Montag, 31. Januar 2022

Stolpersteine vor der Staatsoper

Wir haben uns da was eingetreten. Es ist braun. Es riecht nach Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus. Wir hatten schon mal Faschismus in Deutschland. Mein Bedarf daran ist hinreichend gedeckt. Ich muss keinen faschistischen Staat erleben. Mir reichen die Erinnerungen an den, den es zwischen 1933 und 1945 gab.

Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.


Aktuell trifft sich das braune Pack sonnabends in der Innenstadt und unter der Woche in vielen Stadtteilen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Letztlich wollen die Demonstranten aber nichts anderes als einen faschistischen Staat, marschieren inzwischen nicht mehr nur von der AfD begleitet, sondern offen der NDP und anderen rechtsradikalen Parteien und Organisationen hinterher. 

Ein Teil der Stolpersteine vor der Hamburgischen Staatsoper. Der, der an Gustav Brecher erinnert, ist links oben in der zweiten Reihe.

Vor der Hamburgischen Staatsoper liegen zwölf Stolpersteine für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die während der NS-Zeit verfolgt und ermordet wurden. Einer von ihnen, der Dirigent und Komponist Gustav Brecher, wird am 5. Februar 1879 als jüngstes von drei Kindern in Nordböhmen geboren. Seine Mutter Johanna ist eine Tochter des orthodoxen Hamburger Oberrabbiners Isaac Bernays, sein Vater der Arzt Alois Brecher.

Als Gustav zehn Jahre alt ist, zieht die Familie nach Leipzig, wo das Kind das Gymnasium besucht. Nebenbei erhält der Junge Unterricht bei dem Komponisten, Pianisten und Musiktheoretiker Salomon Jadassohn. Im Alter von 17 Jahren wird sein erstes Werk uraufgeführt; Dirigent ist niemand anderes als Richard Strauss. Ein Jahr später beginnt Brecher sein Musikstudium am Leipziger Konservatorium und debütiert im gleichen Jahr als Dirigent. Im gleichen Jahr wird seine Sinfonische Phantasie "Aus unserer Zeit" von Richard Strauss in München und Berlin uraufgeführt.

Blick auf die Hamburgische Staatsoper.

In den folgenden Jahrzehnten lebt und arbeitet Brecher u.a. in Wien und Hamburg. In beiden Städten wird er von Gustav Mahler gefördert. Dirigiert Strauss die Erstlingswerke des jungen Brecher, dirigiert nun Brecher die Hamburger Erstaufführungen von Strauss' "Salome" und "Elektra". Während eines Engagements in Berlin lernt der 41jährige Brecher Gertrud "Gerti" Deutsch kennen und heiratet die 26jährige 1920. Nach Engagements, die Brecher durch halb Europa führen, lässt sich das Paar in Leipzig nieder.

Dort gerät Brecher schon früh mit den Nationalsozialisten in Konflikt. So sorgen schon im März 1930 bei der Uraufführung von "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" (Bert Brecht/Kurt Weill)  im Zuschauerraum uniformierte SA-Männer für Störungen. Die Aufführung kann nur mit Mühe beendet werden. Die Absetzung der Oper wird gefordert, aber schließlich kann die zweite Vorstellung stattfinden. 

Im Februar 1933 wird Brecher entlassen und erhält ein Berufsverbot. Am 4. März 1933 darf er noch ein letztes Mal in der Leipziger Oper dirigieren. Brecher und seine Frau werden gesellschaftlich isoliert. Es gibt Schilderungen, nach denen sogar die zu ihrem Haus führende Straßenbahnlinie auf potentielle Besucher überwacht wird. 

Vier weitere Stolpersteine vor der Staatsoper.

Das Paar verkauft sein Haus in Leipzig. Brecher übernimmt Engagements in Leningrad, Wien und Prag. Schließlich zieht das Paar zu Brechers Schwiegermutter Lili Deutsch nach Berlin, beantragt erfolgreich die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und zieht nach Brünn. Mit der deutschen Annexion der Tschechoslowakei sitzt das Paar in der Falle und steht unter Druck, ein sicheres Zufluchtsland zu finden. Sie entschließen sich, nach Belgien zu gehen. Damit werden beide zu Staatenlosen, da die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft außerhalb des Protektorats Böhmen und Mähren nicht mehr gilt, ihnen als Juden der Rückerwerb der deutschen Staatsbürgerschaft als Juden verwehr ist. 

In Belgien treffen die Brechers auf Lili Deutsch. Zu dritt wollen sie nach Portugal auswandern. Die Schiffpassage ist für den 12. April 1939 gebucht. Sie kann trotz gültiger Papier und Empfehlungsschreiben des Portugiesischen Botschafters in Berlin nicht angetreten werden, da sich der Kapitän weigert. Das Ehepaar Brecher und Lili Deutsch suchen weiterhin nach einem sicheren Zufluchtsland, aber vergeblich. Sie sitzen im Seebad Ostende in Belgien fest. Am 10. Mai 1940 beginnt der deutsche Überfall auf Belgien. 

Das Schicksal des 61jährigen Gustav Brechers, seiner 44jährigen Frau Gerti sowie der 70jährigen Lili Deutsch nach der deutschen Besetzung ist unklar. Angeblich hat ein Fischer sie über den Ärmelkanal nach England übergesetzt. Das legen Schilderungen von Weggefährten und Einträge in belgische Immigrationsakten aus dem April 1941 nahe. In England kommen die drei aber nicht an. Gustav und Gerti Brecher sowie Lili Deutsch gelten als verschollen. 


Mehr zum Projekt "Verstummt Stimmen", in dessen Rahmen die ersten Stolpersteine verlegt wurden. 

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