Dass der Gatte an seinem Medikamentenplan verzweifelte, konnte ich einmal mehr verstehen, als wir vom Diabetologen zurückkamen (ich muss auf Wunsch des Gatten ja inzwischen mit zu allen Arztterminen, weil's so viel Missverständnisse gab, die dazu führten, dass der Gatte seine Medikamente nicht nur unregelmäßig, sondern auch noch falsch einnahm). Der Diabetologe setzte ein Medikament wieder an, das Hausarzt und Nephrologin absetzten, vergaß dann das Rezept, und als ich dann in der Praxis anrief, um an das Rezept zu erinnern, gab's Diskussionen um die Dosierung. Ich hoffe, ich habe den Plan jetzt korrekt aktualisiert ... Es scheint zudem, als müsse ich mich um die Kontrolle des Blutzuckers des Gatten kümmern, denn das scheint er alleine nicht mehr zu schaffen. Ich hoffe, er bekommt das bald wieder alleine hin, denn vor der Insulin-Dosierung habe ich einen Mordsrespekt.
So erfreulich es ist, dass es dem Gatten so lange in Folge gut geht, so misstrauisch bin ich auch, dass das Leben jetzt einfach nur Anlauf nimmt für die nächste Katastrophe. Der Arzt nennt es generalisierte Angststörung. Ich nenne es Erfahrung. Die letzten vier Jahre stecken mir einfach zu sehr in den Knochen.
Und dass es dem Gatten physisch besser geht, heißt nicht, dass alles wieder normal ist. Durch seine vielen Erkrankungen, vor allem durch den Schlaganfall, ist das Hirn einfach irreparabel geschädigt. Er ist kaum noch in der Lage, eine Arbeit von Anfang bis Ende zu erledigen. Das geht meistens nur, wenn jemand daneben steht und jeden Schritt anleitet. Es dauerte lange, bis das uns beiden endgültig bewusst wurde. Im Prinzip kann ich die Arbeiten, die der Gatte machen will, dann auch selbst erledigen - wenn ich es denn könnte, denn von Elektrik, Tischlern usw. habe ich nicht den Hauch einer Ahnung. Ich verzweifle an der simpelsten Ikea-Anleitung. Es ist ein Elend, den einst so talentierten Handwerker so zu erleben. Der Gatte leidet sehr.
Ich bringe es nicht über's Herz, mich über ihn hinweg zu setzen und einfach Handwerker zu suchen, die die geplanten Arbeiten zu Ende bringen, denn das würde den Gatten verletzen. So warte ich, bis er sich selbst eingesteht, dass er ein Projekt nicht schafft. Aktuell ist es der Bau eines Einbauschranks im Gäste-WC. Da haben wir seit gestern einen gekauften Waschbecken-Unterschrank. Sobald ich die Aufbauanleitung verstand, haben wir dort auch drei Regale. Nicht so schön wie selbstgebaut, aber nützt ja nichts. Das gekaufte Material verschenken wir. Der Gatte hat ganz tapfer einige Kisten aus dem Esszimmer geleert und schmeißt viel weg. Er hat außerdem endlich die Tütensammler an der Kellertreppe installiert, was schlagartig Ordnung brachte. Außerdem könnten wir schon wieder am Esstisch sitzen, komme ich an den Rollladen im Esszimmer wieder heran!
Wir kommen in winzigen Schrittchen weiter.
Hier gilt seit mittlerweile 230 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. Es geht uns dennoch vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich die Erkrankungen und der Schlaganfall des Gatten zu Wesensveränderungen führten, die ein Zusammenleben manchmal sehr schwer machen.
Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona bislang Gatten, Schwiegermutter und Tante verschonte und hoffe sehr, das bleibt so.
In dieser Woche gab's einige schöne Momente. Das ist kostbar und gibt Kraft. So erhielt ich Geld für neue Wolle im Gegenzug für ein Paar Socken. Ich verkaufe ja normalerweise kein Gestricksel, hätte diese Socken auch verschenkt, strickte sie eh für die Spendenkiste. Umso mehr freute ich mich über die finanzielle Anerkennung. So kam also ein Wollpaket ins Haus. Außerdem beendete ich endlich ein Paar Socken und fing aus der Wolle, die ich in Neumünster während der Reha kaufte, ein Paar Bananensocken für mich an. So rufe ich mir immer wieder die Reha ins Bewusstsein. Die Socken wollte ich schon viel früher anfangen, aber momentan stricke ich wenig.
Vom Medizinischen Dienst gibt es noch keine Nachricht mit einem Termin zur Begutachtung des Gatten. Den Antrag stellten wir vor vier Wochen. Mal schauen, wenn sich jemand meldet - ich tippe auf die September-Tage, an denen ich alleine in Dänemark bin, oder auf die beiden Oktober-Wochen, wenn wir auf Mallorca sind.
Diese Woche ist das Simchat-Thora-Pogrom, der Schwarze Schabbat, zehn Monat eher. Unglaublich, dass noch immer über 100 Frauen, Männer und Kinder in den Händen der Hamas sind! Ich hätte nie gedacht, dass sich ihre Befreiung so lang hinzieht. Welches Leid sie und ihre Familien aushalten müssen! Bring them home gilt weiterhin.
Noch drei Wochen, dann verabschieden sich Sachsen, Thüringen und Brandenburg von der Demokratie. Das wird verheerend. Eine Vorahnung von dem, was uns erwartet, gab's an diesem Wochenende beim Nazi-Aufmarsch anlässlich des Bautzener CSD. So sehr es mich als Historikerin fasziniert, beim Aufstieg des neuen Faschismus dabei zu sein, so sehr könnte ich als Mensch, Antifaschistin und Demokratin auf diese Wiederholung verzichten.
Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse. Zur Küche gibt's gerade nichts neues. Es bleibt bei der Hoffnung, dass kommende Woche mit acht Wochen Verspätung der Einbau abgeschlossen sein wird. Dann muss ich schauen, ob alles, was Ikea nicht lieferte, auch erstattet wurde, und kann endlich mal wieder an etwas einen Haken machen.
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