Donnerstag, 16. August 2018

Vierzehn Tage

In der Nacht vom 20. auf den 21. August 2017 hatte ich vier Mal das Gefühl, mir drücke jemand ein Kissen auf den Kopf. Das war nicht schön. Das war keine nächtliche Panikattacke, das war mir schnell klar. Und bevor jemand fragt: Nein, der Gatte war's nicht.

Da mir schon seit Tagen schwindelig war, selbst, wenn ich nur ruhig auf dem Sofa saß, saß ich am nächsten Morgen beim Arzt. Der diagnostizierte Schlafapnoe, überwies mich zum Lungenarzt zwecks Absicherung, zog mich aus dem Verkehr, um zusätzlich den Verdacht auf Hörsturz, Dreh- oder Lagerungsschwindel abzuklären. Binnen 14 Tage solle das alles erledigt sein, befand er. Dann bekäme ich vom Lungenarzt ein CPAP-Gerät, und alles sei wieder gut.

Hörsturz, Dreh- und Lagerungsschwindel konnten wir binnen einer Woche ausschließen. Blieb der Verdacht auf Schlafapnoe.

Den Termin zur Abklärung der Schlafapnoe, vereinbart am 21. August, hatte ich am 23. Oktober 2017. Gut, 14 Tage sind relativ.

Der Lungenarzt befand, der Befund sei nicht eindeutig. Könnte ich mir vorstellen, innerhalb der nächsten 14 Tage ein paar Nächte im Schlaflabor in schleswig-holsteinischen Irgendwo zu verbringen? Klar.

Diesmal dauerten die 14 Tage bis zum 10. April 2018.

Nach zwei Nächten kam das Schlaflabor zu dem Ergebnis, dass ich eine nicht unbeachtliche Schlafapnoe habe und ein CPAP-Gerät brauche. Binnen 14 Tagen würde sich mein Lungenarzt bei mir melden wegen einer Verordnung.

Ich weiß jetzt auch nicht, warum, aber irgendwas sagte mir, dass das mit den 14 Tagen nichts wird, ich mich lieber selbst kümmern sollte.

Wieder zurück aus dem Schlaflabor, hatte ich Glück und konnte online einen zufällig freigewordenen Termin beim Lungenarzt ergattern - für den 17. April. An dem Tag lag meinem Lungenarzt sogar schon ein eindeutiger Befund vor. Er würde mir ein CPAP-Gerät verordnen und sähe mich im Juli zur Kontrolle wieder. Ach ja, und wenn sich binnen 14 Tage meine Krankenkasse nicht bei mir meldete, um mich mit einem Gerät zu versorgen, solle ich mich wieder bei ihm melden.

Da waren sie wieder, die 14 Tage und das unerklärliche Gefühl, dass das nichts wird.

Ich notierte mir gedanklich, dass ich mich in drei Wochen nach dem Dänemark-Urlaub um das CPAP-Gerät kümmern müsste, falls es nicht schon vorher käme, und war zuversichtlich, dass ich in der letzten Urlaubswoche das Gerät bekäme.

Wieder zu Hause, verbrachte ich den 7. Mai damit, gute sechs Stunden lang herauszufinden, wo mein Gerät ist. Der erster Anruf war beim Lungenarzt. Der schickte die Verordnung am 19. April zu einem Versorger in Kaltenkirchen, weil: "Mit dem arbeiten wir immer zusammen." Beim Versorger fand sich die Verordnung auch nach einigem Suchen und diversen Telefonaten, aber man befand, man sei nicht zuständig, da meine Krankenkasse nicht mit diesem Versorger zusammenarbeite.

Also rief ich bei der Krankenkasse an und fragte, wie ich an so ein CPAP-Gerät käme. Wieso ich denn anriefe, pampte mich eine Call-Center-Mitarbeiterin an. Das stünde doch alles im Internet. Ähm, wenn das alles im Internet stünde, würde ich nicht telefonieren. Immerhin bekam ich die Telefonnummer des einzigen Versorgers, mit dem die Krankenkasse zusammenarbeitet. Der sitzt in Berlin. Ich wohne in Hamburg.

