäne, da es in der Familie einen Coronafall gibt. Ich hoffe, er infizierte sich nicht, denn das wäre seine dritte Infektion.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

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