Vorgestern erlebte Mudderns Gesellschafterin sie zum ersten Mal so, wie ich sie seit langem erlebe: Mudderns war überfordert, quengelig und jammerte, beschwerte sich, dass sich niemand um sie kümmere, sie niemand zum Essen abhole - kurz, alles, was Kooperation erfordert, lehnt sie ab. Mudderns Gesellschafterin sieht sie in einer Seniorenwohnung, weil sie zu selbstständig für das Pflegeheim sei, aber angesichts der Defizite, die ich in den letzten beiden Wochen in Mudderns Haushaltsführung wahrnahm, und des Umstandes, dass ich mich schon seit Monaten um ihre Korrespondenz kümmere, weil sie selbst das nicht mehr macht, sie seit fünf Jahren wiederholt stürzt, sehe ich sie nicht mehr sich selbst versorgen können. Stattdessen habe ich darum gebeten, sie im Pflegeheim auf die Warteliste für ein Einzelzimmer zu setzen, denn auch das Pflegeheim teilt meine Einschätzung. Jetzt hakt es zwischen mir und der Gesellschafterin, die meine Entscheidung nicht nachvollziehen kann.
Der Gatte und ich haben uns zwar Mittwoch auch eine sehr schöne Zwei-Zimmer-Wohnung im Betreuten Wohnen angesehen, aber in der Wunscheinrichtung von Mudderns, zu der auch das Pflegeheim gehört, wird noch weniger geboten als bei Schwiegermutter. Die Rezeption ist nur vier Stunden am Tag besetzt, es gibt keinen internen Notruf, keine Freizeitangebote außer Gedächtnistraining und monatlichem Kaffeenachmittag - die Bewohner sind sehr selbstständig, wie die Hausdame, die uns herumführte, betonte. Da Mudderns sich seit Monaten inadäquat ernährt, beim letzten Sturz noch nicht mal mehr wusste, dass sie einen Hausnotrufknopf um den Hals trägt, lieber über Einsamkeit jammert als an Freizeitangeboten teilnimmt, persönliche Ansprache haben möchte, einen völlig verschobenen Tagesablauf hat, gerne mal nachts auf Wanderschaft geht, finde ich eine Wohnung ungeeignet. So oft, wie sie in der letzten Zeit stürzte, könnte sie dort ewig liegen, und ich kann nicht jedes Mal 80 Kilometer fahren, wenn ich sie gerade nicht telefonisch erreiche.
Mudderns negiert natürlich, dass sie schon länger stürzt, lehnt alle Hilfsmittel ab. In der Wohnung würde sie wie in ihrem Haus den Rollator nicht nutzen, weil es Möbel gibt, an denen sie sich festhalten kann (wobei die inzwischen dicht an dicht stehen müssten, damit sie selbst kurze Distanzen schafft). Im Krankenhaus und in der Pflege nutzt sie den Rollator, sobald sie aus dem Bett aufsteht. Auch wenn alles für Demenz spricht, sie im Krankenhaus als dement eingestuft wurde, merkte das Pflegeheim sehr schnell, dass Mudderns nicht dement ist. Sie ist starrsinnig, eigensinnig, egozentrisch, dickköpfig, narzisstisch, lebt in ihrer eigenen Welt und nimmt nur wahr, was sie wahrnehmen will. Diese Eigenschaften werden durch das Alter unangenehm verstärkt.
Aktuell ist Mudderns in der Kurzzeitpflege in einem Doppelzimmer, weil so schnell nichts anderes in der Wunscheinrichtung frei war. Dass wir den Platz bekamen, war ohnehin schon ein Sechser im Lotto. Hätte ich mich nicht gekümmert, sondern auf den Sozialdienst gewartet, wäre Mudderns noch im Krankenhaus oder jotwede untergebracht. Die Dame vom Sozialdienst war völlig perplex, als ich anrief und sagte, ich hätte einen Platz, sie müsse bitte den Papierkram regeln und sagen, wann Mudderns transportfähig ist. "Die meisten kümmern sich nicht, schieben ihre Angehörigen zu uns ab und sagen, das wäre jetzt unsere Aufgabe." So aber kommen wir ja nicht weiter (wobei ich selbst überrascht war, dass das Krankenhaus sie sofort überstellte, denn ich hatte mich auf zwei Wochen geriatrische Reha eingestellt, aber die war laut Krankenhaus nicht notwendig).
