Samstag, 11. April 2020

Samstagsplausch KW 15/20: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten IV

Auch in der vierten Corona-Woche gilt: Der Gatte fährt täglich zur Arbeit und macht auf dem Heimweg kleine Besorgungen, während ich nach Möglichkeit zu Hause bleibe. Da er zum Arbeiten in ein anderes Bundesland muss, warten wir beide auf den Tag, an dem er Passierschein A38, den sein Arbeitgeber ausstellte, vorzeigen muss. Gemessen an den Risikofaktoren wäre es besser, der Gatte bliebe zu Hause, aber bei ihm ist keine Heimarbeit möglich.

Frohe Ostern und chag pessach sameach ve kasher.
Überhaupt die Risikofaktoren: Dienstag sagte ein Hamburger Mediziner, es sei gar nicht so schlimm mit der Sterblichkeit durch Corona-Infektionen, weil alle bisherigen Toten Krebs oder eine chronische Lungenerkrankung hatten, starke Raucher oder schwer fettleibig waren, Diabetes oder eine Herz-Kreislauf-Erkrankung hatten. Sie starben also nicht in erster Linie an Corona, sondern dadurch, dass Corona ihre Vorerkrankungen verschlechterte.

Wie beruhigend. Keult uns Risikogruppen doch einfach. Wir sind nach dieser menschenverachtenden Logik ja eh nur 30 Millionen Ballastexistenzen, verursachen auch in normalen Zeiten Kosten für die Kranken- und Rentenkassen. Diese Mediziner sind der Grund, dass ich befürchte, aus der Triage wird in diesen Zeiten eine Selektion.

Solche Äußerungen machen mir Angst, sorgen für schlaflose Nächte, denn meine Familie, viele Menschen aus meinem Umfeld und auch ich gehören zu den Risikogruppen, denen jetzt vehement das Recht auf Leben abgesprochen wird.

Montag war ich einen ganzen Tag im "echten" Büro, weil vor Corona-Zeiten eine Besprechung angesetzt war. Unser Gesprächspartner vergaß den Termin aber (analog zur "Depressionsdemenz" vermute ich inzwischen, es gibt auch eine "Coronademenz"). Nun gut, hatten wir alle Besprechungskekse für uns. Wir waren an dem Tag zu viert im Büro, für unsere Verhältnisse voll besetzt, denn die meisten arbeiten zu Hause - im Gegensatz zur Nachbarabteilung, die, warum auch immer, jeden Tag komplett antritt.

Mittwoch war ich vor Tau und Tag auf dem Wochenmarkt, aber sonst verließ ich die Wohnung nicht. Warum auch?

Die Heimarbeit ist noch immer ungewohnt. Ich denke oft, ich müsse mich um den Haushalt kümmern, wo ich schon mal zu Hause bin, aber dann fällt mir ein, dass ich ja zu Hause bin, um zu arbeiten, dass es völlig okay ist, mich nicht um den Haushalt zu kümmern.

Da das Mammutprojekt noch immer in der Phase ist, in der ich unangenehme Entscheidungen kommunizieren muss, nehme ich viel Negatives mit in den Feierabend. Das ist leichter, wenn ich im "echten" Büro arbeite, denn da habe ich den langen Heimweg, um runterzukommen. Vielleicht sollte ich mir angewöhnen, nach Feierabend einen Spaziergang zu machen?

Die unangenehmen Diensttelefonate und Mails waren wirklich sehr unangenehm, und es fällt mir schwer, zu realisieren, dass die positiven Telefonate und Mails die überwiegende Mehrheit waren. Ich bin heilfroh, wenn das Projekt gestartet, die Pressetermine vorbei sind. Sobald ich weiß, wann die Pressekonferenz ist, trage ich mir für den kommenden Tag einen Nervenzusammenbruch im Terminkalender ein.

Und wenn der Prozess im nächsten Jahr wieder so grauenvoll ist wie in diesem Jahr, wo er leichter sein sollte, aber das Gegenteil eintrat, nehme ich mir den nächsten Nervenzusammenbruch von Januar bis Juni. Der Kollege, der für den Digitalisierungsprozess zuständig ist, verspricht mir in jedem Gespräch, dass es im nächsten Jahr viel einfacher wird, organisiert Hilfe für dieses Jahr und arbeitet an Problemlösungen für nächstes Jahr. Immerhin: Der Digitalisierungsprozess läuft - endlich. Wir sind ja auch erst seit letzten August dabei ...

