Samstag, 18. Januar 2025

Samstagsplausch KW 3/25: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CCXLXIII

Heute wird Kfir Bibas zwei Jahre alt. Es ist sein zweiter Geburtstag als Geisel der Hamas - sofern der kleine Junge noch am Leben ist. Zusammen mit seinem fünfjährigen Bruder Ariel und den Eltern wurde er vor 470 Tagen entführt. Ab morgen sollen innerhalb von 42 Tagen 33 Menschen freikommen; insgesamt sind es noch 97 Geiseln. Bring them home now gilt unvermindert weiter .Die Familie Bibas steht auf der Liste derer, die zuerst freigelassen werden sollen. Es gibt die leise Hoffnung, das alle 33 Männer, Frauen und Kinder noch am Leben sind, aber es gibt auch sehr viel Skepsis. 

Diese Woche waren die OPs des Gatten geplant. Geplant war, dass der Gatte Montag zur prästationären Aufnahme ins Krankenhaus kommt, ich ihn dann wieder mit nach Hause nehme bis zur ersten OP am Dienstag. Mittwoch sollte er zur Beobachtung bleiben, Donnerstag sollte die nächste OP erfolgen, je nach Lage wieder mit einer Nacht zur Beobachtung, und spätestens Freitag sollte ich ihn wieder abholen.

Nur: Kaum waren wir Montag im Krankenhaus, klappte der Gatte komplett zusammen. Das war beängstigend. Der Gatte wurde kurzerhand eingewiesen, war inzwischen zu schwach, sich dagegen zu wehren. Im Rollstuhl saß er eh schon, weil er aktuell so wenig wie möglich laufen soll und die Wege im Krankenhaus lang sind. Einen Tag später war klar, dass ihn Influenza A erwischte. Natürlich ist der Gatte gegen Grippe geimpft, aber bei den vielen Baustellen, die er hat, ist der Verlauf trotzdem heftig. Mich steckte er auch an, und ich hätte ohne positiven Test gedacht, ich hätte ein bisschen Schnupfen. Impfen hilft halt, und wir möchten uns nicht vorstellen, wie es dem Gatten ohne Impfung ergangen wäre (sonnige Grüße an die Impfgegnerinnen, die wieder versuchen werden, die Kommentare zu fluten). Wo sich der Gatte infizierte, ist relativ klar, denn letzte Woche war er nur in der Praxis des Diabetologen. Da wurde geschnieft und gehustet, trug außer mir niemand Maske. Der Gatte steckte erst sich und dann mich an.

Der Gatte wurde mit Medikamenten vollgepumpt, damit auch ja alle Baustellen versorgt werden. Die eigentlich geplanten Eingriffe werden Ende Januar nachgeholt, denn die konnten nicht durchgeführt werden wegen der Gefahr einer Lungenentzündung. 

Der Gatte ist entsprechend niedergeschlagen, hätte die OPs so gerne hinter sich gehabt. Außerdem dämmert ihm langsam, dass wegen der nicht heilenden Wunden an den Füßen eine Amputation droht, und was Amputation bedeutet. Bis zur Wiederaufnahme ins Krankenhaus in zehn Tagen bin ich für die Wundversorgung verantwortlich und hoffe, ich mache alles richtig. Es gibt zwar auch eine Verordnung für einen Pflegedienst, aber es ist im ganzen Landkreis kein Pflegedienst zu bekommen. Es muss also so gehen. Vielleicht dehne ich Montag die Suche auf Winsen, Lüneburg oder Hamburg aus. Mal sehen, was der Gatte meint. Jedenfalls muss ich nach jedem Verbandswechsel Fotos an den behandelnden Arzt mailen. Sollte er eine Verschlechterung erkennen, meldet er sich, soll der Gatte wieder ins Krankenhaus. Wir bekamen reichlich Verbandsmaterial mit. Davon genug zu bekommen, war bislang ein Problem. 

Die erste Ärztin, der wir bei der Aufnahme im Krankenhaus begegneten, war fürchterlich arrogant und übergriffig, nannte noch nicht mal ihren Namen, war genervt wegen der verwundeten Füße des Gatten und griff mich an, weil ich für den Zustand des Gatten verantwortlich wäre. Ich müsse dafür sorgen, dass er Schutzschuhe trägt, dass er seinen Diabetes in den Griff bekommt usw. Mich triggerte das, denn von klein auf und vor allem in den letzten sieben Jahren ihres Lebens wurde ich immer wieder für das Verhalten meiner Mutter verantwortlich gemacht. Der Gatte bekam davon zum Glück nichts mit, und danach hatte er nur noch mit Ärzten zu tun, mit denen er zurecht kam.

