Heute ist wieder der fünfte Tag des Monats, und Frau Brüllen fragt "Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?", kurz WMDEDGT? Vielen Dank für's Sammeln!
Der Wecker klingelt um sechs Uhr, und ich muss auch tatsächlich aufstehen, denn heute kommt unsere Putzfrau. Normalerweise kommt sie freitags, aber da beginnt das Opferfest, trifft sich die Familie, und ich bleibe donnerstags gerne bis kurz vor Dienstbeginn liegen, da im Heimbüro. Der gestrige Arbeitstag steckt mir in den Knochen. Ich bin froh, dass ich früh ins Bett ging und durchschlafen konnte.
Aufstehen, anziehen, ab nach unten, die Kaffeemaschine anwerfen, die Spülmaschine aus- und wieder einräumen, das Wohn- und Esszimmer aufräumen. Da sind auch jede Menge Kartonagen zu entsorgen. Morgen ist Altpapier. Zwischendrin den Gatten wecken und mit Kaffee versorgen. Der Gatte muss auch pünktlich aufstehen, denn wir müssen zur Kontrolle ins Wundkompetenzzentrum im Krankenhaus. Dahin geht's im wöchentlichen Wechsel mit der Fußambulanz beim Diabetologen und parallel zur Wundversorgung durch einen Pflegedienst.
Die Putzfrau kommt, als ich noch mit dem Altpapier beschäftigt bin. Wir tauschen uns aus wie's ihrer Familie und dem Gatten geht - sie nimmt unwahrscheinlichen Anteil an uns, ist einfach lieb. Tee für ihre Pause kochen, dann für zwanzig Minuten ab an den Dienst-Klapprechner, um zu gucken, ob was brennte. Zum Glück ist heute meine Kollegin mit am Start und hat die Freigabe im Griff, aber alles Administrative läuft bei mir auf, und da liegt gerade einiges an.
Der Gatte ist rechtzeitig fertig. Die Tasche mit dem Verbandsmaterial schnappen (das muss man hier immer mitbringen, kannten wir so nicht) und ab ins Krankenhaus.
Am Krankenhaus gibt's mehrere Parkzonen. Ich mag natürlich am liebsten die direkt am Eingang. Da hat es der Gatte nicht so weit. Da würde auch gerade ein Parkplatz frei, wenn der Fahrer hinter mir mich zurücksetzen ließen, damit ich einparken kann. Der Fahrer ist aber ein Morsloch, möchte den Parkplatz für sich und weigert sich, den Rückwärtsgang einzulegen. Die Fahrerin, die gerade ausparken will, und ich denken sich unseren Teil, der Gatte flucht wie ein Rohrspatz über solche Unfreundlichkeit. Die Fahrerin schenkt mir ihren Parkschein, der noch über eine Stunde gilt. Solche netten Gesten gibt es hier im Ort öfter. Ich freue mich jedes Mal und versuche mich möglichst oft zu revanchieren. Den Gatten in einer Rolli-Parkbucht ausladen, dann einen Parkplatz suchen und mit der Tasche mit dem Verbandsmaterial zurück zum Gatten, dabei unterwegs eine Verordnung für die orthopädische Schuhmacherin in den Briefkasten werfen.
Das Wartezimmer ist zwar voll, aber das ist für mehrere Ärzte, und bei unserem ist gerade nicht so viel los, geht's schnell ins Behandlungszimmer. Wir bringen die Wundmanagerin auf Stand, während sie die Wunden reinigt. Das ist nichts für zarte Gemüter. Wären es nicht die Wunden des Gatten, könnte ich damit besser um. Nachdem letzte Woche Panik war bei drei Ärzten und drei Wundschwestern, weil der Gatte plötzlich eine neue Wunde hatte, die binnen zweier Tage schwarz-nekrotisch wurde, Amputation im Gespräch war, sah sich das die heutige Wundschwester vier an. Sie reinigte die Wunde, schüttelte immer heftiger den Kopf, nahm irgendwann eine Pinzette und zog beherzt an der Wunde.