Langsam wird's absurd, dachte ich so bei mir. Ich arbeite nämlich in Laufnähe zur Niederlassung eines Versorgers und dachte ganz naiv, dass ich zu dem käme, weil da alle CPAP-Nutzer, die ich kenne, sind.

Ich rief in Berlin an und erfuhr, dass man nicht für mich zuständig sei, sondern eine Niederlassung in Hamburg. Dort rief ich an. Das sei doch alles kein Problem, ich solle einfach mit der Verordnung vorbei kommen, dann bekäme ich ein Gerät, den Papierkram regle man mit meiner Krankenkasse. Um's abzukürzen, könne der Lungenarzt die Verordnung direkt an den Versorger mailen. Doch, doch, das schaffe man locker noch diese Woche. Es sei ja erst Montag.

Also instruierte ich erst telefonisch, dann per Mail meinen Lungenarzt, an welchen Versorger er die Verordnung schicken solle, setzte den Versorger cc und gab allen meine Mobilnummer, um erreichbar zu sein zwecks Terminabsprache. Den Rest der Woche tat sich - nichts.

Am 14. Mai bekam ich Post von meiner Krankenkasse. Man schickte mir die Kopie der Verordnung für ein CPAP-Gerät, die Kontaktdaten des Versorgers in Berlin und den Hinweis, ich solle mich doch online informieren anstatt sie mit Papierkram zu behelligen.

An diesem Punkt fand ich die Situation schon nicht mehr absurd, sondern nur noch bescheuert.

Ich rief wieder beim Versorger in Berlin an, der mir wieder sagte, man sei nicht zuständig, und mich wieder an Hamburg verwies.

Ich rief also beim Versorger in Hamburg an und versuchte, einen Termin zu vereinbaren. Der Sitz des Hamburger Versorgers liegt so, dass ich anderthalb Stunden mit drei Bussen fahren und 20 Minuten zu Fuß gehen muss oder anderthalb Stunden mit dem Auto fahren, um ihn zu erreichen - immer vorausgesetzt, es ist gerade kein Stau. Macht also mindestens drei Stunden Fahrzeit für einen einstündigen Termin, was heißt, dass ich mir einen Urlaubstag nehmen muss.

Es war schlichtweg für die nächsten Wochen nicht möglich, die Tage, an denen ich Urlaub nehmen könnte, und die freien Termine des Versorgers unter einen Hut zu bringen. Außerdem fragte ich mich inzwischen, ob ich wirklich jedes Mal einen Urlaubstag nehmen möchte, wenn etwas mit dem Gerät ist, wo doch in Laufnähe vom Büro ein Versorger ist, von dem ich nur Gutes hörte, wo es andere Versorger gibt, die ins Haus kommen. Und überhaupt, was machen die Menschen, die nicht mobil sind?

Am 16. Mai erkundigte ich mich bei der Krankenkasse, bei der der Gatte versichert ist, nach den Wechselbedingungen. Ich hatte nicht vergessen, dass die Krankenkasse, mit der ich jetzt gerade so viel Spaß hatte, mich 2011 / 2012 massiv unter Druck setzte, als ich an Depression erkrankte: Ich solle doch bitte meinen Job kündigen, dann müsse die Krankenkasse nicht mehr für mich zahlen, sondern das Arbeitsamt. Seitdem habe ich Panik, länger als eine Woche krank zu werden, aus Angst, der Telefonterror der Krankenkasse geht dann wieder los, und arbeitete schon mal entgegen ärztlichen Rat.

Am 23. Mai beantragte ich die Mitgliedschaft bei der neuen Krankenkasse. Am 28. Mai war der Wechsel zum 1. August vollzogen.

Am 1. August stand ich bei meinem Hausarzt, schloss einen neuen Hausarztvertrag ab, erhielt eine Überweisung zum Lungenarzt, spazierte drei Straßen weiter zu ihm, bekam dort die Verordnung und mailte die an die Krankenkasse. Am nächsten Tag hatte ich eine Mail von der Krankenkasse: Man könne das Gerät erst bewilligen, wenn man den Bericht vom Schlaflabor habe.

