Sonntag, 7. September 2025

Samstagsplausch KW 33/25 bis 36/25: Leben und Arbeiten in Corona-Zeiten CCLXXXIII bis CCLXXXVI

"Ich fasse es nicht, dass mein Körper jetzt von Pilzen aufgefressen wird!", sagte der Gatte, nachdem wir vorletzten Donnerstag entschieden, dass er das Krankenhaus verlässt und palliativ zu Hause weiterbehandelt wird. Nachdem er mit Beinvenentransplantation und Amputation zwei schwere Operationen überstand, wird ihm nun eine Candidose, eine Pilzinfektion, das Leben kosten (zusammen mit diversen anderen multiresistenten Keimen und Bakterien, die er sich im Krankenhaus zuzog). 

Die Entscheidung zur Palliativpflege zu Hause fiel, weil es im Krankenhaus keine Perspektive gab, wie lange eine Behandlung dauern und ob sie Erfolg hat. "Wir müssen von Tag zu Tag abwarten", hieß es, nachdem die ursprünglichen zwei Wochen der Antimykotikum-Gabe ohne Erfolg vorbei waren. Bis dahin hieß es, in dem Zeitraum sei der Gatte garantiert pilzfrei. War er nicht. Jedes Organ ist von Pilzen, Bakterien oder Keimen befallen. Daraufhin entschied der Gatte, lieber zu Hause zu sterben als im Krankenhaus, denn seitens der Ärzte gab es keine Prognose, dass er die Candidose angesichts seiner Vorerkrankungen überstehen könnte, dass Bakterien oder Keime bekämpft werden könnten. Die einen sagen so, die anderen sagen so ... Die Wahrscheinlichkeit, dass der Gatte Pilze, Bakterien und Keime wieder los wird, ist realistisch betrachtet verschwindet gering, wäre geradezu ein Wunder. Nicht, dass wir etwas gegen ein Wunder hätten ... 

In den nächsten Tagen kümmern wir uns um Testament und Grabstelle. Alles andere wie die Auflösung der Sammlungen des Gatten haben wir schon im Krankenhaus besprochen. Der Gatte hielt sein Versprechen, älter zu werden als sein Vater, wenngleich wir uns gewünscht hätten, dass es mehr als ein Jahr sein würde. Den Geburtstag feierten wir im Krankenhaus. Seitens des Krankenhauses gab's Glückwünsche und eine Überraschung. Schwiegermutter kam zu Besuch. Es war ein schöner Tag, gemessen an den Umständen.

In gewisser Weise hielt der Gatte auch sein Versprechen, mich nicht mit 60 Jahren zur Witwe zu machen, wie es Mudderns, Schwiegermutter und Tante geschah. Nach aktueller Prognose werde ich jünger sein. Bis es soweit ist, machen wir uns eine möglichst gute Zeit, werden wir versuchen, so viele Pläne wie möglich umzusetzen.

Nach der Entscheidung zur Palliativpflege zu Hause dauerte es noch über eine Woche, bis der Gatte so weit stabilisiert war, dass ich ihn mit nach Hause nehmen konnte. Vor allem in den letzten zwei Tagen, als der Entlassungstermin feststand, bekam er immer wieder Fieber und Schüttelfrost, war zu schwach für eine Entlassung. Vorgestern war er schon entlassen, als er zusammenklappte und ich ihn wieder einweisen ließ. Seit gestern ist er endlich zu Hause.

Mit der Entscheidung zur Palliativpflege zu Hause ging es dem Gatten psychisch schlagartig besser. Das Krankenhaus sorgte dafür, dass wir sofort mit der Palliativärztin sprechen konnten, und leitete alle weiteren Maßnahmen ein. So ist auch eine Therapiebegrenzung festgelegt, falls es dem Gatten nicht vergönnt sein sollte, friedlich zu Hause einzuschlafen, er im Krankenhaus intersivmedizinisch behandelt werden muss. Der Hausarzt des Gatten ist in einem Palliativnetzwerk, übernimmt die Betreuung. Zu dem Netzwerk gehört auch der bisherige Pflegedienst, so dass der Gatte von vertrauten Gesichtern umgeben ist. Rechtzeitig zur Entlassung wurden diverse Hilfsmittel geliefert. Auf ein Pflegebett möchte der Gatte solange wie möglich verzichten, aber eine meiner beiden Sandkastenfreundinnen befreite in einem Kraftakt die Stube von den letzten Umzugskartons, so dass dort ein Pflegebett stehen könnte. Vorerst wünscht sich der Gatte aber einen Relax-Sessel.