Ein wenig ratlos macht uns die immer wieder geäußerte Aufforderung von Diabetologen und Gefäß-Chirurgen, der Gatte solle unbedingt Sport treiben. Beide betonen gleichzeitig, der Gatte dürfe die Füße nicht belasten, solle keine Treppen steigen, am Besten im Rollstuhl sitzen. Laut Kardiologin und Hausarzt ist das Herz des Gatten selbst für Herzsport zu schwach. Welcher Sport bleibt da?! Aktuell darf der Gatte ja noch nicht mal mehr spazieren gehen, muss selbst kürzeste Strecken gefahren werden.

Im Moment versuche ich, den Gatten aufzubauen, denn er ist so niedergeschlagen, dass er meint, wir können nicht wie geplant Ende Februar über unseren Hochzeitstag nach Dänemark fahren. Das macht Angst. Bevor er ins Krankenhaus kam, war er deutlich optimistischer. Wir sind beide am Ende unserer Kräfte. Dass der Blutzucker des Gatten seit zehn Tagen so stabil ist, dass er nachts nicht mehr unterzuckert, sollte uns optimistisch stimmen, aber selbst, uns darüber zu freuen, ist keine Kraft mehr da. Er hat keine Lust mehr, in seiner Werkstatt zu werkeln, ist einfach nur deprimiert, und ich weiß nicht, wie ich ihn aufbauen kann. Dass aktuell alles, was irgendwie mit Bewegung zu tun hat, auf meinen Schulter lastet, deprimiert ihn zusätzlich. Er darf sitzen und atmen, mehr nicht.

Hier gilt seit mittlerweile 253 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. Es geht uns dennoch vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich die Erkrankungen und der Schlaganfall des Gatten zu Wesensveränderungen führten, die ein Zusammenleben manchmal sehr schwer machen. 

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona bislang Gatten, Schwiegermutter und Tante verschonte und hoffe sehr, das bleibt so.

Ich habe ein Erstgespräch bei einem Therapeuten und hoffe, dort im Anschluss an die Reha-Nachsorge ein paar Stunden Einzeltherapie zu bekommen. Das ist dringend notwendig. Ich bin seit fünf Jahren so damit beschäftigt, das, was akut ist, irgendwie zu schaffen, dass ich zum Eigentlichen gar nicht komme. Ich bezweifle allerdings, dass sich das ändern wird. Es wäre schön, wenn ein paar Tage, Wochen, Monate einfach mal nichts geschieht, wenn wir zur Ruhe kommen könnten.

Während der Gatte im Krankenhaus war, hatte ich einige Telefonate mit Schwiegermutter, aber es ist zwecklos, von ihr Verständnis zu erwarten. Für sie war der Gatte schlagartig gesund, als er berufsunfähig und schwerbehindert verrentet wurde. Sie registriert den Widerspruch nicht. Es ist erschreckend, wie sie sich entwickelte. 

Im Büro ist gerade jede Menge zu tun. Es war ein denkbar schlechter Zeitpunkt, auszufallen, aber ich konnte es nicht ändern. Drei Tage warf mich die Influenza halt auch um. Meine Kollegin übernahm, und ich registrierte erfreut, dass sie immer sicherer wird bei dem, was sie macht. Jetzt lernt sie, eine Tagung zu organisieren. Ich mute ihr und den anderen Kolleginnen aktuell mal wieder viel zu viel zu und wünschte, ich könnte es ändern.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.


2 Kommentare:

  1. Und bei euch weit und breit kein Verein, der Sitzgymnastik anbietet?

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    1. Doch, außer der Senioren-Tagesstätte auch ein Sportverein. Aber auch dafür müssen wir mit der Kardiologin abklären, ob der Gatte das überhaupt darf, und dann muss der Gatte wollen, muss einsehen, dass mehr aktuell nicht geht. Das ist der eigentliche Knackpunkt. Bis zum Kardiologentermin dauert es noch ein paar Wochen.

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.