Samstag, 31. Oktober 2020

Samstagsplausch KW 44/20: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten XXXI

In normalen Zeiten wäre ich seit gestern in Frankfurt beim Yarncamp. Ich hätte gestern die Kleinmarkthalle leergekauft, wäre heute und morgen den ganzen Tag im Haus des Buches gewesen und hätte irgendwie versucht, noch einen wenigstens kurzen Besuch im neu eröffneten Jüdischen Museum reinzuquetschen. Stattdessen sitze ich im verregneten Hamburg und habe mich noch nicht mal um ein Ticket für das virtuelle Yarncamp bemüht, weil ich bei den ganzen Video- und Telefonkonferenzen im Frühjahr merkte, dass mich diese Kommunikationsform viel zu sehr anstrengt. 

Der Hase hilft beim Maskennähen.

Aber die Zeiten sind nicht normal. Der Gatte und ich sind seit März weitgehend zu Hause, inzwischen seit 33 Wochen. Kontakte sind auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Der Gatte ist im siebten Monat Kurzarbeit, was ihm inzwischen ganz schön zu schaffen macht. Es gibt ja keine Perspektive. 

Ich bin abwechselnd im echten Büro und im Heimbüro. Ich rechnete spätestens mit den neuen Corona-Maßnahmen diese Woche damit, dass die Präsenzpflicht wieder aufgehoben wird und ich ganz ins Heimbüro kann, aber dem ist nicht so. Stattdessen werden ab kommender Woche die Abläufe im Büro so organisiert, dass in jedem Büro nur eine Person sitzt, wird der Ladendienst auf alle Schultern verteilt, um das Infektionsrisiko für die beiden Laden-Kolleginnen zu senken, bleiben die beiden Kollegen, die am Gefährdetsten sind, strikt zu Hause. Vernünftig wäre es gewesen, den Laden zu schließen, aber die Nachbar-Abteilung, mit der wir uns den Laden teilen, hält Corona für eine chinesische Erfindung und Masken für Maulkörbe. Kommste nich gegen an. Ab kommender Woche bin ich also einen Tag im Laden, einen Tag im Büro und drei Tage im Heimbüro.

Mein Arbeitsplatz an sich ist sicher, anders als beim Gatten, der in der Veranstaltungsbranche arbeitet. Ein sicherer Arbeitsplatz ist eine große Erleichterung, und wir wissen, dass wir in vielerlei Hinsicht privilegiert sind. Da wir die Situation nicht ändern können, hilft nur Gelassenheit. In dieser Woche war ich einmal mehr sehr dankbar, nicht mehr soloselbstständig zu sein, nicht mehr in der Tourismus- und Veranstaltungsbranche zu arbeiten. 

In dieser Woche begann die Augenbehandlung des Gatten. Die dauert etwa drei Stunden, plus vier Stunden Fahrzeit, würde er mit dem HVV fahren - Autofahren dauert halb so lang, geht aber nicht, weil er nichts sieht. Sein Augenarzt lehnt eine Taxibescheinigung zur Kostenübernahme durch die Krankenkasse ab, und auch, wenn wir uns durch Kurzarbeit kaum einschränken müssen, würden die Taxifahrten so viel kosten wie ein Ferienhaus in Dänemark. Okay, dahin können wir zwar auf absehbare Zeit eh nicht, aber dennoch. 

Also fange ich bis Januar alle zwei Wochen an den Krankenhaustagen sehr früh mit der Arbeit im Heimbüro an, damit ich früh Feierabend machen kann, fahre den Gatten ins Krankenhaus, überbrücke drei Stunden und sammle den Gatten wieder ein. Er würde auch mit dem HVV fahren, aber wenn ich ihn fahre, senkt es das Infektionsrisiko für ihn. Wir sind beide Risikogruppe.

Der Auftakt war sehr entspannt: Die Straßen waren auf Hin- und Rückweg leer, der Gatte überpünktlich im Krankenhaus. Ich fuhr zu einem riesigen Supermarkt in der Nähe, schaffte den Wocheneinkauf in kaum einer Stunde, hatte Glück, dass der Friseur beim Supermarkt gerade frei war, war auch noch tanken, fuhr zum Krankenhaus zurück und hatte es mir gerade im Auto mit Buch, Kakao und Hanseaten auf dem Klinik-Parkplatz kommod gemacht, als der Gatte mitteilte, er sei fertig - nach nur gut zwei Stunden.