Die Probleme verursachen allerdings nicht wir, sondern unsere Kooperationspartner, und die werden uns projektbedingt auch im nächsten Jahr (und länger) begleiten. Ich habe seit Januar das Gefühl, ich arbeite mit trotzphasigen Dreijährigen und rebellierenden Pubertierenden. Ich muss immer wieder Grenzen setzten, Machtworte sprechen, Bedrohungen aushalten und wünsche mir im Wechsel Gin, Uzi oder Whisky.

Mein entzückender Kollege würde die unangenehmen Gespräche zwar übernehmen, aber letztlich landen die Vorgänge dann doch wieder bei mir, muss ich einfach auch lernen, Konflikte auszuhalten.

Ansonsten habe ich wann immer möglich meine Arbeitszeiten so gelegt, dass sie mit der Kurzarbeit des Gatten korrespondieren und wir nachmittags gemeinsam frei haben. Das ist bei dem aktuellen Wetter ein bisschen so wie Urlaub und führt schon mal dazu, dass wir die aktuelle Lage vergessen. So meinte der Gatte, jetzt, wo die Spargelsaison langsam beginne, könnten wir doch mal wieder zum Spargel-und-Schnitzel-Essen in ein nahegelegenes Restaurant. Nur: Wer weiß, wann das wieder möglich ist?

Belastend ist, dass wir nicht wissen, wie lange die Situation noch so ist, wie sie ist. Wie lange ist der Gatte in Kurzarbeit? Wie lange hat er überhaupt noch Arbeit? Wir sind beruflich beide davon abhängig, dass die Film-, Kultur- und Freizeitindustrie arbeitet, nur arbeite ich nicht in der freien Wirtschaft, habe also keine Sorge um meinen Arbeitsplatz.

Wenn ich Rezepte für die Kombüse vorbereite, frage ich mich, wie lange ich noch das Schlagwort #MyCovidKitchen verwenden werde.

Schon in normalen Zeiten strengt mich Einkaufen an - ich war nie ein Mensch, der gerne durch Geschäfte oder über Märkte bummelt. Jetzt ist es doppelt anstrengend, weil ich in mehr Geschäfte als üblich muss, bis ich alles zusammen habe, nichts mal eben schnell in der Mittagspause in der Innenstadt erledigen kann, nicht mehr die Gewissheit habe, dass ich die Waren, die ich brauche, dann bekomme, wenn ich sie brauche.

Zum Glück kauft der Gatte gerne ein, macht es ihm weniger aus, durch die Läden zu tigern. Aber auch bei ihm ist eine große Erschöpfung zu spüren. Wir lebten ja beide in den letzten Jahren über unsere Kräfte, und dieses Herunterfahren zeigt, wie erschöpft wir sind. Wir schlafen beide mehr als sonst.

Mit Mudderns telefoniere ich jeden Tag. Sie hält sich gut und hatte diese Woche die große Freude, dass ihre Gesellschafterin wieder kam. Auch, wenn sich die beiden nur einmal die Woche für ein paar Stunden sehen, bringt das doch unglaublich viel.

Eigentlich wollten wir Ende des Monats das Einjährige der beiden in einem Café feiern - mal gucken, ob das möglich ist. Über die Osterüberraschung freute Mudderns sich sehr, vermutete gleich richtig, dass der zweite Kuchen für ihre Gesellschafterin ist und packte ihr einen Osterbeutel.

Tante rief auch sehr erfreut über die gelungene Osterüberraschung an. Sie geht mit der momentanen Situation wohl ganz gut um. Ihr Tag ist strukturiert durch den Pflegedienst und das Gassigehen mit dem Dackel, aber die Ungewissheit der Situation zehrt natürlich auch an ihr.

Meinen Ufos tut die momentane Situation gut: Ich bekam endlich den Pullover fertig, an dem ich seit etwa drei Jahren stricke. Es kam immer wieder etwas dazwischen, so dass ich ihn beiseite legte. Ende Januar hatte ich ihn schon mal fast fertig, stellte dann aber fest, dass ich beim Vorderteil zehn Maschen mehr angeschlagen hatte als beim Rückenteil. Und zu guter Letzt setzte ich beim Zusammenhäkeln die Ärmle falsch ein, aber jetzt ist der Pulli fertig - rechtzeitig zum Sommer.

Über's Einkaufen und Kochen in der vergangenen Woche berichte ich in der Kombüse. Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Bleibt zu Hause, bleibt gesund, passt auf euch und eure Lieben auf.

1 Kommentar:

  1. Das solltest du machen, einen Spaziergang nach der Arbeit!
    Ich hoffe deine Woche wird etwas entspannter sein
    Andrea

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