Samstag, 25. Juni 2022

Samstagsplausch KW 25/22: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CXIX

"Ich muss wieder ins Krankenhaus, und du bist schuld!", begrüßte mich der Gatte, als er von seinem monatlichen Arzttermin nach Hause kam. Ich find's ja immer gut, wenn man weiß, wer schuld ist, und da ich es von klein auf gewohnt bin, Entscheidungen zu fällen, weil es keine Erwachsenen gab, die das taten, kann ich auch mit Schuld umgehen. 

Dass der Gatte ins Krankenhaus soll, liegt daran, dass er jetzt endlich mal eine Liste mit allen Symptomen mit zur Untersuchung brachte, und so in der Gesamtheit fand die Hausärztin das dann doch erschreckend. Da die Befunde aller Facharztuntersuchungen den Umständen entsprechend gut ausfielen, keines der Symptome auftrat, soll jetzt im Krankenhaus geguckt werden, ob es gelingt, die Symptome alle auf einmal auftreten zu lassen ... Geplant ist das ambulant, aber für alle Fälle kann es einen stationären Aufenthalt geben. Momentan allerdings telefoniert der Gatte erstmal einem möglichen Termin hinterher. 

Wer allerdings tatsächlich ins Krankenhaus kam, war Mudderns, und natürlich bin ich auch daran schuld, denn ich rief den RTW - zwei Mal. Gestern sehr früh morgens wurde ich über den Hausnotruf angerufen. Der Hausnotruf informiert anscheinend grundsätzlich keinen RTW, denn als ich mehrfach sagte, ich bräuchte mindestens eine Stunde, bis ich bei meiner Mutter bin, interessierte das niemanden. Dafür rief der Hausnotruf dann alle paar Minuten an und fragte nach, wann ich denn vor Ort wäre - ähm, sorry, aber fliegen kann ich nicht. Zum Glück war die Autobahn leer (und wenn Ruhe einkehrte, muss ich nochmal mit dem Hausnotruf klären, ob das wirklich so soll).

Vor Ort war die Situation dann so, dass ich einen RTW rief, denn Mudderns lag nach einem Sturz mittlerweile schon zwei Stunden auf dem Boden. Mit der Leitstelle musste ich diskutieren, ob ein RTW tatsächlich notwendig ist, denn der käme nur, wenn ich sicher sagen könne, Mudderns sei ein Fall für's Krankenhaus. Es könnte sein, dass ich an diesem Punkt leicht eskalierte. Eine Alternative zum RTW sah ich nicht, denn ihr Hausarzt war so früh noch nicht in der Praxis, und der ärztliche Notdienst ist in dem Ort nur zwischen 17 und 21 Uhr erreichbar. Die Rettungssanitäter waren sehr nett, befanden, ein Krankenhausaufenthalt sei nicht notwendig, Bettruhe reiche. Ich versorgte Mudderns und fuhr wieder nach Hause. Als ich nachmittags anrief, hörte sie sich zwar erschöpft, aber okay an. 

Ich rechnete angesichts ihrer psychischen Verfassung fest damit, dass im Laufe der Nacht mindestens ein weiterer Anruf käme, aber der blieb aus. Als ich sie heute Vormittag mehrfach telefonisch nicht erreichen konnte, wurde ich unruhig. Bei allen Psychospielchen, die sie gerne abzieht, ist Mudderns doch immer telefonisch erreichbar, hat das Telefon immer in der Hand, wenn sie in der Wohnung unterwegs ist. Ich fuhr also zu ihr und fand sie in desolatem Zustand. Sie konnte nicht sagen, was passiert war, aber allem Anschein nach stürzte sie im Laufe der Nacht mehrfach sehr schwer. Dass sie sich angesichts der steilen Treppen dabei nicht das Genick brach, ist ein Wunder. Sie war desorientiert, wusste erst nicht, wer ich bin, wusste auch nicht, dass sie einen Hausnotrufknopf hat, wusste nicht, wo sie war oder wie lange sie schon in dieser Situation war. 

Ich rief also wieder einen RTW und sagte gleich, dass ich angesichts der äußerlich sichtbaren Schwere ihrer Verletzungen nicht diskutieren werde, ob ein RTW notwendig ist. Die Rettungssanitäter waren auch sehr schnell da und nahmen Mudderns mit ins Krankenhaus - gegen ihren Willen, beharrte sie doch darauf, sie sei nicht verletzt, alles sei ganz normal ... Aber es gab wirklich keine Alternative. Zum Glück ist sie in ihrem gewohnten Krankenhaus, wo man sie kennt, wo die Nachbarn und ihre Gesellschafterin mal vorbeischauen können. Angesichts ihrer Verletzungen stand nämlich auch die hiesige Uniklinik zur Diskussion. Die wäre für mich zwar leichter erreichbar, aber wegen Post etc. müsste ich eh zu Mudderns rausfahren, also macht das keinen Unterschied. Es ist aber gut möglich, dass sie noch verlegt wird, wenn die Ärzte einen Überblick über ihre Verletzungen haben.