Der Gatte, der große Angst vor der Behandlung hatte, war sehr erleichtert, weil das alles nicht so schlimm war wie befürchtet. Zu Hause schlug die Erleichterung in Erschöpfung um: Wir plumpsten erstmal auf's Sofa, das zum Glück so groß ist, dass wir beide darauf liegen können, und schliefen ein.

Diese Woche war auch der Termin zur Besprechung der Laborergebnisse bei der Horror-Hormon-Tante. Angesichts ihres Auftretens stand mir das ziemlich bevor. Sie blaffte mich dann auch erst mal an, weil ich ihr keinen Arztbericht von der März-OP mitgebracht habe. Ich blaffte zurück, den habe sie schon seit fünf Wochen. Danach ging's. Sie bemühte sich sogar, freundlich zu sein.

Die Ärztin erstellte einen Therapieplan, der dem entspricht, was ich erwartete: Ich bekomme jetzt endlich eine ordentliche Hormonersatztherapie. Ich werde wohl auch bei dieser Ärztin bleiben, denn abgesehen von ihrem unmöglichen Umgangston, scheint sie zu wissen, was sie macht, und das ist für mich die Hauptsache. Sie ging die Behandlung detailliert mit mir durch, schrieb mir alles wesentliche auf und schärfte mir ein, bei Komplikationen sofort anzurufen. Inzwischen scheint sie mir auch zu glauben, dass ich mein Übergewicht nicht habe, weil ich unkontrolliert alles in mich hereinstopfe, was ich kriegen kann, sondern sehr genau kontrolliere, was ich esse - das Laborergebnis gibt mir schließlich recht. Da wäre eigentlich 'ne Entschuldigung fällig ...

Das Medikament, das meine Frauenärztin mir verschrieb, war nicht nur sinnlos, sondern wäre auf lange Sicht sogar kontraproduktiv. Die Entfernung der Gebärmutter hätte unweigerlich zur Entfernung der Eierstöcke geführt, und selbst dann wäre die Ursache für meine Beschwerden noch nicht behoben gewesen. Ich bin froh, dass ich mich der OP so hartnäckig verweigerte - und weiß jetzt sicher, dass ich die Frauenärztin wechsle, wenn die nächste gynäkologische Untersuchung ansteht (einstweilen macht das die Horror-Hormon-Tante).

Die Hormonersatztherapie kann allerlei Nebenwirkungen haben, aber ich hoffe, die halten sich in Grenzen. Wird schon - ich hab' ja eh keine andere Wahl. Das erste Hormon nehme ich ja schon seit dem 5. Oktober, täglich eine Wochendosis, bislang ohne Nebenwirkungen. Im Gegenteil: Mein Schüttelfrost ist endlich weg, meine Fingernägel wachsen wieder, das Gewicht geht kontinuierlich runter. Bei den neuen Medikamente wird die Dosis langsam gesteigert. Ich muss in den nächsten Tagen erstmal in einem Regal Platz schaffen für die ganzen Medikamente und brauche eine neue Tablettendose mit Trennung für morgens und abends.

Der Gatte hat seit einer Woche mit einem Blutzuckermesssensor ein neues Spielzeug, und ich fühle mich an die Tamagotchis meiner damaligen Pflegekinder erinnert: Ständig piept's hier irgendwo, weil der Gatte unterzuckert ist oder vergaß, das Lesegerät mitzunehmen, zu weit davon entfernt ist. Aber schon nach zwei Tagen war deutlich, dass ihm das Gerät gut tut, sein Körper zur Ruhe kommt. Das ist auch für mich eine große Erleichterung.

Wir nutzen anscheinend die Corona-Zeit, um unsere diversen Wehwehchen in den Griff zu kriegen ... Bei mir steht für die kommende Woche die Terminierung von drei weiteren Arztbesuchen an, und mit dem Hausarzt muss ich das Ergebnis der Hormonuntersuchung durchsprechen. Und dabei will ich doch Kontakte reduzieren.

Den Müttern geht's Gott sei Dank weiterhin gut, während Tante noch immer auf ihre OP-Termine wartet - vermeidbare OPs werden coronabedingt verschoben. Ich habe angefangen, ihr regelmäßig Postkarten zu schreiben, damit sie weiß, dass wir an sie denken und sie vermissen, denn ein gemeinsames Weihnachtsfest ist ja weiterhin eher unwahrscheinlich.   

