Freitag, 20. Mai 2022

Friday-Flowerday: Ein Rosenstrauß vom Wochenmarkt

Als ich letzten Sonnabend bei Mudderns war, wollte sie nicht nur zu Fuß ins Dorf gehen, sondern auch über den Wochenmarkt. Beides macht sie normalerweise jeden Sonnabend, aber wenn ich da bin, besteht sie seit einiger Zeit darauf, dass sie zu schwach zum Gehen ist, wir mit dem Auto fahren müssen. Dass ihre Gesellschafterin neuerdings zwei Mal in der Woche kommt, tut Mudderns augenscheinlich psychisch sehr gut.

Ein Strauß aus gelben Rosen.

Auf dem Wochenmarkt kauft Mudderns jeden Sonnabend Blumen für sich, und, wenn sie sonntags zum Friedhof möchte, auch Blumen für Vadderns. Diesmal schenkte sie mir einen Blumenstrauß - das kommt sehr selten vor!

Die Blumen mussten vier Stunden im heißen Auto ausharren, denn vorm Elbtunnel stand der Verkehr (normalerweise brauche ich maximal 45 Minuten von Tür zu Tür). Zu Hause kamen sie in meine "Rosenvase". Die heißt so, weil auf ihr Rosen sind und weil meine Nenn-Omi sie mir mal mit einem Strauß aus ihren Wildrosen mitgab. Sie hatte einen über zwei Hektar großen Garten mit Seerosenteich, Enten, Bienenstöcken, ganz vielen Rhododendren, zwei Eseln, ganz vielen Wildrosen, Apfel- und anderen Obstbäumen, Zaubernuss und vielen wilden Ecken. 

Im Laufe der Jahre verwilderte der Garten immer mehr, weil die alte Dame es nicht mehr schaffte, alles zu versorgen. Die Esel und Enten bekamen eine neue Heimat. Einzig die Bienen behielt sie bis kurz vor die Übersiedlung ins Pflegeheim, und so bekam ich im Sommer oft morgens um sechs Uhr Anrufe von ihr. Zu der Zeit war sie schon seit Sonnenaufgang im Garten unterwegs gewesen, um die Bienen zu versorgen. 

Wenn ich bei ihr zu Besuch war, bekam ich immer etwas mit:  Selbstgemachte Ringelblumensalbe für unsere Neurodermitis-Hände (die Salbe war auf Schweineschmalzbasis - sehr gewöhnungsbedürftig), Zaubernusszweige im Winter (die in eine der hier vorgestellten Vasen kamen), Äpfel und Honig im Herbst, Rosen im Sommer - und damit die heil bei mir ankamen, gab sie mir beim ersten Mal die Rosenvase mit (ich vermute, es ist eigentlich ein Zahnputzbecher).

Meine Nenn-Omi versuchte auch immer, mir die Natur nahezubringen, aber obwohl ich gerne gärtnere, kann ich mir vieles einfach nicht merken. Ihr Wissen war einfach einzigartig! Ich bin sehr dankbar, dass wir uns kennenlernten und lernte abseits des Gartens viel von ihr, vor allem Großherzigkeit, Großzügigkeit und Menschlichkeit. 

Die NS-Zeit überlebte sie sehr abenteuerlich, gehörte zum Umfeld der Roten Kapelle, entkam durch Zufälle, Glück und solidarischer Kameradschaft allen Verhaftungswellen. Nach der Befreiung schloss sie rasch das Studium ab, arbeitete als Privatlehrerin für eine Fürsten-Familie und heiratete schließlich einen viel älteren Buchhändler. Die Ehe war alles andere als glücklich; erst nach dem Tod ihres Mann begann sie, wieder zu leben. In ihrem kleinen Hexenhäuschen inmitten des riesigen Grundstücks führte sie ein Leben voller Musik, Literatur, Kunst - und Orchideen, für die sie eigens ein riesiges Fenster einbauen ließ. 

Das Haus war immer offen, gerade auch für Menschen in Not - so zum Beispiel für einen jungen Mann, der, kaum 20 Jahre alt, zum Mörder wurde, und einen anderen jungen Mann, der in ein Bürgerkriegsland abgeschoben werden sollte. Beide wurden kurzerhand adoptiert, um ihnen mit neuem Nachnamen ein anderes Leben zu ermöglichen. Dafür wählte sie ihren Geburtsnamen, denn gegen alles andere hätte die Familie ihres Mannes rebelliert (eine andere oder Kinder hatte sie nicht; der Kontakt zu ihren Geschwistern und deren Familien war abgerissen). 

Der Familie ihres Mann missfiel nicht nur das. Die alte Dame hatte zwar lebenslanges Wohnrecht in ihrem Hexenhäuschen, war finanziell durch eigene Arbeit gut abgesichert, aber die Familie machte kein Hehl daraus, dass das Grundstück lieber heute als morgen zu Geld gemacht werden sollte. Kaum kam die alte Dame in ein Pflegeheim, weil sie sich nicht mehr alleine versorgen konnte, wurde das Grundstück verkauft. Heute stehen dort teure 08/15-Reihenhäuser mit 08/15-Gärten. Ich war seit dem Ausräumen des Hauses nicht mehr dort - es würde zu sehr schmerzen. 

Zu unseren Treffen gehörte auch immer ein Essen, für das sie sorgte: Sie fuhr gerne zum Forellenhof, weil sie in der Nähe gut mit den Pudeln laufen konnte, also gab's regelmäßig Räucher-Forellen mit Pellkartoffeln (oder Forelle blau an Silvester). Im Winter gab's Grünkohl - lohnt sich ja nicht für eine alleine, genug, dass ich etwas mitnehmen musste, war also immer da. Zum Grünkohl gehörten natürlich kleine zuuckerbraune Kartoffeln! Jetzt um diese Jahreszeit gab's selbstverständlich Spargel mit Schinken. Die alte Dame war außerdem der Meinung, Schinken und Milch seien das Heilmittel gegen Kummer jeglicher Art - dass ich eine Zeitlang koscher lebte, war da egal: Bei Kummer gibt's Schinkenbrot mit Milch, basta!   

Dieser Beitrag geht rüber zur Freutag-Linkparty und zum Friday Flowerday. Vielen Dank für's Sammeln!

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