Montag, 16. August 2021

Gut Borstel

Wir haben uns da was eingetreten. Es ist braun. Es riecht nach Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus. Wir hatten schon mal Faschismus in Deutschland. Mein Bedarf daran ist hinreichend gedeckt. Ich muss keinen faschistischen Staat erleben. Mir reichen die Erinnerungen an den, den es zwischen 1933 und 1945 gab.

Blick auf die prächtige Fassade des Herrenhauses auf Gut Borstel.

Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesen. Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst.

Der einstige Barockgarten ist heute ein weitläufiger Landschaftspark, der öffentlich zugänglich ist.

"Die Hölle in der Idylle*" ist der Titel eines Buches über ein Außenlager des KZ Neuengamme, und er kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn besonders schöne Orte mit der NS-Geschichte verknüpft sind so wie der wunderschöne Park mit dem prächtigen Herrenhaus des Medizinischen Forschungszentrums Borstel. 

Gut Borstel wurde Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals erwähnt. Das heutige Herrenhaus wurde Mitte des 18. Jahrhunderts fertiggestellt, nachdem der Vorgängerbau samt Wirtschaftsgebäuden bei einem Brand zerstört wurde. Das fünfzehnachsige Herrenhaus hat schlossähnliche Ausmaße und ist eines der größten seiner Zeit. Neben Barockelementen sind auch bereits Rokokoelemente erkennbar. 

Neben dem Hauptgebäude sind zwei Kavaliershäuser erhalten, die zusammen mit dem Herrenhaus eine Vorstellung des einstigen Ehrenhofs vermitteln. Das Ensemble wurde Anfang dieses Jahrhunderts umfassend renoviert und wird u.a. für Veranstaltungen genutzt. Im Inneren sind verschiedene ursprüngliche Elemente erhalten, u.a. ein Rokokosaal. Ein Barockgarten im französischen Stil wurde rund um das Herrenhaus angelegt, der heute als weitläufiger Landschaftspark gestaltet und öffentlich zugänglich ist.

Park und Herrenhaus.

1930 wird das Gut an Friedrich Bölck aus Bad Oldesloe verkauft. Der 53jährige hat mittels Hausierern ein Vertriebssystem für Margarine geschaffen, zu dem auch ein Rabattsystem gehört, mit dem seine Kunden u.a. Berechtigungsscheine für Erholungsurlaube erwerben können. Er beschäftigt deutschlandweit bis zu 5.000 Mitarbeiter und baut neben einer Margarinefabrik in Bad Segeberg u.a. eine Kaffeerösterei in Bad Oldesloe. Außerdem kauft Bölck verschiedene Herrenhäuser, darunter auch Gut Borstel, das er zu einem Erholungsheim für die Kinder seiner Mitarbeiter und seiner Kunden umbaut. Bölck, der mit seiner Frau Christina vier Kinder hat, ist äußerst vermögend und setzt sein Vermögen sozial ein. Er stammt selbst aus finanziell schwachen Verhältnissen und vergaß das nicht. 

Als Sozialdemokrat und Pazifist gerät Bölck ins Visier der Nationalsozialisten. Nach ihrer Machtübernahme verboten sie u.a. den Hausiererhandel, was Bölcks Vertriebssystem vernichtet. Er muss seine Firmen und Güter verkaufen und zieht sich nach Angriffen auf sein Bad Oldesloer Wohnhaus in die Nähe von Bad Schwartau zurück. Friedrich Bölck stirbt 1940 bei einem Autounfall und wird auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. 

Der Park ist wirklich sehr weitläufig.

Das Kindererholungsheim im Borsteler Herrenhaus wird aufgelöst. 1938 richtet der Reichsarbeitsdienst (RAD) hier eine Bezirksschule für die Leiterinnen des weiblichen RAD ein. Die sogenannten Arbeitsmaiden sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Sie helfen anfangs bei der Garten- und Feldarbeit, bei der Hausarbeit, der Versorgung des Kleinviehs, beim Melken und bei der Beaufsichtigung der Kinder. Im Laufe des Krieges werden sie in Dienststellen der Wehrmacht, Behörden, Krankenhäusern, Verkehrs- und Rüstungsbetrieben eingesetzt, dann zum Kriegsdienst im Flugmeldedienst bei der Luftwaffe oder bei der Flak abkommandiert. Teilweise werden die RAD-Frauen auch als KZ-Aufseherinnen eingesetzt. 

Im weitläufigen Park gibt es auch lauschige Plätzchen.

Nach dem Hamburger Feuersturm im Juli 1943 werden Ausgebombte und Flüchtlinge auf Gut Borstel untergebracht. Nach der Befreiung wird Borstel zum Sammellager für ca. 500 Polinnen und Polen, die auf den umliegenden Bauernhöfen und in Firmen zur Zwangsarbeit eingesetzt waren. Unter ihnen ist auch ein vierjähriges Mädchen, das 1946 in einer  Klärgrube des Gutes tödlich verunglückt und im Gräberfeld für Kleinkinder ukrainischer und polnischer Zwangsarbeiterinnen in Sülfeld beigesetzt wird.

1947 wird das Grundstück dem Land Schleswig-Holstein übergeben, das hier das Forschungszentrum Borstel einrichtet.

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