Samstag, 24. Juni 2023

Samstagsplausch KW 25/23: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CLXXI

"Und? Ist die Freigabe wie erwartet über's Wochenende explodiert?", frug ich die Kollegin Montag, als ich ins Büro kam. "Ja, gut, dass du mich vorgewarnt hast. Aber warte ab, bis du dein Postfach siehst", antwortete sie. 

Montag bekam ich von meiner Vertretungskollegin einen Durchhaltebecher mit Nervennahrung und Ingwer-Shot.

In meinem Mammutprojekt geht's ja immer vor den Sommerferien heiß her, und in den letzten drei Jahren habe ich mich an einigen Wahnsinn gewöhnt, aber diese Woche toppte alles - und nebenbei musste auch noch die jährliche Pressekonferenz vorbereitet werden, kurzfristiger als sonst. Ich bin immer wieder heilfroh, dass ich so viel Unterstützung habe. So habe ich den Rücken frei zum Schreiben von Pressemitteilungen oder zum Erledigen von unverschiebbaren Verwaltungskrams - das ist so viel, dass trotz der Unterstützung jede Menge Überstunden anfallen. 

Wenn ich kommende Woche zu für mich nachtschlafender Zeit ins Büro komme, wird meine Kollegin alle Unterlagen für die Pressekonferenz zusammengepackt haben - dazu gehört auch das Tackern von vielseitigen Presse-Infos, ein undankbarer Job (aus unbekanntem Grund kann das bei uns nicht der Kopierer). Wie ich sie kenne, wird sie alles auch mit ihrem Lastenrad zum Termin transportieren wollen, damit ich das nicht per Bus machen muss. Andere Kolleginnen erstellten mal eben aus der Lamäng Plakate, wo ich dachte, ein einfacher Zettel tut's doch auch, oder werden mit zum Presse-Termin kommen, um aufzubauen und Fotos zu machen, damit ich nicht auch noch an unseren Insta-Kanal denken muss. Das alles ist eine wahnsinnige Entlastung, denn ich habe bei solchen Terminen den Kopf voll, muss die Erschöpfung verdrängen, das große Ganze im Blick behalten und möglichst zusammenhängende, sinnergebende Sätze in Notizblöcke, Kameras und Mikrophone plappern, wenn es mir nicht gelingt, mich hinter meinem Blaumann oder meinem Chef zu verstecken - und Chef wird mich vor Kameras, Notizblöcke und Mikrophone schieben, weil's mein Projekt ist, ich die Lorbeeren ernten soll. Wir haben eine perfekte Arbeitsteilung: Chef federt die wenige Kritik ab, ich ernte Lob.

So anstrengend diese Zeit ist, so schön ist sie auch, denn es gibt unendlich positives, ja sogar richtig liebevolles Feedback von unserer Zielgruppe und von den Kooperationspartnern. Dienstag bekam ich einen handgeletterten Brief mit jeder Menge Gebastel, Glitzer und Konfetti. Da geht das Herz auf! Und es ist auch schön, welche Kreativität die Kolleginnen entwickeln, wenn man sie lässt - und dass ich gelernt habe, zu delegieren und Hilfe anzunehmen. Das war nämlich nicht immer so.

Bei allem habe ich aber auch im Hinterkopf, dass bei der letzten Pressekonferenz vor einem Jahr meine Mutter schon nicht mehr die Alte war. Als ich ihr sagte, dass ich im Fernsehen, im Radio und in der Zeitung wäre, befand sie: "Das interessiert mich nicht!" Normalerweise wäre sie vor Stolz geplatzt, hätte die Zeitungsartikel für mich aufbewahrt. Heute vor einem Jahr stürzte meine Mutter so schwer, dass sie ins Krankenhaus und von dort direkt ins Pflegeheim kam, nicht mehr in ihr geliebtes Haus zurückkehren konnte. Hätte ich nicht auf mein Bauchgefühl gehört, wäre ich nicht zu ihr gefahren, als ich sie zur gewohnten Uhrzeit nicht telefonisch erreichen konnte, wer weiß, wann sie gefunden worden wäre. Sie war völlig verwirrt und desorientiert, wusste anders als beim ersten Sturz am Vortag schon nicht mehr, dass sie einen Notrufknopf hatte, und konnte keine Hilfe rufen. 

Es ist unglaublich, dass das erst ein Jahr her ist. Seitdem hat sich unser Leben schon wieder mehrfach auf den Kopf gestellt. Statt der permanenten Achterbahn-Endlosschleife, in der ich seit drei Jahren gefangen bin, führe ich in den nächsten Jahren liebend gerne nur noch in der Märchenbahn im Kreis. Mehr Aufregung vertrage ich einfach nicht mehr.

Hier gilt seit mittlerweile 171 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich es momentan mal wieder etwas hakt, weil der Gatte abwechselnd über- und unterfordert ist, sich langweilt. Da ich einfach nur überfordert bin, keine Entlastung bekomme, kracht es oft. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird. Er ist inzwischen schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. 

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und, seit der Übernahme meines früheren Elternhauses, Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte und hoffe sehr, das bleibt so. 

