Dienstag, 6. Februar 2024

#WMDEDGT 2/24: Denn der Wind treibt Regen über's Land

Heute ist wieder der fünfte Tag des Monats, und Frau Brüllen fragt "Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?", kurz WMDEDGT? Vielen Dank für's Sammeln! 

Ich bin mittlerweile die dritte Woche in der Reha im schleswig-holsteinischen Nirgendwo. Die Klinik liegt seht ruhig. Was manchen Mit-Rehabilitanden zu schaffen macht, ist für mich gerade richtig, wenngleich der Dauerregen nervt. Andererseits bietet er eine willkommene Ausrede, mich vor Waldspaziergängen zu drücken.

Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Nacht paradiesisch, schlafe ich einigermaßen durch. Am Wochenende war der Gatte zu Besuch, unterhielten wir uns auch darüber. welche Erleichterung es ist, dass sein Diabetes langsam besser eingestellt ist. Dextrose-Beutel brauchte er schon lange nicht mehr, und wenn, dann allenfalls mal einen, aber nicht mehr diese Massen wie vor einem Jahr. 

Die Tage in der Reha-Klinik beginnen früh: Frühstück gibt's ab 7 Uhr, und da ich um 8 Uhr schon eine Sportgruppe habe, muss ich auch schon so früh essen, ob ich will oder nicht (Sport auf nüchternen Magen ist bei mir keine gute Idee, und die nächste Mahlzeit gibt es erst ab 11:30 Uhr). Ich entscheide mich für einen Tisch mit drei netten Mit-Rehabilitanden, die leider alle demnächst entlassen werden. Wir reden über das Wochenende. Wir waren alle zum Waffelessen im hiesigen Museumskroog. Davon ab merke ich wieder mal, wie vieles mir entgeht, weil ich meistens ganz für mich bin. So hätte ich gestern zum Beispiel Lach-Yoga machen können, am Vortag mit kegeln können, könnte heute Abend Bing spielen. Mit den dreien wird's bestimmt lustig, aber ich weiß schon morgens, dass ich abends lieber alleine sein möchte. Ich genieße es einfach, ungestört für mich zu sein, nicht in Alarmbereitschaft sein zu müssen. Wer weiß, wann ich das nach der Reha wieder kann. 

Sportgruppe mit der Lieblingstrainerin. Wir müssen Tennisbälle mit Plastikbechern werfen und fangen, um die Koordination zu schulen. Mit meiner Koordination ist alles in Ordnung, solange ich nicht Tennisbälle mit Plastikbechern werfen oder fangen muss, aber egal, es macht Spaß. 

Dreißig Minuten Pause, dann fünf Minuten Ultraschall für das linke Knie, das arg unter meinen Verspannungen leidet. Nach drei Wochen unterschiedlicher Therapien komme ich immerhin schon wieder ohne Hüpfen die Treppen rauf und runter, bin immer öfter schmerzfrei. Schon schön.

Fünfzig Minuten Pause, die ich nutze, um im sechsten Takeda-Band* zu lesen und um aus dem Fenster zu gucken, wo der Wind den Regen vor sich her treibt. Ich bin heilfroh über das Zimmer im Altbau, denn es bietet freie Sicht auf den Wald. Die Zimmer im Neubau gehen oft zum Innenhof, wo man wahlweise auf Mauer oder Baustelle guckt. Sie sind Privatpatienten vorbehalten - Kassenpatientin zu sein, kann von Vorteil sein. 

Auf zum Krafttraining, das mich nachhaltig nervt. Vierzig Jahre lang war das mein Sport, nun plötzlich nicht mehr. Ich weiß noch nicht, ob das an den Geräten in der Klinik liegt, mit denen ich einfach nicht zurecht komme, oder ob die Zeit einfach vorbei ist. In einer Gruppe sind knapp 10 Personen, die alle auf die gleichen Geräte warten, und dass man abwechselnd an einem Gerät trainieren kann, setzt sich nicht durch. Ich flüchte irgendwann auf ein Ergometer, das einzige, bei dem ich es schaffe, den Sattel auf meine Größe zu stellen, noch so ein Unding bei den Klinik-Geräten, die lassen sich nicht richtig einstellen bzw. ich bin zu blöd dazu, darf dann aber auf dem Gerät nicht weiter trainieren, weil es gesperrt ist, warum auch immer. Nach dreißig Minuten reicht's mir. 

Endlich raus aus dem Trainingsanzug und duschen. Kaum bin ich fertig, kommen die Reinigungskräfte, um die Handtücher zu tauschen und eine "Sichtreinigung" vorzunehmen. Ich vermute, das heißt, sichtbare Flecken werden entfernt. Jedenfalls hat die Zimmerreinigung durchaus Potenzial nach oben, aber ich bin eine faule Hausfrau, ich kann damit um.