Als ich Mitte August zum Gatten ins Krankenhaus zog, sorgte ich erstmal für einen geregelten Tagesablauf, Körperpflege und Mobilisierung. Der Gatte, der aufstehen durfte, bekam nämlich keine Physiotherapie, lag nur im Bett, war inzwischen zu schwach, alleine aufzustehen, so sehr er es auch wollte und versuchte. Wir fragten mehrfach nach Physiotherapie, aber da kam erst jemand, als klar war, dass der Gatte palliativ ist. Dann gab's exakt eine Behandlung. Als erstes sorgte ich dafür, dass der Gatte sich anzog und wir am Tisch aßen. Ich wusste ja, dass er es kann und will, nur eben Hilfe braucht. Schon der Umstand, dass der Gatte am Tisch saß, sorgte bei Ärzten und Pflegekräften für Erstaunen. Als er letzte Woche dann am Rollator und später am Stock den Krankenhausflur entlang ging, selbstständig mit dem Rollstuhl unterwegs war, fielen die Kinnladen herunter. 

In der kommenden Woche werde ich mich um Krankengymnastik für den Gatten kümmern. Die müssen wir selbst zahlen, denn der Gatte ist ja jetzt palliativ, da lohnt sich das nicht mehr. Der Gatte hat aber einen starken Lebenswillen und will so lange wie möglich so viel Normalität wie möglich. Obwohl schnellstmöglich ein Treppenlift eingebaut wird, will der Gatten wieder Muskeln aufbauen, die es ihm ermöglichen, Treppen zu steigen. Er will sich außerhalb des Hauses auch ohne Rollstuhl bewegen, am liebsten auch ohne Rollator, denn die Beine funktionieren jetzt ja wieder. Deswegen verweigerte er auch die Aufstellung eines Pflegebettes im Esszimmer, wo er bis zum Einbau des Treppenliftes hätte schlafen sollen. Es zeigte sich gestern aber schnell, dass Treppen eine unwahrscheinliche Kraftanstrengung für ihn sind. 

Das Krankenhaus setzte dem Gatten unheimlich zu, nicht nur die lange Zeit, sondern auch die äußeren Umstände. Durch die häufigen Zimmer- und Stationswechsel wurde die Amputationswunde nicht mehr regelmäßig versorgt - der Gatte verschwand einfach vom Radar. Kein Wunder, dass sich von der Wunde ausgehen eine Candidose entwickelte. Wir mussten uns die regelmäßige Wundversorgung ertrotzen. Die Wundversorgung soll laut einem behandelndem Arzt täglich stattfinden, aber ein anderer entschied, alle zwei Tage oder bei Bedarf reiche. So ist denn jetzt auch die Verordnung für den Pflegedienst, obwohl im Entlassungsbrief eindeutig tägliche Wundversorgung steht. Ich hoffe, ich kann das morgen beim Gespräch mit dem Palliativarzt geradebiegen. Ich hoffe auch, dass er die vielen neuen Medikamente verordnet. Normalerweise besteht er darauf, dass das der jeweilige Facharzt macht, aber bis wir dort Termine bekommen, wird es dauern, und der Gatte braucht ja seine Medikamente.

Der Gatte wird nach der Entlassung auch nicht mehr durch die Wundambulanz des Krankenhauses versorgt - lohnt ja nicht mehr bei einem Palliativen. Ich hoffe, die Fußambulanz des Diabetologen kümmert sich darum, denn der Pflegedienst wechselt ja nur die Verbände, aber reinigt die Wunden beispielsweise nicht. Eigentlich müsste auch noch eine Hauttransplantation erfolgen, aber wie gesagt: Lohnt ja nicht mehr bei einem Palliativen.

Rund um die Uhr fuhrwerkte im Krankenhaus irgendjemand am Gatten herum, bekam er neue Infusionen oder Zugänge, wurde ihm Blut abgenommen, egal, ob er schlief oder nicht. Teilweise wurde noch nicht mal mit ihm gesprochen, wurde ihm nicht erklärt, was mit ihm gemacht wird, wurden die Verbände abgenommen und erst Stunden später erneuert. Solange lag der Gatte dann mit barfen Füßen da, schlurfte so auch schon mal auf die Toilette, wenn niemand auf sein Klingeln reagierte - wie gesagt, die Candidose kam nicht aus heiterem Himmel. Einige Ärzte sprachen auch nicht mehr mit dem Gatten, sondern nur noch mit mir, wogegen wir vergeblich protestierten. In den drei Wochen, die ich im Krankenhaus wohnte, gab's eine Ärztin, die sich weigerte, nachts einen neuen Zugang zu legen, und darauf bestand, dass der Gatte seine Nachtruhe hat. Ansonsten gab's auch schon mal mitten in der Nacht neue Zugänge (der Gatte hat schlechte Venen, weswegen er alle naslang neue Zugänge brauchte). Mit jeder Störung glitt der Gatte wieder ins Delir ab, wurde verwirrter, aggressiver, verzweifelter, wütender. Highlight war, dass man wollte, dass wir spätabends das Zimmer wechseln. Da eskalierte ich. Der Gatte hatte so oft den Eindruck, er sei woanders aufgewacht, als er einschlief, weil ihn die ständigen Zimmerwechsel überforderten, und dann das. Nach einigen Telefonaten stand fest: Wir durften am kommenden Morgen nach dem Frühstück wechseln. Für die letzten zweieinhalb Wochen hatten wir dann ein Dreibettzimmer nur für uns. Das Zimmer hatte sogar einen Balkon. Ich sorgte dafür, dass es so wohnlich wie möglich wurde.