Ich kann zukünftig auch montags im Heimbüro arbeiten, was mir hoffentlich etwas Entlastung bringt. Da ich noch immer mit dem Auto in die lindgrüne Hölle fahre, weil ich zu viel Gepäck für den ÖPNV habe (Handtasche, Klapprechner, CPAP-Gerät, je eine Tasche mit Klamotten und Lebensmitteln), stand ich in den letzten beiden Monaten sonntags regelmäßig zwei Stunden vor dem Elbtunnel. Das kostet unendlich viel Kraft. Ab kommenden Monat kann ich montags tagsüber in der Mittagspause zurückfahren. Das ist dann hoffentlich etwas entspannter. Andererseits kommen kommende Woche auch Schreibtisch und Schreibtischstuhl, so dass ich mit der Einrichtung meines zukünftigen Arbeitszimmer anfangen kann. Dann kann ich Dockingstation und Monitor im Haus lassen, müsste sonntags im ÖPNV nur Handtasche mit Klapprechner und das CPAP-Gerät mitnehmen, wenn der Gatte am nächsten Tag den Rest mitnimmt. Ich könnte auch Büro-Kladage im Haus deponieren und montags direkt ins Echtbüro fahren. Mal schauen. 

Nächste Woche jedenfalls fahre ich das erste Mal aus der lindgrünen Hölle mit der Bahn zur Arbeit in die große Stadt - ich habe einen Diensttermin außerhalb der Echtbüro-Tage und hatte verpeilt, dass ich abends in der lindgrünen Hölle verabredet bin.

"Ich vermisse es richtig, zwei Wochen nicht zu Hause gewesen zu sein", sagte der Gatte vorgestern, und mir geht's genau so. Wenn ich nach den anstrengenden Arbeitstagen in die Wohnung kam, merkte ich fast schmerzhaft, wie sehr mir die Ruhe im Haus fehlt. In der Wohnung können wir ja weder auf dem Balkon noch auf der Terrasse sitzen, weil die Bolz- und Brüll-Blagen so unendlich laut sind - gegen sie sind die Sirenen von Polizei, Feuerwehr und RTW direkt wohltuend leise. Selbst in der Wohnung können wir kaum unser eigenes Wort verstehen, wenn Türen und Fenster geöffnet sind. 

Diese Woche kam der Kostenvoranschlag des Glasers für die neuen Windfangscheiben. Einen Termin haben wir auch schon, und bei dem wird gleich das Aufmaß für die großflächige Esszimmerscheibe sowie für die Scheiben in Balkon- und Terrassentüren genommen. Der Glaser meinte, sie auszuwechseln, sei energetisch sinnvoll. Die neue Kellertreppe kam. Der Gärtner begann mit dem Roden. Um den Tischler für neue Haus- und Küchenausgangstür muss ich mich kümmern, ebenso um den Rollladenbauer. Ein Motor ist kaputt, und wenn der Monteur schon mal da ist, kann er auch zwei, drei Schalter verlegen - muss der Gatte das nicht machen. Wir haben entschieden, dass ich im Kellerflur und in meiner Werkstatt PVC-Fliesen verlegen möchte. Mal gucken, wann wir dazu kommen, das zu kaufen (und ob ich das mit dem Verlegen schaffe). 

Der Bankberater von Mudderns zweiter Hausbank meldete sich endlich - der, der keine direkte Durchwahl hat, nur über ein Münchner Callcenter erreichbar ist, und dessen Bank merkwürdige Öffnungszeiten hat. Ich erwarte ja nicht per se von einem Bankmenschen Empathie, aber mehr als "Sie müssen endlich mal die Sterbeurkunde vorbeibringen!" wäre schon nett gewesen. Nun, das Konto wollte ich eh zeitnah auflösen, weil mich die vielen Banken überfordern. Kommende Woche haben wir einen Termin. 

Die Sache mit der ominösen Lebensversicherung wird doch komplizierter als gedacht. Jede meiner Unterschriften muss amtlich beglaubigt werden. Normalerweise ginge das im Rathaus, aber die beglaubigen nicht in Erbschaftsangelegenheiten. Ich habe da trotzdem mal einen Termin gemacht - vielleicht verstehen die unter Erbschaftsangelegenheiten etwas anderes als ich. Ansonsten muss ich zum Notar. Der ist ja zum Glück in der Nähe, aber die Kosten würde ich gerne sparen. Leider arbeite ich nicht mehr in einem Aufgabenbereich mit Amtssiegel, sonst könnte ich das mit dem amtlichen Beglaubigen kurzerhand selbst erledigen. Andererseits bin ich kommende Woche bei Kollegen, die Amtssiegel haben müssten. Hm ...

Schwiegermutter und Tante geht's gut, abgesehen von Alter und Hitze. Schwiegermutter stürzt zu oft, und Tante hat keine Kraft mehr in den Beinen. Wenn sie sich nicht doch noch entschließt, in eine Pflegeheim zu ziehen, sitzt sie irgendwann 800 km von uns entfernt alleine in ihrer Wohnung fest, denn die kann sie irgendwann nicht mehr aus eigener Kraft verlassen. Das wäre extrem doof.

Ich rechne inzwischen nicht mehr damit, dass ich irgendeine Rückmeldung auf meinen Antrag auf stationäre medizinische Reha, den ich Anfang Mai stellte, bekomme. Ich rechne auch nicht mehr damit, dass die dreitägige ambulante Reha etwas wird. Anscheinend ist es günstiger, wenn ich langzeiterkranke, wieder wie vor 12 Jahren mehrere Monate ausfalle, als mir eine präventive Maßnahme zu bewilligen. Mal schauen, wie lange ich noch durchhalte. 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.      

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