Lesen* und Fenstergucken, bis es um halb zwölf Zeit zum Mittagessen ist. Es gibt Gemüsestrudel mit Rosenkohl und Petersiliensauce. Das Klinik-Essen ist gut, wenngleich ich mich frage, wieso ein Gemüsestrudel eine Gemüse-Beilage braucht, aber gut, Gemüse ist gesund, und ich mag Rosenkohl. Saucen kann die Klinik-Küche genau so gut wie ich: Die Bindung ist Glückssache. Heute ist die Sauce zu dünn, und überhaupt ist eine Becher-Mehl mit getrockneter Petersilie keine Petersiliensauce, aber egal, ich jammere auf hohem Niveau. Das Essen ist gut und abwechslungsreich - in drei Wochen gab's bislang kein Mittagessen zwei Mal. Das ist eine respektable Leistung!

Vom Mittagessen geht's direkt zur Ergotherapie. Diesmal machen wir Collagen, natürlich zu einem vorgegebenen Thema, was mich überfordert, aber egal, da muss ich durch. Wir sehen die "Monster", die wir in der letzten Woche in Ton formten und die jetzt zum ersten Mal gebrannt wurden. Ich entscheide mich, meines zu glasieren, muss aber erfahren, dass das nicht klappt, denn parallel zum einzigen Glasur-Termin ist das Seminar "Angstbewältigung", und das darf ich weder ausfallen lassen noch verschieben. Der Glasurtermin lässt sich auch nicht verschieben. Psycho- und Ergotherapie zoffen sich eine Weile, Ergotherapie unterliegt. Ich muss nun überlegen, ob ich mein "Monster" unglasiert brenne und mitnehme oder ob ich versuche, es in der lindgrünen Hölle in einem Keramik-selbst-bemalen-Laden zu glasieren oder ob ich es mit nur einem Brand im "Monster-Teich" der Klinik versenke. Irgendwie alles doof. Ich möchte mein "Monster" gerne glasiert mitnehmen, denn pragmatisch, wie ich bin, gäbe es eine hübsche Vogeltränke im Garten ab. 

Nun habe ich dreieinhalb Stunden Pause. Der Gatte meldet sich: Er kam gut in der Wohnung an, wo er einen Zwischenstopp macht, weil er am kommenden Tag einen Termin in Hamburg hat. Parallel ruft unser Vermieter an und setzt uns einen Termin zur Wohnungsübergabe. Ich dachte, das Thema hätten wir vom Tisch, als ich Anfang Januar klar machte, dass ich mich Anfang März melde, wenn ich aus dem Krankenhaus zurück bin, aber der Vermieter versucht es weiter, ziemlich dreist, will von dem Gespräch im Januar nichts wissen. Ich werde deutlich, was unser Verhältnis nicht entspannt, aber egal: Vor März tut sich gar nichts. Der Vermieter ist verärgert, will die Wohnung unbedingt sanieren, während unser Vertrag noch läuft, damit er sie ab 1. April gleich weiter vermieten kann. Verständlich, aber für mich nicht machbar. Ich kann mich jetzt einfach nicht darum kümmern, egal, wie sehr er nervt.

Ich lege mich hin und schlafe tatsächlich anderthalb Stunden wie ein Stein, wache rechtzeitig zur Hydrojet-Anwendung auf. Von da geht's direkt zum Abendessen. Wieder im Zimmer, kümmere ich mich um die am Vortag gewaschene Wäsche, die inzwischen trocken ist und weggeräumt werden möchte. Dann Vorabendkrimi und Strickzeug, parallel dazu Hornhautsocken anziehen - putzigerweise tat ich das vor genau einem Jahr auch. Nach der Tagesschau das tägliche Telefonat mit dem Gatten, der in der leeren Wohnung ist, dann fernsehen und stricken, zwischendrin die Hornhautsocken anziehen. Während des heute journals ins Bett und vor dem Einschlafen noch etwas lesen*.

Der Blick zurück in die ersten vier Corona-Jahre: Am 5. Februar 2020 erfasste uns langsam die Coronahysterie in Form von vergriffenen Desinfektionsmittel, ging ich noch davon aus, dass mein Mammutprojekt noch ein paar Monate analog bleibt. Am 5. Februar 2021 gab's schon einen Impfstoff gegen Corona, hatten wir noch die Hoffnung, dass der Gatte gesund wird. Am 5. Februar 2022 wussten wir schon, dass der Gatte nicht mehr gesund wird, waren noch immer mit der Schlafzimmerrenovierung beschäftigt. Am 5. Februar 2023 lebte meine Mutter schon ein halbes Jahr im Pflegeheim, versank immer mehr in Aggression und Wut und nahm langsam vom Leben Abschied. 

 



 



2 Kommentare:

  1. Wäre es keine Option für euch, sich zu einigen dass der Vermieter die Wohnung so übernimmt, wie sie jetzt ist, dann kann er sanieren und ihr habt das Ding von der Backe und braucht gar nichts mehr machen?

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  2. Ja, das wäre eine Möglichkeit, aber es gibt tatsächlich noch das eine oder andere, das wir durchsehen müssen, Einbauten müssen raus, die Hochbeete müssen abgeholt werden, der Sperrmüll muss bestellt werden ... Alles Dinge, die ich vor dem Umzug nicht schaffte.

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Kommentare von Corona-Leugner, Quer- und anderen Nicht-Denkern, Wahnwichteln, Das-ist-doch-nur-ne-Grippe-Schwurblern, Wir-haben-genug-freie-Intensivbetten-Rufern und ähnlichen Düffeldaffeln werden gelöscht.