"Das beste heute war das Himbi! Ich weiß nicht, wann ich das zuletzt aß", meinte der Gatte, als wir aus dem Krankenhaus kamen. Ich wusste genau, wann ich das letzte Himbi aß, war es doch das Eis, das ich immer mit meiner Mutter aß, wenn sie im Krankenhaus war. Sie mochte es auch, weil es farblich perfekt zu ihrem Morgenrock passte. Nun also Himbi im Krankenhaus mit dem Gatten.
Der Gatte geht im Januar ins Krankenhaus für verschiedene kleinere OPs, die dafür sorgen sollen, dass er wieder besser laufen kann, die Beine wieder durchblutet werden. Normalerweise wären die Eingriffe keine große Sache, aber aufgrund seiner Herzerkrankung ist die Narkose riskant. Das sorgt für ein Déjà-vu, denn vorletzten April hörte ich ähnliches bei meiner Mutter. Der Vater des Gatten starb zudem bei so einer OP, war damals im gleichen Alter wie der Gatte jetzt. Der Januar bringt außerdem selten etwas Gutes. Im dem Monat starb mein Vater, hatten meine Mutter und mein Mann jeweils einen Schlaganfall.
Bislang schimpfte der Gatte bei jedem Krankenhausaufenthalt, ich wolle ihn loswerden und abschieben. Jetzt ist er, anders als in der Vorwoche, wo er noch panisch war, ganz ruhig, sieht der OP fast schon gelassen entgegen, will sie unbedingt machen, hofft, danach nicht nur besser gehen zu können, sondern vielleicht sogar wieder wandern zu können (und der Einzug eines Hundes ist ja auch immer noch Thema - da wäre es praktisch, wenn er mehr als zehn Meter am Stück gehen könnte). Er bedauert, dass wir keine Patientenverfügung, Vorsorge- und Bestattungsvollmacht haben, weil er die bislang vehement ablehnte, will dennoch nicht, dass ich mich in den verbleibenden sieben Wochen darum kümmere, teilt aber immerhin seine Wünsche und Gedanken mit mir, damit ich im hoffentlich nicht eintretenden Ernstfall eine Idee habe, was er wünscht. Ich versuche, das alles zu verdrängen. Der gelassene Gatte, der der OP ruhig entgegenblickt, besorgt mich mehr als der cholerisch-panische.
Im Büro ist für die Zeit, die der Gatte ins Krankenhaus muss, alles so organisiert, dass ich eine Woche komplett von zu Hause aus arbeiten kann, jederzeit auf Abruf bin, falls ich zu ihm ins Krankenhaus muss. Das ist keine zehn Autominuten entfernt. Ich könnte mir natürlich auch frei nehmen, aber in den letzten vier Jahren habe ich gelernt, dass ich die Arbeit als Ablenkung brauche.
Ich versuche, die gemeinsamen Momente zu genießen, freue mich, wenn der Gatte extra früh aufsteht, um mich noch zu sehen, bevor ich ins Echtbüro aufbreche oder um an meinen Heimbürotagen morgens mit mir zu frühstücken. Das führt dann regelmäßig dazu, dass ich zu spät ins Heimbüro komme, aber egal. Ich versuche, es ihm so schön wie möglich zu machen, auch, wenn ich dafür immer wieder über meine Kräfte gehen muss. Ich schaffe es keinen Tag, meine Liste abzuarbeiten, egal, wie ich mich bemühe. Gut, vermutlich ist die Liste einfach zu lang für eine Person, aber das irrelevant. Die Aufgaben müssen erledigt werden, basta. Der Gatte hat nur wenige Phasen, in denen er hilft bzw. helfen kann.
Hier gilt seit mittlerweile 245 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. Es geht uns dennoch vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich die Erkrankungen und der Schlaganfall des Gatten zu Wesensveränderungen führten, die ein Zusammenleben manchmal sehr schwer machen.
Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona bislang Gatten, Schwiegermutter und Tante verschonte und hoffe sehr, das bleibt so.
