Montag, 7. Oktober 2019

Stolpersteine für Leo Lippmann und Berthold Walter vor der Finanzbehörde (Gänsemarkt 36)

Montags gegen Nazis.
Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es nicht nur in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.

Wie es zu dieser Beitragsreihe gekommen ist, kannst Du hier nachlesen. Alle Beiträge aus dieser Reihe findest Du, wenn Du hier klickst.

Stolpersteine für Leo Lippmann und Berthold Walter vor der Finanzbehörde.
Vor der Finanzbehörde am Gänsemarkt liegen seit 2007 zwei Stolpersteine für Leo Lippmann und Berthold Walter.

Walter wird am 19. März 1877 in München als sechstes von sieben Kindern geboren. Er macht eine Ausbildung zum Kaufmann und führt ab 1905 sehr erfolgreich einen Getreide- und Futtermittelgroßhandel. 1922 heiratet der 45jährige die 29jährige Herta. Ein Jahr später kommt Tochter Nora zur Welt und 1926 Tochter Lisa.

1929 muss Walter sein Geschäft aufgeben. In Bayern hat der Antisemitismus zugenommen, es wird propagiert, Futtermittel und Getreide nicht bei Geschäften mit jüdischen Inhabern zu kaufen. Schon gelieferte Ware wird nicht bezahlt.

Um seine Familie durchzubringen, versucht Walter, sich erst in Berlin, dann in Hamm und schließlich in Paris eine Existenz aufzubauen - vergeblich. 1935 kommt er nach Hamburg, alleine, in der Hoffnung, sich im Schutze der Anonymität der Großstadt als Hausierer durchschlagen zu können. Frau und Töchter bleiben in Paris.

Walter wird von der Finanzbehörde eine Handelserlaubnis verweigert. Ihm bleibt nur, sich als Hausierer durchzuschlagen. Immer wieder wird er als Jude gedemütigt, geschlagen, von Hunden gehetzt, erniedrigt. Am 7. August 1935 stürzt sich der 58jährige aus der siebten Etage in den Lichthof der Finanzbehörde in den Tod.

Die Finanzbehörde am Gänsemarkt.
Herta Walter und ihre Töchter Nora und Lisa überleben unter schwierigen Bedingungen im Exil und kehren nach der Befreiung nach Deutschland zurück. Hier leben die Nachfahren von Herta und Berthold Walter bis heute.

Der 1881 in eine wohlhabende liberal-jüdische Hamburger Familie hineingeborene Leo Lippmann ist Jurist und Staatsrat in der Finanzbehörde. Im Alter von 25 Jahren heiratet er die gleichaltrige Anna Josephine von der Porten. Das Paar bleibt kinderlos.

Lippmanns Karriere wird 1933 durch das "Gesetz zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums" jäh beendet: Alle Juden werden aus dem Staatsdienst entlassen. Der 52jährige hofft vergeblich auf eine Rückkehr in den Staatsdienst - vergeblich. Zwei Jahre später wird Lippmann in den Vorstand der Jüdischen Gemeinde gewählt, ist dort für die Finanzen zuständig, wird schließlich stellvertretender Vorsitzender.

Im Frühsommer 1939 hätten die Lippmanns die Möglichkeit, Deutschland zu verlassen, entscheiden sich aber dagegen. Wenige Monate später ist Juden die Auswanderung verwehrt. Durch die rassistischen NS-Gesetze müssen sich die Lippmanns immer mehr einschränken, verlieren durch Auswanderung oder Freitod lieb gewonnene Menschen, müssen nichtjüdische Angestellte entlassen, Hab und Gut weit unter Wert verkaufen, da Juden beispielsweise der Besitz von Münzsammlungen untersagt ist, und schließlich umziehen, um in Reichweite der Gestapo zu sein, denn die Deportationen in die Vernichtungslager stehen bevor.

Ein Blick auf die Details des Bauschmucks lohnt innen wie außen. Hier ein Türgriff.
Lippmann erlebt die Deportationen der jüdischen Hamburger, die, nach einer ersten Deportation 1938, ab dem 25. Oktober 1941 systematisch durchgeführt werden. Spätestsens im Frühjahr 1943 scheinen sich Anna und Leo Lippmann für den Freitod entschieden zu haben, sollten sie deportiert werden, denn im März 1943 legt der 62jährige detailliert fest, wie er beigesetzt werden möchte.

Am 10. Juni 1943 besetzt die Gestapo die Räume der Jüdischen Gemeinde und Lippmann seine für den nächsten Tag geplante Deportation nach Theresienstadt mit. In der Nacht zum 11. Juni 1943 scheiden Anna und Leo Lippmann aus dem Leben.

Die ehemalige Kassenhalle der Finanzbehörde, heute ein Ausstellungssaal, ist seit 1993 nach Leo Lippmann benannt. Seit 2007 erinnert ein Stolperstein auf dem Gänsemarkt an ihn und an Berthold Walter. An Anna Lippmann erinnert ein Stolperstein vor dem letzten Wohnhaus des Paares in der Böttgerstraße.

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