Montag, 16. Mai 2022

Das ehemalige Ernst-Drucker-Theater

Wir haben uns da was eingetreten. Es ist braun. Es riecht nach Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus. Wir hatten schon mal Faschismus in Deutschland. Mein Bedarf daran ist hinreichend gedeckt. Ich muss keinen faschistischen Staat erleben. Mir reichen die Erinnerungen an den, den es zwischen 1933 und 1945 gab.

Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.


Im Winter traf sich das braune Pack täglich in vielen Stadtteilen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Letztlich wollen die Demonstranten aber nichts anderes als einen faschistischen Staat, marschieren inzwischen nicht mehr nur von der AfD begleitet, sondern offen der NDP und anderen rechtsradikalen Parteien und Organisationen hinterher. 

Das heutige St. Pauli Theater hieß bis 1941 Ernst Drucker Theater.

Seit 2011 steht unter dem Schriftzug "St. Pauli Theater" wieder der ursprüngliche Name des Hauses am Spielbudenplatz: "Ernst Drucker Theater". Ich finde ja, man hätte das Theater gleich ganz umbenennen können, aber nun ja. 

Das Theater wird 1841 als "Urania-Theater" eröffnet. Es ist das älteste Privattheater Hamburgs und eines der ältesten Theater Deutschlands. Nach wechselvoller Geschichte kauft der erst 29jährige Ernst Drucker das Haus 1884 und baut es sehr erfolgreich zu einem Volkstheater aus. Auf dem Spielplan stehen überwiegend niederdeutsche Lustspiele mit Lokalkolorit und Sittenstücke, moralisierende Dramen. Die Zuschauer kennen die Orte, an denen die Stücke spielen, und können sich mit den Protagonisten identifizieren. Gleichzeitig setzt Drucker auch auf zeitgenössische Autoren wie Gerhart Hauptmann und Henrik Ibsen. Seine Mischung hat Erfolg, wenngleich "das Drucker" mehr für Amüsemang als für Anspruch steht. 

Über Ernst Drucker ist wenig bekannt. Er wird am 23. Oktober 1855 als Nathan Drucker in eine jüdische Hamburger Kaufmannsfamilie geboren. Er heiratet die Opernsängerin Anna Dombrowska, eine Protestantin. Die Ehe ist kurz; Anna Drucker stirbt 1882 im Alter von 27 Jahren. Drucker heiratet erneut.

Kurz vor seinem 27. Geburtstag im Oktober 1882 konvertiert Nathan Drucker zum Protestantismus und gibt sich den Vornamen Ernst. 1908 gibt Drucker die Theaterleitung ab, übernimmt sie dann aber im Ersten Weltkrieg wieder. Jetzt stehen Sonderaufführungen für verletzte Soldaten auf dem Spielplan. Ernst Drucker stirbt am 19. Mai 1918 in Hamburg. Seine Frau Else führt das Theater weiter, verkauft es drei Jahre später an Siegfried Simon, der u.a. das Flora-Theater am Schulterblatt betreibt. Nach dessen Tod übernimmt es seine Frau Anna. Sie bleibt bis zu ihrem Tode 1964 die Intendantin.

Anlässlich des 100. Jubiläums des Ernst Drucker Theaters am 24. Mai 1914 wird eine Festschrift erstellt - samt Grußwort von Emmy Göring. Die Festschrift wird schnell wieder eingestampft, denn es stellt sich heraus, dass Ernst Drucker als Jude geboren wurde. Auch sein Nachfolger Siegfried Simon ist Jude. Seine Kinder Kurt und Edith, die ihre Mutter bei der Theaterleitung unterstützen, gelten nach den NS-Gesetzen als Juden. Kurt Simon erhält Berufsverbot als Regisseur. Das Theater wird in St. Pauli Theater umbenannt und trägt diesen Namen bis heute. Nach der Befreiung ist das St. Pauli Theater eines der ersten, dass am 29. August 1945 den Spielbetrieb wieder aufnimmt.

Ernst Drucker und seine Frau haben drei Töchter, Wally, Gerda und Helga, die ebenfalls den NS-Rassengesetzen unterliegen. Wally Drucker, verheiratete Boothby, später Valerie Boothby-Colonna, kann nach Frankreich emigrieren, kam über New York und Ägypten schließlich 1970 nach Hamburg zurück. Die Schauspielerin und Autorin verstarb hier 1982. Generell ist die Geschichte der Familie Ernst Drucker noch zu wenig erforscht.  

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