Mudderns versteht nicht, wo sie ist, wähnt sich im Wechsel im Krankenhaus oder im Betreuten Wohnen, wobei sie die Leistungen des Pflegeheims mit Betreutem Wohnen gleich setzt. Von einer Rückkehr in ihr Haus redet sie aktuell nicht, fragt auch nicht, wie es dort aussieht, und ich es erwähne das Haus auch nicht. Zum Glück kam sie auch noch nicht auf die Idee, "mal eben" in ihr Haus zu gehen, denn das Pflegeheim ist nur 220 m entfernt. Mudderns erinnert in klaren Momenten, dass ein Steuerberater an den Themen Grundsteuer und Schenkung dran ist, dass ein Notar für die Schenkung kommt. Dieses Vorgehen wurde schon vor Jahren festgelegt. In klaren Momenten sagt sie auch, sie hätte nicht gedacht, dass sie so schnell umzieht. Wir lassen ihr Zeit - bis auf die Grundsteuer drängt nichts, und da muss sie nichts machen, da ich alle Vollmachten habe. Und vielleicht passiert ja doch noch das Wunder, dass sie so auf die Beine kommt, dass sie wieder alleine in ihrem Haus wohnen kann.
Vom Pflegeheim habe ich einen guten ersten Eindruck: Als wir zum Corona-Test kamen, wusste man sofort, wer ich bin, zu wem ich möchte und unterrichtete mich über den Gesundheitszustand meiner Mutter, dass ihr Hausarzt wegen ihrer Füße informiert sei, dass sie sich gut mit ihrer bettlägerigen Bettnachbarin verstehe, sie sogar zum Reden gebracht habe, sehr humorvoll sei und sich augenscheinlich wohl fühle. Mudderns und ihre Gesellschafterin sehen das natürlich anders. Als wir gingen, kamen gerade zwei Hunde ins Haus - das Heim hat nämlich auch Haustiere. Die Bewohner, die wir auf den Fluren und in Mudderns Wohngruppe trafen, machten einen zufriedenen Eindruck. Außerdem gibt es Gesprächs-, Bastel-, Spiel- und Bewegungsgruppen, sind Bekannte und eine frühere Nachbarin dort. In einem Einzelzimmer kann das tatsächlich sehr schön sein, wenn man sich darauf einlässt.
Ich hoffe sehr, Mudderns lebt sich im Heim ein, wenn sie erst mal zur Ruhe kam. Ich habe gelernt, dass das auch gut drei, vier Wochen dauern kann, ich Geduld haben muss. In Absprache mit dem Heim ziehe ich mich erstmal zurück, damit Mudderns zur Ruhe kommen kann. Ich wünschte, das würde auch ihre Gesellschafterin machen, aber sie besteht darauf, weiterhin zwei Mal die Woche zu kommen. Vielleicht ist das aber ganz gut für Mudderns, denn es ist ja ihr gewohnter Rhythmus, wenigstens etwas Vertrautes. Ich hätte ein besseres Gefühl, wenn Mudderns und ich wenigstens täglich telefonieren könnten, aber das geht nicht, solange der Hausmeister, der als einziger das Telefon freischalten könnte, Corona hat. Momentan schreibe ich ihr jeden Tag eine Postkarte, aber sie kann ja nicht antworten. Ich hoffe dennoch, sie freut sich.
Hier gilt seit mittlerweile 121 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Der Gatte wurde im ersten Corona-Jahr schwerkrank, ist inzwischen berufsunfähig verrentet und schwerbehindert. Es geht uns vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus.
Unsere Kontakte sind normalerweise auf das Notwendigste beschränkt, heißt: Arbeit, Ärzte, Einkaufen, Mütter. Ich bin dankbar, dass Corona uns bislang verschonte. Wir sind natürlich geimpft, aber angesichts unserer Vorerkrankungen ist trotz Impfung eine Corona-Infektion wenig ratsam - momentan wäre sie sogar der Super-GAU. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist sie aber unvermeidbar, und ich kann nur hoffen, dass es uns dann nicht zu hart trifft. Aber bei unserem Glück ...
Dass Corona nach offizieller Ansicht vorbei ist, merke ich momentan jeden Tag: Bei den PCR-Tests an der Teststation, in die ich muss, wenn ich Mudderns sehen will, bei den roten Kacheln in der Corona Warn-App, an den Erkrankungen im Umfeld (Chef I ist die zweite Woche malad, ein Kollege die erste, angesteckt auf einem Kindergeburtstag), an Mudderns, die im Pflegeheim keinen Telefonanschluss bekommt, weil der Hausmeister Corona hat, an ihrer Pflegekraft im Heim, die sich, ihre beiden Kinder und ihren Mann jeden Tag testet, weil beide in der Pflege arbeiten, am Gatten, dessen Kardiologie-Termin vorgestern auf Mitte August verschoben wurde, weil das Krankenhaus überlastet ist ... Ich möchte nicht wissen, wie hoch die Untererfassung bei den Coronazahlen ist, vor allem, seitdem die Tests kostenpflichtig sind.
