Montag, 24. Januar 2022

Meßberghof / Ballinhaus: Der Tod kam aus Hamburg

Wir haben uns da was eingetreten. Es ist braun. Es riecht nach Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus. Wir hatten schon mal Faschismus in Deutschland. Mein Bedarf daran ist hinreichend gedeckt. Ich muss keinen faschistischen Staat erleben. Mir reichen die Erinnerungen an den, den es zwischen 1933 und 1945 gab.

Montags erinnere ich daran, was passiert, wenn es mit der Demokratie bergab geht und wie es anfing, denn die Nazis fielen ja nicht 1933 vom Himmel. Die krochen schon Jahre vorher aus ihren Löchern, wurden nicht rechtzeitig aufgehalten, auch, weil man sie nicht ernst nahm, dachte, es wird schon nicht so schlimm.

Wurde es aber.

In loser Folge gibt's hier also montags Kunst und Denkmäler gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus. Orte, die daran erinnern, gibt es in unserer Stadt genug, denn wie gesagt: Wir hatten das schon mal.


Aktuell trifft sich das braune Pack sonnabends in der Innenstadt und unter der Woche in vielen Stadtteilen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Letztlich wollen die Demonstranten aber nichts anderes als einen faschistischen Staat, marschieren inzwischen nicht mehr nur von der AfD begleitet, sondern offen der NDP und anderen rechtsradikalen Parteien und Organisationen hinterher. 

Gedenktafel, die daran erinnert, dass vom Meßberghof aus das Zyklon B für die Ermordung von Millionen Menschen geliefert wurde. 

Letzten Sonntag gab's das Doku-Drama "Nazijäger - Reise in die Finsternis" im Fernsehen. Es spielt 1945/1946 in Norddeutschland, im Zeitraum kurz nach der Befreiung bis zu den Curiohaus-Prozessen und ist den "Kindern vom Bullenhuser Damm" gewidmet. Die 20 jüdischen Kinder im Alter von 4 bis 12 Jahren werden zu medizinischen Experimenten im KZ Neuengamme missbraucht und in der Nacht vom 20. auf den 21. April zusammen mit ihren ebenfalls inhaftierten Betreuern und sowjetischen Kriegsgefangenen im KZ-Außenlager Bullenhuser Damm ermordet (Berichte über die Gedenkstätte gibt es hier, hier und hier). 

Blick auf die Fassade des Meßbergofes mit Bauplastik von Lothar Fischer.

Ein weiterer Schauplatz ist der Meßberghof. Das zehnstöckige Kontorhaus wird zwischen 1922 und 1924 nach Plänen der jüdischen Architekten Hans und Oskar Gerson erbaut. Bis 1938 heißt das Gebäude Ballinhaus, benannt nach dem jüdischen Reeder Albert Ballin. Es muss umbenannt werden, da die Nazi verfügten, dass keine Straßen oder Gebäude mehr nach Jüdinnen oder Juden benannt werden dürfen. Ein das Gebäude schmückendes Portrait-Medaillon Ballins wird zerstört. Eine Rückbenennung in Ballinhaus wäre mehr als überfällig. Immerhin erinnert seit dem 100. Geburtstag Ballins eine Gedenktafel an den ehemaligen Namen des Kontorhauses.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Albert Ballin wird eine Gedenktafel angebracht, die an den ursprünglichen Namen des Meßberghofes erinnert.

Auffällig sind die Bauplastiken, die die beiden Eingänge des Kontorhauses schmücken: Schwellenheilige, Chimären, Fabelwesen mit dem Titel "Enigmavariationen", erschaffen von Lothar Fischer. Ursprünglich schmücken expressionistische Figuren aus Elbsandstein von Ludwig Kunstmann das Gebäude. 1968 werden sie aufgrund starker Zerstörung entfernt. Sie stehen heute in einem ziemlich unbekannten Ausstellungsraum im Untergeschoß des Meßberghofs. 

Die Fassade mit der Gedenktafel an die Zyklon-B-Lieferanten zum U-Bahn-Eingang Meßberghof hin.

Seit 1928 hat das Unternehmen Tesch und Stabenow, kurz Testa, seinen Firmensitz im Ballinhaus. Die Firma ist auf Schädlingsbekämpfung mit Blausäuregas spezialisiert, zum Beispiel auf Schiffen, in Kühlhäusern und Speichern, hat außerdem die Monopolstellung für die Verwendung von Zyklon B östlich der Elbe. Das Patent auf die Herstellung von Zyklon B hält die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung, kurz Degesch. Das Unternehmen ist phasenweise auch an Testa beteiligt. 

Die ursprüngliche Bauplastik aus Elbsandstein, erschaffen von Ludwig Kunstmann. 

Mit dem deutschen Überfall auf Polen beliefert Testa in steigendem Ausmaße auch die deutsch Wehrmacht - anfags tatsächlich zur Schädlingsbekämpfung. Nach 1941 übernimmt die Firma alle Lieferungen des Giftgases Zyklon B in die Konzentrationslager Auschwitz, Majdanek, Sachsenhausen, Ravensbrück, Stutthof, Groß Rosen, Dachau und Neuengamme. Ab September des Jahres wird Zyklon B gezielt zur Ermordung von Menschen eingesetzt. Dafür wird darauf verzichtet, dem Gas die üblichen Reiz- und Warnstoffe beizumischen. Den höchsten Erlös aus den Verkäufen von Zyklon B erzielt das Unternehmen im Jahre 1943. Firmeninhaber Bruno Tesch reist selbst in die Konzentrationslager, um Schulungen zur Verwendung des Giftgases zu geben. Am 30. März 1945 wird der Meßberghof bombardiert. Himmler selbst setzt sich dafür ein, dass Testa schnellstmöglich weiterarbeiten kann. 

Plastik aus der Enigma-Reihe von Lothar Fischer, im Hintergrund das Chile-Haus.

Am 3. September 1945 werden Tesch, sein Stellvertreter sowie ein Techniker von der War Crime Unit verhaftet und vor Gericht gestellt. Im März 1946 müssen sie sich als Kriegsverbrecher vor einem britischen Militärgericht im ersten der sogenannten Curiohaus-Prozesse verantworten. Tesch streitet jegliche Beteiligung am Massenord ab. Das Gericht glaubt ihm nicht. Am 8. März 1946 werden Tesch und sein Stellvertreter Karl Weinbacher zum Tode verurteilt und am 16. Mai 1946 in Hameln hingerichtet. Der Techniker wird freigesprochen. 

Eine weitere Skulptur von Lothar Fischer.

Seit 1992 gibt es Bestrebungen, am Meßberghof eine Gedenktafel anzubringen, die daran erinnert, dass die Firma Tesch und Stabenow hier ihren Sitz hatte, dass der Tod aus Hamburg kam. Es dauert fünf Jahre und braucht wie üblich viel zivilgeschaftlichen Druck, bis die Gedenktafel angebracht werden durfte. Wie meistens in Hamburg ist es eine schlichte Bronzetafel, die sich optisch gut der Umgebung anpasst. Zumindest im Sommer fällt sie aber durch zwei blühende Rosenstöcke, die rechts und links gepflanzt wurden, auf. Die Gedenktafel findet sich direkt gegenüber eines Eingangs in die U-Bahn-Station Meßberg. Der Text zitiert die Schlusszeile aus dem "Großen Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk" des jüdischen Dichters Yitzhak Katzenelson, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde.

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