Samstag, 13. Juli 2024

Samstagsplausch KW 28/24: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CCXXVI

Montag fuhr ich vor Tau und Tag statt ins Büro in die Akutsprechstunde meiner Hausarztpraxis. Ich wurde tatsächlich die komplette Woche krankgeschrieben, hielt das erst für übertrieben, aber es zeigte sich schnell, dass ich bis vorgestern tatsächlich die meiste Zeit verschlief. So erschöpft war ich noch nicht mal vor der Reha! Ich schlief zehn Stunden am Stück, das hatte ich ewig nicht mehr. Als dann vorgestern wieder die üblichen Schlafstörungen einsetzten, wusste ich, ich bin über dem Berg. 

Ich kann mich an den Sonnenuntergängen vorm Schlafzimmerfenster einfach nicht sattsehen. 

Bei der Ärztin erfuhr ich auch, warum die HNO-Abteilung im hiesigen Krankenhaus schließt: Ihr Mann ist dort Chefarzt und bewarb sich auf eine Stelle in Hamburg. Daraufhin befand das Krankenhaus, die Abteilung könne gleich ganz geschlossen werden. das nächste Krankenhaus mit HNO-Abteilung ist ja nur 28 km entfernt ... 

Ich mag es, den Wolken zuzusehen. 

Wieder zu Hause, fiel ich sofort ins Bett und schlief, bis mich Sirenen weckten. Nachdem auch nach einer Stunde noch immer Sirenen zu hören waren, inzwischen ergänzt durch Hubschrauber, überlegte ich, ob ich wieder in Hamburg bin, wo diese Geräuschkulisse Alltag für uns war, und guckte in der örtlichen FB-Gruppe, wo man üblicherweise gut informiert ist: Es gab eine Explosion in einem Geflüchtetenheim am anderen Ende der Kleinstadt! Verursacher war ein Bewohner, der durch die Explosion getötet wurde. Es gibt einen Schwerverletzten und 20 Verletzte, über 30 Container sind unbewohnbar. Es wurden Rettungskräfte aus Hamburg und mehreren Landkreisen zusammengezogen, es gab über Stunden Straßensperrungen. In der örtlichen FB-Gruppe tobte natürlich der braune Mob - die lindgrüne Hölle ist seit jeher ein Nazi-Nest. Zudem war der Ort drei Tage lang überregional in den Medien. 

Sonnenuntergangsdrama.

Ob ich krank bin oder nicht, der Gatte musste zu Arztterminen gefahren werden - einen Transportschein gibt es nicht, der ÖPNV überfordert ihn, da er nichts sieht, und Taxifahrten kosten pro Arztbesuch 300 Euro. Es wäre auch keine Alternative, nach dem Umzug den Arzt zu wechseln, denn die nächste Augenklinik in Niedersachsen wäre 45 km entfernt - 7 km mehr als die Fahrt nach Hamburg. Davon ab müssten wir auch erstmal einen Augenarzt finden, der noch Kassenpatienten nimmt. Hier im Ort gibt es keinen. Deswegen entschieden wir uns, den Hamburger Augenarzt, bei dem wir beide Patienten sind, zu behalten. 

Der Himmel kann hier wirklich Drama.

In der Augenklinik kam nichts Konkretes heraus, jedenfalls gibt es keinen akuten Handlungsbedarf. Das ist wohl ein gutes Zeichen. Es gibt Momente, in denen er gut sieht, dann wiederum ist er fast blind. Der Gatte wird bis auf Weiteres engmaschig überwacht. Die Ärztin war irritiert, dass der Gatte erst jetzt kommt, wo er doch mindestens alle Vierteljahr kommen sollte. Die Info kam beim Gatten nicht an. Es ist wohl ganz gut, dass der Gatte seit einiger Zeit darauf besteht, dass ich, wann immer möglich, mit zu den Arztgesprächen komme, seine Arzttermine koordiniere. Inzwischen kümmere ich mich auch darum, dass er seine Medikamente regelmäßig nimmt. 

Die Ärztin war völlig entgeistert, als sie feststellte, dass wir nicht gleich nach dem ersten Arztbesuch vor drei Wochen in die Klinik kamen, wo wir doch nicht mehr in Hamburg wohnen - die Augenarztpraxis des Gatten und die Klinik gehören mittlerweile zusammen. Zukünftig sollen wir in solchen Situationen fragen, ob wir noch am gleichen Tag in die Klinik kommen können, damit wir nicht zwei Mal 80 km fahren müssen. Das fand ich sehr nett. Der Gatte stimmt zudem zu, sich vorerst nur in der Klinik behandeln zu lassen, so dass ich nicht mit zwei Ärzten Termine machen muss. 