Ich atmete tief durch und griff zum Telefon. Die Sachbearbeiterin wollte mich ihrerseits gerade anrufen, weil sie sich dachte, ich brauche das Gerät bestimmt dringend, und wenn ich den Bericht hätte, könne ich den doch nachreichen, und sie würde das Gerät jetzt bewilligen. Sie bewilligte am gleichen Tag, ich reichte am nächsten Tag nach.

Die Bewilligung war für einen Versorger in Mecklenburg-Vorpommern. Nun gut, das sind auch nur anderthalb Stunden Fahrzeit .... Ich rief dort also wegen einer Terminvereinbarung an, erfuhr, dass sie zu mir kämen, um das Gerät anzupassen, dass sie aber gar nicht für mich zuständig seien, sondern die Hauptniederlassung in Bremen.

Irgendwie hatte ich ein Déjà-vu.

Also rief ich in Bremen an. Joa, man sei zuständig. Nö, man habe noch keine Bewilligung, aber man könne schon mal meine Daten aufnehmen und melde sich dann bei mir. Als sich am 9. August noch niemand bei mir meldete, hakte ich nach. Ach ja, man habe das gerade vorgestern an die Niederlassung in Norderstedt gegeben. Die werde sich dann melden. Nein, rufen Sie nicht uns an, wir rufen Sie an. Nein, die Niederlassung ist nicht telefonisch erreichbar. Nein, man kann keine Termine für die Niederlassungen ausmachen, das machen die selbst.

Als sich am 10. August noch niemand meldete, wurde ich ungeduldig. Schließlich wirbt die Krankenkasse damit, dass man binnen 24 Stunden von einem Versorger kontaktiert wird, und bei mir meldete sich seit zehn Tagen niemand. Außerdem wollen wir demnächst in den Urlaub fliegen, wofür das CPAP-Gerät bei der Fluggesellschaft angemeldet werden muss. Abgesehen davon ging's mir so dreckig, dass ich kaum noch Treppen schaffte - Apnoe, Asthma und Allergie hatte sich inzwischen verbündet. Ich schlug vor, das Gerät privat zu kaufen, wenn die Krankenkasse die laufenden Kosten übernimmt und mir den Kassenanteil erstattet. Das ginge nicht, aber man könne mir einen anderen Versorger anbieten.

Wie viele Versorger gibt es eigentlich? Aber okay, warum nicht?

Am 13. August dauerte es keine Stunde, bis die Bewilligung da war, diesmal für einen Versorger in München, der, der die Niederlassung in Laufnähe zum Büro hat, der, zu dem ich von Anfang an wollte. Ich arbeitete mich durch die Call-Center-Abteilungen, um jemanden zu finden, der einen Termin für die Hamburger Niederlassung abmacht (die können das nämlich).

Phasenweise hatte ich das Gefühl, mit einer Behörde zu telefonieren, vor allem bei Aussagen wie: "Sie haben das gemailt? Nee, das geht nicht, das muss gefaxt werden. Und dann muss das erst in die richtige Abteilung gebracht werden. Außerdem ist gerade Urlaubszeit, da sind wir unterbesetzt. Das dauert also alles." Ich verkniff mir die Frage, ob der junge Mann, mit dem ich gerade sprach, im ersten Leben Verwaltungsfachangestellter war.

Eine Mitarbeiterin meinte, nachdem sie meine Odyssee hörte und schon mal mein Kundenprofil anlegte: "Hoffentlich sind Sie nicht bei XY versichert." "Nee, aber da war ich bis vor zwei Wochen. Warum fragen Sie?" "Mit der XY arbeiten wir seit 2013 nicht mehr zusammen. Mit denen gab's nur Ärger."

Ach was.

