Samstag, 20. Oktober 2018

"Antigone" von Bodo Wartke und Melanie Haupt im Schmidt: Atemlos durch die Antike

Als der Gatte sagte, ich solle Karten für "Antigone" buchen, fragte ich mich, was ihn ritt, dass er freiwillig in eine griechische Tragödie gehen möchte. Aber ich bin eine brave Gattin, ich hinterfrage nicht. Als ich dann guckte, was mich erwartet, war ich noch verwirrter: Ein Klavierkabarettist gibt "Antigone"?! Und das vor ausverkauftem Haus, während es nebenan bei Jürgen von der Lippe noch reichlich Plätze gibt?! Und da will der Gatte lieber hin als zu Jürgen von der Lippe? Verkehrte Welt!

Ich machte mich auf einen grottenlangweiligen Abend gefasst, bei dem ein düsterer Hagen-Rether-Verschnitt mit getragener Stimme langatmige Jamben und Trochäen proklamiert, und überlegte kurz, beleuchtete Stricknadeln* zu kaufen, damit ich die Zeit im Theater wenigstens sinnvoll nutzen kann, verzichtete dann aber doch auf den Kauf. Griechische Tragödien müssen durchlitten werden - so zumindest mein Eindruck nach diversen Inszenierungen, die ich während der Schulzeit sah. Danach habe ich keine griechische Tragödie mehr gesehen.

Es sollte dann aber doch ganz anders kommen.

Antigone vor Minotaurus. 
Die Handlung der Sophokles-Tragödie ist schnell erzählt: Antigone will ihren Bruder Polyneikes beerdigen, obwohl König Kreon die Bestattung seines Feindes untersagte. Die junge Frau aber kann es mit ihren Vorstellungen von Ethik und Moral nicht vereinbaren, den Bruder unbestattet zu lassen, und widersetzt sich dem König.

Kreon wiederum lässt Antigone verhaften und lebendig einmauern. Das nimmt ihm sein Sohn Haimon übel, ist er doch mit Antigone verlobt. Er bricht auf, die Geliebte zu befreien. Die aber hat inzwischen ihrem Leben ein Ende gesetzt. Haimon stürzt sich daraufhin in sein Schwert. Als seine Mutter, also Kreons Frau, davon hört, nimmt sie sich ebenfalls das Leben. Kreon wünscht sich schließlich sein Ende herbei - wer kann es ihm verdenken? - wird aber belehrt, dass es kein Entrinnen aus dem Schicksal gibt.


Antigone - Teaser Nr. 1 - Ödipus trifft Theseus from Bodo Wartke on Vimeo.

An der Handlung ändert Bodo Wartke nichts, aber er bindet mal eben in das ohnehin schon temporeiche Stück noch schnell seine Interpretation von "König Ödipus" ein, damit das Publikum der "Antigone"-Handlung auch wirklich folgen kann. Zusammen mit seiner Bühnenpartnerin Melanie Haupt teilt er sich zwölf Rollen in kargster Bühnenausstattung und Kostümierung.

So beginnt das eigentliche Drama erst nach der Pause, aber von Langatmigkeit ist bei der zweieinhalb Stunden dauernden Inszenierung keine Spur. Wartke setzt neben frischen, frechen, geistreichen Reimen auf Musik: Blues trifft auf Beatbox, Rap auf Soul. Geulkt wird zu Ukulele und Mundharmonika, und zwischendrin trifft Stepptanz auf Spagat.

Unter Klamauk und Komik liegt klassisches Erzähltheater, das Wartke nie verloren geht. Das Ergebnis der atemlosen Reise durch die Antike ist ein wunderbares Stück über die Notwendigkeit des zivilen Ungehorsams, über Ethik und Moral in der Politik und das Einstehen für die eigenen Werte, auch in letzter, tödlicher Konsequenz.

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