Der Antrag auf Pflegegrad läuft. Mal schauen, ob der Medizinische Dienst die Einschätzung meiner Ärztin teilt, dass es Pflegegrad zwei ist. Wir haben lange gezögert, den Antrag zu stellen, auch, weil ich Angst habe, dass der Gatte das Gefühl bekommt, kränker zu sein, als er ist. Außerdem ist Pflegebedürftigkeit für mich immer mit Bettlägerigkeit verknüpft. Ich weiß selbst, dass das Blödsinn ist, kenne ich doch genug Menschen mit Pflegegrad zwei, hatte meine Mutter ihn zuletzt ja auch. Letztlich gab der Gatte den Ausschlag mit dem Argument, dass es gut für mich ist, wenn ich seine Pflege auf meine Rente anrechnen lassen kann. Ich habe dennoch Probleme, den Gatten als Pflegefall zu sehen, aber wenn alles aufgelistet wird, wobei er Unterstützung braucht, ist es Pflegegrad zwei, fast schon drei, und es gibt ja keine Aussicht, dass es besser wird. Selbst die Hoffnung, wenigstens den Status quo zu erhalten, gibt es nicht mehr. Und dabei ist der Gatte noch so jung!

Der Gatte muss viele Freiheiten aufgeben, viel an Selbstständigkeit, was ihm sehr schwer fällt. Mir nimmt es natürlich auch Freiheit und Selbstständigkeit, denn ich muss meinen Tagesablauf noch stärker auf seine Bedürfnisse ausrichten. Das Zusammenstellen seiner Medikamente ist viel Verantwortung, und wenn ich vergesse, den Gatten an die Einnahme zu erinnern, vergisst er sie leider auch prompt. Das führte ja zur kritischen Situation im Mai.    

Hier gilt seit mittlerweile 226 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall. Er ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. Es geht uns dennoch vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich die Erkrankungen und der Schlaganfall des Gatten zu Wesensveränderungen führten, die ein Zusammenleben manchmal sehr schwer machen. 

Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Schwiegermutter und Handwerker. Ich bin dankbar, dass Corona bislang Gatten, Schwiegermutter und Tante verschonte und hoffe sehr, das bleibt so. 

Ich hatte ärztliche Order, mich viel auszuruhen, und das tat ich auch. Ich verbrachte viel Zeit lesend im Garten, denn das Wetter war ja meistens trocken. Ich kam auf einige Gestaltungsideen für den Garten. Das war schön, denn dafür hatte ich bislang keinen Kopf. Mal schauen, was ich selbst umsetzen kann und wofür ich den Gärtner brauche. So kam ich natürlich nicht weiter mit den Umzugskartons, aber dazu hatte ich ohnehin keine Kraft. Immerhin schafften wir es, fünf von den sechs Kartons, die auf der Terrasse lagerten, auszupacken. Die Baustellen-Kaffeemaschine wurde erfolgreich verschenkt, und mit Glück geht Montag ein weiterer Schwung leerer Umzugskartons weg. Dann ist wieder Platz im Gartenhäuschen.

Seit zwei, drei Wochen macht es mir zu schaffen, dass die Tage wieder kürzer werden. Die Zeit vergeht viel zu schnell. Ich kann mich immer noch nicht satt sehen an den abendlichen Sonnenuntergängen, und jedes Mal, wenn ich auf unserem Lieblingsplatz unterm Flieder sitze, frage ich mich, warum meine Mutter das nie machte, obwohl sich meine Eltern dort die kleine Terrasse anlegen ließen. Sie sagte in ihren letzten Monaten immer wieder, sie wolle nicht, dass es ihr gut geht, und das ist ein Gedanke, der sich wohl durch ihr ganzes Leben zog, der mir total fremd ist. Damit schadete sie sich im Wesentlichen selbst. 

Der Gatte schaffte ein Telefonat mit seiner Mutter, ohne dass sich beide an die Gurgel gingen. Schwiegermutter und Tante geht's gut. Tante freut sich narrisch auf zwei Wochen Travemünde im September - die Damen überlegten ja lange, ob sie sich diesen Luxusurlaub gönnen sollten. Ich überlege immer noch, ob wir sie an einem Wochenende überraschen sollten, aber der Gatte mag nicht - Tante sähe er gerne, seine Mutter hingegen weniger ... 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen sowie den aktuellen Stand beim Einbau unserer neuen Küche berichte ich in der Kombüse

1 Kommentar:

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