Während ich Sonntag auf das Ergebnis des Corona-Tests wartete, traf ich meine Sandkastenfreundin, die ebenfalls wartete, weil sie ihre Schwiegermutter besuchen wollte, die in schlechtem Zustand im Krankenhaus liegt. Sie erzählte von ihren Erfahrungen mit dem Medizinischen Dienst bei der Pflegestufenbegutachtung ihrer Mutter, wo man automatisch davon ausging, dass es in der Familie ja zwei Töchter gibt, die ihren Beruf aufgeben, umziehen und sich um die Pflege der Mutter kümmern könnten. In welchem Jahrhundert leben wir noch gleich?! Da war ich doch froh um die Dame vom Sozialdienst, die, als ich sagte, ich könne Mudderns nicht pflegen, antwortete: "Das müssen Sie auch nicht. Dazu gibt es Pflegedienste!" Als ich ihr schilderte, unter welchen Bedingungen Mudderns von einem Pflegedienst zu Hause gepflegt werden könnte, kam ein beherztes: "Das ist doch alles Scheiße! Da ist sie in der Kurzzeitpflege besser aufgehoben!"
Schön war, dass die Freundin sich freut, dass ich in die lindgrüne Hölle ziehen werde und meinte, ich solle mich melden, wenn wir Umzugshelfer brauchen. Bevor es soweit ist, muss erst mal das Haus entrümpelt und saniert werden ...
Hilfreich waren zwei Telefonate mit Mudderns älterer Schwester, einer ehemaligen Altenpflegerin, die Mudderns bei den Telefonaten auch so wahrnahm wie ich sie einschätze, und die ganz erschrocken ist, wie sehr Mudderns in den letzten beiden Wochen abbaute. Sie sagte auch, bei Mudderns Starrsinn, Eigensinn und Dickköpfigkeit, mit dem sie viele Behandlungen verweigert, könnten wir nur zusehen und das Beste hoffen, gab mir zu verstehen, dass ich das Richtige tue. Das tat wirklich gut. Wie gesagt: Ich bin mit der aktuellen Situation überfordert.
Im Büro sind wir von elf auf vier zusammengeschrumpft. Alle anderen sind in Urlaub oder haben Corona. Mittlerweile hatten sechs von elf Corona, zum Teil mehrfach. Dieses Wochenende über sind wir auf einem ukrainischen Familienfest eingesetzt, und ich trage sehr konsequent Maske. Das Fest ist sehr fröhlich und täuscht über die Einzelschicksale hinweg, von denen uns unsere Dolmetscherinnen gelegentlich erzählen. Da ist zum Beispiel eine 12jährige, die ohne Eltern und Geschwister hier ist. Bis vor einigen Wochen war immerhin noch ihre beste Freundin mit Familie hier, aber die Familie ging zurück nach Kiew. Und was es bedeutet, buchstäblich nur mit dem, was man gerade am Leib und in der Hand hatte, als der Krieg begann, zu fliehen, können wir nur erahnen. Daneben fiel mir auf, wie digitalaffin sowohl die Deutsch-Ukrainerinnen als auch die Ukrainerinnen sind. Ich stelle da nämlich mein Mammutprojekt vor, und während die Deutschen grundsätzlich meckern, dass es kein analoges Projekt ist, nutzen die Frauen die digitale Fassung total selbstverständlich und intuitiv.
Schwiegermutter geht's gut. Sie ließ sich von einer Nachbarin überzeugen, endlich mal das Seniorensportangebot in ihrer Wohnanlage zu nutzen und kam zu ihrer Überraschung ins Schwitzen. Wegen solcher Angebote hatte sie sich eigentlich für die Anlage entschieden, aber dann beschloss sie, alles abzulehnen ... Ich hoffe, sie nutzt das Angebot regelmäßig, um ihre Muskulatur zu stärken. Sturzprophylaxe kann sie nämlich auch gebrauchen. Von Tante höre ich aktuell nichts, weil ich länger nicht mehr mit Schwiegermutter sprach, und hoffe, es geht ihr gut.
"Ich bin schon bei vier Handwaschbecken!", begrüßte mich der Gatte gestern, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Auch wenn ein Umzug frühestens Ende nächsten Jahres realistisch ist, wir Mudderns alle Zeit der Welt geben, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie nicht ins Haus zurückkehren kann, so müssen wir doch gucken, was alles auf uns zukommt, und da erstellt der Gatte eine Prioritätenliste. Plätze für Gasgrill, Werkstatt und Hundekorb hat er schon vergeben ... Das werden aufregende Monate.
Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse.
Mir kommt da so einiges bekannt vor!
AntwortenLöschenIhr schafft auch diese Hürde.
Schönes Wochenende
Andrea
Vieles erinnert mich an die Zeit, als ich mich um meine Mutter kümmern musste. Ich wünsche viel Kraft. Liebe Grüße, Britta
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