Dass der Gatte kaum zur Ruhe kam, lag auch an dem Umstand, dass das Krankenhaus im laufenden Betrieb umgebaut wird. Das bedeutete bis zu zehn Stunden täglich an bis zu sechs Tagen Baulärm. So oft es ging, entflohen wir vor das Krankenhaus und saßen in der Sonne. Ich strickte, der Gatte rauchte seine Pfeife, wir redeten. Außerdem lernten wir unwahrscheinlich nette Menschen kennen, führten gute Gespräche. Das war eine sehr intensive Zeit.

Der Gatte stimmte nicht nur endlich einem Treppenlift zu (ich wollte den ja schon prophylaktisch einbauen, als wir das Haus renovierten), sondern auch einem Hausnotruf. Unser Pflegedienst bietet einen an, bei dem tatsächlich auch Hilfe kommt, selbst, wenn es "nur" ein Sturz ist. Beim bisherigen Anbieter, bei dem auch Mudderns war, musste immer erst ein Angehöriger kommen, um sich zu überzeugen, dass es tatsächlich ein medizinischer Notfall ist (dazu zählen keine Stürze), und selbst dann wurde kein RTW geschickt, wenn man nicht bereit war, die Kosten für den Einsatz zu übernehmen, sollte es doch kein medizinischer Notfall sein. Wenn es mit dem jetzigen Anbieter klappt, kann ich den Gatten beruhigter alleine lassen, denn ich habe ja auch noch ein eigenes Leben, möchte beispielsweise schnellstmöglich wieder arbeiten, habe eine Kurzreise gebucht, eine Dienstreise steht auch an. Für die Tage, an denen ich nicht da bin, möchte der Gatte zudem Essen auf Rädern nutzen. Er wird sich demnächst mal durch verschiedene Anbieter probeessen. 

Generell möchte er jetzt alles an Hilfe in Anspruch nehmen, was geht - das ist auch Entlastung und Erleichterung für mich. So liegen denn hier gerade Anträge auf weitere Merkmale einer Schwerbehinderung, weil der Gatte gerne einen Parkausweis und eine Begleitperson hätte. Perspektivisch muss auch der Pflegegrad überprüft werden.

Die ersten Stunden nach Heimkehr des Gatten stimmen vorsichtig optimistisch: Der Gatte fand sich problemlos zurecht. Die Treppen machen ihm zu schaffen, abends musste ich ihn fast hochtragen, aber das wird mit zunehmenden Muskeln hoffentlich besser (heute hat er Muskelkater). Er schlief bis auf einen Albtraum sagenhafte acht Stunden durch. Vor der Nacht hatte ich am meisten Angst, denn aufgrund des Delirs fand der Gatte im Krankenhaus keine Ruhe, halluzinierte, kletterte aus dem Bett, riss dabei Sauerstoffschlauch und Infusionen mit und wollte durchs Krankenhaus irren. Mein Schlaf wurde im Viertelstundentakt unterbrochen, ich wankte irgendwann vor Erschöpfung. Letzte Nacht konnte auch ich durchschlafen. Was für eine Wohltat!

Hier gilt seit mittlerweile 286 Wochen: Der Gatte und ich sind weitgehend zu Hause. Im ersten Corona-Jahr wurde der Gatte schwerkrank, im zweiten zeigte sich, dass er nicht mehr gesunden wird, im vierten hatte er einen Schlaganfall, im sechsten wurde er ein Palliativfall. Der Gatte ist schwerbehindert und berufsunfähig verrentet. Es geht uns dennoch vergleichsweise gut. Wir halten es gut miteinander aus, wenngleich die Erkrankungen und der Schlaganfall des Gatten zu Wesensveränderungen führten, die ein Zusammenleben manchmal sehr schwer machen. 

Herzlichen Dank für die vielen guten Wünsche und Gebete, die mich auf unterschiedlichen Wegen erreichten! Das bedeutet mir sehr viel. Ich hoffe, ich schaffe es, euch allen zu antworten.

Ein Blumengruß von meinen Kolleginnen.

Diese Woche brachte zwei Blumensträuße. Unsere liebe Putzfrau, die den Gatten sehr in Herz schloss und mit uns hofft, betet und bangt, zögerte lange, ob man einem Mann Blumen schenken dürfe, entschied sich dann aber dafür. Der zweite Blumengruß kam von meinen Kolleginnen. 

Ein Blumengruß für den Gatten.

Dieser Beitrag geht rüber zum Samstagsplausch bei Andrea. Vielen Dank für's Sammeln! Über's Kochen und Einkaufen berichte ich in der Kombüse