Schwiegermutter und Tante geht's gut. Schwiegermutter ist oft in ihrem Narzissmus gefangen, leidet aktuell unter dem grauen November und der Dunkelheit, zumal sich zum Monatsende der Todestag ihres Mann jährt. Früher fuhr der Gatte dann mit ihr zum Friedhof, aber das kann er nicht mehr, und ich kann es gerade auch nicht. Aber wir sehen uns am ersten Advent zum Wunschzettelschreiben. Das hat Tradition (wobei wir uns dieses Jahr nichts zu Weihnachten schenken wollen, also eigentlich keinen Wunschzettel schreiben müssten). Schwiegermutter würde uns gerne öfter besuchen, öfter mal ein Wochenende hier verbringen, aber das ist mit dem Gatten nicht zu machen. Ich muss das auch nicht haben, weil anstrengend, denn sie mischt sich in alles ein. Sie ist der Meinung, unseren Haushalt organisieren zu müssen, weil wir das nicht können, und diese Meinung vertritt sie schon seit 25 Jahren. Mal für einen Nachmittag zu uns zu kommen, lehnt sie ab - es muss partout ein ganzes Wochenende sein.
Die Ostsee-Tante schickte einen Brief, das war schön. Ich würde sie gerne öfter sehen. Vielleicht klappt es im kommenden Jahr mit einem Besuch, aber ich mag nicht so weit im Voraus planen.
Kurz vor dem ersten Schnee eingefangen: Ein tapferes Gänseblümchen hält im Garten durch. |
Diese Woche fiel der erste Schnee, und er blieb sogar liegen. Da unser Winterdienst nicht sofort kam, fegte der Gatte Schnee, weil ich nicht da war und er befand, es ginge nicht, dass bei den Nachbarn schon gefegt war, bei uns aber nicht. Anschließend lief er zu Fuß in die Fußambulanz und in die Apotheke, weil aufgrund des Schnees kein Taxi zu bekommen war. Da hatte er sich endlich mal überwunden, ein Taxi zu nehmen, und dann das (ich konnte ihn nicht fahren, da Echtbüro-Tag). Immerhin nahm er das Angebot der Apotheke an, ihm die Sachen, die erst bestellt werden mussten, vorbeizubringen (ich hätte sie auch auf dem Rückweg vom Büro abholen können, war aber nicht böse, dass ich das nicht musste).
Im Büro herrscht weiterhin Winterruhe, was heißt, dass sich die Situation nach dem vorgeblichen Corona-Ende normalisiert. Ich bin ziemlich genervt, dass ich beschloss, mein Projekt weiterzuentwickeln, denn Entscheidungsfindungen werden immer komplizierter. Ich muss jede Idee mit zwei Chefs absprechen, die sich wiederum mit Chefs absprechen - zu viele Häuptlinge, zu wenig Indianer. Alles wird zerredet, dauert endlos. Ich bin kurz davor zu sagen, fasst mich an die Füße, und bis zur Rente Dienst nach Vorschrift zu machen. Mal schauen, wann mein Geduldsfaden reißt. Ohne meine Kollegin wäre er sicher schon gerissen (und ohne meinen Ehrgeiz, ihr ein funktionierendes zeitgemäßes Projekt zu übergeben).
Ansonsten bereite ich mich auf das Ende des Klapsen-Klubs, der Gruppentherapie als Reha-Nachsorge vor. Theoretisch hätte ich schon lange damit durch sein können, aber es kamen Termine, Urlaube und Krankheiten dazwischen. Ich werde Therapeutin und Gruppe vermissen. Klar ist, dass ich weiterhin Behandlung brauche, aber wie so ziemlich alles an medizinischer Versorgung, ist das schwer, wenn ich die Kosten nicht selbst trage. Vor zehn Jahren zahlte ich die Therapie selbst, nur verdoppelte sich der Stundensatz inzwischen. Da ich ohnehin einen Großteil meiner medizinischen Bedarfe selbst zahlen muss, weil zum Beispiel Medikamente zwar helfen, aber in Deutschland nicht für die Behandlung zugelassen sind, kann ich das nicht so einfach. Es wäre jeden Monat ein vierstelliger Betrag. Vermutlich werde ich aber keine andere Wahl haben. Es gäbe zwar die Möglichkeit einer Selbsthilfegruppe am örtlichen Krankenhaus, aber ich hätte gerne einen Profi dabei, und die Gruppe ist zeitglich mit der Gruppe für pflegende Angehörige sowie dem Sportangebot, das ich gerne machen möchte, und dem monatlichen Stricktreffen. Bei allen gibt es keinen Alternativtermin. Ich weiß noch nicht, wie ich mich entscheide. Gefühlt fehlt mir der Sport am meisten. Letztlich ist es egal, wie ich mich entscheide, denn es richtet sich ja alles nach dem Gatten.
Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.
Da wünsche ich euch beiden viel Kraft für die kommende Zeit! Ich hoffe, du lässt dich nicht allzu sehr von den Sorgen vereinnahmen! LG, Silke
AntwortenLöschenDanke, liebe Silke.
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