Die schwarze Nekrose war ein dicker Fussel von einer schwarzen Wollsocke.
Dem Gatten ist deutlich anzusehen, dass ihm eine Geröll-Lawine vom Herzen fällt. Bei der OP bleibt es allerdings. Das rechte Bein muss nachgebessert werden.
Der Arzt wuselt hektisch ins Behandlungszimmer, meint, er würde die OP gerne eine Woche vorziehen, ob das bei uns passe? Selbst wenn nicht, es würde passend gemacht. Ich finde es aber immer sehr nett, wenn gefragt wird. Er wirft einen kurzen Blick auf die Wunden, wuselt wieder heraus, um zu gucken, ob er zwei OP-Termine tauschen kann, damit die des Gatten vorgezogen werden kann, wuselt wieder herein und meint, es bleibe beim bisherigen Termin. Mal gucken, wie lange.
Eine Stunde später ist der Gatte wundversorgt. Während ich in die Nephrologie-Praxis laufe, um eine Überweisung zu holen, bleibt er auf einer Bank sitzen. Dussligerweise hat die Praxis neuerdings donnerstags geschlossen. Es klappt also nicht, morgen auf dem Rückweg von einem Arzttermin in Hamburg bei der dortigen Nephrologie-Praxis ein Rezept abzuholen. Das muss ich irgendwie noch bis Monatsende schaffen, muss wohl einen Urlaubstag dafür nehmen, denn die Sprechzeiten kollidieren mit meinen Arbeitszeiten. Dieses Quartal ist da die Karte des Gatten noch nicht eingelesen, sonst müsste ich da nicht vorbei. Zum kommenden Quartal wechseln wir in die örtliche Praxis. Das macht es einfacher, und der Gatte wird dort einen festen Arzt als Ansprechpartner haben. In der Hamburger Praxis war es in den letzten Monaten jedes Mal ein anderer Arzt, hatten wir teilweise das Gefühl, der weiß gar nicht, mit welchem Patienten er gerade spricht. Der Gatte fühlte sich deswegen nicht mehr wohl. Als er nur kontinuierlich von einer Ärztin behandelt wurde, klappte vieles besser, zumal er die Ärztin mochte.
Wann immer möglich, verbinden wir auf Wunsch des Gatten morgendliche Arzttermine mit einem Auswärtsfrühstück, also fahren wir jetzt frühstücken. Ich merke, dass der Gatte erschöpft ist und schlage vor, dass wir erst nach Hause fahren, damit er sich etwas ausruhen kann. Der Gatte besteht aber darauf, wie geplant gleich zum Einkaufen weiterzufahren.
Während wir frühstücken, ploppt auf dem Taschentelefon die Nachricht auf, dass die Leichname von Gadi und Judy Haggai aus Gaza nach Israel überführt wurden. Jetzt sind noch 56 Menschen in der Hand der Hamas. Bring them home now gilt unvermindert.
Wir fahren zum Einkaufen ins Nachbardorf. Wie üblich geht es erst zum Discounter. Während ich die Einkäufe verlade, ruht sich der Gatte vorm Supermarkt aus. Während wir durch den Supermarkt gehen, meint er kleinlaut, es wäre doch besser gewesen, wir wären erst nach Hause gefahren, damit er sich ausruhen kann. Jetzt geht er vor, um beim Bäcker auf mich zu warten, bis ich durch die Kasse bin. Beim Bäcker Kuchen kaufen - es ist noch immer ungewohnt, dass wir kein Brot kaufen, aber wir essen ja inzwischen Brot-Ersatz - dann die Einkäufe ins Auto ver- und den Gatten einladen.
Zu Hause wird erst der Gatte ausgeladen und ins Haus gebracht, damit er sich ausruhen kann, dann sind die Einkäufe dran. Ich verstaue erstmal nur die Sachen, die in Kühlschrank und Tiefkühler müssen. Der Rest muss bis zum nächsten Tag warten. Normalerweise hätte der Gatte den Rest verräumt, aber dazu ist er nicht mehr in der Lage. Ich bin froh, wenn er es schafft, auf seinen eigenen zwei Beinen zu stehen und ein paar Schritte zu gehen, ohne umzukippen.