Da ich heute eh nichts mehr ausrichten konnte, brachte ich Ordnung in ihr Chaos, packte ihre Krankenhaustasche ein, fuhr nach Hause, rief später beim Krankenhaus an. Inzwischen ist sie auf Station und gut versorgt, beharrt aber immer noch darauf, es ginge ihr gut, es sei nichts passiert, weder sei sie gestürzt noch müsse sie ins Krankenhaus. Mal schauen, wie's morgen aussieht. Ich darf nachmittags eine Stunde zu ihr, sofern der Corona-Test negativ ist. 

Während ich gestern noch am Ende meiner Kräfte war und zusammenklappte, weil ich einfach nicht mehr konnte, war ich denn heute sehr ruhig und entspannt. Das mag auf die Nachbarn, die natürlich alles mitbekamen, merkwürdig wirken, aber egal. So, wie es jetzt aussieht, wird Mudderns nicht mehr nach Hause zurückkehren, sondern in ein Pflegeheim ziehen, denn sie kann sich definitiv nicht mehr alleine versorgen. Sie lehnt alle Hilfsmittel ab, die ihre mittlerweile sehr häufigen Stürze verhindern könnten. Ein ambulanter Pflegedienst scheidet aus, sie will niemanden im Hause haben. Daher scheidet auch eine 24-Stunden-Betreuung bei ihr zu Hause aus. Dafür ist sie der festen Überzeugung, ich ließe den Gatten in ein Pflegeheim einweisen, kündige meine Arbeit und ziehe zu ihr, um sie zu pflegen. Ja, nee, is klaa. Ich hoffe, mit dem Sozialdienst im Krankenhaus finden wir eine gute und schnelle Lösung. Es ist wirklich erschreckend, wie schnell Mudderns binnen 24 Stunden abbaute, denn Donnerstag war sie noch ganz kregel. Es wird schwer, sie gegen ihren Willen in ein Pflegeheim zu geben, aber es gibt anscheinend keine Alternative mehr. 

Gestern und heute war es ja sehr heiß, und als ich durch die Siedlung lief, in der Mudderns lebt, fielen mir die Kindheitssommer wieder ein, in denen es so heiß war, dass der Teer zwischen den Betonplatten schmolz. Es riecht auch immer noch nach Wachholder, aus dem noch immer einige Hecken sind - und es fehlt Schatten. Die Bäume, die vor 60 Jahren gepflanzt wurden, als die Siedlung erbaut wurde, sind inzwischen größtenteils abgeholzt, und wer aus der ersten Käufergeneration noch Bäume hat wie meine Mutter, wird aus der aktuellen Käufergeneration angefeindet. Dafür gibt es ganz entzückende Schottergärten ...     

Hier gilt seit mittlerweile 119 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam.  

Auch ohne Mudderns wäre die Woche sehr anstrengend gewesen, denn mein Mammutprojekt hatte Pressekonferenz. Die war genauso laut, bunt und fröhlich wie geplant, und alle waren sehr zufrieden. Außerdem scheint es so, als könnte ich die politische Entscheidung, hinter der ich nicht stehe, zumindest in Teilen rückgängig machen. Wir werden sehen. Wenn sie rückgängig gemacht wird, bedeutet das zwar Mehrarbeit für mich, aber das ist mir lieber, als nach außen hin eine falsche Entscheidung vertreten zu müssen, hinter der ich nicht stehe, und Menschen zu verlieren - nicht physisch, aber in punkto Chancengleichheit.  

Die beiden coronaerkrankten Kollegen sind wieder im Dienst. Beiden machte zu schaffen, dass das Virus neurotrop ist, und eine Kollegin kämpft noch immer, kann nicht lange stehen oder gehen. Solche Schilderungen bestärken mich immer wieder in der Überzeugung, dass eine Corona-Infektion für uns wenig ratsam ist, und ich bin dankbar für jeden Tag, an dem wir verschont bleiben.    

Der Gatte machte mir heute eine große Freude, denn er mähte Rasen und kochte Abendessen. Er schaffte sogar noch mehr und schwächelte auch nicht beim Herzsport - das war fast wie früher. Solche raren Momente genieße ich sehr.    

Schwiegermutter und Tante geht's gut. Schwiegermutter macht sich das Leben künstlich schwer, verweigert sich den Angeboten ihrer Seniorenwohnanlage und trauert ihrem ehemaligen Haus hinterher - dabei zog sie freiwillig um und freute sich auf die Wohnung. 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.

1 Kommentar:

  1. Ich halte beide Daumen, dass Corona euch weiterhin verschont. Ich habe es seit vorgestern offiziell selbst und es ist absolut kein Spaziergang.

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