Beim xten Telefonat am Mittag des 14. Augusts war ich nahe dran, meine Freundlichkeit zu verlieren und die Situation eskalieren zu lassen, weil ich mich im Zuständigkeitsdschungel verlor. Nur: Nützt ja nix. Also tief durchatmen.

"Sagen Sie mal, ist bei Ihnen in München auch so schreckliches Migränewetter wie bei uns in Hamburg?", fragte ich plötzlich meine Gesprächspartnerin, die gerade genauso zickte wie ich. Sie kam aus dem Konzept, hielt inne, lachte und entgegnete, jetzt in breitem Bayerisch: "Sie, da sagen Sie was. Ich kann den ganzen Tag schon nicht denken. Sagen Sie, können Sie heute um 16 Uhr in die Niederlassung in Hamburg kommen?"

Anderthalb Stunden später saß ich in der Hamburger Niederlassung bei einer entzückenden Beraterin, die sich viel Zeit nahm. Nochmal anderthalb Stunden später waren mein nagelneues CPAP-Gerät und ich auf dem Weg nach Hause. Hätte ich übrigens nicht so hartnäckig meinem Gerät hinterher telefoniert, hätte man sich erst Anfang September bei mir gemeldet.

Und alle, die sagten, das mit der Versorgung eines CPAP-Gerätes dauere nur 14 Tage, hatten tatsächlich recht. Man muss nur zusätzlich 346 Tage von Erst-Diagnose bis Krankenkassenwechsel einplanen und dann hartnäckig telefonieren.

Ach ja, bei der alten Krankenkasse überschüttete man mich nach der Kündigung mit Werbematerial und wollte unbedingt wissen, warum ich denn wechseln wolle. Wie war das noch? Behelligen Sie mich nicht mit Anrufen und Papierkram. Das steht doch alles im Internet.

3 Kommentare:

  1. Unfassbar!
    Mal gut, dass das für dich kein elementar lebenswichtiges Gerät war und mal gut, dass du genug Kraft hattest, so hartnäckig zu sein. Bei kranken Menschen ist das ja nicht zwangsläufig so...
    Ich würde immer (also nicht nur für den Krankheitsfall) eine Versicherung wählen, wo man zu Not persönlich hingehen (und auf den Tisch hauen) kann. Deshalb wurde ich schon oft belächelt, fühle mich aber durch deinen Bericht einmal mehr bestätigt.
    Hoffentlich schläfst du jetzt besser und fühlst dich insgesamt auch so?
    Claudiagruß
    ...von Hannover nach Hamburg...

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    1. Na ja, elementar lebenswichtig ist relativ. So 'ne Apnoe kann zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen, und wie ernst es bei mir ist, war mir vor dem Schlaflabor auch nicht klar. Und viele Symptome wurden lange auch auf die Depression geschoben, wie Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. Gestern wachte ich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ohne Herzschmerzen auf. Das war schon schön.

      Die alte Krankenkasse hat eine Niederlassung, zu der man gehen kann, aber da wird nichts entschieden, sondern nur Unterlagen angenommen, die dann noch Irgendwo weitergeleitet und bearbeitet werden. Und daran, dass die Kasse nur mit einem Versorger zusammenarbeiten, kann die Niederlassung auch nichts ändern. Außerdem hat man keinen festen Ansprechpartner, muss jedes mal von vorne anfangen und bekommt dann nur Formbriefe.

      Bei der jetzigen Krankenkasse gibt es eine Niederlassung, aber da scheinen auch alle Mitarbeiterinnen Zugriff auf die Akten zu haben, denn egal, mit wem ich bislang Kontakt hatte, alle waren im Film, antworteten schnell und kompetent, sind direkt erreichbar, nicht nur über ein Call Center.

      Sonnige Grüße von Hamburg nach Hannover sendet Sabine

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  2. Mal gut, wenn es so läuft!
    Wusste auch gar nicht, welche Konsequenzen da entstehen könnten. Dachte immer, dass bedeutet einfach "nur" nicht ausgeschlafen zu sein.
    Mit Herzschmerzen aufwachen? Jeden Tag? Klingt gruselig...

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.