Mudderns treffen die neuen Corona-Einschränkungen hart: Café- und Kirchenbesuche fallen weg. Ihre Gemeinde hat die Gottesdienste sofort nach Verlautbarung der Maßnahmen eingestellt. Rechtlich wären sie zwar möglich, aber die Gemeinde ist da sehr verantwortungsbewusst. Im Frühjahr war schon zu sehen, dass Mudderns der Wegfall ihrer Sonntagsroutine - Besuch von Vadderns auf dem Friedhof, Latte und Franzbrötchen beim Bäcker, Gottesdienst - nicht bekommt. Sie versucht aber, das beste daraus zu machen, nur die zwischenmenschlichen Kontakte des Gottesdienstes werden fehlen. Ich überlege, ein Laptop so auszurüsten, dass ich sonntags zur Übertragung des Internetgottesdienstes zu Mudderns fahren kann, auch wenn das die Gespräche mit den anderen Gottesdienstbesuchern nicht auffängt. Mal schauen. 

Ansonsten geht Mudderns mit ihrer Gesellschafterin wöchentlich ins Café, was jetzt auch nicht mehr geht. Ich musste sie gestern erstmal beruhigen, dass der Bäcker aber weiterhin geöffnet ist, sie sich die gewohnten Mett- und Eibrötchen holen kann, sie weiterhin sonntags Latte und Franzbrötchen bekommt. Sie wird sich sonntags unterwegs ein Plätzchen für den Rollator suchen und beides dort verzehren - das ist natürlich im Frühjahr schöner als im Herbst ... 

Der Gatte darf seine Mutter weiterhin sonntäglich besuchen, muss aber eine FFP2-Maske tragen. Die besorgte er gestern erstmal - für mich gleich mit, denn bei den steigenden Infektionszahlen fühle ich mich im ÖPNV damit sicherer. Jetzt hängt also neben dem Beutel für die Stoffmasken im Bad auch ein Beutel für die FFP2-Masken in der Küche, damit sie im Ofen desinfiziert werden können. Beim Gatten im Büro gilt jetzt auch die Maskenpflicht am Arbeitsplatz, nicht mehr nur bei Betriebsversammlungen, heißt: Öfter Masken waschen - nur sonnabends reicht nicht mehr. Außerhalb seines Büros trug der Gatte eh schon Maske, denn niemand beachtet die Abstandsregeln. Sein Chef hält Corona ebenfalls für eine chinesische Erfindung.

Ansonsten: Dankbarkeit für jeden Tag, an dem meine Familie und ich keine Corona-Symptome zeigen, und andauernde Erschöpfung, Müdigkeit, Mag-nicht-mehr, Überforderung mit der Gesamtsituation angesichts fehlender Perspektive. Nur: Nützt ja nichts. 

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Einkaufen und Kochen berichte ich in der Kombüse. Bleibt zu Hause, bleibt gesund, passt auf euch und eure Lieben auf.

8 Kommentare:

  1. Es ist doch alles gut. Dein Mann merkt es ist entspannt. Deine Ärztin hat es verstanden
    Ich drücke die Daumen, dass es so bleibt
    Andrea

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  2. Alles Gute für Dich, für euch beide. Auch mein Mann arbeitet im Homeoffice. Es ist eine ungewohnte, merkwürdige Atmosphäre... insgesamt und überhaupt.

    Bleib gesund. Herbstbunte Grüße von Heidrun

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    1. Vielen Dank, liebe Erica! Auch für euch alles Gute und bleibt gesund!

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  3. wir haben im Flur einen alten Kochtopf stehen.
    In den werfen wir die Masken sobald wir nach Hause kommen.
    Dann wird der Wasserkocher angestellt und die Masken werden mit fast kochendem Wasser überbrüht - klappt wunderbar
    Bleib zuversichtlich :)
    Bea

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    1. Das mit dem alten Kochtopf ist eine gute Idee! Hier hat sich die Waschmaschine bewährt. Bei der 60-Grad-Wäsche mag die nur 2,5 kg, und die sind mit unseren großen Duschtüchern schnell erreicht. Da passen die Masken dann gut noch rein.

      Gesundheit und Zuversicht wünscht Sabine

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  4. Danke das sie das Rückgrat haben unten genannte Kommentare zu löschen. Diese Haltung ist leider auf einigen Blogs nicht zu finden, obwohl die BlogbetreiberInnen selbst anscheinend ganz und gar anderer Meinung sind, werden Hetzkommentare freigeschaltet. Wenn mir jemand ins Wohnzimmer einen Brandsatz wirft lösch ich den doch auch ?!
    Alles Gute für Sie und den Gatten

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    1. Danke, liebe Martina! Meine Devise ist, mein Blog, meine Party, und ganz richtig, wer sich nicht benimmt, fliegt aus dem Wohnzimmer. Alles Gute!

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.