Um Viertel nach Zwölf beginnt mein Arbeitstag dann richtig. Ich habe zwar die Anweisung meiner Chefin, an Tagen wie diesen nur kurz zu arbeiten oder mich ganz abzumelden, aber der morgige Tag wird nicht anders werden. Deswegen macht es keinen Sinn, die Arbeit auf den kommenden Tag zu verschieben, zumal mir freitags die Unterstützung meiner Kollegin fehlt. Da nutze ich die lieber Zeit, in der sie mir den Rücken freihält. Es fiel endlich die Entscheidung für die Örtlichkeit der jährlichen Pressekonferenz, so dass ich mit der Organisation beginnen kann. Abstimmungen mit meiner Kollegin, Excellisten abarbeiten, eine unverschämte eMail entsprechend freundlich beantworten, ein paar Telefonate führen, dann ist Zeit für eine kurze Teepause mit dem inzwischen ausgeruhten Gatten.
Irgendwann ist Feierabend. Das Blutzucker-Tagebuch des Gatten auf Stand bringen, weil Hände und Augen bei ihm nicht mehr wollen, seine Notizen vom Vortag ins Reine geschrieben werden müssen. Kurze Irritation ob der Eintragung "Erdbeben". Das soll "Erdbeeren" heißen und war gestern sein Mittagessen.
Das Blutzucker-Tagebuch beschäftigt mich länger als gedacht, so dass ich erst spät dazu komme, das Abendessen vorzubereiten. Erst zur Tagesschau gibt's Ofen-Spargel mit Ofen-Kartoffeln. Vorm Essen ist der Gatte noch so nett, die Altpapiertonne an die Straße zu schieben. Ich habe sie ihm schon vorgezogen, so dass sie am Gehweg steht, denn sie ist sehr schwer. Die Zeiten, in denen der Gatten nicht nur 150 kg schwere Drusen, sondern auch mich auf Händen tragen konnte, sind lange vorbei.
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Ich freue mich über das Abendrot und den Balkonblick. |
Mit dem Gatten "quer" gucken und ihn dann enttäuschen, weil ich nicht mehr mit ihm sofasitzen und fernsehen mag. Ich bin todmüde, erschöpft, möchte mich hinlegen - und ich habe nur noch 20 Stunden, um knapp 100 Seiten Buch zu Ende zu lesen, denn "Ich war Bulle*" kann ich nicht verlängern (ich werde es am kommenden Tag bis eine Stunde vor Ablauf der Leihfrist geschafft haben). Vorher wollen aber noch die Küche aufgeräumt und die schon wieder volle Spülmaschine angeschaltet werden.
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In den Mond gucken und den Abendgesängen von Amseln und Drosseln lauschen. |
Der Blick zurück in die ersten fünf Corona-Jahre: Am 5. Juni 2020 war der Gatte noch gesund, kämpfte ich im Heimbüro mit den Tücken der Ad hoc-Digitalisierung und später mit den neuen coronabedingten Verhaltensweisen. Am 5. Juni 2021 kämpft sich der Gatte ganz langsam wieder ins Leben zurück, freuten wir uns, dass er mit Mühe die knapp 500 m von seinem Krankenhauszimmer zum Ententeich und zurück schaffte. Am 5. Juni 2022 freuten wir uns, dass der Gatte bei uns ist. Am 5. Juni 2023 waren wir schon fast ein Jahr mit Baustelle und Doppel-Haushalt beschäftigt. Am 5. Juni 2024 schwebte der Gatte mal wieder in Lebensgefahr, ohne es ernst zu nehmen. Zwei Tage später sollte mich sein Arzt fragen, ob mein Mann wüsste, wie krank er ist. Nein, er ignoriert es nach Kräften, immer noch.
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